Читать книгу Ich wünsch dir alles Gute - Nicole Beisel - Страница 6
2. Kapitel
Оглавление»Hey. Na, wie läuft’s?« Das war sein Standardspruch gewesen, wenn sie sich mittags in den Pausen auf dem Schulhof trafen. »Ach, wie immer. Und bei dir?« »Auch. Was machst du denn am Wochenende? Meine Eltern wollen mit mir auf unseren Campingplatz fahren. Magst du mitkommen?«
Sarah fand, das war eine gute Idee. Sie würde nachher gleich ihre Eltern fragen, aber sicher würden sie nichts dagegen haben. »Klar. Ich geb dir dann Bescheid.«
Ihre Gespräche auf dem Schulhof waren immer ziemlich ähnlich verlaufen. Kurz und knapp, eher sachlich und allgemein gehalten. Sarah hatte gespürt, wie Till sich im Laufe der Jahre verändert hatte. Er war älter geworden, irgendwie reifer und erwachsener. Er wirkte cooler und er sah richtig gut aus.
Auch Sarah hatte sich verändert. Sie wurde weiblicher und ernster, aber sie hatte ihren besten Freund nie aus ihren Gedanken verloren. Er war ihr noch immer sehr wichtig, aber in der Zwischenzeit wusste sie nicht, ob es ihm noch genauso ging oder ob er langsam das Interesse an ihr verlor. Till war für sie noch immer ihr bester Freund, sie verbrachten lediglich weniger Zeit miteinander als vorher, was zwar sehr schade, aber nur verständlich war.
Till hingegen gingen ganz andere Gedanken durch den Kopf. Er wusste, dass ihre Freundschaft niemals ganz zerbrechen würde. Dafür kannten sie sich einfach schon zu lange. Er war sich sicher, sie beide würden immer befreundet bleiben. Auch wenn sich im Laufe der Jahre nicht nur ihre Freundschaft verändert hatte…
Sarah war sehr hübsch geworden. Ihr dunkelblondes, glattes Haar hatte sie bis zu den Schultern wachsen lassen und langsam kam sie in ein Alter, in dem Schminke und schicke Klamotten eine immer größere Rolle spielten. Außerdem war sie schlank und war in ihrer Klasse sehr beliebt. Umso erleichterter war er gewesen, dass sie den Kontakt zu ihm nie abgebrochen hatte und noch immer ihre freie Zeit mit ihm verbrachte.
Es kam tatsächlich so, dass Sarah mit Till und seinen Eltern auf deren Campingplatzfuhr, der an einem wunderschönen See lag, wo sie ein ganzes Wochenende miteinander verbrachten. Sie hatten eine schöne Zeit gehabt, hatten viel über die vergangenen Monate gesprochen und in Erinnerungen an ihre frühen Kindertage geschwelgt. Da hatte Sarah gewusst, dass sie ihren besten Freund nicht verloren hatte, sondern dass ihm ihre Freundschaft noch immer sehr wichtig gewesen war.
Sie verbrachten das Wochenende am See auf rein freundschaftlicher, aber enger Basis. Sie redeten, philosophierten, erinnerten sich an vergangene Tage und träumten von ihrer Zukunft. Auch, wenn sie viel Zeit miteinander verbracht hatten, wäre keinem der beiden jemals in den Sinn gekommen, dass sich aus ihrer derart engen und langjährigen Freundschaft mehr entwickeln könnte. Sie waren Freunde von Kindesbeinen an und wollten das auch bleiben. Natürlich war das jeweils andere Geschlecht zunehmend interessanter geworden, aber für eine Beziehung oder etwas Derartiges kannten sie sich schon viel zu lange. Außerdem war ihnen beiden die Freundschaft mit das Wichtigste in ihrem Leben und auf keinen Fall wollten sie diese zerstören.
Sarah lief weiter zu ihrem alten Wohnblock, der in der Zwischenzeit ebenfalls renoviert worden war und viel moderner wirkte, als vor vielen Jahren, als sie und Till Jugendliche waren. Die Bank, die zum dahinterliegenden Spielplatz gehörte, stand noch immer da. Sie setzte sich und schwelgte erneut in Erinnerungen, ging gedanklich zurück an diesen einen Abend bei Sonnenuntergang…
In den darauffolgenden Monaten kümmerten sie sich weiter um die Schule, trafen sich mit Freunden, aber unternahmen auch weiterhin viele gemeinsame Dinge. Ab und an fuhren sie gemeinsam an den See oder gingen ins Kino, sofern sie sich auf einen bestimmten Film einigen konnten, ohne dass einer der beiden sich langweilte. Sie saßen abends lange beisammen und erzählten sich gegenseitig von ihren aktuellen Schulleistungen, die bei beiden leicht über dem Durchschnitt gelegen hatten und erinnerten sich wieder einmal – wie so oft – an ihre gemeinsamen Erlebnisse aus ihrer Kindheit, die in der Zwischenzeit eine Ewigkeit zurück zu liegen schien. Einerseits konnten sie sich an so viele Dinge genauestens erinnern, als wäre es erst gestern gewesen, und doch erkannten sie, wie viel Zeit mittlerweile vergangen war. »Wir werden eben älter« hatte Sarah eines Abends zu Till gesagt.
»Und reifer« war Tills Antwort hierauf gewesen. Oh ja, reifer waren sie geworden. Reifer, hübscher, erwachsener.
