Читать книгу Nachtschatten - Nataly von Eschstruth - Страница 4
Erstes Kapitel.
ОглавлениеDie Sonne sandte ihre letzten schrägen Strahlen in das kleine Hinterzimmer und malte die Muster der dicken Häkelspitze, die die schmalen Mullschals der Gardinen säumte, auf die weiss gescheuerten Dielen.
Sie huschte über die Blumentöpfe auf dem schmalen Fensterbrett, auf die blassfarbene Erika, die roten, gefüllten Primeln und die prächtigen, lila- und rosagefärbten Fackeln der Hyazinthen, die in hohen Gläsern dufteten.
Sie flimmerte auch über den tiefgeneigten, zierlichen Mädchenkopf und tauchte jedes einzelne der weichen, nachtschwarzen Löckchen in goldenes Licht. Die kleinen Hände arbeiteten voll beinahe nervöser Hast, und doch lag auf dem lieblichen Antlitz ein Ausdruck sinnender Zerstreutheit, als seien die Gedanken hinter der weissen Stirn weitab von den groben Küchenhandtüchern, deren Löcher und Risse die fleissigen Finger so sorgsam stopften.
Und sehr heiter und sonnig schienen die Bilder nicht zu sein, die die Phantasie des jungen Mädchens malte.
Ein beinahe schwermütiger Ernst lag auf dem schönen Angesicht, ein feiner Leidenszug senkte sich um die Lippen, und die auffallend grossen, tiefdunklen Augen, von schwarzen, langen Wimpern verschleiert, blickten so traurig in die Welt, als ob nie eine Sonne voll Glück und Liebe darinnen scheinen könnte! Und doch stand neben dem gesenkten Haupt ein blühender Myrtenstock, und ein schmaler, glatter Goldreif blitzte an der Hand, — ein Verlobungsring.
So oft der Blick des jungen Mädchens ihn traf, wehte es wie ein Schatten über die klare Stirn, ein leiser Seufzer entrang sich den Lippen, und die Hände bebten, als liesse ein jäher Schreck den schlanken Körper erschauern. Die Arbeit sank in den Schoss, die grossen, so wundersam umschatteten, eigenartigen Augen aber starrten müde und traurig hinaus in die blühenden Hintergärten, über deren lautlos und regungslos ragenden Wipfeln die letzten Lichtfunken des scheidenden Tages zitterten.
Margret von Uttenhofen dachte zurück an die letzten, trostlosen Jahre ihres Lebens. Sie war Waise, die einzige Tochter eines frühverstorbenen Beamten, das einzige Glück der blassen, stillen Mutter, die den schweren Kampf um Leben und Dasein kämpfte, bis der Tod ihre müden Augen für immer schloss. Margret blieb allein und mittellos zurück, ihr einziger Anverwandter, der Bruder ihres Vaters, ein schrullenhafter, weiberfeindlicher Gelehrter, brachte das Opfer, sie in einer Pension erziehen zu lassen.
Bis zu ihrem achtzehnten Jahre blieb sie da, dann hiess es abermals: wohin mit ihr? —
Hervorragende Talente hatte die Natur ihr nicht verliehen, wohl aber sie mit einer so eigenartigen, rührenden Schönheit und Anmut ausgestattet, dass ihren Erziehern der Gedanke gekommen war, auf der Bühne vermöge Margret wohl am sichersten ihr Glück zu machen.
Ein Brief voll bitterster Entrüstung und heftigen Zornes, von der nervös zitternden Hand des Professors geschrieben, antwortete auf diesen Vorschlag, und Fräulein von Uttenhofen atmete auf wie erlöst, denn bei ihrem schüchternen, mimosenhaft bescheidenen Wesen deuchte ihr die Karriere einer Bühnenkünstlerin geradezu furchtbar.
