Читать книгу The Long Hard Road Out Of Hell - Neil Strauss, Neil Strauss - Страница 9

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3.: Teenie-Stümper

»Ich kenne ein paar neue Tricks«, sagte die Katze mit dem Hut. »Viele gute Tricks. Ich werde sie dir zeigen. Deine Mutter wird nichts dagegen haben.«

Dr. Seuss, »The Cat In The Hat«

Ich lag auf meinem Bett, die Arme um den Hals verschränkt, darunter meine braunen, schulterlangen Haare, und lauschte dem Summen der Waschmaschine im Keller meines Elternhauses. Es war meine letzte Nacht in Canton, Ohio. Ich hatte beschlossen, sie allein zu verbringen, und so ließ ich die vergangenen drei Jahre, die ich auf der Public School verbracht hatte, an mir vorüberziehen. Für den Umzug nach Fort Lauderdale war alles ge­packt: Platten, Poster, Bücher, T-Shirts, Zeitschriften, Fotos, Liebesbriefe und Hassbriefe. Die christliche Erziehung hatte mich auf die Public School gut vor­bereitet. Sie hatte die Tabus definiert, mir das Verbotene direkt vor die Nase gehalten, nur einen Armbreit von mir entfernt, und auf diese Weise ein unstillbares Verlangen in mir geweckt. Als ich die Schule wechselte, hatte ich nur noch zugreifen müssen. Sex, Drogen, Rockmusik, das Okkulte: Danach musste ich nicht mehr suchen. Es hatte mich längst erreicht und mich in seinen Bann gezogen.

Ich war immer der Überzeugung, dass das Individuum klug ist. Dumm ist nur die Masse. Und es gibt wenige Dinge, die einem das deutlicher vor Augen führen, als Kriege, organisierte Religion, Bürokratie und die High School, an der gnadenlos die schweigende Mehrheit regiert. Ich kann mich noch gut erinnern, wie alles, was ich während meiner ersten Tage an der Public School zu sehen bekam, nur Zweifel und eine niederschmetternde Unsicherheit in mir auslöste. Selbst ein einzelner Pickel reichte damals schon aus, um mein Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen. Bis zu meinem letzten Schultag hatte ich kein Selbstvertrauen und keinen Selbstrespekt, ja nicht einmal eine blasse Ahnung, was Individualität eigentlich bedeuten könnte.

Während dieser letzten Nacht in Canton wurde mir klar, dass Brian Warner im Sterben lag. Man hatte mir die Chance gegeben, noch einmal neu geboren zu werden, vielleicht zum Guten, vielleicht zum Schlechten, aber definitiv an einem anderen Ort. Hatte mich die High School verdorben? Oder hatte sie mich erleuchtet? Vielleicht stimmte beides, und Verdorbenheit und Er­leuch­tung waren voneinander nicht zu trennen.

* * *

Die Initiation des Wurms

Nach meiner zweiten Woche in der Public School wusste ich, dass ich verloren war. Ich hatte gerade erst acht Tage in der neuen Klasse verbracht, da musste ich mich gleich wieder krankschreiben lassen, denn ich hatte eine allergische Reaktion auf ein Antibiotikum entwickelt, das ich gegen eine Grippe nahm. Meine Hände und Füße blähten sich wie Ballons auf, an meinem ganzen Hals breitete sich ein roter Ausschlag aus, und meine Lungen waren so angeschwollen, dass ich Schwierigkeiten hatte zu atmen. Später sagten mir die Ärzte, dass ich daran hätte sterben können.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich an der Schule bereits einen Freund und einen Feind. Der Freund hieß Jennifer. Sie sah eigentlich ganz hübsch aus, aber leider hatte sie einen Fischkopf mit wulstigen Lippen, die durch ihre Zahnklammer noch mehr aufgeworfen wurden. Ich hatte sie im Schulbus kennen gelernt, und sie wurde meine erste »richtige« Freundin. Mein Feind war John Crowell, die Verkörperung von Vorstadt-Coolness schlechthin. Er war ein großer, dicklicher Hänger, der ständig in einer Overall-Jacke, einem Iron-Maiden-­T-Shirt und Bluejeans durch die Gegend lief. Aus der Hintertasche lugte ein Kamm mit einem riesigen Griff hervor, und sein Schritt saß ihm so eng, dass die Hose an den pikanten Stellen ausgebleicht war. Wenn er über das Schulgelände ging, traten sich die Kids gegenseitig auf die Füße, um ihm bloß nicht in die Quere zu kommen. Rein zufällig war er auch noch Jennifers Ex-Freund, was mich auf seiner Hassliste ganz weit nach oben katapultierte.

Während der ersten Woche, die ich im Krankenhaus verbrachte, kam mich Jennifer fast jeden Tag besuchen. Ich überredete sie, mit mir in die kleine Kammer zu gehen (wo es dunkel war und sie meinen Ausschlag nicht sehen konnte), um mich dann erbarmungslos über sie herzumachen. Bis dahin war ich bei Frauen allerdings nicht sehr weit gekommen. Da war Jill Tucker, eine Pfarrerstochter mit blonden Haaren und schiefen Hasenzähnen, die ich auf dem Spielplatz an der christlichen Schule geküsst hatte. Aber das war in der vier­ten Klasse gewesen. Drei Jahre später verliebte ich mich fürchterlich unglücklich in Michelle Gill. Sie war ein süßes Mädchen mit einer schmalen, flachen Nase, braungelocktem Haar und einem großen Mund, der wie geschaffen dafür war, den Typen an der High School einen zu blasen. Meine Chancen bei ihr schwan­d­en sehr schnell, als wir eine Schulwanderung für wohltätige Zwecke unternahmen, während der sie versuchte, mir den Zungenkuss beizubringen. Weder verstand ich, was sie von mir wollte, noch hatte ich einen blassen Schim­mer, wie man das am besten anstellte, und so wurde ich, nachdem sie es überall herumerzählt hatte, zum allgemeinen Gespött der Schule.

Obwohl mir jede Erfahrung fehlte, war ich entschlossen, in dieser Kammer mit Jennifer meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Aber trotz aller Be­mühungen erlaubte sie mir nur, ihre flache Brust zu betatschen. Als ich nach einer Woche immer noch im Krankenhaus lag, war sie schon von mir gelangweilt und gab mir den Laufpass.

Krankenhäuser und traumatische Erfahrungen mit Frauen, Sex und Genitalien waren mir zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als gut vertraut. Als ich vier war, schickte mich meine Mutter ins Krankenhaus, um meine Harnröhre vergrößern zu lassen. Sie war so eng, dass ich kaum richtig pinkeln konnte. Ich werde nie vergessen, wie der Arzt einen langen, rasiermesserscharfen Bohrer nahm und ihn durch meine Schwanzspitze in den Penis einführte. Noch Monate später hatte ich das Gefühl, als würde ich Benzin pissen.

