Читать книгу Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists - Nicole Fünfstück - Страница 5

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Kapitel 2• Planeten ohne Sonne

Bevor ich Noah anrief, schubste ich Kleine, die langsam aufdringlich wurde, von der Insel und vertilgte mein Brot. Mein Magen ließ sich dadurch besänftigen und gab das Knurren endlich auf. Das Fischbrötchen, das ich mir auf dem Weg zum Tennisclub besorgt hatte, war ihm eindeutig zu wenig gewesen. Ich sprang von der Kücheninsel, holte den Orangensaft aus dem Kühlschrank und kippte ein bisschen hinterher, direkt aus der Flasche, was meine Mutter hasste. Es bereitete mir ein klein wenig Genugtuung. Schließlich wählte ich Noahs Nummer.

Er nahm bereits nach dem zweiten Klingeln ab. »Hallo Christina. Ist etwas passiert? Ich hatte so ein Gefühl.«

»Kompliment«, sagte ich und fügte schnell hinzu: »Keine Sorge, es ist nichts Schlimmes!«

Ich hörte, wie Noah aufatmete.

»Schieß' los«, sagte er.

»Ich habe mich endlich aufgerafft und für die Aufnahmeprüfung der Tennismannschaft angemeldet und Jo hat gerade angerufen. Sein Hausarrest ist fast aufgehoben!«, berichtete ich, während ich in mein Zimmer ging und mich aufs Bett schmiss.

»Was genau bedeutet fast?«, wollte Noah wissen und ich erklärte es ihm.

»Das ist doch schon mal ein Anfang. Wir sind also wieder im Spiel«, sagte er, nachdem ich geendet hatte. »Ich komme morgen allerdings etwas später, denn ich habe Fußballtraining.«

»Für mich ist das kein Problem«, erwiderte ich, obwohl ich insgeheim gehofft hatte, dass Jos Vermutung stimmen könnte und Noah begeisterter reagieren würde. Ich setzte mich auf und fuhr fort: »Aber Jo wird das wahrscheinlich falsch verstehen. Willst du ihm nicht lieber sagen, dass du zum Zahnarzt musst?«

»Jeden Dienstag und Donnerstag?«, erkundigte sich Noah. »Das ist doch Blödsinn. Ich spiele Fußball und du wirst Tennis spielen. Das ist die Wahrheit und mit der muss Jo klarkommen.«

»Wenn ich im Team aufgenommen werde«, entgegnete ich pro forma und warf einen Blick zu meinem Tennisschläger.

»Zweifelst du daran?«, erkundigte sich Noah.

»Nein«, gab ich zu und seufzte. »Ich befürchte, ich werde Sylvia auch nach der Schule ertragen müssen.«

»Siehst du.«

Ich wusste, dass er recht hatte, trotzdem konnte ich nicht anders und sagte: »Ja, aber Jo ist alleine. Er hat nichts, was er nach der Schule unternehmen kann.«

»Doch, hat er«, entgegnete Noah. »Ich denke, Pater Daniel hat das mit dem Ordnen der Bücher nicht nur vorgeschlagen, damit Jos Hausarrest aufgehoben wird. Jo liebt Bücher. Erinnerst du dich an das erste Mal, als wir bei Mathilde im Buchladen waren? Jo hat gesagt, er würde darin gerne tagelang stöbern. Nun kann er es.«

Ich merkte erstaunt auf. So hatte ich das noch gar nicht gesehen. »Stimmt. Dann bleiben wir bei der Wahrheit. Wir sehen uns morgen in der Schule.«

Noah verabschiedete sich und legte auf. Ich überlegte, ob ich mir noch ein Brot machen sollte, beschloss aber, zu warten. Wenn meine Mutter in den nächsten zwei Stunden nicht nach Hause kam, würde es im wahrsten Sinne des Wortes Abendbrot geben. Und bis dahin, hatte ich Zeit, die Schularbeiten zu machen.

Meine Mutter kam gerade, als ich auf dem Weg zur Küche war, und brachte Pizza mit, was definitiv besser war als Brot und mich fast vergessen ließ, dass ich sauer auf sie war.