Professor von Uttenhofen berief seine Nichte zu sich. Es sei in seinem Hause Platz für das junge Mädchen; unter Anleitung seiner vortrefflichen Wirtschafterin, der Frau Agnes Hauser, könne sich Margret noch im Kochen und Wirtschaften vervollkommen, nun, und dann werde sich schon das Weitere finden.
Mit den besten Wünschen und voll freudiger Zuversicht entliess man sie aus der Pension. Margret ist ja so schön! So ganz etwas Besonderes mit ihren grossen, grossen rätselhaft dunklen Augen und dem bläulichschwarzen, glänzendweichen Haar — sie wird alle Herzen gewinnen und bald heiraten, das wird die beste Lösung der Frage sein.
Ja, ihre Schönheit! Jedermann glaubte, dass dieser herrliche Freibrief fraglos die Zaubergerte sei, mit der die sieben Riegel vor dem Tor des Glückes sieghaft gesprengt werden mussten, und doch war es gerade diese Schönheit, die ihr den harten, einsamen Lebensweg noch besonders erschwerte!
Wohl hatte der Professor voll Entzücken in das liebliche Antlitz geschaut und kein Hehl daraus gemacht, dass die junge Nichte einen ausserordentlich günstigen Eindruck auf ihn mache, — aber er war nicht Menschen- und Weiberkenner genug, um solchen guten Geschmack sorgsam vor Frau Agnes Hauser, der Wirtschafterin, zu verbergen.
Ein bitterböser Blick aus den verschwollenen Augen der „Unfehlbaren“ traf den jungen Gast, ein Blick, der, so stumm er auch war, doch eine ganze Kriegserklärung voll giftiger Worte enthielt.
Wittib Agnes war sowieso nicht sehr erbaut von dem neuen Zuwachs ihres Hauswesens. Sie hatte dem Professor in ihrer resoluten und scharfen Art erklärt: Beluxen und ausspionieren liesse sie sich nicht von der Mamsell Grasaff, und eine Aufpasserin liesse sie sich erst recht nicht vor die Nase setzen! Wenn das Fräulein etwa versuchen wollte, sie hier aus dem Hause hinauszubeissen, so wolle sie lieber gleich gehen, denn sie hätte dem Herrn Professor nicht an die achtundzwanzig Jahre treu und selbstlos gedient, um noch auf ihre alten Tage von einem Gelbschnabel geschuriegelt zu werden!
Herr von Uttenhofen war entsetzt. Seine Agnes! Seine unfehlbare Agnes, die einzige, die mit all seinen Eigentümlichkeiten Bescheid wusste, die einzig so kochte, wie er es liebte und wie sein Magen es vertrug, — diese Agnes sollte er verlieren? Nimmermehr!
Heilige Versicherungen, Geschenke und die besten Worte vermochten es endlich, den alten Drachen zu bewegen, Magret im Hause aufzunehmen. Und nun war sie gekommen, schön wie ein Engel, voll warmherzigster Liebenswürdigkeit, und der Professor sass da und rieb sich die Hände und schmunzelte: „Gelt, Agnes? Die kann sich sehen lassen! Was werden die Leute sagen, dass ich solch eine Nichte habe! Ja, ja, die Uttenhofens waren alle schöne Leute!“ —
Agnes brummte etwas sehr Unwirsches vor sich hin und meinte dann achselzuckend: „Die Schönheit sei ein Teufelsgeschenk und habe schon viel Unheil in die Welt gebracht! So ein glattes Lärvchen will gefallen und nimmt’s mit der Treue und Tugend nicht so genau! Da würde ja der Herr Professor eine schöne Last bekommen, die Fräulein Nichte zu bewachen!“ —
„Oh! oh!!“ — hatte der Professor sehr betroffen und ängstlich geseufzt, und Frau Agnes hatte die Tür schmetternd ins Schloss geschlagen.
Draussen stand sie und stemmte zornmutig die Hände iin die Seiten.
