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Meine Karriere als Influencerin

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September 2017

Es gibt diese Tage, die dir alltäglich vorkommen, aber in der Rückblende sehr besonders sind, in manchen Fällen gar einen Wendepunkt darstellen. Einer dieser Tage in meinem Leben: ein herbstlicher Montag im September 2017. Vormittags: ein Seminar über die investigative Recherche an meiner Journalistenschule. Nachmittags: Schreibübungen. Abends: Vino mit meiner liebsten Freundin Clara. Ein ganz normaler Schultag eben. Doch etwas ist anders.

Während ich zum Unterricht eile, klingelt mein Handy. Der Redaktionsleiter des jungen Portals von Orange by Handelsblatt Andreas ist dran. Nach kurzem Geplänkel fragt er mich, ob ich nicht Lust hätte, für Orange einen Selbstversuch zu wagen, der darin bestehe, eine erfolgreiche professionelle Influencerin zu werden. Die Aufgabe: in kürzester Zeit Tausende von Followern auf Instagram gewinnen und Kooperationen mit Firmen an Land ziehen. Für mein Experiment dürfe ich mich von Experten beraten lassen, aber ich sei ja sowieso schon aktiv auf Instagram. Generell sei ich bestens geeignet.

Andreas’ Überredungskünste sind an dieser Stelle überflüssig. Ich freue mich über seine Anfrage, habe ich doch endlich eine Ausrede, meiner Instagram-Leidenschaft zu frönen. Und das auch noch während meiner Arbeitszeit: Jackpot. Beim Start umfasst mein Instagram-Profil 113 Fotos, die allermeisten zeigen mich selbst: jung, blond und schlank. Posierend vor dem Weißen Haus, mit Delfinen auf den Bermudas oder als Minnie Mouse beim Kölner Karneval.

Mein Profil ist öffentlich. In meinen Storys teile ich sowohl meine Artikel als auch private Momente. Ich gaukle mir gerne vor, dass die Vermarktung meiner Arbeit wichtig ist und ich nur aus diesem Grund Instagram benutze. Richtig so, findet Christoph Kastenholz, Gründer von Europas erfolgreichster Influencer-Agentur Pulse: »Bei den meisten Berufen ist es nützlich, die sozialen Medien zu bedienen.«6

Die Holländerin Lindy Mariëlle Kats hat es im Gegensatz zu mir schon geschafft, ihren Traumjob als Pilotin massentauglich auf Instagram zu präsentieren. Ein Social-Media-Star im Cockpit. Neben Schnappschüssen aus dem Alltag über den Wolken postet die 24-Jährige Bilder von ihren Abenteuern an Zielorten: beim Feiern in Dubai oder auf einem Schiff vor der Küste Griechenlands. Und es funktioniert. Mehr als 134.000 Fans folgen ihr auf ihrem Profil pilot_lindy. Tendenz steigend. Ich möchte das auch versuchen.7

Um auf Instagram Follower zu gewinnen, brauche ich Inhalte. Und ich brauche mehr Follower als Accounts, denen ich selbst folge, um den schönen Schein zu wahren. Die Grundregeln für das Sammeln digitaler Fans: posten, anderen Nutzern folgen, ihre Bilder liken und kommentieren. Und das alles mehrmals täglich. Es ist ein Spiel für Erwachsene. Das so funktioniert: Ich gebe in die Suchleiste einen prominenten Namen ein, der zu meiner gewünschten Zielgruppe passt, etwa Heidi Klum. Ihr folgen viele junge Mädchen. Dann folge ich Klums Abonnenten.

Ich like Heidis Bilder, kommentiere und klicke auf die Herzchen unter dem jeweiligen Foto. Keine fünf Minuten vergehen und schon habe ich selbst neue Abonnenten. Unbekannte kommentieren meine Bilder: »Schönes Foto.« Andere hinterlassen mir Smileys. Ein paar männliche Nutzer schreiben mir anzügliche Nachrichten. Einer will gar, dass ich seine virtuelle Freundin werde, während ein anderer mich fragt, ob ich ihm Fotos von meinen Füßen schicken könnte. Der Nächste bittet mich, meine Strumpfhosen zu verkaufen. Macht nichts, ich akzeptiere sie alle. Bei diesem Projekt darf ich nicht wählerisch sein, sollen mir ruhig auch Perverse folgen. Mein Motto: Hauptsache Follower. Ich gewinne innerhalb von nur zwei Tagen vierhundert neue dazu. Um meinen Erfolg zu steigern, versuche ich, täglich etwas zu posten. Aber was? Büro-Selfies interessieren meine 1.500 Abonnenten bestimmt nicht.

