Читать книгу Ich wünsch dir alles Gute - Nicole Beisel - Страница 5
1. Kapitel
ОглавлениеSarah machte einen langen Spaziergang in der warmen, langsam untergehenden Abendsonne. Eigentlich hätte sie noch genug zu tun gehabt, schließlich hatte sie gerade noch ihre letzten Kartons in ihre neue Wohnung verbracht, die nur darauf warteten, wieder ausgeräumt zu werden. Sie hatte schon immer im gleichen Ort gewohnt, wenngleich sie bereits mehrere Male umgezogen war. In einer Stadt, in der alles begann, in der vieles endete und in der eventuell etwas Neues auf sie warten könnte. Der Umzug war dringend nötig gewesen. Zu lange hatte sie mit sich gehadert und schließlich doch den Schritt gewagt und sich dazu entschieden, wieder alleine zu leben.
In diesem Ort, in dem sie auch ihre gesamte Kindheit zugebracht hatte, hatte sie an diesem Abend das Bedürfnis, noch einmal in Erinnerungen zu schwelgen.
Sie lief an alle Orte, die ihr irgendwie wichtig erschienen waren in Bezug auf ihr bisheriges Leben. Sie lief zu ihrem damaligen Kindergarten, der sogar heute noch als solcher fungierte und nun anderen Kindern eine Obhut gab, deren Eltern berufstätig waren. Aber, wie Sarah wusste, war ein Kindergarten nicht nur eine Obhut, sondern ein Ort der Freude, der Kontakte und des Knüpfens von Freundschaften, die – wenn man sie gut pflegte – ein ganzes Leben lang halten konnten, vorausgesetzt, es verschlug einen im Erwachsenenalter nicht ins Ausland oder an einen anderen, weit entfernten Ort, sei es aus beruflichen Gründen oder der Liebe wegen.
Sarah blieb einen Moment lang vor dem Kindergarten stehen, der nun in frischen Farben leuchtete und mittlerweile recht modern aussah. Sie konnte durch die Fenster sehen und konnte viele bunte Bilder an den Wänden und eine kleine Leseecke entdecken. Die Leseecke hatte sich kaum verändert, die Stelle war die gleiche und noch immer konnte man es sich dort während der Lesestunde mit vielen Kissen und Wolldecken gemütlich machen. Sie und Till hatten sich immer darum bemüht, nebeneinander zu sitzen und den Erzählungen der Erzieherinnen still zu lauschen. Sarah erinnerte sich sehr gerne an diese Zeit zurück, auch wenn ihr aus dieser Zeit nicht sehr viele Erinnerungen geblieben waren. Aber an einen nicht minder schweren Streit konnte sie sich noch sehr gut erinnern.
Das war kurz vor dem Ende ihrer Kindergartenzeit, wenige Monate vor ihrer Einschulung. Heute kam es ihr wie eine Kleinigkeit vor, aber damals konnte Sarah es nicht verstehen, dass Tills selbst gemaltes Schmetterlingsbild schöner gewesen sein soll, als ihres. Zumindest war das die Bewertung der Erzieherin gewesen, dabei hatte Sarah sich mit ihrem Bild solche Mühe gegeben gehabt.
Sie war neidisch auf Till und sprach damals mehrere Tage lang kein Wort mit ihm. Bis er von sich aus wieder auf sie zukam, mit dem typischen Kinderspruch »Sind wir wieder Freunde?« Sarah hatte ihren Freund sehr lieb und der Streit hatte sie sehr traurig gemacht. Ihre Mutter hatte ihr damals erklärt, dass jeder etwas Anderes besser kann als ein Anderer. So war der Vorfall schnell wieder vergessen und beide waren sehr aufgeregt bezüglich der bevorstehenden Schulzeit.
Während der Ferien unterhielten sie sich über ihre neuen Stifte und Hefte und zeigten einander ihre tollen Schulranzen und Turnbeutel. Wie stolz sie damals gewesen waren… Wenn Sarah nun so durch die Straßen lief, konnte sie kaum glauben, wie viele Jahre das alles schon her war. Nun war sie achtundzwanzig und hatte in der Zwischenzeit viel erlebt und war ihren Weg gegangen. Trotzdem hatte sie ihren Freund Till und ihre Erinnerungen an ihn nie vergessen.
