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DER SÄUREMÖRDER

»Ilka?«, fragte der Telefonhörer. Als ob der Anrufer nicht glauben mochte, dass sie tatsächlich abgehoben hatte. Was die Kommissarin ernsthaft abgewogen hatte, als sie die Nummer des Anrufers erkannt hatte.

Ilka Eichner stieß genervt die Luft aus der Lunge.

»Ja-ha«, antwortete sie genervt. »Was ist denn, Jonas? Kannst du nicht gleich sagen, was du willst? Du weißt doch, dass das meine Nummer ist und da niemand sonst rangeht.«

Oberkommissar Jonas Altmann machte den Status als ihr Untergebener immer wieder durch Versuche wett, ihr als cooler, starker Typ gegenüberzutreten. Er benahm sich so, als ob sie Geheimnisse teilten.

Vielleicht brauchte sein Ego das, dachte sie. Ihr ging diese Methode, sich anzuschleimen, gewaltig auf den Keks.

»Ich dachte nur, wir könnten da zusammen hinfahren, Ilka. Liegt in der Nähe vom Treibhaus. Wir könnten dort anschließend was zusammen essen oder einen Drink zischen.«

»Wie bitte? Hast du getrunken, Jonas? Wohin? Und anschließend an was? Was willst du eigentlich? Ich dachte, du wärst im Dienst.«

Sie schnaufte. Ausgerechnet ins Treibhaus. Und vermutlich sollte sie dort mit ihm in seinem Triebwagen hinfahren, wie sie ihn kannte. Seinem fetten Siebener, bei dem sich der Beifahrersitz nicht mehr richtig nach vorn klappen ließ.

»Äh – wegen diesem Fall in der Baumbachstraße? Das ist da gleich um die Ecke, in List. Diese verschrumpelte Frau.«

»Welche verschmorte Frau? Wovon redest du?«

Altmann stutzte am Telefon. »Sag bloß, du hast davon noch nicht gehört? Sonst bist du doch immer die Erste, die alles weiß.«

»Kannst du mal zum Thema kommen, Jonas? Was ist da passiert? Um was handelt es sich? Wer hat das gemeldet? Wer ist da verschrumpelt? Fakten, bitte. Also?«

Sie hörte, wie ihr Gegenüber am Telefon schluckte.

»Warte, ich komme rüber und erstatte Bericht«, brummte er.

Die Kriminalhauptkommissarin legte auf.

»Na also. Warum nicht gleich so.«

Eine Minute später kam Altmann zur Tür herein, leicht gebückt, damit er mit seinem schwarzen Cowboyhut nicht gegen den Türrahmen stieß. Mit Hut war er locker zwei Meter und zehn hoch.

»Sorry, Ilka, ich dachte, du wärst informiert. Tut mir leid.«

Er setzte sich auf einen der beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch und legte eine Mappe vor sich auf die Tischkante.

»Also. Eine Nachbarin hatte angerufen, weil es in einer Wohnung im dritten Stock in der Baumbachstraße so merkwürdig roch, und zwar seit Tagen. Als ob da permanent was am Gammeln wäre. Sie hatte geklingelt, es war niemand da. Sie kannte die Frau, die dort wohnte. Es handelt sich um eine Luisa Heinrich, neunundzwanzig, geschieden, allein lebend, keine Kinder. In der Wohnung brannte Licht.«

Altmann schluckte.

»Sie hat dann die Kollegen gerufen. Der Hausmeister hatte einen Generalschlüssel und hat sie reingelassen. Gefahr im Verzug, ohne Bescheid.«

»Und?« Ilka Eichner sah Altmann ins Gesicht und zwinkerte nicht. Er senkte den Blick auf die Tischplatte und fuhr fort.

»Da lag eine Frau im Wohnzimmer, beziehungsweise die Reste von ihr. Vor ihr standen zwei Kanister mit Chemikalien, ein kleinerer klemmte zwischen ihren Beinen. Ein Chemieunfall. «

Er zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich.