Eine Serie von Lungenentzündungen, die mir gleich drei lange Krankenhausaufenthalte bescherte, hatte mir die Grundschulzeit vermasselt. In der neunten Klasse landete ich schon wieder an diesem Ort. Wenige Stunden zuvor hatte ich mein Haar in Topform gebracht, meine ELO-Gürtelschnalle zusammenschnappen lassen und war in ein rosafarbenes Button-Down-Hemd geschlüpft. Nach längerer Abwesenheit wollte ich wieder mal einen Abstecher zur Rollschuhbahn machen. Ein Mädchen, dessen Namen ich längst vergessen habe, das mir aber durch ihr gekräuseltes Haar, ihre große Nase und ihre dick bemalten Augenbrauen in Erinnerung geblieben ist, fragte mich, ob ich mit ihr einen Paarlauf machen wollte. Als wir fertig waren, kam ein großer, schwarzer Typ mit dicken Brillengläsern, der hier in der Gegend unter dem Spitznamen Frog bekannt war, auf uns zu. Er drängte sie zur Seite und schlug mir, ohne ein Wort zu verlieren, fest und hart ins Gesicht. Ich brach zusammen, und er blickte auf mich herab und fauchte: »Du hast mit meiner Freundin getanzt.« Ich saß völlig benommen da, mit blutigem Mund und einer Vorderzahnreihe, die an einem roten Faden aus meinem Zahnfleisch heraushing. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann gab es damals für mich eigentlich keinen Anlass, so verwundert zu tun. Was war ich nur für ein Weich­ei: An seiner Stelle hätte ich mir auch eins aufs Maul gegeben.

Ich mochte das Mädchen nicht einmal, aber sie hätte mich beinahe um meine Sängerkarriere gebracht. In der Notaufnahme teilte man mir mit, dass ich einen bleibenden Schaden erlitten hatte. Bis auf den heutigen Tag leide ich unter einem TMJ-Syndrom (TMJ steht für »Temporomandibular Joint Syndrome«), einer Störung des Kiefergelenks, die bei mir ständig zu Kopfschmerzen und einem verspannten, entzündeten Kiefer führt. Stress und Drogen machen die Sache auch nicht besser.

Irgendwie hat Frog meine Nummer herausgefunden. Jedenfalls rief er mich am nächsten Tag an, um sich zu entschuldigen, und fragte, ob ich ihn demnächst zum Bodybuilding begleiten wollte. Ich lehnte dankend ab. Der Gedanke, mit dem gleichen Typen schwitzend Gewichte zu heben, der mich gerade noch zusammengeschlagen hatte, ganz zu schweigen von der Aussicht, mit ihm hinterher duschen zu müssen, erschien mir an diesem Nachmittag wenig verlockend.

Das nächste Mal landete ich wegen Jennifer in der Notaufnahme. Nach zwei Wochen im Krankenhaus war ich gerade wieder zurück in der Schule und streunte durch die Flure, allein und gedemütigt. Niemand wollte einen lang­haarigen Typen, der aussah wie ein Eichhörnchen und dessen rotgefleck­ter, mit Ausschlag übersäter Hals aus einem Judas-Priest-Jersey hervorlugte, zum Freund haben. Und auch meine auffallend langen Ohrläppchen, die mir wie ein deplatzierter Hodensack am Haarschopf herunterhingen, waren wenig geeignet, meine Attraktivität zu steigern. Eines Morgens jedoch, als ich gerade aus dem Unterrichtsraum kam, wurde ich von John Crowell aufgehalten. Es stellte sich heraus, dass wir eines gemeinsam hatten: unseren Hass auf Jennifer. Wir verbündeten uns gegen sie und begannen darüber nach­zu­denken, wie man sie am besten quälen könnte.

Eines Nachts holte ich John und meinen Cousin Chad mit meinem babyblauen Ford Galaxie 500 ab und fuhr mit ihnen zu einem 24-Stunden-Lebensmittelgeschäft, in dem wir zwanzig Rollen Klopapier klauten. Wir warfen sie auf den Rücksitz meines Autos und rasten zu dem Haus, in dem Jennifer wohnte. Dort angekommen, schlichen wir auf dem Hof herum und hängten jede Stelle, die wir nur finden konnten, mit dem Klo­papier voll. Ich ging an ihr Fenster, um irgendeine Schweinerei draufzumalen. Aber als ich gerade damit beschäftigt war, mir etwas Passendes auszudenken, machte jemand das Licht an. Ich rannte weg und lief geradewegs auf eine riesige Eiche zu, als Chad von einem der Zweige heruntersprang. Er fiel direkt auf mich drauf, so dass ich am Boden zusammenbrach. Chad und John mussten mich mit einer ausgerenkten Schulter, einem blutüberströmten Kinn und einem schmerzenden Kiefer wegziehen, der nun, wie man mir in der Notaufnahme mitteilte, noch schlimmer geworden war als bisher schon.

Als ich zurück in der Schule war, hatte ich mehr als nur einen dringenden Grund, warum ich unbedingt mit einem Mädchen schlafen wollte: um Jennifer eins auszuwischen; um auf dem gleichen Stand wie John zu sein, der neben vielen anderen Mädchen auch Jennifer gebumst hatte; und damit endlich alle aufhörten, sich darüber lustig zu machen, dass ich noch Jungfrau war. Um Mädchen kennen zu lernen, schloss ich mich sogar der Schulband an und begann, Macho-Instrumente wie Bass und Snare-Drum zu erlernen. Aber am Ende blieb ich an genau dem Instrument hängen, das man nicht spielen sollte, wenn man Selbstzweifel mit sich herumschleppt: dem Triangel.

Schließlich, wir befanden uns bereits am Ende der zehnten Klasse, fiel John eine todsichere Kandidatin ein, die er auf jeden Fall mit mir ins Bett bekommen würde: Tina Potts. Sie glich noch mehr einem Fisch als Jennifer, sie hatte noch wulstigere Lippen und einen noch markanteren Überbiss. Da sie zu den finanziell schlechter gestellten Kindern auf der Schule gehörte, hatte sie eine nachlässige, in sich eingesunkene Haltung, die ihre Unsicherheit und ihr inneres Elend so deutlich verriet, dass man auf den Gedanken kommen konnte, sie sei als Kind misshandelt worden. Was für sie sprach, das waren ihre großen Titten, ein dicker Pferdearsch, der sich unter ihren Jeans abzeichnete, sowie die Tatsache, dass sie, wenn man John glauben wollte, fickte – also gerade gut genug für mich war. Ich fing an, mich mit ihr zu unterhalten. Aber da ich wie wahnsinnig um meinen sozialen Status besorgt war, sprach ich nur nach der Schule mit ihr, wenn niemand mehr in der Nähe war.

Nach wenigen Wochen brachte ich den Mut auf, sie zu fragen, ob sie sich mit mir im Park treffen wollte. Um mich auf das Date angemessen vorzubereiten, gingen Chad und ich ins Haus meiner Großeltern, stahlen eins der vergammelten Kondome aus dem Keller, schnappten uns eine halbe Flasche Jim Beam aus dem Geschirrschrank meiner Großmutter und kippten den Inhalt in meine Kiss-Thermosflasche. Mir war klar, dass es nicht darum ging, Tina betrunken zu machen – sondern mich. Als wir an Tinas Elternhaus ankamen, das gut eine halbe Stunde vom Anwesen meiner Großeltern entfernt lag, war die Thermosflasche leer, und ich konnte kaum noch gerade stehen. Chad ging nach Hause, und ich klingelte an der Tür.

