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Denim and Leather - Saxon

Etwas verloren stehen wir auf dem Schulhof herum und schauen den anderen Schülern aller Altersstufen zu, wie sie durch die Breche in der flachen Mauer, die unsere Schule umgibt, dem wohlverdienten Feierabend entgegen eilen. Die Schule ist auch für uns vorbei, aber aus unerfreulichem Anlass müssen wir heute länger bleiben.

„Schau mal! Da kommt Jana.“, unkt Robert und boxt mich mit einem hämischen Grinsen in die Schulter.

Ich wage einen verstohlenen Blick zum Tor hinüber. Die strahlende Nachmittagssonne lässt ihre roten Haare überirdisch glänzen, die modische Kunstlederjacke mit den Schulterpolstern unterstreicht ihre Wespentaille vorteilhaft und selbst die albernen Karottenjeans, natürlich aus Westproduktion, können ihrem elfengleichen Äußeren nichts anhaben. Die Grazie, mit der sie sich durch die Haare streicht, bringt mein Herz für einen Moment beinahe zum Aussetzen.

„Das ist ja nicht mit anzusehen.“, höre ich Roberts Stimme wie aus weiter Ferne. „Gleich fängt er an zu sabbern.“

In diesem Moment fährt ein Motorrad vor und hält neben Jana Gebauer. Sie schnappt sich den ihr dargebotenen Helm, stülpt ihn über den Kopf und hebt in einer vollendeten Bewegung ihr linkes Bein über den Motorradsattel. Ihre Arme umschlingen den Oberkörper des Motorradfahrers, dessen Gesicht durch das Visier des Integralhelms verdeckt wird und fort sind sie mit lautem Geknatter.

„Mann, das war eine 250er.“, höre ich Olaf stöhnen.

„Der Typ ist mindestens 18.“, stellt Sirko nüchtern fest.

„Das ist eine harte Nuss.“, kommentiert Olaf.

„Auf jeden Fall ist es nicht Falk.“, versucht Robert mich aufzumuntern, was ihm aber nur ansatzweise gelingt. Zu tief sitzt der Schock, meine Angebetete mit einer solchen Konkurrenz abzwitschern zu sehen.

„Etwas Gutes hat die Situation aber auch.“, analysiert Sirko pragmatisch. „Er muss bald zur Fahne, dann ist der Weg für Tilo frei.“

„Woher willst du das wissen?“, hakt Olaf skeptisch nach.

„Er wird nicht viel älter sein als 18, das heißt, er hat die Armeezeit noch vor sich.“, führt Sirko seine Überlegungen aus. „Und hast du schon mal von einer Beziehung gehört, die drei Jahre NVA überlebt hat?“

Stillschweigend muss ich ihm recht geben, aber Robert findet schon wieder ein Haar in der Suppe. „Dann sollte sich Tilo aber mal ranhalten. In zwei Jahren muss er auch ran. Je länger es mit Jana dauert, umso kürzer wird dann die Beziehungskiste.“

„Oder er wartet gleich bis nach der Fahne, dann können sie ein ganzes Leben gemeinsam planen.“, sülzt Olaf mit anzüglichem Grinsen herum.

„Ihr könnt mich mal.“, knurre ich und drehe mich weg, nur um genau in das sauertöpfige Gesicht meines kleinen Bruders zu blicken. Er stapft mit zwei Freunden grußlos an mir vorbei.

„Was ist denn los?“, rufe ich ihm zu. So kenne ich ihn gar nicht.

Es macht zunächst den Eindruck, als würde er mich tatsächlich ignorieren. Dann bleibt er doch noch stehen, dreht sich zu mir um, und schreit: „Was los ist? Nur weil du einen auf Rocker machen musst, kann ich jetzt mit der Straßenbahn nach Hause fahren. Hast du dir mal überlegt, was dieses beschissene Elterngespräch für mich bedeutet? Und alle in der Klasse nennen mich den Bruder eines Klassenfeindes.“ Pikiert schaut er seine beiden Freunde an. „Naja, fast alle. Schöne Familie habe ich da.“ Wäre er etwas älter, würde er jetzt sicher zum Zeichen seiner Verachtung vor mir auf den Boden spucken. So belässt er es dabei, mir die Zunge herauszustrecken, dann dreht er sich um und zieht seine Kumpels vom Schulhof.