Sarah lief weiter zu der Grundschule, in die sie beide an einem sonnigen Morgen eingeschult wurden. Sie weiß noch, wie stolz beide Elternpaare auf ihre Kinder waren. Till und Sarah freuten sich zwar einerseits auf die Schule, aber andererseits merkten sie auch schnell, dass Lernen gar nicht so einfach war und dass Hausaufgaben gar keinen Spaß machten. Da die beiden in die gleiche Klasse gingen, machten sie auch ihre Hausaufgaben größtenteils gemeinsam. So machte das Ganze wenigstens halbwegs Spaß und sie konnten so noch ein wenig Zeit miteinander verbringen. Die beiden gewannen in der Schule auch einige neue Freunde, aber das Band zwischen Sarah und Till konnte niemand kappen. Als hätte die beiden schon damals etwas sehr Seltenes und Besonderes verbunden. Aber als Kind machte man sich über solche Dinge noch keine Gedanken. Man hatte einfach einen besten Freund oder eine beste Freundin und freute sich über all die gemeinsam erlebten Abenteuer.
Streit hatte es während ihrer vierjährigen Grundschulzeit nur wenig gegeben und wenn doch, dann ging es meist um die Schule oder um andere Freunde, mit denen einer von beiden plötzlich mehr Zeit verbringen wollte. Aber Sarah und Till hatten immer wieder aufs Neue zueinander gefunden. Ihre anderweitigen, neu geschlossenen Freundschaften waren nie von sehr langer Dauer gewesen. Ihre gemeinsame Zeit in der Grundschule war für beide recht erträglich gewesen. Sie machten beide gute Fortschritte und hatten nur wenige Probleme mit dem Unterricht oder den Aufgaben, die es sowohl während des Unterrichts als auch zu Hause zu lösen galt. Gemeinsam hatten sie so ziemlich alles bewältigen können. Schließlich stand der Wechsel in die weiterführende Schule bevor.
Das war die Zeit, als das Band ihrer Freundschaft langsam die ersten Risse bekommen hatte. In den darauffolgenden Jahren war einfach zu viel geschehen.
Das Ergebnis der Grundschule war der, dass Sarah und Till beide in die Realschule versetzt wurden. Allerdings besuchten sie beide nicht mehr dieselbe Klasse und hatten somit teilweise andere Aufgaben zu bewältigen. Auch waren ihre Schulzeiten nicht mehr die gleichen und so kam es, dass sie nicht mehr jeden Morgen gemeinsam zur Schule liefen, etwa weil einer der Beiden erst zur zweiten Stunde zum Unterricht erscheinen musste. Auch hatte immer mal wieder einer von beiden früher Schulschluss und musste sich somit alleine auf den Heimweg machen. Die Hausaufgaben mittags gemeinsam zu bewältigen, hatte nach einer Weile auch keinen Sinn mehr gemacht, da immer eine Klasse mit bestimmten Themen weiter war, während die andere Klasse noch das vorherige Thema durchnahm.
Trotzdem versuchten sie, sich in ihrer restlichen Freizeit so oft es ging zu sehen. Sarah war schon froh, wenn sie Till mal nach den Hausaufgaben für ein bis zwei Stunden sehen und sich mit ihm über die Schule und über andere Dinge austauschen konnte. Er fehlte ihr, und ihm ging es ähnlich. Natürlich knüpften sie innerhalb ihrer eigenen Schulklassen weitere Kontakte und Freundschaften, aber nichts kam an ihre langjährige Freundschaft heran. Bis zur sechsten Klasse konnten sie ihre restliche freie Zeit noch recht gut miteinander verbringen, aber ab der siebten Klasse wurde dies zusehends schwieriger.
Sarah lief über den Hof des großen Schulzentrums, rief sich in Erinnerung, wie überfüllt von Schülern er in den Pausen immer gewesen war, ging zu der Stelle, an der sie sich in den Pausen, soweit möglich, mit Till getroffen hatte und setzte sich dort auf die kleine Mauer, auf der sie mit Till so oft gesessen hatte. Erneut ließ sie den Blick über den leeren Hof schweifen, bevor sich in ihrem inneren Auge ein Bild von Till auftat, so, wie er damals ausgesehen hatte.