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Die Hexe und der Dirigent

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Eine der bedeutendsten Episoden in Nortons Leben drehte sich um ihre höchst kontroverse magische Beziehung zu dem herausragenden englischen Dirigenten und Komponisten Sir Eugene Goossens (1893 - 1962), der sich bereits musikalisch etabliert hatte, bevor er im Jahre 1947 nach Australien kam. Er wurde am 26. Mai 1893 in London geboren und besuchte das College of Music in Liverpool. Er wurde zu einem professionellen Geiger und spielte von 1912 bis 1916 im Queen’s Hall Orchestra. Goossens fing im Jahre 1912 auch mit dem Dirigieren an; 1916 wurde er von Sir Thomas Beecham dazu ermutigt, sich auf diesen speziellen Aspekt der klassischen Musik zu konzentrieren. Im Juni 1921 gab Goossens eine Reihe von Konzerten in London, unter anderem auch seine erste von der Kritik gelobte Konzertaufführung von Strawinskys Le Sacre du Printemps, bei der Strawinsky selbst anwesend war. Goossens dirigierte im Jahre 1922 auch Diaghilews Les Ballets Russes und das Carl Rosa Opern-Ensemble in Covent Garden.

Im Jahre 1923 wurde Goossens Dirigent des Rochester Philharmonic Orchestra im Staate New York und 1931 dann als Nachfolger von Fritz Reiner dauerhafter Dirigent des Cincinnati Symphony Orchestra – ein Posten, den er fünfzehn Jahre innehatte. Im Jahre 1947 wurde Goossens schließlich Direktor des Konservatoriums von New South Wales und der erste ansässige Dirigent des Sydney Symphony Orchestra. Zu dieser Zeit war Goossens bereits ein Ritter der Ehrenlegion (Ernennung im Jahre 1934); später sollte er außerdem noch im Buckingham Palace für seine Dienste an der Musik zum Ritter geschlagen werden (Ritterschlag im Jahre 1955). Er gilt auch als der ursprüngliche Initiator des Opernhauses von Sydney. Trotzdem war es seine Faszination für das Heidentum und die Magie, die ihn zu Rosaleen Norton bringen und ihn schließlich in seinen beruflichen und persönlichen Ruin führen würde.


Sir Eugene Goossens

Kurz nach der Veröffentlichung von The Art of Rosaleen Norton erstand Goossens ein Exemplar des Buches in einer Buchgalerie in Sydney, wodurch sein altes Interesse an der Magie und dem Okkulten wiedererweckt wurde. Während er in den 1920er Jahren in England gelebt hatte, war Goossens ein enger Freund des britischen Komponisten Philip Heseltine (1894 – 1930, auch als Peter Warlock bekannt) gewesen. Heseltine war seinerseits sehr an der Goetia und der Sexualmagie von Aleister Crowley interessiert, und es war nach Aussage von Goossens jüngerer Schwester Dame Sidonie Goossens Millar (1899 – 2004) Heseltines Beschäftigung mit Magie, die ihren Bruder zum Okkulten brachte. Nachdem er sich ein Exemplar von The Art of Rosaleen Norton gekauft hatte, schrieb Goossens Norton einen Brief, in dem er seine Bewunderung für das Buch und ihre künstlerische Arbeit ausdrückte. Norton lud Goossens daraufhin in ihre Wohnung in der Brougham Street in Kings Cross ein, die in der Nähe der Übungsräume der Australischen Fernsehkommission gelegen war, wo Goossens ab und zu arbeitete. Er erzählte Norton, dass er ihre authentische Herangehensweise an das Heidnische bewunderte, und es begann sich eine Freundschaft zwischen den beiden zu entwickeln. Goossens wurde in Folge dessen eingeladen, Mitglied der kleinen magischen Gruppe zu werden, die sich in bestimmten Abständen in Nortons Wohnung traf, um magischen Ideen zu besprechen und Rituale zu vollziehen, in denen sie Pan heiligten.

Goossens Beziehung zu Norton entwickelte schnell eine sexuelle Intensität. Als Goossens Dirigentenarbeit ihn nach Sydney führte, schrieb er ihr detaillierte Briefe über ihre Rituale und okkulte Paraphernalien, in denen er nach einer intimen magischen Beziehung zu Norton suchte. Er schrieb: „Aus vielen Gründen brauche ich Deine physische Präsenz so sehr. Wir müssen viele Rituale durchführen und uns anderen magischen Dingen hingeben.“29 Leider waren es genau diese aus Europa nach Australien eingeführten „okkulten Paraphernalien“ und anderen verbotenen Artikel, die sich später als der Grund für den Niedergang und die Zerstörung von Goossens beruflicher Karriere und seiner magischen Beziehung zu Norton und Greenlees erweisen sollten.