»Die Frau war halb zersetzt, sie roch nach Müllhalde. Sie hatte da schon ein paar Tage gelegen und es sah entsprechend aus.«

Er sah auf und bemerkte ihren kritischen Blick.

»Sorry, aber war wohl so. Die Chemikalien stammen wohl aus dem Großhandel. Oder von jemand anderem, wir wissen nicht, ob dabei womöglich Fremdverschulden vorliegt.«

Er massierte sich mit dem langen Nagel des kleinen Fingers die tiefe Spalte in seinem Kinn, aus der er die Stoppeln nie richtig herausbekam.

»Sie hatte da verschiedene Mischbehälter, einen Trichter, Schläuche und ähnlichen Kram.«

Er sah wieder auf, konnte dem Blick aus ihren grauen Augen aber nicht lange standhalten.

»Ach ja, noch was. Die Frau hatte eine VR-Brille vor den Augen, die aber aus war. Vermutlich hat sie sich wegen Inaktivität abgeschaltet. Die Spurensicherung hat sie mitgenommen. Der Computer, der auf dem Schreibtisch stand, hatte sich ebenfalls abgeschaltet.«

Er schob ihr den Bericht rüber, stand auf und sah ihr in die Augen.

»Die Leiche ist jetzt freigegeben. Sollte unser Fall sein. Ich dachte, wir sollten uns das ansehen.«

Er stand auf, nahm den Cowboyhut, den er auf dem Rand des Schreibtisches abgelegt hatte, in seine Hände und hielt ihn vor seinen Schoß.

»Anschließend werden wir einen Drink gebrauchen können, dachte ich. Soll da nicht gut aussehen. Drinks gehen auf mich.«

Er sah sie wieder direkt an und hielt ihrem Blick diesmal stand.

»Also?«

Ilka Eichner stand auf und schnaubte durch die Nase. Es war Freitagnachmittag, sie hatte Dienst im Dezernat elf und war somit verantwortlich. Lust auf eine gammelige Tote hatte sie nicht. Sie seufzte.

»Na gut, Jonas. Wir sehen uns das mal an. Wir nehmen meinen Wagen, ich setze dich dann an deiner Kneipe ab. Ich treffe nachher noch jemanden.«

Dass sie ein Date mit ihrer Schwester hatte, musste sie ihm nicht auf die Nase binden.

Sie schnappte sich den Ordner und gab ihn zurück. »Du kannst mir das unterwegs im Auto vorlesen. Ist die Spusi noch vor Ort? Wer von denen war dort? Ich will das alles wissen, wenn wir da sind.«

Auf dem Weg zum Auto lag ihr etwas auf der Zunge. Da war etwas gewesen. Richtig, sie hatte es.

In Salzburg hatte vor Kurzem ein Mann vor Gericht gestanden. Er hatte ein Preisausschreiben gestartet. Eine der zu lösenden Aufgaben war es gewesen, herauszufinden, wenn man sich Säuren in verschiedenen Konzentrationen auf den Körper applizierte.

Die anderen Aufgaben waren harmlos gewesen. Für die Frauen hatte es so ausgesehen, als ob sie leicht an einen Gewinn kommen würden. Hauptpreis war ein Mercedes 500 gewesen. Angeblich.

Der Mann hatte auf Youtube überzeugend gewirkt; insgesamt war er in vier Fällen angeklagt und später verurteilt worden, sieben weitere Versuche waren bekannt geworden. Gestorben war zwar niemand, in einigen Fällen hatte jedoch nicht viel gefehlt.

Der Mann war aktenkundig, sein Pseudonym auch.

Sie wandte sich an ihren Kollegen.

»Hör zu, es gab einen anderen Fall vom letzten November. Ein Mann hat sich als Fernsehmann des österreichischen Fernsehens ausgegeben. Er hat über Youtube ein Preisausschreiben gestartet, bei dem man etwas gewinnen konnte, wenn man mehr über den eigenen Körper herausfand. Seine Opfer sind ihm blindlings gefolgt, der muss sehr überzeugend gewesen sein.«

Sie waren beim Auto angekommen. Ilka war froh, dass ihr das eingefallen war. Wissen und Intuition, damit hatte sie schon viele Fälle lösen können.