»Entschuldige, Tinchen. Wolfgang ... von Kastanienburg hat mir heute noch zwei Möbelstücke aus dem Jugendzimmer seiner Urgroßmutter mitgebracht, um die Ausstellung ein bisschen zu erweitern. Bei einem davon, einem traumhaft schönen Biedermeier Schreibtisch, war die Rückwand total zerstört. Es sieht fast so aus, als hätte sich etwas daraus mit Zähnen und Klauen befreien wollen.« Sie stellte die Pizzaschachtel auf die Kücheninsel und sprach sofort weiter: »Ich habe mit der Grundrestauration angefangen und werde wohl auch morgen und übermorgen spät kommen, sonst schaffe ich es nicht mehr bis die Ausstellung eröffnet wird. Daher gibt es zur Entschädigung Pizza. Holst du mal Teller?«

Ich nickte wortlos. Mein ganzer Körper war mit einer Gänsehaut überzogen. Ein Schreibtisch, der einer ehemaligen Wächterin gehört hatte und aussah, als hätte sich etwas daraus befreit? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Meine innere Wächterin schien der gleichen Meinung zu sein, denn ich konnte regelrecht spüren, wie sie vibrierte.

»Tinchen, die Teller«, erinnerte mich meine Mutter. Ich beeilte mich, sie aus dem Küchenschrank zu nehmen und auf die Kücheninsel zu stellen, die uns an gewöhnlichen Tagen auch als Tisch diente. »Findest du nicht, dass du jetzt genug geschmollt hast?«, erkundigte sie sich und legte mir ein großes Stück meiner Lieblingspizza auf den Teller. Eindeutig ein Bestechungsversuch, trotzdem hatte ich sofort wieder schlechte Laune.

»Da ich nicht vorhabe, den Rest meiner Jugend in dieser öden Bude zu verbringen, war ich heute im Tennisclub«, sagte ich schnippisch. »Die Aufnahmeprüfung ist nächsten Montag. Und morgen treffe ich mich mit Noah und Jo. Jos Mutter hat ihm den Hausarrest an den Tagen erlassen, an denen er Sozialdienst schiebt und Noah und ich wollen ihm helfen.«

Ich sah sie herausfordernd an. Dass der Sozialdienst in einem Buchladen stattfinden würde, hatte ich wohlweislich nicht erwähnt. Meine Mutter hätte sich garantiert daran erinnert, dass wir vor der Nacht auf dem Friedhof jeden Moment unserer freien Zeit in einem Buchladen verbracht hatten. Angeblich zur Recherche für ein Schulprojekt. Auch wenn es Frau Dräxler scheinbar entgangen war, oder sie es nicht in Zusammenhang brachte, wollte ich nichts riskieren. Meine Mutter hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant, und obwohl sie Magie und alles, was damit zusammenhing, kategorisch ablehnte, war sie doch die Enkelin einer Wächterin und mit mehr Intuition ausgestattet, als für unsere Aktivitäten gut war.

Meine Mutter ließ sich nicht provozieren. »Ich freue mich, dass ihr mit eurer Freizeit etwas Vernünftiges anfangen wollt, und früher hast du Tennis geliebt!«

»Früher«, sagte ich betont deutlich, »habe ich mit meiner besten Freundin gespielt, nicht mit meiner ärgsten Feindin und deren Anhängerinnen.« Dann biss ich in die Pizza, um jegliche weitere Unterhaltung zu beenden. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass meine Mutter etwas erwidern wollte, es aber zusammen mit einem großen Bissen Pizza hinunterschluckte.

Als ich am nächsten Morgen verfroren den Pausenhof betrat, entdeckte ich Jo und Noah bei „unserer“ Bank. Sie stand in der Nähe einer alten Eiche, etwas abseits vom Trubel auf dem Schulhof. Bereits am ersten Schultag hatten Noah und ich hier unsere Klassenschläger Michel und Klaus daran gehindert, Jo zu zwingen, Hundekot zu essen. Hier hatte unsere Freundschaft ihren Anfang genommen. Jetzt schwiegen sich Jo und Noah allerdings an. Wahrscheinlich hatte Noah Jo berichtet, dass er heute Nachmittag erst zum Fußballtraining gehen würde, bevor er in den Buchladen kam und Jo hatte darauf reagiert, wie von mir erwartet.

