Читать книгу UNFOLLOW! - Nena Schink - Страница 5
Einleitung
ОглавлениеWir alle sind von dem Drang getrieben, etwas darzustellen. Bewusst oder unbewusst möchten wir leuchten, glänzen, bedeutsam sein. Und es gibt Menschen, die wir bewundern. Denen wir nacheifern, bei denen wir den Wunsch verspüren, ein wenig zu sein wie sie. Mit denen wir uns umgeben in der Hoffnung, dass ihr Strahlen auf uns abfärbt.
Sei es die Klassenkameradin, die es mühelos schafft, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Die Kollegin, die in vielem so viel besser ist als wir selbst. Die Freundin, die immer makellos aussieht. All diese Menschen wecken Sehnsüchte in uns. Das ist keine Eigenart meiner Generation. Das war schon immer so. Nur leider leben wir in dem Zeitalter der sozialen Medien. Nie zuvor war es so leicht, sich selbst zu inszenieren und das Leben der anderen bis ins kleinste Detail zu verfolgen.
Spätestens mit der App Instagram wurde das Zeitalter der offensiven Selbstdarstellung eingeläutet. Unser alltäglicher Versuch zu glänzen, verlegte sich auf die digitale Plattform. Und unser Drang nach Selbstbestätigung verschlimmerte sich. Gewaltig. Wir kreieren das perfekte Bild, um Bestätigung von der Außenwelt zu erfahren. Wir arrangieren unsere Fotos in unserem Instagram-Feed in der richtigen Bildsprache, damit sich Menschen unser Profil gerne anschauen.
Wir sehnen uns danach, dass Fremde uns mit ihren Likes und Kommentaren das Gefühl geben, besonders zu sein. So sehr, dass es Instagram-Museen gibt, die den Besuchern die Möglichkeit geben, zwanzig perfekte Fotos in wechselnden Traumkulissen zu schießen. An einem einzigen Tag.1 Zahlreiche Bücher wurden darüber verfasst, wie man Instagram erfolgreich nutzt.
Und die Menschen, die wir früher in der Realität kennenlernten und schätzten, sind heute die Influencerinnen, denen wir folgen. Obwohl wir sie nie treffen, schauen wir ihnen beim Zähneputzen zu, beim Sonnenbaden auf den Bermudas, wir kennen die Namen ihrer Freunde, ihrer Kinder, und wir haben das Gefühl, Teil ihres Alltags zu sein. Ohne zu hinterfragen, ob diese Menschen als Vorbilder taugen. Warum wir ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Ob wir ihnen wirklich nacheifern sollten, und für welche Werte sie stehen. Auch früher gab es Prominente, die wir bewunderten, aber damals war es undenkbar, ihr Leben in diesem Ausmaß zu verfolgen.
Wir sahen sie in Kinofilmen, in Hochglanzmagazinen oder in Talkshows. Das war es. Schon gar nicht war es möglich, das Leben des Mädchens von nebenan auszuspionieren. Im Jahr 2020 ist es das. Wir sind allesamt zu Followern mutiert.
Dabei vergessen wir oft, wie viel Zeit wir Instagram widmen und dass wir uns währenddessen aus dem realen Leben ausklinken. Bei mir sind es zwei Stunden täglich. 14 Stunden wöchentlich. 672 Stunden jährlich. 28 Tage. Ein Monat. Hochgerechnet: fünf volle Jahre meines Lebens. Verschwendet an das soziale Medium Instagram. Was ich poste, ist für die Welt selten eine Bereicherung. Und was ich sehe, bringt mich nicht weiter, sondern lässt mich mit meinem eigenen Leben hadern.
Ich weiß nicht, wie deine Statistik ist, aber ich frage mich: Warum verbringen wir so viel Zeit auf Instagram? Und was haben wir davon? Warum meinen wir, jeden Augenblick dokumentieren zu müssen? Sind Momente ohne anschließende Instagram-Veröffentlichung nichts mehr wert? Werden wir am Ende unseres Lebens an unsere Fotokünste zurückdenken? Spielt es überhaupt eine Rolle, ob wir auf Instagram aktiv sind? Erzeugt Instagram Erinnerungen? Glück? Bringt es uns zum Lachen?
Ich vergleiche meine Instagram-Aktivitäten gerne mit meiner Vorliebe für Zigaretten. Die eine Angewohnheit schadet meiner Seele. Die andere meinem Körper. Shirley Cramer, die Geschäftsführerin der Royal Society for Public Health, sieht ebenfalls Parallelen: »Die sozialen Medien wurden bereits als noch süchtig machender beschrieben als Zigaretten und Alkohol, und sie sind inzwischen so im Leben der jungen Leute verankert, dass man ihre Wirkungen auf die mentale Gesundheit der Jugendlichen nicht mehr länger ignorieren kann.«2
Ich gelte mit meinen 27 Jahren nicht mehr als jugendlich, aber bin trotzdem in die Fänge von Instagram geraten. Und es hat lange, zu lange gedauert, bis ich verstand, dass meine Beziehung mit Instagram eine toxische Liebesbeziehung ist, von der ich weiß, dass sie meiner Seele schadet, ich aber nicht in der Lage bin, sie zu beenden. Als meine Kolumne Warum mich die Influencer-Welt anekelt3 in dem jungen Portal von Orange by Handelsblatt erschien, hat mich die Flut an Nachrichten, die folgte, schier überwältigt. Und mich nachdenklich gestimmt.