»Besorg dir mal die Infos aus Salzburg. Frag dich notfalls durch, noch vom Auto aus. Falls wir hier einen Trittbrettfahrer haben, müssen wir alles über den Fall wissen.«

Sie selbst hatte über den Fall aus der Presse und über Twitter und Facebook erfahren. Während ihr Kollege telefonierte, stellte sie sich vor, wie diese Berichte auf andere männliche Sadisten gewirkt haben mussten.

Aha, da gab es Frauen, die sich zu so etwas überreden ließen, zu Hunderten. Sie wunderte sich gleich, dass es nicht noch mehr Nachahmer gegeben hatte, so etwas zog diese Leute an wie Scheiße die Fliegen.

Halt, sagte sie sich. Du hast das bereits eingegrenzt, auf männliche Sadisten. Das machte zwar Sinn, die einzige Möglichkeit war es aber nicht. Was, wenn eine andere Frau dahintersteckte, die sich das Wissen um den angeblichen Quizmaster aus Salzburg zu Nutze machte und damit die Kripo ablenken wollte?

Sie sah hinüber zu Jonas Altmann. Gerade solche Macho-Typen hatten oft Minderwertigkeitskomplexe, die sie kompensieren wollten. Mit Cowboyhüten zum Beispiel. Mit einer Waffe, die sie legal tragen durften. Viele Polizisten waren nur zur Truppe gestoßen, weil sie endlich mal Macht haben wollten.

Sie selbst war schon mal von einem ehemaligen Klassenkameraden gestoppt worden, der nach der Realschule zur Polizei gegangen war, während sie noch studierte; der hatte sie bei einer Verkehrskontrolle gestoppt und ihr zehn Euro Strafe aufgebrummt, weil sie angeblich zu schnell gefahren war. Er hatte sie mit Frau Eichner angesprochen und auf ihr Kalle gar nicht reagiert.

Kalle war immer der schlechteste in der Klasse gewesen und hatte wegen seiner Pickel nie Chancen bei den Mädels gehabt.

Ihr Kollege mit dem Hut hatte studiert wie sie, in Hildesheim. War er auch so einer wie Kalle, im Herzen?

Altmann kompensierte das mit Frauengeschichten, wie sie gehört hatte. Wenn keine Frauen in der Nähe waren, prahlte er mit seinen Eroberungen. Er war auf seine Weise attraktiv, er war groß und sportlich und sah männlich aus, bestimmt kriegte er damit viele rum.

Aber warum blieb er dann nicht bei einer? Warum musste er sich immer wieder beweisen, mit immer neuen Frauen? War das seine Droge?

Altmann hatte gerade aufgelegt.

»Warum quälen Männer Frauen, Jonas? Kannst du mir das sagen?«, fragte sie ihn direkt.

»Ist das eine Art Rache?«

Er lachte. »Die quälen sich selbst, wenn sie einer nicht mehr erträgt und sie sitzen lässt«, grinste er. Dann wurde er wieder ernst und sah sie schräg von der Seite an.

»Du meinst diesen Fall und den Mann in Salzburg, nicht?«

Er legte den Kopf nach hinten an die Kopfstütze, wobei ihm sein Hut in den Schoß fiel. Er ließ ihn liegen.

»Tja. Macht über andere, das passt eher als Rache, finde ich. Nach den Akten hat der Typ es genossen, dass die Frauen ihm gefolgt sind und sich selbst weh getan haben, mit Säuren, wieder und wieder, auch wenn es sehr schmerzhaft war. Einige sind dabei bewusstlos geworden, für Stunden. Beim nächsten sogenannten Quiz über Youtube haben sie es dann trotzdem wieder gemacht.«

Er rutschte nach unten und setzte sich den Hut wieder auf. »Ich mache mir eher Gedanken über diese Frauen. Warum machen die das? Das weiß doch jeder, dass Säure gefährlich ist. Der hat die an ihrer Wertschätzung gepackt, denke ich. Die hätten etwas im Quiz gewinnen können, das hat sie heiß gemacht. Sie hatten eine tolle Chance, etwas zu gewinnen. Das und die Neugier, oder?«

Er sah sie wieder an, Ilka sah auf die Straße vor sich.

