Читать книгу Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists - Nicole Fünfstück - Страница 9

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Kapitel 6• Die Komtesse lässt nicht bitten

Am nächsten Tag machten Noah, Jo und ich uns nach dem Unterricht auf den Weg zum “La Cuisine“.

>Vielleicht ist X ja heute wieder da<, überlegte die Wächterin gut gelaunt.

Ich ignorierte sie und beobachtete gespannt Jos Reaktion, als wir um die Ecke bogen und das Café in Sicht kam.

»Das ist ja der Hammer!«, sagte er begeistert und ließ den Blick über die Häuserwand und das Libellendach schweifen. Als er den getarnten Wasserspeier entdeckte, stutzte er. »Nur das Ding ist irgendwie fehl am Platz.«

»Ja, das finden wir auch«, bestätigte ich. »Aber jetzt lasst uns reingehen. Drin ist es bestimmt brechend voll und wir haben nicht viel Zeit.«

Im Restaurant waren diesmal alle Tische in der Mitte besetzt, so dass uns nichts anders übrig blieb, als eine Nische anzusteuern.

»Man könnte meinen, hier gibt es was umsonst«, sagte Jo kopfschüttelnd, während er versuchte, seine Krücken nicht in einem Stuhlbein oder einer der Schultaschen zu verhaken, die überall auf dem Boden standen.

»Gibt es ja auch. Einen einmaligen Anblick.« Noah wies mit dem Kopf zum Tresen. Jo und ich sahen gleichzeitig hin und meine Augen trafen die von X. Er grinste und nickte mir zu. Mir wurde heiß und ich hob kurz die Hand.

»Uff! Und plötzlich fühle ich mich noch kleiner und hässlicher als sonst.« Jo ließ sich auf die Bank der Nische sinken, die wir gerade erreicht hatten.

»Erzähl keinen Blödsinn.« Ich setzte mich neben ihn und erklärte ihm das System des Restaurants.

Wenig später stand ich am Tresen, um unsere Bestellungen aufzugeben.

»Hallo Tina, was darf es denn heute sein?«, erkundigte sich X und sah mir tief in die Augen.

Ich spürte, wie ich rot wurde. Das hatte mir gerade noch gefehlt. »Du könntest für den Anfang aufhören, mit mir zu flirten. Schon vergessen, du bist nicht mein Typ«, sagte ich gereizt.

»Upps, schlecht gelaunt?«, erkundigte sich X.

»Nein, aber ich hasse es, rot zu werden«, erklärte ich, mit der für mich so untypischen Offenheit, die mich immer nur dann überfiel, wenn ich mit ihm sprach.

»Ich finde es nett, wenn Mädchen rot werden«, erwiderte X mit einem Lächeln.

»Nett ist der Bruder von Scheiße«, brummelte ich, ohne ihn anzusehen, und sagte dann deutlicher: »Ich hätte gerne die Kartoffelpuffer mit Apfelmus, mein Freund Jo, der genauso “ein“ Freund ist wie Noah, bevor du wieder falsche Schlüsse ziehst, hätte gerne Kartoffelsalat mit Frikadelle und Noah nimmt noch mal den Hamburger mit Lammfleisch.« Als X nicht reagierte, sah ich irritiert zu ihm hinüber. Er stand da und hielt sich die Seite.

»Nett ist der Bruder von Scheiße«, japste er. »Das habe ich ja noch nie gehört!«

Ich musste gegen meinen Willen grinsen. »Da stellt sich mir die Frage, wo du aufgewachsen bist.«

»Kannst du mal fertig werden, andere wollen auch noch bestellen!«, beschwerte sich das Mädchen hinter mir. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Es war eine blonde Oberstufenschülerin, mit einer Figur, wie ich sie nie haben würde, und einem Fotomodelgesicht. Wieder wurde ich rot. Mein Gott, war das peinlich.

»Wenn du es eilig hast, bist du hier falsch«, sagte X kalt zu der Blondine und dann zu mir: »Bis gleich, Tina. Und nett ist nicht immer der Bruder von Scheiße.« Er grinste über das ganze Gesicht.

Ich nickte und ging zurück zu Jo und Noah.

»Der Typ scheint auf dich zu stehen«, sagte Jo. Es klang eifersüchtig.

»Ach was! Er kommt nicht damit klar, dass es hier ein Mädchen gibt, das ihn nicht anhimmelt und er versucht, meine Meinung über ihn zu verändern. Ich habe ihm nämlich bei unserem ersten Besuch gesagt, dass er nicht mein Typ ist«, klärte ich ihn auf.

>Ich glaube, Jo hat recht<, sagte die Wächterin. >Du bist scheinbar die Einzige, mit der er länger spricht. Bei allen anderen nimmt er nur lächelnd die Bestellung entgegen.<

»Bis ich ihn anhimmele. Dann bin ich ebenso uninteressant wie der Rest! So etwas nennt man Jagdtrieb«, erwiderte ich lautlos.