„Klassenfeind! Wir basteln schon an unserem Mythos, bevor wir überhaupt das erste Mal Musik gemacht haben.“, stellt Robert mit Genugtuung fest.

„Findet ihr aber nicht auch, dass die total übertreiben?“, meint Olaf mit ernster Miene. „Ich meine, wozu ein Elterngespräch, nur weil wir Klamotten tragen, die wir cool finden?“

„Weil sie nicht der Vorstellung der Partei entsprechen. Uniformität ist erwünscht, nicht Individualität.“, klärt uns Sirko auf.

„Geht es noch gebildeter?“ Robert guckt ihn scheel an.

Sirko zuckt die Schultern. „Wir sehen anders aus, als sie es wollen und darum halten sie uns für gefährlich.“

Ein begeisterter Glanz tritt in Roberts Augen. „Genau das ist Heavy Metal.“, ruft er und reckt die Faust in die Luft. „Leute, ich habe eine Idee.“

„Oha.“, entfährt es Olaf. Auch mir schwant nichts Gutes. In den letzten neun Jahren ist es selten vorgekommen, dass sich eine von Roberts Ideen als brauchbar erwiesen hat. Trotzdem sind wir immer wieder darauf eingestiegen.

„Wir schließen einen Pakt.“, breitet Robert seinen spontanten Plan vor uns aus. „Keiner schneidet sich mehr die Haare.“

Wir überlegen kurz, dann nicken Sirko, Olaf und ich einvernehmlich.

„Außerdem werden wir ganz gezielt gegen die Normen dieser spießigen Gesellschaft verstoßen.“

Sirko hebt erschrocken die Augenbrauen. Seine Reaktion ist nachvollziehbar angesichts der Tatsache, dass er die Chance haben könnte, doch noch das Abitur zu machen, wenn er sich als wertvolles Mitglied des sozialistischen Kollektivs erweist.

„Keine Disziplinarsachen.“, schränkt Robert seinen Vorschlag sofort ein. „Ihr habt es gehört, die Kästner hat Tilo und mich sowieso auf dem Kieker.“ Wir nicken zustimmend. „Nur kleine Provokationen und ein gesundes Rebellentum.“

„Und wie soll das genau aussehen?“, fragt Olaf unsicher nach.

„Das wird sich in den Situationen schon von selbst ergeben.“, gibt sich Robert optimistisch. „Irgendwas wird uns schon einfallen.“

„Unsere Klamotten sind auf jeden Fall ein guter Anfang.“, findet Sirko und schaut stolz an seinem Jeansoutfit herunter.

„Klar, aber das kann erst ein Anfang sein.“, meint Robert und zupft an seiner durch Ärmelabschneiden entstandenen Jeansweste herum. „Wir brauchen definitiv mehr Leder.“

„Da sagst du was.“, erwidert Olaf lachend. „Als ob das so einfach wäre.“

Robert betrachtet unseren wohlbeleibten Freund und legt dabei den Kopf schräg. „Naja, bei dir brauchen wir auf jeden Fall etwas mehr Material.“

„So schwer kann es auch wieder nicht sein.“, halte ich dagegen, bevor die Situation in Streit ausarten kann. Seine Leibesfülle ist einer von Olafs wunden Punkten. „In Gera auf dem Konzert gab es viele Lederhosen und sogar Westen.“

„Stimmt!“, gibt mir Robert recht. „Das muss eine unserer Prioritäten sein.“ Er zieht die Stirn kraus und guckt uns irritiert an. „Ist was?“

„Was war das eben für ein Wort aus deinem Mund?“, zieht ihn Sirko auf.