Wir gingen gemeinsam in den Park und setzten uns auf den Abhang eines Hügels. Wir kamen sofort zur Sache, und innerhalb weniger Minuten hatte ich meine Hand unter ihrem Schlüpfer. Als erstes fiel mir ihre starke Schambehaarung auf. Vielleicht hatte sie keine Mutter, die ihr beibrachte, dass man sich am Bikinisaum rasiert. Kaum hatte ich angefangen, sie zu betatschen und an ihren Titten herumzudrücken, merkte ich auch schon, dass ich vor lauter Aufregung darüber, es zum ersten Mal mit einem Mädchen zu treiben, fast schon gekommen war, obwohl ich meine Hose noch anhatte. Um nicht völlig auf die Verliererstraße zu geraten, schlug ich vor, dass wir erst einmal einen Spaziergang machen.

Wir schlenderten den Hügel hinunter und näherten uns dem Innenfeld eines Baseballplatzes, der zum Teil von Bäumen geschützt war. Sinnigerweise bugsierte ich sie direkt hinter der Homebase zu Boden, ohne mir die Bedeutung dieses Ortes klarzumachen. Ich nestelte mühsam an ihrem Schlüpfer herum, streifte ihn ihr über den Arsch, dann zog ich meine Unterhose bis zu den Knien herunter und riss hastig die verkrusteten Kondome meines Großvaters aus der Verpackung, als ginge es darum, einen Geschwindigkeitswettbewerb zu gewinnen. Ich begab mich in die vorschriftsmäßige Position zwischen ihren Beinen und begann in sie hinein zu gleiten. Schon das prickelnde Gefühl, in sie einzudringen, reichte aus, um mich zum Höhepunkt kommen zu lassen, und ohne überhaupt richtig drin gewesen zu sein, war die Sache schon vorbei. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes ein Schnellspritzer.

Um mir noch das letzte bisschen Stolz zu erhalten, versuchte ich zu überspielen, dass ich vorzeitig ejakuliert hatte.

»Tina«, piepste ich, »Vielleicht sollten wir es nicht tun … Es ist so früh.«

Sie protestierte nicht. Sie stand einfach auf und zog sich wortlos wieder den Slip an. Auf dem Weg nach Hause roch ich die ganze Zeit an meiner Hand, die vollkommen vom Aroma einer echten High-School-Pussy getränkt war. Aus ihrer Sicht hatten wir nicht einmal Sex gehabt. Aber für mich und meine Freunde stand fest, dass ich kein verzweifelter Junge mehr war – ­sondern ein verzweifelter Mann.

Danach habe ich kaum mehr ein Wort mit Tina gesprochen. Aber sehr bald bekam ich es mit gleicher Münze heimgezahlt, und zwar von Mary Beth Kroger, dem reichsten und beliebtesten Mädchen auf der ganzen Schule. Nachdem ich ihr drei Jahre lang wollüstig hinterher geschaut hatte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte sie, ob sie mich auf eine Party begleiten wollte. Damals befanden wir uns bereits in der Abschlussklasse, und zu meiner Verblüffung gab sie mir keinen Korb. Irgendwann landeten wir bei mir zu Hause und tranken Bier, während ich gehemmt neben ihr saß. Ich war viel zu ängstlich, um auch nur eine Bewegung zu machen, denn ich hielt sie für völlig prüde. Mein idealistisches Bild von ihr brach schnell in sich zusammen, als sie sich plötzlich die Klamotten vom Leib riss, auf mich lossprang und mich wie ein wildes Tier fickte, das breitbeinig auf einem Hochgeschwindigkeits-Heimtrainer hockte, ohne auch nur einen Gedanken an Kondome zu verschwenden. Als wir uns am nächsten Tag in der Schule begegneten, setzte Mary Beth wieder ihre zimperliche Fassade auf und ignorierte mich, so wie sie es immer getan hatte. Als Souvenir hatte sie immerhin jede Menge Kratzspuren auf meinem Rücken hinterlassen, die ich stolz meinen Freunden zeigte. Das brachte ihr – eine Hommage an Freddy Krueger, den Star aus A Nightmare On Elm Street – den Namen Mary Beth Krueger ein.

Damals war Tina, mein erster Fick, bereits im siebten Monat schwanger. Der Vater war zu allem Überfluss auch noch genau der Typ, der mich mit ihr verkuppelt hatte: John Crowell. Danach habe ich nicht mehr viel von ihm gesehen. Er war wohl vollauf damit beschäftigt, die Konsequenzen seines Fehlers zu tragen, dass er kein Kondom benutzt hatte. Manchmal frage ich mich, was wohl aus ihnen geworden ist. Wahrscheinlich haben sie geheiratet, sich irgendwo niedergelassen und kaputte, großtittige White-Trash-Gören aufgezogen.

* * *

Die Bestrafung des Wurms

Nachdem Tina die Schleusen erst einmal geöffnet hatte, geriet ich völlig außer Rand und Band. Nicht etwa, weil ich wild herumvögelte, sondern weil ich wie wild nach jemandem suchte, der mit mir vögeln wollte. Da ich ständig einen Korb bekam, musste ich wieder bei mir selbst Hand anlegen, bis ich end­lich eine blonde Cheerleaderin namens Louise kennen lernte. Ich war gerade bei einem High-School-Footballmatch in Louisville, einer ländlichen Gemeinde außerhalb von Canton, und ließ mich mit Colt 45 voll laufen. Damals konnte ich nicht wissen, dass sie die Tina Potts von Louisville war: die lokale Schlampe. Sie hatte dicke Lippen, eine flache Nase und große Augen – vom Typ her halb Mulattin, halb Susanna Hoffs von den Bangles. Sie hatte auch ein paar Züge von Shirley Temple, denn sie war klein und hatte gelocktes Haar, aber sie schien sich eher auf Animiertänze als aufs Steppen zu verstehen. Sie war die erste Frau, die mir einen blies. Leider war das nicht das Einzige, was ich von ihr bekam.


Fast jeden Tag holte ich sie ab und nahm sie mit nach Hause, während meine Eltern noch auf der Arbeit waren. Wir hörten Moving Pictures von Rush oder Scary Monsters von David Bowie, und da ich nun ein wenig besser wuss­te, wie man seinen Orgasmus unter Kontrolle hält, hatten wir auch normalen Teenager-Sex. Sie verpasste mir jede Menge Knutschflecken, und bald war mein Hals so wund, dass ich ihn kaum noch bewegen konnte. Aber da ich meine Blessuren in der Schule wie Ehrenabzeichen vor mir hertragen konnte, hatte ich natürlich nichts dagegen. Sie schluckte sogar alles runter, was mir noch einen Grund mehr zum Prahlen gab. Eines Tages brachte sie mir eine blaue, glitzernde Haarschleife mit, die einem Chippendale sicher gut gestanden hätte. Ich glaube, sie wollte ein Rollenspiel ausprobieren, aber »Dungeons & Dragons« war da­mals noch das Einzige, was ich in dieser Richtung kannte.

Nachdem wir eine Woche rumgefickt hatten, hörte Louise auf, sich bei mir zu melden. Ich hatte Angst, dass sie schwanger war, denn ich hatte nicht immer ein Kondom verwendet. Unwillkürlich musste ich mir vorstellen, wie sie von ihrer Mutter ins Kloster geschickt und gezwungen wurde, ihr – unser – Kind zur Adoption freizugeben. Vielleicht würde Louise mich dazu verdonnern, mein ganzes Leben lang Alimente zu zahlen. Es gab natürlich auch die Möglichkeit, dass sie eine Abtreibung gemacht hatte, sie nach einem Kunstfehler gestorben war und mich ihre Eltern nun ermorden wollten. Als ich mehrere Wochen nichts mehr von ihr gehört hatte, beschloss ich, sie ein letztes Mal anzurufen, und meine Stimme, nur für den Fall, dass ihre Eltern dran sein würden, mit einem Stoffstück über dem Hörer unkenntlich zu machen. Glücklicherweise ging sie selbst ans Telefon.