»Ich weiß nicht, wie dein Alltag aussieht, aber wenn du eine erfolgreiche Bloggerin interviewst, poste Bilder mit ihr«,8 rät mir Kastenholz. Da hat er recht. Die Influencerin Caroline Daur wurde anfänglich auch nur aufgrund ihrer Freundschaft mit Stefanie Giesinger bekannt, die 2014 die Fernsehshow Germany’s Next Topmodel gewann. Heute zeigen sich die zwei zwar nur in Ausnahmefällen gemeinsam auf Instagram, sind dafür aber die Stars der internationalen Instagram-Szene. Und Branchenexperten wissen: Ihr digitales Leben machte die zwei zu Millionärinnen.

Ich scrolle durch meine Aufnahmen und finde ein Bild von mir mit der Modebloggerin Leonie Hanne. Filter drüberlegen, damit es etwas fröhlicher ausschaut und hochladen. 141 Leute drücken den Gefällt-mir-Button. Auch Leonie kommentiert. Jackpot! Ich gewinne mit diesem Post siebzig neue Abonnenten.

Ich beginne, erfolgreichen Influencerinnen, wie Xenia Adonts, Farina Opoku und Alexandra Lapp, zu folgen. Mit Kommentaren und Likes versuche ich, die Aufmerksamkeit ihrer Community auf meinen eigenen Account zu lenken. Es funktioniert. Auch Bloggerinnen beginnen, mir zu folgen. Manche haben bereits 50.000 Abonnenten. Sie kommentieren meine Bilder. Nicht weil sie ihnen gefallen. Sondern weil ich ihre Fotos liken und kommentieren soll. Den Gefallen tue ich ihnen gerne. Und beginne, Herzen zu verteilen.

Die Sucht beginnt: immer wieder folgen, kommentieren und beim Tatort-Schauen meine neuen Abonnenten zählen. Meinem Freund schenke ich keine Aufmerksamkeit mehr. Das neue Objekt meiner Begierde: Instagram. Ich beginne, vor dem Spiegel zu posieren, übe in den Abendstunden meinen Gesichtsausdruck, bearbeite meine Fotos nachträglich mit der kostenlosen App AirBrush. Besonders die Möglichkeit, meine Zähne aufhellen zu können, liebe ich. Schade eigentlich, dass es diesen Filter nicht auch in der Realität gibt.

Auch mein Arbeitsweg dauert jetzt fünf Minuten länger, halte ich doch überall Ausschau nach originellen Fotomotiven. Dazu das Spiegel-Selfie am Morgen – ein Muss. Schnell genügen mir meine Selfies nicht mehr. Hochwertige, perfekte Bilder müssen her. Der Fotograf? In den meisten Fällen mein Freund Caspar. Die Shootings bereichern unsere Beziehung nicht. Sie machen uns auch keinen Spaß, sondern enden immer im Streit. Vielleicht, weil ich mit dem Ergebnis nie zufrieden bin. Oft schreie ich ihn zwischen meinen Posen an, er solle sich doch bitte ein wenig mehr Mühe geben.

Schlimm finde ich das nicht, ich nehme unsere Streits gerne in Kauf. Es hat ja niemand behauptet, dass die Karriere als Influencerin leicht sei. Vielmehr motiviere ich meine besten Freundinnen Jil und Clara, es doch auch mal zu versuchen. Wie cool wäre es, wenn wir drei mit unseren Instagram-Accounts Geld verdienen könnten? Meine Euphorie ist ansteckend. Während Clara Waffeln backt, sie bunt einfärbt, ihren Teller gekonnt instagrammable dekoriert, fotografieren Jil und ich uns gegenseitig auf meiner Terrasse.

Wir sind für unser Fotoshooting extra in Jeanshemden geschlüpft, an unseren Füßen baumeln hohe Schuhe. Unsere kostspieligen Markenhandtaschen drapieren wir auf dem Terrassenmöbel. Neben uns. Ganz natürlich. Abends liegen wir zu dritt auf der Couch, bearbeiten unsere Fotos, folgen, entfolgen, verteilen Herzchen. Stundenlang. Der Film, den wir vorher gemeinsam ausgesucht haben, interessiert keine von uns. Wir unterhalten uns auch nicht.