Am 9. März 1956 wurde Goossens nach seiner Rückkehr von London nach Australien von Zollbeamten am Mascot Airport von Sydney festgenommen. Der Zoll entdeckte, dass Goossens über 800 erotische Fotos, eine Filmrolle, eine Anzahl ritueller Masken, sowie Weihrauchstäbchen mit sich führte. Er wurde nach Abschnitt 233 der Zollverordnung offiziell angeklagt, nach welcher der Besitz oder die Einfuhr „blasphemischer, unanständiger oder obszöner Werke oder Artikel“ verboten war.


Goossens in Haft

J.M. McCauley, Bepfründeter Richter am Gericht für Bagatelldelikte von Martin Place, lud Goosens Verteidiger zusammen mit dem eingeschriebenen Anwalt der Krone Jack Shand, der als Rechtsberater des Komponisten fungierte, vor. Der Dirigent selbst erschien nicht zu den Gerichtsanhörungen, doch er wurde für „schuldig“ befunden und zu einer Höchststrafe von 100 Pfund verurteilt. Kurz danach trat Goossens von seinen Posten am Konservatorium von New South Wales und dem Sydney Symphony Orchestra zurück und beendete damit sowohl seine Karriere als international bekannter Dirigent, als auch seine persönliche Beziehung zu Norton und Greenlees. Nachdem er Australien über den Mascot Airport wieder verlassen hatte, veröffentlichten Goossens Anwälte eine Verlautbarung, in dem die folgenden Worte Goossens zitiert wurden: „Es ist mein Unglück, dass ich es zuließ, mich nach andauernden Drohungen gegen meine Person für die Einfuhr verbotener Dinge in dieses Land missbrauchen zu lassen und andere Menschen in diese Angelegenheit mit hineinzuziehen.“ Im Rückblick auf diese Ereignisse ist es klar, dass diese Verlautbarung sowohl naiv und irreführend, als auch ein deutlicher Versuch war, die Schuld für Goossens Niedergang auf Norton und ihren okkulten Zirkel zu schieben. Wie wir noch sehen werden, war Goossens ein williges und enthusiastisches Mitglied von Nortons Zirkel und hatte ihr sogar angeboten, sie in die „schwarzmagischen Techniken“ einzuweihen, die mit der Goetia in Zusammenhang standen. Den Abschriften eines Interviews zufolge, das Bert Trevenar, Beamter der Sittenpolizei, im Juni 1999 gab, versuchte Goossens sogar Musiker des Sydney Symphony Orchestra für Nortons Zirkel zu rekrutieren.30 Dennoch war Goossens Fall in Ungnade äußerst unglücklich und die Folgen für seine musikalische Karriere sowohl gravierend als auch unbeabsichtigt. Goossens Beteiligung an sexualmagischen Praktiken mit Norton und Gavin Greenlees wird in allen Einzelheiten in einem späteren Kapitel besprochen.

Einige Monate vor der Festnahme von Sir Eugene Goossens am Mascot Airport von Sydney wurde Greenlees in das Krankenhaus von Callan Park in Rozelle, einem Vorort von Sydney, eingeliefert. Einzelheiten zu Greenlees‘ Gesundheitszustand wurden während der Anhörungen zu den Honer/​Ager-Obszönitätsanklagen am Gericht von Darlinghurst an Richter Clegg weitergeleitet. Einem Befund zufolge, der von Dr. S.G. Sands, dem Medizinischen Leiter des Callan Park Krankenhauses angefertigt worden war, war Greenlees als Schizophrenie-Patient behandelt worden, der von Stimmen halluzinierte, die ihn ständig quälen und lächerlich machen würden. Dr. Sands zufolge war Greenlees „von Sex besessen“ und „wollte der realen Welt entfliehen.“ Er setzte sich mit Büchern in eine Ecke seines Zimmers und „konnte nur durch beharrliches Anstoßen zu irgendeiner Reaktion gebracht werden.“ Dennoch aber markierte Greenlees gesundheitlicher Niedergang nicht das Ende seiner Beziehung zu Norton. Sie unterstützte ihn weiterhin, und zwar auf emotionale und mütterliche Weise, so wie sie es seit Beginn ihrer Beziehung getan hatte; auch besuchte sie ihn regelmäßig im Krankenhaus von Callan Park, brachte ihm Bücher und zeigte ihm Zeichnungen und Skizzen, die sie kürzlich vollendet hatte. An zugewiesenen Ausgangstagen war es Greenlees erlaubt, Norton in Kings Cross zu besuchen. Sie blieb sein wertvollster Kontakt mit der Außenwelt, und sie unterhielten einen regulären Austausch während der gesamten langen Zeit, in der Greenlees sich in medizinischer Obhut befand Erst im Jahre 1983, fast vier Jahre nach Nortons Tod, wurde er vollständig entlassen.

Rosaleen Norton

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