»Es tut mir leid, dass ich dich so lange nicht angerufen habe«, entschuldigte sie sich. »Ich war krank.«

»Wie krank?«, fragte ich panisch. »Du hast doch kein Fieber, nicht wahr? Musst du dich morgens übergeben oder so?«

Es stellte sich heraus, dass sie eine Prostituierte war und ein fester Freund ihren Ruf ruinieren könnte. Das hat sie so nicht gesagt, aber das war es wohl, was sie wirklich meinte.

Wenige Tage später, während des Mathematikunterrichts, fingen meine Eier an zu jucken. Das ging den ganzen Tag so weiter, und dieses Gefühl breitete sich über meine Schamhaare aus. Als ich nach Hause kam, ging ich direkt ins Badezimmer, ließ meine Hose herunter und stellte mich auf den Abfluss, um mich zu untersuchen. Sofort entdeckte ich drei oder vier schwarze Tierchen an meinem Schwanz. Ich nahm eins davon in die Hand, und als ich es mir genauer anschaute, trat ein wenig Blut aus.

Ich dachte immer noch, dass es sich um ein Stück tote Haut handeln würde, aber als ich es näher ans Licht hielt, bemerkte ich, dass es Beine hatte – und dass sie sich bewegten. Ich schrie laut auf, völlig angeekelt und ge­schockt. Dann warf ich das Tierchen in den Abfluss, aber es spritzte nicht, wie ich es erwartet hatte. Ich hörte nur ein leises Knirschen, wie das Geräusch von einem Schalentier. Da ich es nicht besser wusste, lief ich damit zu meiner Mutter und fragte sie, was das sein könnte.

»Na ja, du hast Läuse«, seufzte sie gutmütig. »Die hast du dir wahrscheinlich auf der Sonnenbank geholt.«

So schmachvoll es auch sein mag, so etwas zuzugeben – aber damals ging ich tatsächlich regelmäßig ins Sonnenstudio. Ich hatte fürchterliche Komplexe, denn mein Gesicht war von einer Akne völlig zugeschwollen, bis mir ein Hautarzt erzählte, dass es einen neuen Typ von Sonnenbank geben sollte, der meine Haut austrocknen und so meine sozialen Kontakte ganz entschieden verbessern könnte.

Meine Mutter wollte offenkundig nicht wahrhaben, dass ihr Sohn junge Mädchen gevögelt und sich dabei Filzläuse zugezogen hatte. Selbst mein Vater hatte größte Schwierigkeiten, sich diese Tatsache einzugestehen, obwohl er mir immer versprochen hatte, dass wir den Tag, an dem ich zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen haben würde, mit einer Flasche Champagner feiern werden. Als er noch bei K-Mart arbeitete, hatte er genau für diesen Anlass eine beiseite gelegt. Aber wahrscheinlich war er einfach enttäuscht, denn seit ich an der Junior High School die Welt der Titten für mich entdeckt hatte, wartete er nur darauf, mich zu einer Prostituierten mitnehmen zu können, bei der ich meine Jungfräulichkeit verlieren würde. Von daher schien es mir ratsam, bei der Sonnenbankgeschichte einfach mitzuspielen.

Meine Mutter kaufte mir eine Flohkur. Ich konzentrierte mich lieber auf die Filzläuse und schnitt mir im Badezimmer heimlich die Schamhaare ab (ich war es damals noch nicht gewohnt, Körperhaare zu rasieren).

Soweit ich weiß, habe ich seitdem keine Geschlechtskrankheit mehr gehabt. Und wahrscheinlich denken meine Eltern immer noch, dass ich Jungfrau bin.

* * *

Der Wurm wird verzaubert

John Crowell und ich standen oben auf dem Hügel, der sich direkt gegen­über von seinem Elternhaus befand. Wir schütteten eine Flasche Mad Dog 20/20 in uns hinein, nachdem wir einen älteren Typen dazu gebracht hatten, uns eine zu besorgen. Nun waren wir schon seit mehr als einer Stunde hier, ließen uns immer weiter voll laufen und starrten auf die verschlafene, ländliche Gegend herab. Unter der Drohung, dass es gleich regnen würde, war der Himmel graublau angelaufen, und die Wolken waren bis zum Platzen angeschwollen. Hin und wieder ergab sich die Gelegenheit, einem Auto nachzuschauen, das auf seinem Weg in die Zivilisation an uns vorbeisauste. Wir dösten in einem Zustand selbstzufriedener Benommenheit vor uns hin, bis uns auf ­einmal der Kies um die Ohren flog, als hätte sich gerade eine Explosion er­eignet.

Ein grüner GTO, von einer Staubwolke fast völlig verdeckt, raste ohne Rücksicht auf Verluste die Auffahrt hoch und setzte schleudernd zum Halten an. Langsam öffnete sich die Tür, und ein Fuß in schwarzen Boots trat über die Schwelle. Weiter oben machte sich ein großer Hut bemerkbar, er saß auf einen Schädel, der so riesig war, dass sich die Haut fast unerträglich spannte. Das Haar hing lockig und zerzaust die Schultern herunter. Die Augen waren tief im Kopf versunken, wie Nadelstiche im Zentrum zweier dunkler Kreise. Als er wieder verschwunden war, stellte ich fest, dass seine Hände, seine Füße, sein Rumpf, ähnlich wie bei Richard Ramirez, dem Night Stalker, auf seltsame Weise vergrößert und verlängert wirkten. Der Rücken seiner Overall-Jacke war mit dem universellen Symbol der Rebellion geschmückt: einem Marihuanablatt.

Mit seiner rechten Hand zog er eine Pistole aus dem Hosenbund. Er hob den einen Arm wild in die Luft und peitschte einen Schuss nach dem anderen aus der Waffe. Durch den Rückschlag wurde sein Arm immer mehr in unsere Richtung gerissen. Als das Magazin endlich leer war, kam er auf uns zu. Ich stand immer noch völlig perplex da, er schubste mich zu Boden, versetzte John einen Stoß und schnappte sich die Mad-Dog-Flasche. Innerhalb weniger Sekunden hatte er sie leer getrunken und warf sie ins Gras. Während er sich mit einem Ärmel seines Overalls den Mund abwischte, murmelte er etwas vor sich hin, das ungefähr wie der Text von Ozzy Osbournes Song »Suicide Solution« klang, und ging ins Haus.

»Das ist mein Bruder, Alter«, sagte John. Sein Gesicht, das noch vor wenigen Momenten blass vor Schreck gewesen war, leuchtete voller Stolz.

Wir folgten ihm nach oben und beobachteten, wie er die Tür seines Zimmers zuknallte und den Schlüssel umdrehte. John war es unter der Androhung einer äußerst schmerzhaften Strafe verboten, auch nur einen Fuß hineinzusetzen. Aber er wusste, was da drinnen angesagt war: schwarze Magie, Heavy Metal, Selbstverstümmelung, Drogenkonsum. Wie der Keller meines Großvaters spiegelte auch dieses Zimmer meine Ängste und meine Begierden wider. Und obwohl ich mich fürchtete, wollte ich unbedingt sehen, was sich hinter der Tür verbarg.