„Das wäre ja alles, was da fehlte, wenn der Herr Professor noch Heiratsgedanken bekommen wollte! Wenn der Grasaff sich’s etwa nach der Hausfrauenwürde gelüsten liesse! Oha! da war denn die Frau Agnes auch noch da! und es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht das Heft in der Hand behalten sollte!
Welch eine trostlose, schreckliche Zeit für Margret! — Was sie auch tat, die tyrannische, mürrische Person freundlich zu stimmen, es nützte doch nichts, sie war und blieb ihre geheime, erbitterte Feindin, die ununterbrochen Ränke spann, Onkel und Nichte zu entzweien und letztere aus dem Hause hinauszubeissen.
Margret arbeitete voll rastlosen Eifers von früh bis spät, bescheiden und demütig auch die schwerste Mägdearbeit verrichtend, die Agnes ihr hämisch zuschob. Die einzige Freude und Erholung waren ihre Musikstunden, die sie um so eifriger betrieb, als ihr sehr gütiger und bedeutender Lehrer ein doch nicht unbedeutendes Talent, zu präludieren und zu phantasieren, an ihr entdeckte. — Sie hatte viel Eifer und lernte leicht, namentlich amüsierte es sie, verschiedene Instrumente zu spielen, und wenn auch der Professor etwas ungeduldig die Achseln zuckte: „Du sollst doch kein Kapellmeister werden!“ so blickte er doch voll schmunzelnden Interesses auf das reizende Mädchen, als sie ihm eines Tages mit glühenden Wangen und Augen, die in der Begeisterung noch grösser und dunkler aussahen wie sonst, auf der grossen Harfe ihres Lehrers eine ganz eigenartige, schwermütige Weise vorspielte.
Herr von Uttenhofen überraschte Frau Agnes eines Tages mit dem Entschluss: „Ich will mit der Margret Besuche machen! Der Winter zieht ins Land, es gibt in unserem kleinen Städtchen nicht viele, aber doch einige Vergnügungen, die soll sie mitmachen!“
„Und zu welchem Zwecke?“ — keifte die Alte ingrimmig. „Glauben Sie, Herr Professor, die Ballkleider kosten nichts?“
„Gleichviel! Das Opfer muss gebracht werden! Wie soll Margret sonst einen Mann bekommen? Hier im Hause laufen die Freier nicht umher, und es wird doch Zeit, dass wir uns nach einer passenden Partie für das Kind umsehen, denn für ewig können wir sie doch nicht im Hause behalten! Sagst doch selbst, Agnes, dass sie es neulich gewesen ist, die meinen Lieblingsmeerschaumkopf beim Staubwischen zerschlagen hat! — Und den Homer — sagst du — habe sie neben den Horaz gesteckt, wo er doch absolut nicht hingehört ...“
Frau Agnes hatte hoch ausgehorcht. Wie eine Leuchte der Erkenntnis flammte es in ihr auf.
Heiraten! Die Magret muss heiraten — einen anderen Mann als wie den Professor! Ei, du liebe Zeit, dass ihr der ausgezeichnete Gedanke nicht schon längst gekommen war!
Natürlich heiraten! Gab es ein besseres Mittel, sie hier im Hause los zu werden? —
Zum erstenmal seit ihrer Anwesenheit lachte Frau Agnes die junge Schutzbefohlene mit zwinkernden Augen an, als Fräulein von Uttenhofen von dem Boden herunterkam, auf dem sie den Obstvorrat für den Winter auf breiten Strohschichten ausgelegt hatte.
Ja, sie lächelte Margret an, — und doch war dieses Lächeln nur ein Wetterleuchten, das noch böser Zeit voranging.
Der Professor führte die Nichte während des Winters aus, und es gewährte ihm auch eine grosse Genugtuung, dass das junge Mädchen von allen Herren in der lebhaftesten Weise ausgezeichnet und angebetet wurde.