„Ach, meinst du, dass du der Einzige bist, der Fremdwörter kennt, oder was?“, kontert Robert aufgekratzt. Sirko macht eine beruhigende Geste, die Robert milder stimmt. „Jedenfalls sollte sich jeder von uns umhören, wo man Lederklamotten herbekommt. Das ist ein absolutes Muss!“

„Ja, und wir sollten uns in der Öffentlichkeit nur noch bei unseren Spitznamen rufen.“, schlägt Olaf vor. Drei verständnislose Gesichter wenden sich ihm zu. „Wegen dem Wiedererkennungswert.“, erklärt er uns. „Das hab ich im Neuen Leben gelesen. Das machen alle großen Bands so. Olafs, Roberts, Tilos und Sirkos gibt es schließlich wie Sand am Meer, aber Motte, Klatsche und Speedy bringt man sofort mit Mars in Verbindung.“ Seine Augen leuchten im Angesicht seiner glorreichen Idee.

„Und was ist mit mir?“, meldet sich Sirko belämmert zu Wort. „Hab ich überhaupt einen Spitznamen?“

„Ach, da findet sich schon noch einer.“, entgegnet Robert nonchalant und schlägt ihm auf die Schulter.

„Aber erstmal müssen wir den Anschiss überstehen.“, murmelt Olaf unbehaglich und deutet auf das Schulhoftor, durch das sein missmutig dreinschauender Vater mit Sirkos Mutter gestapft kommt.

„Die Kästner wird uns ordentlich grillen.“

„Was soll's.“, versucht sich Robert in einem letzten Hauch von Aufbegehren. „Sie kann uns nichts. Wir sind schließlich Mars, der Kriegsgott!“

„Mann, bin ich froh, dass meine Eltern gestern Abend noch bei Freunden eingeladen waren.“, stöhnt Olaf, als wir am nächsten Nachmittag endlich allein im Musikraum der Schule stehen.

„Bin ich froh, dass wir überhaupt hier sein können.“, strahlt Robert und betastet die wenigen Instrumente, die in dem kahlen Raum herumstehen mit glänzenden Augen.

„Hätte ich nicht gedacht, so wie das Gespräch angefangen hat.“, wirft Sirko ein.

„Ich dachte, die schmeißen uns von der Schule.“, fasse ich meinen Eindruck vom Beginn des Elterngesprächs zusammen.

„Immer der Optimist, was?“, zieht mich Robert auf. „Als ob schonmal jemand wegen ungebührlicher Kleidung von der Schule geflogen wäre. Die wollten uns nur einen Schuss vor den Bug verpassen, damit wir wieder auf den Weg der Tugend zurückfinden.“ Ein empörtes Schnauben unterrichtet uns davon, was er von dieser Taktik hält.

Ich bin froh, dass wir endlich die Zeit finden, über das Gespräch mit der Pionierleiterin und unseren Eltern zu reden. Gestern sind wir alle von unseren ernst dreinblickenden Eltern aus der Schule abgeführt und nach Hause verfrachtet worden und heute Vormittag waren wir ständig von unseren Klassenkameraden umringt, die sensationsgeil darauf aus waren, die schmutzigen Details unserer Vorladung aus erster Hand zu erfahren.

„Was ist eigentlich passiert?“, fragt Olaf, der genau wie ich es offenbar nicht fassen kann, dass wir lediglich mit einer Ermahnung, uns mehr um die Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit zu bemühen, davongekommen waren.

Sirko zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Meine Eltern müssen mal ganz schlimme Finger gewesen sein und irgendwas mit der Kästner angestellt haben als sie jung waren.“

„Kannst du dir das vorstellen?“, rufe ich bei der Erinnerung an Herrn Kowalskis angeregtes Geplauder mit unserer Pionierleiterin beinahe begeistert. „Dein Vater mit schulterlangen Haaren und die Kästner nur im BH auf einem Konzert?“ Ich lache hysterisch auf.