In der Hoffnung, dass der Bruder später am Abend das Haus verlassen würde, gingen John und ich nach draußen in die Scheune (oder vielmehr in den hölzernen Torso dessen, was in seinem früheren Leben einmal eine Scheune gewesen war), denn dort hatten wir eine Flasche Southern Comfort versteckt.

»Willst du etwas wirklich Cooles sehen?«, fragte John.

»Klar«, nickte ich. Selbstverständlich war ich für alles Coole zu haben, besonders wenn John es dafür hielt.

»Aber du musst echt versprechen, niemandem auch nur ein einziges Wort zu sagen.«

»Ich verspreche es dir.«

»Versprechen reichen nicht aus«, schnauzte John zurück. »Ich möchte, dass du es bei deiner Mutter … Nein. Du sollst schwören, dass dein Schwanz zusammenschrumpfen, verfaulen und abfallen wird, wenn du jemandem was sagst.«

»Ich schwöre, dass mein Schwanz verdorren und absterben wird, wenn ich jemandem was erzähle«, sagte ich feierlich, denn ich wusste nur zu gut, dass das sowieso nie passieren würde.

»Der Gewinner kriegt alles«, feixte John und knuffte mich an der Schulter, dass es wehtat. »Auf geht’s, Wiener Würstchen.«

Er führte mich hinter die Scheune. Über eine Leiter kletterten wir auf einen Heuboden. Die Strohhalme waren mit vertrocknetem Blut besprenkelt. Überall lagen die Kadaver toter Vögel herum, Schlangen und Eidechsen, denen der halbe Körper fehlte, und Hasenleichname, die sich bereits in fortgeschrittenem Verwesungsstadium befanden. Das letzte Fleisch, das sie noch an den Knochen hatten, wurde von Larven und Käfern weggefressen.

»Das hier«, verkündete John und zeigte gestikulierend auf ein riesiges Pentagramm, das in roten Farbtropfen auf den Boden gemalt war, »ist die Stelle, an der mein Bruder seine schwarzen Messen abhält.«

Es wirkte wie eine Szene aus einem schlechten Horrorfilm, in dem ein gequälter Teenager, der mit schwarzer Magie in Berührung gekommen ist, die Sache ein wenig zu weit treibt. Er hatte sogar blutverkrustete Fotos von verschiedenen Lehrern und ehemaligen Freundinnen an die Wände genagelt und sie in dicken, zackigen Lettern mit mannigfaltigen Obszönitäten vollgekritzelt. John drehte sich zu mir um, als wollte er nun die Hauptrolle in dem Film übernehmen, und fragte: »Willst du etwas noch Schrecklicheres sehen?«

Ich war unschlüssig. Vielleicht hatte ich für heute genug gesehen. Aber natürlich war ich auch neugierig, so dass ich schließlich zustimmend nicken musste. John hob eine verschmutzte und zerrissene Ausgabe des Buches The Necronomicon vom Boden auf, ein Kompendium mit Zaubersprüchen, das angeblich dunkle, magische Beschwörungen aus dem frühen Mittelalter enthält. Wir gingen ins Haus zurück, wo John einen Rucksack mit Taschenlampen, Jagdmessern, kleinen Imbissen und einigem Plunder packte, dem er magische Kräfte zuschrieb. Unser Ziel, teilte mir John mit, sei nun der Ort, an dem sein Bruder seine Seele an den Teufel verkauft habe.

Um dorthin zu gelangen, mussten wir durch einen Abwasserkanal klettern, der in der Nähe von Johns Haus begann und unterhalb eines Friedhofs verlief. Wir krochen nach vorne geduckt durch das schlammige, rattenverseuchte Wasser, ohne dass ein Eingang oder Ausgang in Sicht war, immer in dem Bewusstsein, dass in diesem Matsch, an allen Seiten des Tunnels, tote Körper herumlagen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass mir die übernatürlichen Seiten des Lebens jemals zuvor so viel Angst eingejagt haben. Selbst der kleins­te Laut rief auf dieser Odyssee, die sich über eine halbe Meile erstreckte, ein gewaltiges, drohendes Echo hervor. Ständig schienen Skelette von außen gegen das Rohr zu klopfen und zombieartige Geschöpfe das Metall aufzuschlitzen. Sie alle warteten nur darauf, mich an sich zu reißen und lebendig zu begraben.

Als wir endlich auf der anderen Seite herauskamen, waren wir beide von Kopf bis Fuß mit einer dünnen Schicht aus Abwässern, Spinnweben und Schlamm bedeckt. Wir befanden uns irgendwo auf freier Strecke, mitten in einem dunklen Wald. Nachdem wir uns eine halbe Meile lang durch den Wildwuchs geschlagen hatten, rückte ein riesiges Haus bedrohlich näher. Es war ringsum von Wurzeln bewachsen, als wollte der Wald diesen Platz für sich reklamieren, und jedes freie Stück Beton war mit Pentagrammen, umgekehrt aufgerichteten Kreuzen, Ehrerbietungen an Satan, Heavy-Metal-Logos, Worten und Phrasen wie »Schwanzlutscher« und »Fick deine Mutter« vollgeschmiert.

Wir befreiten ein offenes Fenster von den Kletterpflanzen und den toten Zweigen, stiegen hindurch und ließen die Lichtkegel unserer Taschenlampen durch das Zimmer gleiten. Da gab es Ratten, Spinnweben, zerbrochenes Glas und alte Bierflaschen. Die glühende Kohle eines Feuers, das offenbar gerade erst erloschen war, teilte uns mit, dass noch vor kurzem irgendjemand hier gewesen sein musste. Ich drehte mich um, und John war verschwunden.

Ich rief nervös seinen Namen.

»Hier oben«, rief er von der Treppe herab. »Schau dir das an.«

Obwohl mich allmählich die nackte Panik befiel, folgte ich ihm nach oben und trat durch eine verrottete Türöffnung. Das Zimmer wirkte be­wohnt. Am Boden lag eine verfault stinkende Matratze, auf der Spritzen­nadeln, ein verbogener Löffel und andere Drogenutensilien verstreut waren. Daneben fand sich ein halbes Dutzend benutzter Kondome, die wie getrock­nete Schlangenhaut in der Gegend herumlagen. Der Rest war mit zerfallenden Seiten aus Schwulenpornomagazinen vollgemüllt. Wir gingen in den nächsten Raum. Er war völlig leer, bis auf ein Pentagramm, das irgendjemand in südlicher Richtung an die Wand gemalt hatte und das von Runen umgeben war, die sich nicht entziffern ließen. John zog seine Ausgabe des Necronomicon hervor.

»Was um Gotteswillen machst du da?«, fragte ich.

»Ich öffne die Pforte zur Hölle, um die Geister herbeizurufen, die einst hier gelebt haben«, antwortete er mit der bedrohlichsten Stimme, die ihm zur Verfügung stand. Mit seinem Finger zog er auf dem Boden einen Kreis in den Staub. Er war gerade damit fertig, als von unten ein scharfes Geräusch heraufdrang. Wir standen vollkommen regungslos da, wagten kaum zu atmen und lauschten in die Dunkelheit hinaus. Es war nichts zu hören außer meinem Puls, der wie ein Vorschlaghammer in meinem Nacken pochte.

John stellte sich in die Mitte des Kreises und blätterte nervös im Buch herum, um die richtige Beschwörungsformel zu finden.