Wo sie sich zeigte, feierte ihre wundersame Schönheit Triumphe, die anderen jungen Damen verblichen neben ihr wie Sterne vor der Sonne, und je begeisterter und glühender die Herren der reizenden Königin der Saison huldigten, um so feindlicher stellte sich die Damenwelt zu ihr.
Neid und Eifersucht spielen in der ganzen Welt eine leider sehr bedeutsame Rolle, nirgends aber eine grössere, als wie in kleinen Städten, wo die Unduldsamkeit gegen Rivalinnen die mannigfachsten und giftigsten Blüten treibt.
In der Regel herrscht in kleinen Städten Herrenmangel, jeder Zuwachs an Damen wird sowieso mit scheelen Augen angesehen; kommt aber gar eine solche sieghafte Schönheit, wie die der Margret von Uttenhofen, die Liebenswürdigkeit, Herzensgüte und viel gutes Wissen mit sich vereinigt, dann schäumen die Wogen der Eifersucht über, und die Maulwurfsarbeit beginnt heimlich, aber emsig ihr Werk, Schlingen und Netze zu legen, um das in den Staub zu stürzen, was den Spiessbürgerinnen und alternden Jungfrauen zu hochgewachsen dünkte!
Rügenfurt war eine kleine Provinzialstadt, die ein Bataillon Infanterie in ihren Mauern beherbergte. Die jungen Offiziere waren wohl die beliebtesten Tänzer, nicht aber Heiratskandidaten, mit denen die Mütter rechneten.
Sie sowohl, wie Väter und Töchter wussten, dass eine Offiziersehe ohne Mittel ein Unglück, dass die zu stellende Kaution eine eiserne, nicht zu umgehende Notwendigkeit ist.
Die Familien jedoch, die derart gestellt waren, dass sie sich den Luxus eines „militärischen“ Schwiegersohnes gestatten konnten, wurden von Jahr zu Jahr spärlicher, denn selbst die Gutsbesitzer der Umgegend hatten mit den schlechten Zeiten zu rechnen.
So sahen es die Ballmütter voll ironischer Gelassenheit, dass der hübsche, ritterliche und wohl auch etwas leichtlebige Leutnant Olmütz sich zum Schatten der reizenden Margret machte, ihr bei jeder Gelegenheit voll glühender Begeisterung huldigte und gar nicht das mindeste Hehl daraus machte, dass er bis über die Ohren in Fräulein von Uttenhofen verliebt war! Mochte er es! Was lag daran?
Wenn auch die schöne Margret noch so heiss bei seinem Anblick erglühte und ihre dunklen Märchenaugen noch so gross und flehend zu ihm emporschauten, wie bei einer Taube, die den Falk über sich kreisen sieht, so lag doch nicht die mindeste Gefahr vor, dass dieser Falk die weisse Taube kraft eines soliden Trauringes entführte, — er hatte nichts, und sie hatte nichts, — und die Weisheit des alten Kerkermeisters aus dem Fidelio, der da philosophiert:
„Wo sich nichts mit nichts verbindet,
Bleibt die Summe immer klein,
Wer bei Tisch nur Liebe findet,
Wird nach Tische hungrig sein!“ —
war mit der Zeit auch bis Rügenfurt gedrungen und zur Überzeugung aller Eltern und heiratsfähigen Töchter gemacht worden. Wohl folgte auch aus den Augen junger Mädchen dem interessanten Olmütz manch grollender Blick, wenn er um der neuen Sonne willen die alten Sterne so völlig vergass, und der armen Margret ward es vollends durch manch spitze Bemerkung und gehässiges Ignorieren kundgetan, dass sie auf die Sympathie der Rügenfurter Gesellschaft, wenigstens auf den weiblichen Teil derselben, nicht im mindesten zu rechnen hatte!