»Wir haben doch alle schon mal an uns rumprobiert, oder? Uns ausgetestet, wie weit man gehen kann, ob etwas weh tut, ob man das aushält. Wir machen Mutproben mit, als Kinder, auch dabei kann man sich verletzen oder sterben, hatten wir doch oft genug, oder Ilka?«

Sie sah ihn mit einem Seitenblick an. »Und?«

»Die Frauen hatten eine Chance, Geld zu gewinnen. Und ihre Grenzen auszutesten. Eine Mischung, die zusammen mit überzeugenden Worten wohl immer gezogen hat. Und nach Fifty Shades of Grey kommt Masochismus ja bei Frauen auch ganz gut an, soweit ich weiß.«

Er lehnte sich zufrieden zurück und nahm seinen Hut wieder ab.

»Okay, das erklärt vielleicht die Bereitschaft der Frauen, sich so etwas auszusetzen, obwohl ich das sehr beunruhigend finde«, gestand Ilka.

»Wir suchen aber keine Opfer, Jonas, wir suchen den Täter. Macht, sagst du, ein Trick, die Leichtgläubigkeit der Frauen auszunutzen, damit sie tun, was man ihnen sagt, und sich dabei verletzen. Das allein kann es nicht sein. Da gehört noch mehr dazu. Sadismus. Der Wunsch zu verletzen, zu quälen. Aber warum will jemand Frauen quälen? Was sagst du als erfahrener Mann dazu?«

Jonas sah sie gequält an, nahm den Cowboyhut wieder ab und biss fragend in die Krempe. Er dachte einen Moment nach.

»Du musst da vorne abbiegen«, empfahl er Ilka.

»Weiß ich. Lenk nicht ab.«

Jonas beugte sich vor und stülpte sich sein wichtiges Bekleidungsstück wieder auf.

»Du hast vorhin Rache erwähnt. Wegen Zurückweisungen, würde mir dazu einfallen. Enttäuschte Liebe. Wenn du den alten Freud bemühen willst, die Strafe dafür, dass die Mutter den Sohn verlassen hat. Ihn aus dem Haus gejagt hat. Dafür, dass die Frauen den Männern nicht geben können, was sie wollen. Dass sie selbst zu viel von den Männern wollen und nicht bereit sind, sich unterzuordnen. Dass sie einen eigenen Willen haben und ihre eigenen Interessen über die der Männer stellen, so was in der Art. Das würde dazu passen, dass der Täter seinen Opfern seinen Willen aufzwingen will. Dass er sie zu etwas bringt, was sie eigentlich nicht wollen können.«

Er lehnte sich wieder zurück.

»Ich weiß auch nicht. Ist doch alles Scheiße, was diese Perversen im Kopf haben.«

Ilka brachte den Passat zum Stehen und griente ihren Beifahrer spöttisch an. »Sehr aufschlussreich, Jonas. Schauen wir uns das Opfer mal an.«

Die Tote hatte im vierten Stock gewohnt. Unten am Hauseingang stand ein Kollege, der nur die Anwohner durchließ, vor ihm standen zwei Pressevertreter, die ins Haus wollten.

»Sorry, das sind laufende Ermittlungen. Da kommt die Hauptkommissarin, fragen Sie die doch.«

Ilka funkelte den Streifenpolizisten an und wandte sich an die Reporter.