Ein metallischer Krach, viel lauter als das vorangegangene Geräusch, hallte von unten hoch. Wenn das, was wir gerade tun wollten, irgendwelche Kräfte freigesetzt haben sollte, dann waren wir definitiv dafür noch nicht bereit. Der Alkohol in unserem Blut verwandelte sich in Adrenalin, und wir rannten die Stufen hinunter, stiegen wieder durch das Fenster und liefen in den Wald, bis wir kaum noch atmen konnten. Als wir kurz anhielten, waren wir völlig verschwitzt, und unsere Münder waren ausgetrocknet. Die Dämmerung war hereingebrochen, und es fielen ein paar Regentropfen auf uns herab. Wir ließen das Abflussrohr links liegen und stolperten den Rest des Weges so schnell wie möglich, ohne auch nur ein Wort zu sprechen, durch den Wald und zurück nach Hause.

Als wir endlich wieder in Johns Elternhaus eintrafen, war der Bruder bereits hoffnungslos stoned. Er streifte benommen und mit geröteten Augen durch die Räume. Offenbar hielten die Drogen seine aggressive Seite in Schach. Er schien fast entspannt zu sein, aber das wirkte kaum weniger Furcht einflößend als seine manische Seite. In seinen Armen lag eine schwarzweiße Katze, die er unablässig streichelte.

»Diese Katze ist seine Vertraute«, wisperte mir John zu.

»Seine Vertraute?«

»Ja, so wie ein Dämon, der die Existenzform eines Tieres angenommen hat, um meinem Bruder bei seiner Zauberei zu helfen.«

In meiner Vorstellung verwandelte sich diese rein und unschuldig aus­sehende Katze sofort in eine bösartige, gefährliche Kreatur. Johns Bruder setzte sie auf dem Boden ab, und so saß sie einfach da, ihre Ohren nach hinten gerichtet, und schaute mich mit ihren grün schimmernden Augen an. Plötzlich fletschte sie die Zähne und fauchte mich an.

»Die Katze wird dich umbringen, Mann«, sagte John. Falls das ein Versuch gewesen sein sollte, mir noch mehr Angst einzujagen, dann war er sogar erfolgreich. »Sobald du einschläfst, wird sie dir die Augen auskratzen, und wenn du schreist, wird sie dir die Zunge abbeißen.«

Sein Bruder schaute uns beide prüfend an, blinzelte zur Katze hinunter und sagte ruhig: »Kommt mit, lasst uns nach oben gehen.« Das war’s! Wir mussten uns nicht hinter seinem Rücken hineinschleichen oder Detektiv spielen. Wir durften das verbotene Zimmer einfach so betreten – vielleicht hatte Johns Zauberspruch, mit dem er die Tore zur Hölle aufstoßen wollte, ja tatsächlich gewirkt.

Obwohl alles für mich neu und aufregend war, entsprach sein Zimmer genau dem, was man sich von einem Provinzdrogenkopf mit einem Satanis­mus-Tick so erwarten konnte.

Ein Poster, das den grausamen Schnitter auf seinem Pferd zeigte, wurde von einem schwarz schimmernden Licht beschienen, an der Wand hing ein halbes Dutzend Ozzy-Osbourne-Fotos, und überall im Zimmer waren rote Kerzen aufgestellt. Weiter hinten stand ein kleiner Altar, er war mit schwarzem Samt drapiert und von brennenden Kerzen erleuchtet. Den Höhepunkt aber markierte kein Schädel, kein Pentagramm, kein geopferter Hase, sondern ein großer Glaszylinder. Er war mit einer gelben Flüssigkeit gefüllt, die wie Pinkelwasser aussah. Die Schusswaffe ruhte drohend auf einem Tisch neben seinem Bett.

»Wollt ihr was rauchen?«, fragte Johns Bruder und hob den Zylinder vom Altar.

»Was denn rauchen?«, fragte ich dämlich. Ich hatte noch nie Pot genommen oder auch nur einen Bong angefasst.

»Das verdammte Kraut«, grinste John mit einem teuflischen Flackern in den Augen.

»Lass gut sein, Mann. Ich hab’ es mir abgewöhnt, das Zeug zu rauchen«, lautete meine wenig überzeugende Lüge.

Leider hatte ich keine Wahl. Es wurde sehr bald deutlich, dass John und sein Bruder mich windelweich prügeln würden, wenn ich nicht sofort ihre Drogen mitrauchen würde.

Johns Bruder zündete den Bong an, der bereits mit zerkleinerten braunen Blättern gefüllt war, und nahm einen herkulischen Zug. Als er wieder ausatmete, füllte sich die Luft mit einem widerwärtig süßen Geruch. Ich überstand keuchend und hustend meine ersten Züge, und wenig später spürte ich schon, wie es kam. Der Mad Dog 20/20, der Southern Comfort, die Flasche Wein, die nun herumgereicht wurde, nicht zu vergessen das Album Blizzard Of Ozz, das sich auf dem Plattenspieler drehte – das alles ließ meinen Kopf allmählich schwer und schwindelig werden. Die Tatsache, dass mich auf der Schule niemand leiden konnte, verschwand aus meinem Bewusstsein wie eine Notiz, die man mit Geheimtinte auf einen fettigen Handrücken gekritzelt hatte.

Ich saß völlig benommen da, mein Gehirn schlingerte seekrank hin und her, als Johns Bruder anfing, vor sich hin zu brabbeln. Mit gerötetem, verzerrtem Gesicht rief er die Namen altertümlicher Geister und Dämonen auf; er flehte sie an und beschwor sie inständig, ihm seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen, nämlich alle seine Feinde zu töten: Lehrer, die ihn im Stich gelassen hatten; Freundinnen, die mit ihm Schluss gemacht hatten; Freunde, die ihn hintergangen hatten; Verwandte, die ihn missbraucht hatten; Arbeitgeber, die ihn gefeuert hatten – also im Grunde alle Menschen, die seinen Weg kreuzten, seitdem er alt genug war, um echte Hassgefühle entwickeln zu können.

Johns Bruder zog ein Schnappmesser aus seiner Tasche, schnitt ein langes Stück von seiner Daumenkuppe ab und ließ es in eine kleine Schale fallen, die mit verkrustetem, braunweiß gesprenkeltem Puder gefüllt war. »Böser Angarru!«, fing er an zu singen. »Ninnghizhidda! Ich rufe dich, Schlange der Tiefe! Ich rufe dich, Ninnghizhidda, gehörnte Schlange der Tiefe! Ich rufe dich, gefiederte Schlange der Tiefe! Ninnghizhidda!«

Er hielt kurz inne und nahm einen weiteren Zug, dann rieb er das blutige Puder gegen seine Lippen. Dass wir uns mit ihm im gleichen Zimmer befanden, war ihm offenbar kaum noch bewusst.

»Kommt zu mir, Geschöpfe der Dunkelheit, durch das Walten der Dunkelheit! Kommt zu mir, Geschöpfe des Hasses, durch das Walten des Hasses! Kommt zu mir, Geschöpfe der Ödnis, durch das Walten der Ödnis! Kommt zu mir, Geschöpfe des Schmerzes, durch das Walten des Schmerzes!«

Wenn das die Wirkung war, die Hasch auslösen sollte, dann hatte ich keinen Bedarf. Ich starrte nur noch auf die Knarre, in der Hoffnung, dass Johns Bruder sie nicht anrühren würde. Gleichzeitig versuchte ich, ihn nicht merken zu lassen, dass ich die Knarre im Auge behielt, denn ich wollte keine schlafenden Hunde wecken. Er war geistig völlig zerrüttet, und wenn er nicht schon ein Mörder war, dann schien es keinen Grund zu geben, warum es nicht heute Nacht so weit sein sollte.