„Das will ich mir lieber nicht vorstellen.“, brummelt Robert und verzieht sein Gesicht angewidert.

„Gab es damals auch schon Heavy Metal?“, fragt Olaf, der wieder mal etwas langsamer von Begriff ist.

„Quatsch. Das war die Zeit der Hippies.“, klärt Sirko ihn auf. „Meine Eltern haben ein paar wirklich komische Fotos aus ihrer Jugend. Sie haben die ganze Zeit die Beatles und die Stones gehört.“

„Waren ja richtige Rebellen.“, werfe ich anerkennend ein.

„Klar, und die Kästner auch.“, kontert Robert mit sarkastischem Unterton.

„Ist doch egal.“, versucht Olaf die Wogen zu glätten. „Sirkos Vater hat uns rausgehauen. Sie sind so sehr in alten Kamellen geschwelgt, dass die Kästner uns beinahe vergessen hätte. Und jetzt können wir hier Musik machen.“

„Wenn das mal kein böses Erwachen gibt.“, murmelt Sirko und blickt sich unsicher um.

„Du willst doch jetzt nicht kneifen, oder?“, fragt Robert lauernd.

„Dazu ist es sowieso zu spät.“, stellt Sirko schicksalsergeben fest. „Inzwischen weiß die ganze Schule, dass wir eine Metal-Band gegründet haben.“

„Ich frage mich, woher dieses Gerücht kommt.“, sage ich halb scherzhaft, auch wenn ich mir wirklich nicht erklären kann, wie unser bisher geheimer Plan so schnell die Runde machen konnte. Instinktiv schauen wir alle drei zu Robert, der plötzlich eindringlich die Pauke des kleinen Schlagzeugs, das in einer Ecke des Raums vor sich hinstaubt, inspiziert. „Das ist sicher ganz brauchbar, was meinst du, Motte?“

Olaf tut ihm den Gefallen des Themenwechsels und schlendert hinüber. Er klopft ein paar Mal auf der Pauke, der Trommel und den beiden Becken herum. „Klar, da lässt sich was draus machen. Wir wollen ja auch keine musikalischen Gipfel erklimmen.“

„Warum nicht?“, fragt Robert mit völligem Ernst.

„Wir machen Heavy Metal.“, erwidert Olaf gelassen. „Das muss vor allem laut sein.“

„Oje. Da muss ich wohl noch einige Aufklärungsarbeit leisten.“, stöhnt Robert und reibt sich die Schläfen. „Wusstet Ihr, dass die klassische Musik einen großen Einfluss auf die ersten Metal-Bands ausgeübt hat?“

„Nein!“, stellt Sirko pauschal für uns drei Hinterwäldler fest. „Aber ich denke, die Theoriestunde sollten wir uns für später aufheben. Erstmal brauchen wir gescheite Instrumente.“

Ich greife mir eine der drei Gitarren, die in einem Ständer an der Wand lehnen. Eine Saite ist gerissen, aber der Corpus scheint noch in Takt zu sein. „Das ist jetzt nicht gerade das gigantischste Material.“, kommentiere ich meinen Fund.

„Für Metal völlig ungeeignet.“, stellt Robert kopfschüttelnd fest.

„Hey, guckt mal!“, ruft Sirko plötzlich aufgeregt. Er kramt in einer Ecke herum und zieht einen großen braunen Kasten hervor.

„Was is'n das?“, fragt Olaf neugierig.

„Mann, ein Verstärker!“, ruft Robert begeistert. „Was sucht der denn hier?“

„Sieht schon echt alt aus.“, erklärt Sirko mit Kennerblick. Schließlich ist sein Vater Elektriker, da muss er sowas wissen. „Aber den kann mein Vater bestimmt wieder hinkriegen.“

„Fehlen uns also nur noch ordentliche Instrumente.“, stelle ich lakonisch fest.