»Sorry, ich bin hier gerade erst angekommen. Sobald ich wieder raus bin, kann ich Ihnen gern Auskunft erteilen. Setzen Sie sich am besten in Ihre Fahrzeuge, es ist kalt draußen, und Sie halten den Anwohnerverkehr auf. Danke.«

Schon im Treppenhaus konnten sie riechen, was die Beamten gemeint hatten. Es roch nach vergammeltem Braten, der ein paar Tage zu lange im eigenen Saft im Backofen gestanden und zu stinken angefangen hatte, mit einer Note von verwesendem Fleisch. Altmann hielt sich die Nase zu.

In der Wohnung, in der es bestialisch ätzend stank, saß eine Frau von der Spurensicherung, die Ilka kannte. Kirsten Warnecke, die aber nicht sie, sondern den Cowboy neben ihr ansah.

»Hi, Johnny«, begrüßte sie ihn, bevor sie Ilka wahrnahm. »Hallo, Ilka. Gut, dass ihr kommt.«

Ilka sah sich um. Bevor sie etwas fragen oder sagen würde, wollte sie sich selbst einen Eindruck verschaffen und im Geist durchspielen, was hier passiert war.

Die Spurensicherung war fertig, wie sie an den zahlreichen Markierungen feststellen konnte. Auf dem Küchentisch, hinter dem Kirsten Warnecke saß, lag ein Bericht des Amtsarztes, Warnecke selbst tippte ihren in einen Laptop, wobei sie ab und an ins Wohnzimmer spähte, wo die Tote in ihrem Kreideumriss lag.

»Die Leiche wird in einer halben Stunde abgeholt und zur Rechtsmedizin gebracht«, informierte sie die Kommissarin. »Die Wohnung haben wir für weitere vierundzwanzig Stunden gesperrt, bis der Tatortreiniger kommt.«

Ilka trat ins Wohnzimmer, Jonas Altmann im Schlepp. Der Geruch war gerade noch zu ertragen. Altmann empfand das wohl anders; er eilte ins Bad und schloss die Tür hinter sich, Ilka hörte ihn trotzdem stöhnen.

Gut so, dachte sie, die Mimose lenkt mich sowieso eher ab.

Sie sah sich die Tote an.

Die Frau war splitternackt, ihre Sachen hatte sie auf einem Stuhl abgelegt und über die Lehne gehängt.

Sie lag auf einer Art Zeltplane. Das sollte wohl die Flüssigkeiten daran hindern, in das darunterliegende Parkett einzusickern.

Die Leiche sah unförmig und fleckig aus. Dunkle Leichenflecken wechselten sich mit anderen Flecken ab, vor allem an Bauch und Brust und im Bereich des Unterkörpers. Die Haut dort war aufgeworfen, blasig und knallrot.

Die Frau musste hübsch gewesen sein, dachte Ilka. Sie hatte lange, blonde Haare, die jetzt auf dem Teppich ausgebreitet lagen. Ihr Gesicht sah ebenmäßig aus. Wo jetzt die Maden verschiedener Fliegenarten krabbelten, waren einmal rote Lippen und braune Augen gewesen.

Sie sah an die Wände und suchte dort und auf Tischen und Schränken nach Fotos der Toten. Sie fand zwei.

Die Frau war in der Tat attraktiv gewesen. Ein Foto zeigte sie im Urlaub, im Bikini.

Ilka fiel das Gesicht auf. Sie hatte große, braune Augen gehabt, eine leicht gebogene Nase und hübsche Ohren und Haare, über einer passablen Figur.

Nur der Mund passte nicht. Die Mundwinkel zeigten auf beiden Fotos nach unten, als ob die Frau permanent unzufrieden gewesen wäre, enttäuscht.

Sie wusste nichts über das Opfer, ihre Beziehungen, ihre Familie, ihr Leben. Das würde sie nach der Beschau nachholen.

Jonas kam aus dem Bad und sah sich die Tote an.

»So sehen wir auch mal aus«, neckte Ilka ihn. »Sieh schon mal genau hin, Johnny.«

»Bäh«, sagte er. »Ich nicht. Ich lasse mich sofort verbrennen. Das ist doch widerlich, oder?«

»Erkundige dich bitte nach ihrem Umfeld, Jonas. Kirsten wird dir sicher schon einiges sagen können. Namen, Alter, Familienstatus. Du weißt schon.«

Er ging aus dem Zimmer, froh, sich diese fortgeschrittene Verwesung nicht länger ansehen zu müssen.