Wenn schon das Echo in der grossen Welt ein sehr weittönendes und indiskretes ist, so scheint es in kleinen Städten direkt in das Reich der Wunder zu gehören, denn auch ohne Telephon hörte man in Rügenfurt ganz genau am nördlichen Ende der Stadt, was am südlichen ganz, ganz leise geflüstert wurde, und was im Osten unter dem Siegel der Verschwiegenheit eine liebe Freundin der andern anvertraute, das pfiffen in der nächsten Stunde im Westen die Spatzen schon auf dem Dach.
Was Wunder, wenn auch Frau Agnes haarklein erfuhr, dass Fräulein Margret auf dem besten Wege sei, sich mit Leutnant Olmütz in eine völlig aussichts- und hoffnungslose Liebschaft einzulassen, dass dies bei einem so heissblütigen und lebenslustigen jungen Mann doch höchst bedenklich sei, und dass es wohl gut wäre, wenn das Fräulein beim Schlittschuhlaufen und auf einsamen Promenaden durch Feld und Wald etwas besser beaufsichtigt würde.
Agnes war wütend.
Darum also wurden die teuren Ballkleider angeschafft, damit die Mamsell Grasaff sich in einem Monsieur Habenichts verguckte, bei dem weder an Verloben noch Verheiraten zu denken ist?
O nein, so hatte sie denn doch nicht gewettet, und es war hohe Zeit, dass sie die Angelegenheit einmal in ihre energischen Hände nahm; denn dass Fräulein von Uttenhofen bis zum Mai oder spätestens Juli unter der Haube und hier aus dem Hause heraus sein musste, das war bei ihr beschlossene Sache.
Sie rupfte voll ingrimmiger Nachdrücklichkeit die fette Ente, die sie just für die Pfanne präparierte, und überlegte, was da am besten zu tun sei.
Vor allen Dingen liess sie die wenigen heiratsfähigen Männer, die Rügenfurt aufweisen konnte, Revue passieren, und weil diese Zahl gar erschreckend klein war, so kam sie schnell zum Schluss.
Der Amtsrichter! der Amtsrichter Hettstädt! Der war der Gesuchte, der Brauchbare.
Ein sehr solider, ernster, gesetzter Herr mit gutem Einkommen und gesicherter Lebensstellung, ein bisschen kränklich freilich, und wie seine Köchin sagte: ein Knickstiefel, der vor lauter Engherzigkeit, Hochmut und Umständlichkeit gar nicht zum Behagen käme! — aber was genierte das Frau Agnes. —
Die schöne Margret, dieser Erzengel an Holdseligkeit, mag ja sehen, wie sie mit ihm fertig wird!
Der Amtsrichter wird’s; — damit basta.
Und die Fleischmasse der Frau Wirtschafterin wälzte sich sofort in das Arbeitszimmer des Herrn Professors — gleichviel, ob derselbe gestört sein wollte oder nicht —, postierte sich sehr selbstbewusst und energisch vor ihn hin und erklärte ihm kurz und bündig, dass das so mit dem Fräulein nicht weitergehe. Der Herr Leutnant Olmütz könne ihr absolut nichts nützen, die Liebelei mit ihm müsse ein Ende nehmen!
Der Professor schaute mit seinen müde gelesenen Augen erstaunt über die Brille hinweg.
„Was heisst das, Agnes? Ich denke bestimmt, dass er heute oder morgen kommt, um um meine Nichte anzuhalten!“
Ein hartes Auflachen. „Das denken Sie, Herr Professor, weil Sie eben über Ihrem gelehrten Kram ganz vergessen, wie es in der Welt aussieht! Zum Heiraten gehört Geld! Fürnehmlich bei einem Leutnant, denn von der Gage allein kann keiner mit Weib und Kind leben! Na — und was hat sie? — und was hat er? — So viel! und das ist zu wenig.“
Die Sprecherin pustete verächtlich durch die Finger, und der Professor starrte sie verdutzt an: „Ach so ... die Kaution ... hm ... daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Fatal, sehr fatal! Ja, was tun wir da, Agnes?“
Frau Agnes stemmte die blauroten Fäuste in die Hüften.