Auch ihre Interessen hatten sich verändert. Als sie an jenem Abend bei Sonnenuntergang an dem alten Spielplatz hinter dem Haus saßen und sich schweigend in die Augen sahen, hatte sich mehr verändert, als ihnen lieb war. Sie sahen sich gegenseitig plötzlich mit anderen Augen. Sie waren nun zwei Jugendliche, die entdeckten, was es bedeutete, jemanden interessant zu finden. Jemanden hübsch oder gutaussehend zu finden.
Sich zu jemandem hingezogen zu fühlen, sich zu wünschen, man könnte die Person, der man gegenüber saß, fest in den Arm nehmen und küssen. In diesem einen Moment hatten sich sowohl Sarahs als auch Tills Gefühle verändert. Beide empfanden mehr als nur Freundschaft. Alles war anders als in den Jahren zuvor.
Sie hatten sich sehr lange schweigend in die Augen gesehen während sie beide, jeder für sich selbst im Stillen, erkannten, was gerade mit ihnen passierte. Nichts ahnend, dass der beste Freund bzw. die beste Freundin im gleichen Moment genau das gleiche empfand.
Was war nur gerade mit ihnen passiert? Niemals hätten sie das für möglich gehalten. Sie waren doch Freunde. Beste Freunde. Seit einer gefühlten Ewigkeit, bis in alle Ewigkeit. Das hatten sie sich damals geschworen, als sie Blutsbrüderschaft geschlossen hatten, auch wenn Sarah sich damals anfangs geziert hatte, als sie das Blut gesehen hatte und sich vorgestellt hatte, ihres würde sich mit Tills vermischen.
Aber dann hatte sie sich überwunden und es doch getan, um der Freundschaft Willen. Genau aus eben diesem Grund. Hatte sie sich tatsächlich gerade in ihren besten Freund verliebt? Es gab so viele andere gutaussehende Jungs, warum musst es ausgerechnet Till sein? Sie konnte doch nicht einfach ihre Freundschaft aufs Spiel setzen. Was wäre, wenn sie tatsächlich eine Beziehung eingehen und ausprobieren würden, was Jugendliche in ihrem Alter nun mal so ausprobierten? Und dann? Dann würden sie merken, dass das keine so gute Idee war oder würden jemand anderes kennenlernen und dann wäre ihre Freundschaft ein für alle Mal zerstört.
Im nächsten Moment machte Sarah sich schon wieder ganz andere Gedanken. Till wollte sicher sowieso nichts von ihr, und das war auch ganz gut so. Er war schon immer der Vernünftigere von ihnen beiden gewesen und sicher wäre er nicht so dumm gewesen, ihre Freundschaft in unsichere Bahnen zu lenken.
Doch auch, wenn ihre Freundschaft noch so eng gewesen war, konnte Sarah Tills Gedanken nicht lesen. Ob das gut oder schlecht gewesen war, würde sich erst später zeigen. Denn Till war es in diesen Minuten der Stille nicht viel anders ergangen. So cool und gefasst er auch immer gewirkt hatte, hatte er nun doch einen sehr nachdenklichen Blick in seinen Augen.
Auch er sah Sarah plötzlich sozusagen aus einem anderen Blickwinkel. Mit den Augen eines jungen Mannes, der gerade dabei war, langsam aber sicher erwachsen zu werden und sich zum ersten Mal zu verlieben. Aber ausgerechnet in seine beste Freundin? Das konnte doch nicht wahr sein. Er hatte zwar schon oft gehört, dass aus Freundschaft irgendwann eine Beziehung oder annähernd etwas wie Liebe geworden war, aber er wusste ebenso gut, dass solche Beziehungen in der Regel nicht lange hielten. Und am Ende einer solchen Beziehung – wenn man sie denn, trotz der vorangegangenen, engen Freundschaft tatsächlich eingegangen war – war die Freundschaft ebenfalls erloschen.
In den meisten Fällen ignorierten sich die Beteiligten oder hassten sich sogar. Niemals wollte er Sarah als seine beste Freundin verlieren. Daher kam er gar nicht auf die Idee, sich irgendetwas Derartiges anmerken zu lassen, geschweige denn ihr zu erzählen, was er für sie plötzlich zu empfinden schien oder was sie in der Zwischenzeit für ihn geworden war. Nämlich eine wunderschöne, junge Frau, die sein Herz berührt hatte wie kein anderes Mädchen zuvor.
Aber an diesem Abend hatte er sich selbst etwas versprochen: Dass er von nun an ein Geheimnis hatte, das er mit niemandem teilen würde. Auch nicht – erst recht nicht – mit Sarah. Das war neu für ihn. Sonst hatten sie sich immer alles gegenseitig anvertraut, ganz gleich, worum es ging.
Das war er gewesen, dieser eine Moment, der alles und auch nichts veränderte. Dieser Moment, ab welchem die beiden zum ersten Mal in ihrem Leben und im Laufe ihrer Freundschaft getrennte Geheimnisse hatten, obwohl diese Geheimnisse den gleichen Inhalt in sich trugen. Ihre verborgenen, tiefergehenden Gefühle füreinander, von denen niemand etwas wusste, außer sie selbst. Und das sollte möglichst so bleiben. Wenn es ginge, für immer. Zumindest war das der Plan.