Ilka betrachtete die Container und die anderen Dinge wie die Schläuche. Sie verbanden die Flüssigkeiten miteinander, es gab sogar einen Dreiwegehahn, mit dem die Frau wohl die Konzentration verändert hatte. Am Ende des Schlauches saß eine Art Spritze, mit einem Schild daneben und der Ziffer 14 darauf.

Neben der Spritze lag ein Handschuh. Damit hatte die Frau das alles gehandhabt. Damit sie sich die Hände nicht an der Säure verbrannte. Dass die Auswirkungen auf ihre anderen Körperteile noch viel schlimmer sein würden, hatte sie anscheinend in Kauf genommen.

Die Hand der Frau lag nach wie vor auf der Spritze.

Ilka ging zu der Spurensicherungsfrau hinüber. »Gab es da nicht noch andere Kanülen und eine Art Einlauf?«, fragte sie.

Die Frau in Weiß nickte. »Ja. Da waren Reste von Körpergewebe dran. Halb aufgelöst von der Säure. Kannst du dir in der Rechtsmedizin ansehen.«

Altmann hatte neben der Frau von der Spurensicherung Platz genommen, sehr eng an ihrer Seite. Den linken Arm hatte er auf ihrer Stuhllehne liegen. Er sah sie entschuldigend an.

»Die Frau heißt Marietta Wesemann«, berichtete er. »Sie ist siebenunddreißig, ledig, arbeitete als Bankangestellte hier in Hannover. Ihre Familie lebt in Memmingen, ist schon informiert worden. Von Freunden ist bisher nichts bekannt, das haben die Kollegen schon mit der Bank und den Kollegen abgeklärt.«

Er nickte bestätigend zu seinen eigenen Worten.

»Jonas?«

»Ja, Ilka?«

»Ich brauche alle ihre Kontakte. Soziale Netzwerke, Kollegen, Klubmitgliedschaften, Freundinnen, Nachbarn. Alles. Okay?«

Altmann nickte grimmig und nahm den Arm von der Lehne.

Ilka wandte sich an die Frau. »Was ist mit ihrem Handy? Frau Wesemann hatte doch bestimmt eines, oder?«

»Haben die Kollegen mit aufs Revier genommen.«

»Den Laptop wirst du dann mitnehmen, richtig?«, fragte sie weiter. Warnecke nickte. Ilka wandte sich an Altmann.

»Frag nach, ob das Handy geöffnet werden kann, wenn nicht, setzt jemanden darauf an, Jonas«, bat sie den großen Mann. »Jetzt gleich?«

Altmann hatte auf den Bildschirm vor Kirsten Warnecke gestarrt, als ob er die Informationen mit ihr teilen wollte. Er stand widerstrebend auf und nickte mürrisch.

Ilka hatte noch eine Frage an die Frau in Weiß. »Kann man ohnmächtig werden, für längere Zeit, wenn man sich Säure einführt?«

Die Frau nickte. »Der Schmerz schaltet alles ab. Der Schock kann durchaus zum Tode führen.«

Sie ging zurück ins Wohnzimmer, diesmal gefolgt von Altmann.

»Komm mal hier rüber«, bat sie ihn. »Zum Laptop.«

»Stell dir vor, du säßest am anderen Ende eines Chats oder Programmes, ein Spiel vielleicht, das die Frau über den Computer empfängt und über die VR-Brille sieht«, forderte sie den Cowboy auf. »Was siehst du?«

Er sah sie mit einem Ausdruck an, als ob sie ihn veräppeln wollte.

»Was ich sehe? Die Frau da? Das Mordopfer?«

»Während des Gespräches. Du bist online, die Brille ist an, ihr redet über VR. Was macht die Frau gerade?«

»Ach so. Du willst das nachstellen.«

Altmann trat hinter den Laptop und sah sich im Raum um.