Ich war noch nicht richtig bei den beiden angekommen, da legte Jo auch schon los. Kleine weiße Atemwölkchen entwichen seinem Mund, während er hastig redete, wie immer, wenn er aufgeregt war: »Du hattest recht, Vulkanchen. Mr „ich will nicht zum Kreis der populären Schüler gehören, tue aber was ich kann, um aufzufallen“ hat heute Nachmittag schon etwas Besseres vor, als mit uns Dämonen aufzuspüren!«

»Also erstens habe ich nicht gesagt, dass Noah vielleicht etwas Besseres, sondern, dass er vielleicht etwas Anderes vorhat«, stellte ich ruhig klar, grub meine kalten Hände tiefer in die Taschen meiner Winterjacke und fuhr fort: »Und zweitens hat er mir das bereits gestern am Telefon gesagt. Wenn wir mal davon ausgehen, dass ich im Tennisteam aufgenommen werde, was mehr als wahrscheinlich ist, und du bis Mitte des nächsten Jahres zweimal wöchentlich bei Mathilde Bücher sortierst, dann ist die Frage nicht, wer was macht, sondern wie wir es hinkriegen, dass wir alle unsere Aktivitäten auf die gleichen Tage legen, damit wir genug Zeit für den Rest haben!«

Jo sah mich einen Augenblick an und sagte dann griesgrämig: »Super, ihr amüsiert euch und ich langweile mich bei Mathilde zu Tode.«

»Ach komm, Jo. Ich werde mich bestimmt großartig mit Sylvia und dem Dreigestirn amüsieren und überhaupt sprechen wir hier von Mathilde. Ich glaube nicht, dass du dazu kommst, dich zu langweilen! Wenn du zum Ordnen und Katalogisieren zu ihr bestellt wurdest, dann wird sie darauf achten, dass du dies auch tust. Wahrscheinlich in der Sektion, die Informationen enthält, die wir in naher Zukunft brauchen. Außerdem kribbelt es dir doch schon in den Fingern, wenn du an all die Bücher denkst, die du lesen kannst, während du im Laden bist!« Ich grinste ihn an und warf einen schnellen Blick zu Noah, der mir lächelnd zunickte. Ohne seine Eingebung gestern am Telefon hätte ich nicht so gut auf Jos Schmollen reagieren können.

Jo versuchte verzweifelt, seine finstere Miene beizubehalten, doch dann verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln.

»OK«, sagte er, »solange wir uns überhaupt noch sehen.«

»Selbstverständlich!« Noah knuffte ihn leicht. »Ich ziehe nicht auf den Mars, sondern spiele Fußball. Und unsere Freundschaft bedeutet mir viel zu viel, um sie zu zerstören.«

»Mir auch.« Jo sah Noah an und fügte grinsend hinzu: »Einer von uns muss ja als Dämonenfutter fungieren, während Christina und ich die Welt retten.«

»Das nächste Mal lässt du dich vom Dämon beißen und knallst anschließend gegen den Grabstein«, sagte Noah entschieden. »Dein Schädel ist dicker als meiner!«

»Falls wir für das nächste Mal gewappnet sein wollen, sollten wir uns jetzt auf den Weg machen. Es klingelt schon wieder und wenn wir Nachsitzen müssen, reagieren unsere Eltern bestimmt nicht geschmeidig«, mischte ich mich ein und hob Jos Rucksack vom Boden auf, damit dieser die Hände frei hatte und mit Hilfe beider Krücken aufstehen konnte.

»Howgh, die Wächterin hat gesprochen«, sagte er und erhob sich ächzend. »Es wird Zeit, dass wieder was passiert, ich bin total eingerostet«, stellte er fest und setzte sich in Bewegung.