Minuten verstrichen, oder waren es Stunden? Der Bong kreiste immer weiter, aber mittlerweile war das Wasser durch Southern Comfort ersetzt worden, damit uns die Birne noch weicher werde. Auf der Stereoanlage – ob sich das vielleicht doch nur in meinem Kopf abspielte, war auch nicht mehr ganz klar – lief der Black-Sabbath-Song »Paranoid«, die Katze zischte mich an, und vor meinen Augen drehte sich der Raum, als mich Johns Bruder aufforderte, den Southern Comfort auszutrinken, der sich im Bong befand, worauf John nur ein kurzes »Lass stecken« aus der Ecke leierte. Da ich ein Wurm ohne Rückgrat war, setzte ich den Bong an meine Lippen, die vom Hasch schon ganz ausgedorrt waren, hielt den Atem an und kippte die vielleicht widerlichste Flüssigkeit herunter, die jemals zusammengebraut worden ist. Danach … Keine Ahnung, was danach passiert ist. Ich kann nur vermuten, dass ich ein Blackout hatte und ein willkommenes Objekt für die vielen raffinierten Grausamkeiten der Crowell-Brüder geworden bin.

Um fünf Uhr nachmittags (für mich damals noch eine sehr späte Zeit zum Aufstehen) wurde ich von einem zischenden Geräusch geweckt. Es war die Katze, die immer noch um mich herum stakste. Ich tastete nach meinen Augen: Sie waren noch da. Dann musste ich mich übergeben. Dann noch einmal. Und noch einmal. Aber als ich mit nach vorne gebeugtem Oberkörper über der Toilette hing, wurde mir klar, dass ich in der vergangenen Nacht etwas gelernt hatte: Die schwarze Magie könnte eine nützliche Hilfe sein, um das bescheidene Los, das mir das Leben zugedacht hatte, zu meinen Gunsten zu wenden – eine Position der Macht zu erlangen, um die mich andere Leute beneiden, und Dinge zu erreichen, zu denen diese anderen Leute nicht fähig sind. Ich hatte außerdem gelernt, dass ich kein Hasch mag – zumindest nicht den Geschmack von Bongwasser.

* * *

Der Wurm häutet sich

Dass mit unserer Familie irgendwas nicht stimmt, wurde mir zum ersten Mal bewusst, als ich sechs war und mein Vater mir ein Buch über eine Giraffe schenkte. Es war auf mich personalisiert, so dass ich gleichsam der Hauptakteur dieser Geschichte war, der mit dem Tier auf Abenteuerreise ging. Das Problem war nur, dass mein Name das ganze Buch hindurch versehentlich mit »Brain« (englisch für Gehirn) buchstabiert worden war. So entstand das eher beunruhigende Bild einer Giraffe, der ein Gehirn auf dem Rücken klebte. Ich glaube nicht, dass mein Vater den Fehler überhaupt bemerkt hat – und angeblich war er es immerhin gewesen, der mir meinen Namen gab, als ich zur Welt kam.

Das war beispielhaft für die Art und Weise, in der er mich lange Zeit behandelte. Er interessierte sich nicht für mich, und er war nie für mich da, wenn es darauf ankam. Die einzige Aufmerksamkeit, die mir von seiner Seite zuteil wurde, zollte er mir mit einem zusammengefalteten Gürtel, der jedes Mal ein lautes, schnappendes Geräusch machte, wenn er auf meinem Hintern landete. Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, während ich gerade irgendwo herumlag, das Videogame Colecovision spielte oder Bilder malte, fand er immer einen Vorwand, sei es ein ungemähter Rasen oder eine volle Geschirrspülmaschine, um mir an den Kragen zu gehen. So machte ich es mir zur Gewohnheit, möglichst beschäftigt und verantwortungsvoll zu tun, sobald er durch die Tür kam, obwohl eigentlich gar nichts anlag. Meine Mutter entschuldigte seine gewalttätigen Ausbrüche mit einer posttraumatischen Störung, die der Vietnamkrieg bei ihm hinterlassen hatte. So konnte es passieren, dass er mitten in der Nacht aufwachte und wahllos Gegenstände zertrümmerte. Wenn ich als Teenager meine Freunde mit nach Hause brachte, pflegte er sie zu fragen: »Hast du jemals einen Schwanz gelutscht, der süßer als meiner schmeckt?« Das war natürlich eine Fangfrage, denn gleichgültig, ob sie nun »ja« oder »nein« sagten, gaben sie mit jeder Antwort unwillentlich zu, schon einmal seinen Schwanz im Mund gehabt zu haben.

Hin und wieder kündigte mein Vater feierlich an, dass er mich demnächst irgendwohin mitnehmen wolle, aber sobald es ernst wurde, war auf einmal bei der Arbeit wieder etwas viel Wichtigeres passiert. Es gibt nur ganz wenige Dinge, die wir gemeinsam unternommen haben und an die ich mich gern erinnere. Meistens fuhren wir auf seinem Motorrad zu einer Grube, die nicht weit von unserem Haus entfernt lag. Dort brachte er mir mit einem Gewehr, das er der Leiche eines Vietkong-Soldaten entrissen hatte, das Schießen bei. Mein gutes Zielgefühl habe ich also von meinem Vater. Es ist mir schon öfter nützlich gewesen, wenn ich mit dem Luftgewehr ein paar Tiere abknallen oder einen Polizisten mit Steinen bewerfen wollte. Von meinem Vater habe ich auch meine kurze Zündschnur geerbt, die zu unerwarteten Wutausbrüchen führen kann; einen unbeirrbaren Ehrgeiz, den oft nur eine Pistolenkugel oder ein Rausschmeißer unter Kontrolle halten kann; einen ziemlich stumpfen Sinn für Humor, gepaart mit einem unstillbaren Hunger nach Titten; und nicht zuletzt einen unregelmäßigen Herzschlag, der von den vielen Drogen sicher auch nicht besser wird.

Natürlich wollte ich nie wahrhaben, dass ich ihm so ähnlich bin. Die ­meiste Zeit meiner Kindheit und Jugend habe ich mich vor ihm gefürchtet. Ständig drohte er mir, mich aus dem Haus zu werfen, und immer wieder musste er mir vorhalten, dass ich nichts wert bin und dass ich es nie zu etwas bringen werde. So entwickelte ich mich allmählich zum Muttersöhnchen. Sie hat mich verzogen, und entsprechend undankbar habe ich mich ihr gegenüber auch immer verhalten. Um mich noch stärker an ihren Rocksaum zu binden, redete sie mir dauernd irgendwelche Krankheiten ein. So konnte sie mich zu Hause behalten und mich nach Herzenslust be­muttern.