Junge Mädchen schrieben mir, sie müssten sich mit Depression, Beklemmung, Essstörungen und Kaufsucht auseinandersetzen. Die Ursache: Instagram. Bei manch einer Nachricht hatte ich Tränen in den Augen. Ich hätte die Absenderin gerne in den Arm genommen und ihr gesagt, dass sie längst da angekommen ist, wo manch eine Influencerin gerne wäre: im echten Leben.
Die jungen Frauen, die mir schrieben, sind keine Einzelfälle. Leider. Die britische Gesundheitsorganisation hat zusammen mit dem Young Health Movement herausgefunden, dass Instagram das Seelenleben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen negativ beeinflusst. Instagram führe bei den Studienteilnehmern zu einem verminderten Selbstwertgefühl, zu einer negativen Körperwahrnehmung und sogar zu depressiven Verstimmungen, berichtete die Royal Society for Public Health. Zudem verstärke, laut der Studie, Instagram das Gefühl, etwas im Leben zu verpassen. Die befragten Nutzer sollen häufig schlechter geschlafen und sich einsam gefühlt haben.
Instagram vermindert nicht nur unser Selbstbewusstsein, sondern auch das von Superstars. Ende 2016 machte die US-Sängerin Selena Gomez ihre Instagram-Sucht öffentlich. Zu diesem Zeitpunkt folgten ihrem Account bereits mehr als einhundert Millionen Menschen – glücklich machte die Sängerin das nicht. »Jedes Mal, wenn ich auf Instagram war, fühlte ich mich beschissen«, erklärte sie dem amerikanischen Magazin Teen Vogue. Die Plattform beeinflusste ihr Denken negativ. »Ich war süchtig, und es fühlte sich an, als würde ich Dinge sehen, die ich nicht sehen wollte, als ob es mir Dinge in den Kopf legte, für die ich mich nicht interessieren wollte.«4
Die damals 24-Jährige nahm sich eine Auszeit, ging in eine dreimonatige Therapie. Instagram hatte sie krank gemacht. Heute ist Selena Gomez wieder auf Instagram aktiv, aber postet unregelmäßiger als vor ihrer Therapie. Und sie folgt nur noch 63 Personen. Es scheint, als würde sich Gomez nicht länger mit dem digitalen Mist der anderen zukippen lassen wollen. Richtig so. Eine Studie des Rasiererherstellers Gilette Venus zeigt: 65 Prozent der Frauen fühlen sich durch Schönheitsideale der sozialen Medien unter Druck gesetzt.5
Als Antwort nahm ich mir vor, dieses Buch zu schreiben, um heranwachsende Mädchen zu unterstützen. Sie wissen zu lassen, dass sie nicht alleine sind.
Wir alle werden heutzutage mit Bildern von dem scheinbar perfekten Leben unter Druck gesetzt – von einer glamourösen Welt, die in der Realität eine reine Farce ist.
Mein Buch ist in drei Teile gegliedert, um dir einen bestmöglichen Überblick über den Instagram-Wahnsinn zu verschaffen. Im ersten Teil schildere ich dir meine eigenen Instagram-Fehltritte. Vielleicht erkennst du dich in einigen Momenten ja selbst wieder. Auf jeden Fall hoffe ich das. Im zweiten Teil nehme ich dich mit in die Welt der Influencer und schildere dir meine teils bizarren Begegnungen mit den Influencerinnen in der Realität. Im dritten Teil hinterfrage ich gemeinsam mit dir dein eigenes Instagram-Verhalten.
Dies hier ist keine akademische Abhandlung, meine Schilderungen sind von meiner persönlichen Wahrnehmung geprägt. Ich bin auch keine Psychologin oder Soziologin, sondern Journalistin, Beobachterin, Erzählerin. Ich beschreibe in den nachfolgenden Kapiteln, was ich sehe oder erlebt habe. Wer einen Ratgeber sucht, wird hier nicht fündig. Aber alle, die sich selbst und ihre Sucht nach der digitalen Selbstbestätigung hinterfragen möchten, sind hier genau richtig.
Vermutlich werden nicht alle meine Thesen bei dir Anklang finden. Das ist nicht weiter schlimm. Solltest du nur eine Botschaft aus diesem Buch mitnehmen, dann hoffentlich die, wie wichtig es ist, ein Leben voller realer Momente zu leben. Dein Leben ist reich an Magie. Gerade in jungen Jahren solltest du nach der großen Liebe Ausschau halten, echte Freundinnen gewinnen und Erinnerungen schaffen, die so schön sind, dass sie dich mit allem anderen versöhnen. Werde zur Schatzsucherin. Deine Beute: Momente, die nachhaltig dein Herz berühren.
Hör auf, dich selbst zu inszenieren und dir das vermeintlich perfekte Leben der anderen anzuschauen.
Hör auf, ein Follower zu sein. Werde zum Influencer deines eigenen Lebens.
Denn die wahren, puren, echten Glücksmomente erlebst du ausschließlich offline. Umgeben von den Menschen, die du liebst und die dich lieben. Lasse alles außer Acht, aber bitte verschenke weniger deiner kostbaren Lebenszeit an Instagram.
Deine Nena