Als wir das Klassenzimmer betraten, wusste ich sofort, dass etwas geschehen war. Die Stimmung im Raum war anders und es herrschte ein höherer Lärmpegel als sonst. Während ich mich setzte und die Tasche über meine Stuhllehne hängte, sah ich mich um und mein Blick blieb an dem leeren Platz schräg vor mir hängen. Sylvia von Kastanienburg fehlte. Ich sah hinüber zu ihrem Hofstaat. Ramona, Michelle und Janine hatten wie gewöhnlich die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten, trotzdem wirkten sie ohne Sylvia irgendwie verlassen. Wie hatte Jo sie genannt? Planeten, die um eine Sonne kreisen, die sich Sylvia nennt? Nun fehlte die Sonne plötzlich, was die Schwerkraft der drei ziemlich durcheinanderzubringen schien. Mit einem Mal wirkten sie wesentlich weniger einschüchternd.

»Irgendwie komisch, die drei so zu sehen, was?«, fragte Jo. »Sie kommen einem fast hilflos vor. Man könnte glatt Mitleid mit ihnen haben.«

Ich lächelte schief. »Wir sollten herausfinden, was mit Sylvia geschehen ist. Die Wächterin liegt auf der Lauer!«

Jo sah mich überrascht an, dann beugte er sich vor und rief den dreien zu: »Hey, Dreigestirn, was ist mit eurer Sonne los? Ist sie vom Himmel gefallen und verglüht, oder hat sie etwa eine Grippe, wie sie der Rest von uns Untermenschen ab und zu bekommt?«

»Keine Ahnung wie das heißt, was du ab und zu bekommst, und noch weniger das, was du ständig hast, aber bevor du über andere herziehst, solltest du über die Fakten informiert sein!« Ramona fauchte es fast, während sie sich zu uns umdrehte.

»Hört, hört«, sagte Jo, »das ist ja mal was ganz Neues!« Dann fügte er mit einer angedeuteten Verbeugung in Ramonas Richtung hinzu: »Erleuchte mich, was ist geschehen? Hat sich ihre Hoheit einen Nagel abgebrochen, als sie versucht hat, sich die Schuhe alleine zuzubinden?«

Aus dem hinteren Teil des Klassenzimmers ertönte ein Kichern. Mein Blick huschte in die Richtung, aus der es gekommen war, und blieb an einem aschblonden Mädchen hängen, das mir verschwörerisch zuzwinkerte. Sie war mir bisher kaum aufgefallen, ich erinnerte mich nicht einmal an ihren Namen. Das war es, was anders war! Die Schüler, die sich ansonsten unsichtbar machten, um nicht die Aufmerksamkeit von Sylvias spitzer Zunge auf sich zu lenken, beteiligten sich heute am allgemeinen Getuschel. Sylvias Abwesenheit machte sie mutig.

»Sehr witzig, Hinkebein!«, sagte Ramona und ich wandte mich wieder zu Jo und dem Dreigestirn. »Wenn du es genau wissen willst«, erklärte Ramona von oben herab, »Sylvia ist im Krankenhaus. Sie ist gestern Abend die Treppe hinuntergestürzt und hat sich dabei das Bein gleich mehrfach gebrochen. Der Bruch ist so kompliziert, dass mein Vater sie gestern Nacht noch operiert hat. Aber mach ruhig weiter deine Witze.« Beim letzten Satz bebte ihre Stimme vor Empörung.

Jo nickte ernst. »Ich verspreche, ich tue mein Möglichstes, um meinen Humor nicht zu verlieren. Und glaube mir, das ist nicht einfach mit Klassenkameraden wie euch.«

»In welchem Krankenhaus liegt sie denn?«, erkundigte ich mich und wurde rot.

Es war Michelle, die an Ramonas Stelle antwortete: »Das geht dich gar nichts an, Brillenschlange! Du bist die Letzte, die Sylvia sehen will. Sie würde eher sterben, als sich mit jemandem wie dir abzugeben. Du bist so was von unter ihrem Niveau!«

Ich spürte, wie die Wächterin in mir vor Wut kochte.

>Wenn du jetzt nichts sagst, dann kannst du das nächste dunkle Wesen ohne meine Hilfe erledigen<, schimpfte sie, doch obwohl sie recht hatte, konnte ich nicht aus meiner Haut.