„Wir suchen einen andern!“ sagte sie trocken.
„Einen andern?“ Herr von Uttenhofen fuhr mit der Hand über die hohe Stirn und sah ganz fassungslos aus: „Glaubst du denn, Agnes, dass unter den Offizieren ein vermögender Mann ist?“
„Nein, — und darum darf’s eben kein Herr Offizier sein! Gibt es denn nicht noch andere achtbare Männer hier?“ ...
„O ja ... gewiss ... aber ... weisst du denn, ob einer von ihnen unsere Margret liebt?“
Wieder ein kurzes Auflachen: „Darauf kommt’s nicht an. Was nicht ist, kann immer noch werden!“
Der Professor rückte ängstlich auf dem Stuhl hin und her: „So! so! — Und wen meinst du, liebe Agnes?“
Die liebe Agnes strich gewichtig über die steifgestärkte Schürze. „Den Amtsrichter Hettstädt mein’ ich! Der passt für sie, und der wird’s!“
„Der Amtsrichter? Hm ... nicht übel, — ein sehr ansehnlicher Mann — aber ... ja, soviel ich weiss, macht der bei Doktors stark den Hof — —“
„Bei Doktors? Der Hopfenstange Lina etwa, die ein Gesicht hat, als ob sich schon mal einer aus Versehn draufgesetzt hätte? — Na, mit der nehmen wir’s noch auf! —“
„Sie hat aber etwas Vermögen ...“
„Na, wieviel denn? Die paar Kröten sind doch gar nicht der Rede wert! Und was nützt ihm das bei dem Geiz von der Alten! Bah! Was kocht sie ihm denn? Letzten Dienstag, als er zur Abendvisite bei ihnen war, hat sie grüne Heringe und Bratkartoffeln aufgetischt! Ist das eine Bewirtung für einen Freier? Und was die Müllern ist, die nebenan wohnt — die sagt —: ‚Alles macht die Doktern mit Margarine! Kein Lot Butter kommt mehr ins Haus; und wenn der Amtsrichter zum Kaffee kommt, streicht sie ihm auch eine Musstulle!‘ Nu bitt’ ich Sie, Herr Professor! Eine Musstulle für einen Freier!! Der klebt ja fest, wenn er danach die Lina auf die Backe küsst!“
„Ja aber ... du kochst ja ganz vorzüglich, liebe Agnes, und Margret versteht es wohl auch schon etwas ... Aber wie kann ich das dem Amtsrichter erzählen ...“
„Schnickschnack! Erzählen! — Von ’ner gemalten Wurst wird keiner satt. — Wenn Sie den Amtsrichter heute abend im ‚Löwen‘ sehn, dann laden Sie ihn für morgen zum Essen ein ...“
„Zu uns? — Hierher? — Zum Essen?!“ Herr von Uttenhofen sah aus, als drehe sich die ganze Stube im Wirbel, so dass der Virgil über den Horaz und der Homer unter den Kalender von 1881 zu stehen käme —: „Hierher zu uns?!“
„Na gewiss! Im Gasthaus kann ich ihm nicht kochen. Sie sagen, morgen sei Ihr Geburtstag ...“
„Aber der ist ja im September ...“
„Weiss das jemand? — Und schliesslich — so ein zerstreuter Bücherwurm verwechselt auch schon mal den eigenen Geburtstag! Also morgen ist Ihr Geburtstag, Herr Professor — und dazu laden Sie sich den Amtsrichter ein. Alles andere überlassen Sie man mir, — das werde ich schon fingern!“
Der Professor schielte schon wieder sehnsüchtig nach seinem Manuskript: „Hm ... wie du meinst, liebe Agnes, du weisst ja alles am besten ... und zum Essen also ... um zwölf Uhr meinst du? ...“