Was nicht verwunderlich ist, gibt es doch keine Pause bei der Selbstvermarktung, wie ich von der Germany’s-Next-Topmodel-Teilnehmerin und Instagram-Star Elena Carrière lerne: »Soziale Medien gehören zu meinem Job. Ich kann nie hundert Prozent abschalten. Das ist kein Parttime-Job, sondern ein Fulltime-Job.« Ihr Tipp für mich: »Bleib authentisch, also echt. Die Leute merken, wenn online jemand falsch spielt.«9 Wie echt wohl ihr eigenes Profil ist? Ob sie wirklich alle ihre Kooperationspartner so toll findet, wie es ihr Instagram-Profil vorgaukelt? Macht sie gerne Werbung für Zahnpasta? Und ist das Schmucklabel Bijou Brigitte wirklich die Marke ihres Herzens?

Vermutlich nicht, aber ihre Follower scheint das nicht zu stören. Knapp 500.000 Menschen folgen der Schauspielertochter.

Ich bleibe am Ball und poste, poste, poste. Schnell bemerke ich, dass die offenherzigen Bilder am besten laufen. Wenn ich einen kurzen Rock kombiniert mit High Heels trage, drücken wesentlich mehr Menschen, vor allem ältere Männer, auf den Gefällt-mir-Button, als wenn mein Körper in Hose und Pullover gehüllt ist. Der Hintergrund und die Qualität des Bildes sind da völlig zweitrangig.

Meine Kollegin Eva Fischer, die für das Magazin Wirtschaftswoche wenige Monate vorher einen ähnlichen Versuch10 wie ich wagte, erhielt von einem Social-Media-Experten gar das Feedback, dass ihr Profil nicht nackig genug sei. Kein Wunder, dass sich die erfolgreichen Bloggerinas regelmäßig im knappen Bikini zeigen. Sex sells. Auch auf Instagram. Ich selbst beginne, darauf zu achten, meine Figur in den Vordergrund zu rücken. Besonders meine Beine. Und es funktioniert.

Bei meinen Bildern drücken jetzt im Durchschnitt über hundert Abonnenten den Gefällt-mir-Button. Siebenhundert Menschen schauen meine Stories und insgesamt folgen mir 2.450. Zeit für meine erste Kooperation. Ich sehe die Werbung einer Taschenmarke: »Du bist ein Bag-a-holic und studierst oder steigst bereits auf deiner Karriereleiter hoch? Dann bewirb dich jetzt via Kontaktformular als Tate! Ich möchte dir, wenn du ein Tate wirst, eine Tasche deiner Wahl aus unserer VINERIUS-Kollektion schenken.«

Schnell fülle ich die Bewerbung aus und gebe den Namen meines Instagram-Accounts an. Zwei Wochen später kommt die Zusage. Ich bin eine von zwanzig neuen Tates, die jeden Monat weltweit ausgesucht werden. Eine Handtasche kostet zwischen fünfhundert und eintausend Euro. Ich entscheide mich für einen grauen Beutel für knapp siebenhundert Euro. Drei Tage später wird er mir schön verpackt geliefert.

Dann folgt die Bezahlung – ich muss Bilder mit dem Beutel machen. Kein Problem. Ich klemme ihn mir unter den Arm und klettere auf einen Stuhl; die Düsseldorfer Skyline wirkt sonst zu läppisch. Mein Freund fängt an zu fotografieren. Der Rock sitzt nicht, und meine Haare sind zerzaust. Nach zwanzig Minuten steige ich genervt wieder runter. So fühlt sich also eine Bilderbuchkarriere an. Ich beginne, mich zu fragen, warum ich so heiß darauf bin, Follower zu gewinnen und mein Leben mit fremden Menschen zu teilen:

Ist es Narzissmus oder ein ausgeklügeltes System, das meine Psyche beeinflusst? Warum möchte ich eine Influencerin sein? Warum teile ich mein Privatleben auf Instagram mit fremden Menschen? Und was bringt es mir, Frauen zu folgen, die täglich ein Foto von sich selbst hochladen, halb nackt posieren und mir in ihren Storys erzählen, wie großartig doch das Produkt FitTea sei?

Was mir von meinem Experiment bleibt: die Sucht nach der digitalen Aufmerksamkeit und erste Zweifel an dem Instagram-Wahnsinn. Es werden noch drei Jahre und viele erbärmliche Instagram-Momente vergehen, bis ich dieses Buch schreibe. Einer der für mich beschämendsten Augenblicke: mein Wassermelonen-Auftritt.

Notiz an mich selbst:

•Der Alltag einer Influencerin ist nicht cool, sondern einfältig.

•Die tägliche Selbstinszenierung hat ihren Preis.

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