Ich tat so, als würde ich etwas aus meiner Tasche nehmen, und überlegte mir eine Erwiderung, von der ich wusste, dass ich sie nie aussprechen würde. Wenig später ging die Tür auf und Herr Dr. Katzhausen, unser Klassenlehrer, betrat den Raum. Er stellte seine Tasche in den Unterschrank des Lehrerpults und zog das Klassenbuch zu sich herüber. Bevor er wie gewohnt unsere Namen aufrief, hielt er jedoch inne, sah uns ernst an und sagte: »Ehe wir beginnen möchte ich euch noch etwas mitteilen. Wie ihr wahrscheinlich schon wisst, hatte Sylvia einen schweren Unfall. Sie liegt im Waldkrankenhaus und Herr von Kastanienburg bat mich, euch auszurichten, dass sie ab übermorgen Besuch empfangen darf und sich freut, euch zu sehen. Sie liegt auf Station C in Zimmer 102.«

Ich schenkte Michelle, die mir einen Blick über die Schulter zuwarf, ein aufmüpfiges Lächeln, das mir allerdings fast gefror, als ich den Ausdruck sah, der daraufhin über ihr Gesicht glitt. Ich fragte mich unbehaglich, ob ich das irgendwann bereuen würde.

>Du bist ein hoffnungsloser Fall<, sagte die Wächterin. Ihre Stimme klang resigniert.

Jo rückte ein Stückchen näher zu mir und murmelte: »Also entweder ist Herr von Kastanienburg unglaublich naiv, oder er kennt sein Töchterchen überhaupt nicht. Er denkt doch wohl nicht wirklich, dass Sylvia vor Freude jubiliert, wenn wir sie besuchen, oder?« Er warf mir einen Blick zu und stöhnte. »Aber genau das werden wir tun, richtig?«

Ich nickte.

»Mir fällt da noch was ein«, sagte Herr Dr. Katzhausen und sah mich an: »Sylvia wird nun für eine ganze Weile ausfallen, daher braucht unsere Tennisschulmannschaft dringend Verstärkung. Wie sieht es aus, Christina? Es ist immer gut, eine Bezirksmeisterin in der Mannschaft zu haben, aber jetzt wäre es besonders wichtig.«

Mein Gesicht, das gerade erst seine normale Farbe zurückgewonnen hatte, begann erneut zu glühen und ich murmelte etwas Unverständliches.

»Überlege es dir«, meinte Herr Dr. Katzhausen freundlich und wandte sich endgültig dem Klassenbuch zu.

Ich betrachtete angestrengt, wie er es aufschlug und etwas eintrug, dann gab ich auf. Ich schaute hinüber zu Jo, der mich mit verschränkten Armen ansah.

»Bezirksmeisterin«, formulierte er tonlos und zog die Augenbrauen hoch.

»Ja, OK, ich spiele gut«, flüsterte ich. »Mach einfach keine große Sache daraus!«

»Ich doch nicht«, entgegnete Jo ebenso leise. »Aber ich befürchte, bei unseren sonnenlosen Planeten hat diese Nachricht gerade ein Erdbeben ausgelöst und ihr Weltbild arg ins Wanken gebracht.«

Ich sah hinüber zu Sylvias Fan Club. Jo hatte Recht. Ramona, Michelle und Janine starrten mit offenem Mund zu mir herüber und sahen schnell nach vorne, als sie bemerkten, dass ich sie ertappt hatte.

»So viel dazu, dass nur populäre Menschen fähig sind, Tennis zu spielen«, sagte Jo wesentlich lauter, als mir lieb war. Doch Dr. Katzhausen beschloss, den Einwurf nicht zu kommentieren, und auch Ramona, Michelle und Janine ignorierten ihn.

Nach Schulschluss standen Jo, Noah und ich vor der Schule und warteten auf Frau Dräxler, die sich erstaunlicherweise verspätete. Ich hibbelte herum und stampfte mit den Füßen, denn mir war kalt und obwohl mir klar war, dass es albern aussah, ruderte ich auch noch mit den Armen.

»Du tust gerade so, als wäre eine neue Eiszeit ausgebrochen«, sagte Jo kopfschüttelnd.