Robert rauft sich die Haare. „Scheiße, ist diese Schule beschissen ausgestattet, oder was? Hier gibt es ja gar nichts. Wie soll man denn da eine gescheite Band aufmachen?“

„Habt ihr eigentlich schonmal darüber nachgedacht, was wir machen wollen, wenn wir spielen gelernt haben?“, streue ich weiteres Salz in die Wunde.

Die drei schauen mich verwirrt an.

„Wir haben keine Spielberechtigung.“, benenne ich das Problem.

„Spielberechtigung?“, fragt Olaf ungläubig.

„Ja, die brauchst du, um überhaupt auftreten zu dürfen.“, erläutert ihm Robert das Prozedere. „Die werden zentral vergeben. So eine Kommission hört sich deine Songs an und stuft dich dann ein. Davon hängt die Gage ab, die du kriegst.“

„Als Schülerband haben wir es da aber leichter.“, versucht Sirko, uns Mut zu machen. „Die Kästner wird sich darum kümmern, dass wir kostenlos bei Feiern auftreten dürfen. Schwierig wird es erst nächstes Jahr, wenn wir nicht mehr in der Schule sind.“

„Das heißt, bis dahin müssen wir uns einen Ruf erspielt haben.“, stellt Robert nüchtern fest. Trotz der flapsigen Art, mit der er das sagt, wirkt dieser Ausspruch doch wie eine Initialzündung auf uns. Wir spüren plötzlich den Drang, uns zu beweisen und allen da draußen zu zeigen, das wir mehr sind als nur ein paar „verirrte jugendliche Seelen auf dem Pfad der Selbstfindung“, wie es die Pionierleiterin gestern unseren Eltern so schön auseinandergesetzt hat.

„Instrumente sind also oberste Priorität.“, lege ich die Marschroute fest.

Robert streckt mir seine riesige Zunge entgegen und grinst albern.

„Irgendwelche Ideen?“, fragt Sirko in die Runde.

Eine Zeitlang ist es ungewohnt still in den heiligen Hallen der Musik. Wir grübeln vor uns hin und reiben uns Kinne, Stirn und Schläfen wund.

„Heureka!“, ruft dann ausgerechnet Olaf, der nicht unbedingt unser Schnelldenker ist. „Ich hab's!“

„Was hast du?“, fragt Sirko aufgeregt.

Olaf genießt den Augenblick ungeteilter Aufmerksamkeit für einen Moment, bevor er mit seiner Idee herausrückt. „Mein Onkel Ernst arbeitet doch beim VEB Musima in Markneukirchen. Die stellen auch Stromgitarren her. Er hat mir mal erzählt, dass sie immer wieder Instrumente aus der Qualitätskontrolle heraussortieren, die nicht den Normen entsprechen. Zu klobige Hälse, Bundstäbe, die falsch sitzen, kleine Risse im Corpus, sowas in der Art.“

„Ja, und?“, knurrt Robert unwirsch. „Wie soll uns das helfen?“

„Er hat meinem Vater mal in einer schwachen korngeschwängerten Stunde gebeichtet, dass er hin und wieder heimlich eines dieser Instrumente zur Seite packt und schwarz verkauft.“, flüstert Olaf ehrfürchtig. „Ich hab so getan, als wäre ich auf dem Sofa eingeschlafen, konnte aber alles ganz genau hören. Die Instrumente sind viel billiger, als die in den Spezialgeschäften in Leipzig oder Berlin.“

„Die können wir uns bestimmt trotzdem nicht leisten.“, winkt Robert skeptisch ab.

„Woher willst du das wissen?“, schmollt Olaf. „Ich kann ihn ja wenigstens mal fragen.“

„Und dann kriegt er mit, dass du ihn belauscht hast und redet nie wieder mit dir.“, fährt ihn Robert an.

„Da könntest du recht haben.“, stimmt Sirko Robert zu und erntet einen bösen Blick von Olaf. „Aber Olafs Geschichte bringt mich auf eine andere Idee. Wie wäre es, wenn wir die Abteilung deines Onkels bitten, unsere Patenbrigade zu werden. Wir suchen doch sowieso eine neue.“, schlägt er vor.