»Also. Die Frau saß auf dem Sofa. Angezogen, trank einen Kaffee.«

Er zeigte auf eine leere Tasse auf dem Couchtisch.

»Sie quatschen. Der Täter erzählt ihr eins vom Pferd, kriegte sie dazu, sie auszuziehen und auf den Teppich neben das Sofa zu legen. Hat sie mit irgend etwas heißgemacht.«

Er kratzte sich seine Barthaare in der Kinnfurche. Ilka fragte sich, was passieren würde, wenn die Stoppeln dort auf der jeweils anderen Seite eindrangen. Würden sie dort Wurzeln schlagen, wenn er sie nicht alle paar Stunden abschabte?

Altmann ging in den Tätermodus über.

»Irgendwann habe ich sie so weit, dass sie bereit ist, mit Säure zu experimentieren. Ich habe ihr das Blaue vom Himmel versprochen, was passieren kann. Irgendwelche Geschichten, dass Leute durch den schockierenden PH-Wert hochintelligent geworden sind. Und dass das nur ganz schwache Säure ist. Den sie sogar noch dimmen kann, also alles auf der sicheren Seite. Und dass sie damit eine Frage lösen kann, deren Antwort sie dem Mercedes näherbringt.«

Er sah zu der Frau hinüber.

»Die Rechtsmediziner werden uns sagen, wo die Säure entlanggeflossen ist. Wenn ich mir das so ansehe, konzentrieren sich diese weißen Flecken rings um den Mund und um die Scham. Und auf den Weg dazwischen.«

Er schluckte und sah seine Vorgesetzte an. Muss ich jetzt weiterreden, entnahm sie seinem Blick.

»Und?«, fragte Ilka. »Wie weiter?«

Altmann zog die Nase hoch und schluckte erneut.

»Also, sie hat erst schwache Säuren auf sich geschüttet. Vielleicht anfangs getrunken, im Mund spürt man, ob der Körper das verträgt. Für alles andere, die Brustwarzen zum Beispiel, hat sie dann vielleicht schon höhere Dosen genommen. Weil die nicht so empfindlich sind wie die Zunge.«

Er sah sie erneut fragend an. Die Hauptkommissarin nickte ihm ermunternd zu.

»Ich nehme an, sie hat sich zum Schluss eine große Dosis eingeführt. Sich damit begossen.«

Er zog eine Grimasse.

»Ich denke mal, an die Klitoris.«

Ilka zog die Augenbrauen hoch und nickte mehrmals auffordernd.

»Ich erzähle der Frau was von einem besseren, ach was, einem phänomenalen Orgasmus, den sie dann kriegt, wenn sie sich an die Säure gewöhnt hat. Der ihr durch Mark und Bein geht. Dass sie kommt wie niemals zuvor. Dass sie das dann auch später verspürt, wenn sie mit einem Mann zusammen ist.«

»Wie kommst du darauf, Jonas?«, fragte Ilka nach.

Er sah weg von der Frau und Ilka Eichner an.

»Sie war schon etwas älter und unverheiratet. Von einem Freund ist nichts bekannt. Dabei sah sie vermutlich gar nicht mal so schlecht aus. Ich nehme an, sie hatte Probleme im Bett. Soll es ja geben.«

Ilka sah, dass er langsam errötete. Hatte er sie etwa auch im Verdacht, und es war ihm peinlich, dass es ihr peinlich sein könnte?

Sie wiegte den Kopf hin und her. »Na ja. Könnte passen. Was sagt uns das über den Mann? Du hast dich gerade in ihn hineinversetzt. Was ist er für einer? Was treibt ihn um? Was kann er, worin ist er gut, was ist sein Problem? Hat er das nötig, sich so zu befriedigen, sieht er vielleicht schlecht aus, oder hat direkt kein Glück bei Frauen? Nimm seine Rolle an und sag es mir.«

Tod eines Milliardärs

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