„Nein, — um ein Uhr, — das ist feiner. Je später, desto feiner, heisst’s heutzutage. Der Landrat hat neulich sogar mal um drei Uhr geladen, — aber vor solcher Übertreibung soll mich Gott bewahren! Das heisst ja, die ganze Weltordnung über den Haufen stossen, wenn es erst Mittag gibt, wo andere Christenmenschen schon wieder ihren Stippekaffee trinken! Um ein Uhr, — das ist reichlich spät, aber es ist noch keine Auflehnung gegen die göttlichen Naturgesetze!“
„Gewiss nicht, liebe Agnes!“
„Und ich esse mit am Tisch! Die Margret trägt auf, — das macht einen wirtschaftlichen Eindruck.“
„Hm ... hm ...“ Der Professor sass schon wieder tief über sein Werk geneigt: „Gewiss, liebe Agnes!“
— — — Am anderen Tage erschien der Amtsrichter, und wenn auch Margret voll freudigsten Eifers in der Küche geholfen hatte — zu ihrem grenzenlosen Erstaunen gestattete Frau Agnes, dass „die Kleine“ bei der Zubereitung der Speisen hilfreiche Hand leistete und belehrte sie sogar voll herablassender Huld, wie dies und jenes Gericht herzustellen sei —, so empfing Fräulein von Uttenhofen den Gast selber, jedoch nur voll höflicher Gleichgültigkeit.
Der pedantische Herr mit der goldenen Brille, dem kränklich spitzen Gesicht und dem Ausdruck stets nörgelnder Unzufriedenheit oder arrogantester Überhebung in den früh gealterten Zügen, war ihr nie sehr sympathisch gewesen, und in ihrer Herzensunschuld, die die Herren noch nicht auf ihre Eigenschaften als gute Partie prüfte, begriff sie nicht den ungeheuren Enthusiasmus, mit dem die Damen von Rügenfurt für Herrn Hettstädt schwärmten. Man riss sich um seine Gunst, man buhlte um sein Wohlwollen, und die Aufregung der Mütter im Ballsaal erreichte ihren Höhepunkt, wenn der Herr Amtsrichter, — ganz hochfürstlich erst dann, wenn alle Welt versammelt war, — als Gnadensonne in der Tür aufstieg, um mit sauersüssem Lächeln seine Tänze zu vergeben, wie ein König, der Almosen austeilt. Margret war so unerhört leichtsinnig und unbedacht gewesen, nie auf den gestrengen Herrn zu warten, — sie liess ihre Tanzkarte ohne Ansehen der Person von Freunden und Verehrern füllen, und darum nahm es auf dem letzten Ball um so mehr wunder, als der Herr Amtsrichter sich beim Souper an die „andere“ Seite des Fräulein von Uttenhofen setzte und sogar geruhte, sich sehr scharmant mit dem dummen Ding, das nie die mindeste Rücksicht auf ihn nahm, zu unterhalten.
Ah! Die Frau Rätin hatte recht, wenn sie plötzlich auf den Gedanken kam, die ganze „Gleichgültigtuerei“ des Fräulein Margret sei raffinierteste Koketterie, um den Freier dadurch aufs äusserste zu reizen!
Margret ahnte nichts von dieser Konduite, die Neid und Missgunst ihr ausstellten. Sie fand den Amtsrichter weder sehr angenehm noch sehr unangenehm. Er war ihr vollkommen gleichgültig, und nur die Höflichkeit und ihr so von Herzen liebenswürdiges Wesen liessen sie mit ihm plaudern, wie mit allen andern Herren auch.
Sie war sehr überrascht, als Onkel Max sich zur Feier seines Geburtstages gerade diesen Herrn als Gast eingeladen hatte, aber die Freude über das so selten freundliche Wesen, das Agnes heute zeigte, der Eifer, in der Küche helfen und lernen zu können, strahlte aus ihren Augen, und so begrüsste sie den Amtsrichter so heiter und frisch und sah so bezaubernd anmutig aus, dass der gestrenge Herr mit wohlwollendem Lächeln ihre Hand länger drückte, als just nötig war.