„Eine Patenbrigade aus Markneukirchen?“, frage ich ungläubig und ziehe die Augenbrauen hoch.

„Warum nicht?“ Robert findet die Idee offenbar gut. „Es gibt auch eine Klasse, die hat eine Patenbrigade bei der Wismut. Das ist auch ein ganzes Stück vom Erzgebirge bis hierher.“

„Und so oft kommen die ja sowieso nicht zu Besuch. Das wäre doch ein toller Klassenausflug.“, zeigt sich auch Olaf von der Idee angetan.

„Hier in Karl-Marx-Stadt finden wir sowieso keinen mehr, der uns nimmt.“, spinnt Robert den Faden weiter. „Nachdem Kalle den halben VEB Union mit dem Feuerlöscher unter Wasser gesetzt hat, sind wir bestimmt unten durch.“

Bei der Erinnerung an unseren letzten Besuch im Betrieb der Patenbrigade brechen wir alle in Lachen aus. Kalle war eigentlich nur unglücklich gestolpert und hatte versucht, sich an dem ersten stabilen Gegenstand, der ihm unter die Finger kam, festzuhalten. Unglücklicherweise war das ein Feuerlöscher gewesen, dessen Sicherungsmechanismus nicht mehr der jüngste war. Im Handumdrehen hatte sich unter dem Druck des Löschmittels der Schlauch gelöst und war lustig in der Gegend herumgesprungen. Die halbe Klasse und mehrere Arbeiter der Patenbrigade waren völlig durchnässt worden, bevor es uns gelungen war, den Schlauch in den Griff zu bekommen. Daraufhin hatten uns die Maschinenbauer die Patenschaft kurzerhand aufgekündigt und wir waren vom Werksgelände geflogen.

„Und als kleines Patengeschenk könnten wir uns doch Gitarren wünschen. Solche, die ohnehin aus der Qualitätskontrolle gefallen sind.“, fährt Sirko fort, als wir uns wieder eingekriegt haben.

„Das könnte alle unsere Probleme lösen.“, stimmt ihm Robert begeistert zu. Und dein Vater könnte uns helfen, wenn etwas zu reparieren ist. „Kannst du deinen Onkel anrufen?“, wendet er sich an Olaf.

Der schüttelt entschuldigend den Kopf. „Mein Onkel hat kein Telefon.“

„Dann machen wir es über Frau Kästner.“, schlägt Sirko vor.

„Meinst du, die hält das für eine gute Idee?“, fragt Robert skeptisch.

„Lass mich mal machen.“, antwortet Sirko selbstbewusst.

„Und bis dahin?“, lege ich den Finger in die aktuelle Wunde. „Üben wir mit denen da?“ Ich deute abschätzig auf die halb kaputten Gitarren der Schule.

„Heute üben wir erstmal an unserem Stil, und nächstes Mal schauen wir weiter.“, gibt Robert die Marschrichtung vor und kramt in seinem Rucksack herum. Er fördert einen Kassettenrekorder hervor und stellt ihn mit spitzen Fingern auf den Tisch neben dem Klavier. „Mein KR 1. Und ich habe die Kassette aus dem Auto mitgebracht. Die Lieder kennt ihr jetzt ja.“

„Und wir machen jetzt was genau damit?“, stottert Sirko verwirrt herum.

„Luftgitarre spielen.“, ruft Robert begeistert und schüttelt seine Haare, die der Länge nach zu urteilen bestimmt schon seit einem halben Jahr keinem Friseur mehr unter die Finger gekommen sind.

Wir gucken ihn an wie Buschmänner, denen jemand vorschlägt, mit einem Hubschrauber nach Moskau zu fliegen.

„Leute, was habt ihr in eurem Leben eigentlich bisher gelernt?“, zieht Robert uns genervt auf und drückt die Abspieltaste an seinem Rekorder. „Passt auf, ich zeig's euch.“

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