Als bei mir eine Akne einsetzte, wollte sie mir erzählen, das sei eine allergische Reaktion gegen Eiweiß (nur weil genau diese Allergie bei ihr zu Nesselausschlag führte), und lange Zeit habe ich ihr das auch geglaubt. Sie wollte, dass ich genauso werde wie sie, von ihr abhängig bin und sie niemals verlasse. Als ich es mit zweiundzwanzig dann doch tat, saß sie jeden Tag in meinem Zimmer und heulte vor sich hin, bis sie sich in die Wahnvorstellung rettete, sie habe die Silhouette von Jesus in der Türöffnung gesehen. Da diese Vision ihr ein beruhigendes Zeichen zu sein schien, dass irgend­jemand über mein Schicksal wacht, hörte sie auf zu lamentieren und erklärte nun die Ratten, mit denen sie eigentlich nur meine Schlange füttern sollte, zu ihren Haustieren. In ihrer übertrieben fürsorglichen Art suchte sie sich das kränklichste Exemplar als ihren neuen Schützling aus und nannte das Tier von nun an »Marilyn«. Als einmal sein Leben in Gefahr war, verabreichte sie ihm eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Mittlerweile hält sie das kleine Nagetierchen in einem primitiven Sauerstoffzelt aus Frischhaltefolie, um sein irdisches Dasein zu verlängern.

Als Kind hält man alles Mögliche, was in der Familie passiert, noch für normal. Aber sobald die Pubertät einsetzt, schwingt das Pendel in die andere Richtung aus. Blinde Zustimmung verwandelt sich mit einem Mal in heftige Ablehnung. In der neunten Klasse begann ich mich mehr und mehr isoliert zu fühlen, ich hatte keine Freunde, und ich war sexuell frustriert. Während des Unterrichts saß ich meistens mit einem Taschenmesser an meinem Tisch und schlitzte an meinem Unterarm herum. (Neben den vielen Tätowierungen trage ich immer noch Dutzende von Narben auf meinem Körper.) Ich hatte kein Interesse, mich in der Schule hervorzutun, denn der wichtigste Teil meiner Erziehung fand nach dem Unterricht statt, wenn ich in meine Fantasiewelt flüchtete.

Dann vertiefte ich mich in Rollenspiele, las Bücher wie die Jim-Morrison-Biografie Keiner kommt hier lebend raus, schrieb makabre Gedichte und Kurzgeschichten und hörte Platten. Allmählich lernte ich Musik als Allheilmittel schätzen, als Pforte in eine Welt, in der ich akzeptiert war, eine Welt ohne Regeln und Vorurteile.

Meine Mutter bekam meine Frustration mit voller Wucht zu spüren. Sehr wahrscheinlich war auch das ein Resultat jener Charaktereigenschaften, die ich von meinem Vater vererbt bekommen hatte. Eine Zeit lang lieferten sich die beiden regelrechte Schreiwettkämpfe, denn mein Vater verdächtigte sie, ihn zu betrügen – und zwar mit einem ehemaligen Polizisten, der nun als Privatdetektiv arbeitete. Mein Vater war von Natur aus misstrauisch; und er war noch nicht einmal in der Lage, seine Eifersucht gegen den ersten Freund meiner Mutter zu überwinden.

Als er im Alter von fünfzehn Jahren meine Mutter kennen lernte, hatte er nichts besseres zu tun, als diesem Dick Reed, einem harmlosen dürren Typen, erst einmal eins auf die Schnauze zu geben. Meine Eltern lieferten sich eine ihrer lautstärksten Streitereien, nachdem mein Vater einmal ihre Handtasche durchsucht, dabei einen aufgebauschten Waschlappen gefunden hatte und nun eine Erklärung von ihr verlangte. Ich habe nie richtig mitbekommen, warum genau ihm dieser Gegenstand so verdächtig vorkam – lag der Grund darin, dass er aus einem fremden Hotel stammte? Oder hatte meine Mutter damit Samenflüssigkeit aufgewischt?

Ich kann mich auch erinnern, dass der ominöse Detektiv mehrere Male mit ein paar Maschinengewehren und einigen Ausgaben der Zeitschrift Soldier Of Fortune zu uns ins Haus kam. Das hat mich nachhaltig beeindruckt, denn ich war immer noch an einer Laufbahn als Spion interessiert. Da sich Wut und Hass schnell auf andere Menschen übertragen, fing ich bald an, meine Mutter zu bekämpfen, denn ich warf ihr innerlich vor, dass sie ihre Ehe und damit unsere Familie zerstört. Ich saß auf meinem Bett, und wenn ich darüber nachdachte, was passieren würde, wenn sich meine Eltern trennen, musste ich weinen. Ich be­fürchtete, dass ich mich dann zwischen den beiden entscheiden müsste. Da ich vor meinem Vater Angst hatte, meinte ich, ich müsse mit meiner Mutter wegziehen und von nun an in Armut leben.

In meinem Zimmer gab es neben Kiss-Postern, handgezeichneten ­Cartoons und Rockplatten auch eine Sammlung von Avon-Parfümfläschchen, die meine Großmutter mir geschenkt hatte. Jede von ihnen war wie ein ­anderes Auto geformt, und ich glaube, es war der Excalibur, mit dem ich meine Mutter eines Nachts ins Krankenhaus brachte. Sie war spät nach Hause gekommen und wollte mir nicht sagen, wo sie gewesen war. Da ich den Verdacht hatte, dass sie wieder fremdgegangen war, verlor ich meine Beherrschung, so wie ich es von meinem Vater gelernt hatte, und warf ihr eine Flasche ins Gesicht. Über ihren Lippen klaffte eine blutige Wunde, in meinem Zimmer breitete sich der Geruch von billigem Parfüm aus, und überall auf meinem ­Fußboden lagen blaue Glasscherben verstreut.

Davon hat sie noch heute eine Narbe, die ihr seitdem als ständige Ermahnung dient, nie wieder ein Kind in die Welt zu setzen. Während der nun folgenden Auseinandersetzung schlug ich weiter auf sie ein, spuckte sie an und versuchte sie zu würgen. Sie hat sich dafür nie gerächt, sondern einfach nur geweint. Dafür hat sie mir nie leid getan.


Der Hass, der sich in mir aufgestaut hatte, weil sie mich auf diese schreck­liche Christian School geschickt hatte, legte sich allmählich, als ich zur Public School wechselte. Meine Mutter schrieb mich bereitwillig krank, wenn mich jemand aus der Klasse verprügeln wollte, oder wenn ich morgens meine Haare nicht glattgekämmt bekam und ich nicht wollte, dass mich die Mädchen so zu sehen bekommen. Ich begann, sie für ihre Weichherzigkeit zu mögen. Aber das war auch nur so eine Phase.

Als ich während meiner letzten Nacht in Canton auf dem Bett lag, hass­te ich meine Eltern mehr als jemals zuvor. Ich hatte langsam angefangen, mich in Canton einzuleben, und nun musste ich an den Rand von Fort Lauderdale ziehen, der Stadt, wo Studentenverbindungen am liebsten einen draufmachen, nur weil mein Vater einen neuen, langweiligen Job als Möbelverkäufer bekommen hatte. Ich hatte mich zu den dunkelsten Orten vorgewagt – von verspukten Häusern bis hin zu Turnplätzen an der High School. Ich hatte schlechte Drogen genommen, noch viel fürchterlicheren Sex gehabt und nicht den leisesten Anflug von Selbstachtung verspürt. Das alles war vorbei, es lag längst hinter mir, und nun musste ich noch einmal von vorne anfangen. Ich freute mich nicht auf den Umzug. Ich war verbittert, und das richtete sich nicht einfach nur gegen meine Eltern – ich war zornig auf die ganze Welt.

The Long Hard Road Out Of Hell

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