Während er zu Hause essen würde, wollten Noah und ich in ein neu eröffnetes Café, das sich nur eine Querstraße von der Schule entfernt befand. Wir hatten gehört, dass dort nicht nur die typischen Snacks, sondern auch Hausmannskost zum kleinen Preis angeboten wurde, was nach einer echten Alternative zur Schulkantine klang. Wer auch immer das Café eröffnet hatte, wusste, dass unzählige Schüler das Essen in der Schulkantine nicht mehr sehen konnten, und hatte dementsprechend reagiert. Gerade, als Frau Dräxlers Auto vorfuhr, erklang hinter uns die Stimme von Michel Petersen: »Wir haben dich scheinbar unterschätzt, Brillenschlange, obwohl es mir im Moment schwerfällt, das zu glauben!«

Ich hörte auf, mit den Armen zu rudern, und drehte mich um. Noah und Jo stellten sich neben mich. Durch die Nachricht von Sylvias Unfall und vor lauter Freude über Jos Freiheit, hatten wir total vergessen, Michel und Klaus im Auge zu behalten. Jetzt war es zu spät für Fluchtpläne. Michel lehnte nur eine Armeslänge von mir entfernt am Zaun, der den Schulhof umgab. Sein Freund Klaus Müller stand einen Schritt hinter ihm. Klaus machte ein mürrisches Gesicht und schien Michel am Weitersprechen hindern zu wollen, doch dieser warf seinem Kumpel nur einen warnenden Blick zu, wandte sich dann wieder an mich und sagte: »Falls du dich entschließen solltest, für unsere Schule Tennis zu spielen, hast du Schonfrist bis zu den Schulmeisterschaften. Wenn wir die gewinnen, könnten wir uns dazu durchringen, dich von unserer Liste zu streichen. Falls nicht …« Er ballte seine Fäuste.

»Das gilt übrigens nicht für den Ausländer und das Badekappenkind da neben dir«, sagte Klaus, bevor Michel fortfahren konnte.

»Was gilt nicht für wen?«, erkundigte sich Frau Dräxler, die plötzlich hinter uns stand.

Wir hatten sie nicht bemerkt, weil unsere ganze Aufmerksamkeit Michel und Klaus galt, bei denen man nie wusste, was sie als Nächstes tun würden.

»Was sag ich?«, sagte Klaus zu Michel und dieser brach in spöttisches Gelächter aus. Dann gingen beide ihres Weges, nicht ohne vorher noch Noah kräftig anzurempeln.

»Entweder alle oder kein Deal«, rief ich Michel und Klaus hinterher, wartete aber ihre Reaktion nicht ab, sondern wandte mich zu Frau Dräxler und Jo.

Frau Dräxler sah fragend in die Runde, doch keiner von uns hatte vor, sie aufzuklären.

»Dir ist klar, dass du meinen sozialen Status ruinierst, oder?«, erkundigte sich Jo stattdessen missmutig bei ihr.

»Du wirst es überleben«, erwiderte Frau Dräxler, aber es klang nachdenklich. »Und ihr zwei, fahrt ihr auch nach Hause? Soll ich euch mitnehmen?«, wandte sie sich Noah und mich.

Noah warf mir einen überraschten Blick zu, dann schüttelten wir die Köpfe.

»Danke, aber wir wollen ein neu eröffnetes Café ausprobieren. Es ist hier ganz in der Nähe. Ich habe heute Nachmittag Fußballtraining und schaffe es nicht, zwischendurch nach Hause zu fahren«, sagte Noah höflich.

»Ich werde ihn begleiten, denn meine Mutter ist mit der Vorbereitung der Ausstellung im Museum ausgelastet und kocht erst heute Abend«, fügte ich hinzu.

»Falls dir mein Sozialleben doch irgendetwas bedeuten sollte, könntest du darüber nachdenken, mich an den Tagen, an denen ich keinen Strafdienst schieben muss, auch dort essen zu lassen«, sagte Jo.

»Übertreibe es nicht!«, warnte seine Mutter. »Sei froh und glücklich, dass du wieder vor die Tür darfst! Und jetzt beeile dich bitte. Ich möchte nicht, dass du nachher zu spät kommst.«

Jo warf uns einen letzten, vielsagenden Blick zu und folgte dann seiner Mutter zum Auto.

Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists

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