>Dann himmele ihn einfach nicht an.<

»Habe ich nicht vor!«

»Wie willst du Sylvia eigentlich dazu kriegen, dir zu glauben oder noch wichtiger, uns zu erzählen, was ihr passiert ist, falls es wirklich etwas Ungewöhnliches war?«, fragte Jo und unterbrach damit meinen stummen Gedankenaustausch mit der Wächterin.

»Das entscheide ich dann. Vorausplanen bringt nichts. Sicher ist nur, dass wir, wenn wir erst mal wissen, was Sylvia heimsucht, zu ihr nach Hause müssen, um es zu vernichten.«

»Du erwartest nicht nur, dass Sylvia uns glaubt, sondern auch noch, dass sie uns zu sich nach Hause einlädt?« Jo sah mich ungläubig an. »Was hast du vor? Sie unter Drogen setzen?«

»Christina, das Essen ist fertig«, unterbrach uns Noah und wies auf die blinkende Tischlampe. »Ich gehe es holen. Habt ihr das Geld passend?«

»Schaffst du das? Drei Teller?«, fragte ich.

»Falls nicht, gebe ich dir Bescheid.« Noah nahm unser Geld entgegen.

»Ich denke, wenn wir sie erst mal davon überzeugt haben, dass sie von einem dunklen Wesen heimgesucht wird, dann ist die Einladung ein Kinderspiel«, wandte ich mich wieder an Jo. Dabei sah ich zum Tresen, um mich davon zu überzeugen, dass Noah auch wirklich mit den drei Tellern klarkam. Wieder traf mein Blick den von X. Er wirkte verwirrt und leicht verärgert. Ich musste ein Grinsen unterdrücken. Es schien ihm tatsächlich etwas auszumachen, dass Noah und nicht ich gekommen war, um das Essen abzuholen. Ich fühlte mich großartig und lächelte ihm kurz zu, damit er nicht dachte, ich sei sauer auf ihn.

»Wenn du das nächste Mal lieber alleine herkommen willst, lass es uns wissen«, sagte Jo, der meinem Blick gefolgt sein musste, beleidigt. »Wir wollen deinem Glück schließlich nicht im Wege stehen. Vielleicht geht Mr Schönling ja auch gleich mit dir Dämonen jagen, dann brauchst du dich nicht weiter mit uns abzugeben.«

Etwas machte „Klick“ in meinem Inneren und ich fuhr zu Jo herum. »Weißt du was, Jo, ich habe die Nase voll von deinem Gemaule. Wenn du etwas zu beanstanden hast, dann sprich nicht im Plural. Steh zu dem, was du sagst. Niemand hat vor, dich durch irgendwen zu ersetzen oder außen vor zu lassen, also komm über deinen Minderwertigkeitskomplex hinweg, der nervt nämlich. Wir sind nicht nur ein Team, wir sind Freunde! Und ja, das sagt die Richtige, aber ich versuche zumindest, an mir zu arbeiten.«

>Hart, aber herzlich<, bemerkte die Wächterin, >ich werde dich bei der nächsten Kleiderwahl daran erinnern.<

Jo starrte mich mit offenem Mund an.

»Was habe ich versäumt?«, erkundigte sich Noah vorsichtig, der mit einem voll beladenen Tablett zu uns getreten war.

Jo holte tief Luft und sagte ungewöhnlich ruhig: »Christina hat mir den Kopf gewaschen und wenn in ihrem Ausbruch nicht auch die Worte “Freunde“ und “Team“ vorgekommen wären, würde ich jetzt aufstehen und gehen.«

Ich spürte, wie ich rot wurde, hatte aber trotzdem nicht vor, auch nur ein Wort zurückzunehmen.

Noah stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich zu uns. »Ich weiß nicht, wer, was gesagt hat, und es ist mir auch ziemlich egal, aber ich weiß, dass wir unseren Gegnern in die Hände spielen, wenn wir uneins sind. Ich habe mich noch nie so getrennt von euch gefühlt, wie in diesem Moment. Das habe ich schon gespürt, als ich zum Tisch zurückkam.«

»Du meinst, jemand beeinflusst uns, um einen Keil zwischen uns zu treiben?«, erkundigte sich Jo.

»Das ist gut möglich, glaubt ihr nicht auch?«, erwiderte Noah.

»Das würde bedeuten, dass sich irgendwo hier ein dunkles Wesen befindet«, sagte ich leise.

Unbehaglich sahen wir uns um.

»Seht ihr irgendwo grüne Flecken?«

»Nein.« Noah schüttelte den Kopf.

»Und auch keine neongrünen Augen«, fügte Jo hinzu.

»Wir sollten essen und gehen.« Ich zog die Kartoffelpuffer zu mir herüber. Ich streute Zucker darüber, gab Apfelmus oben drauf und sah Jo an. »Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe«, erklärte ich ruhig. »Auch wenn ich es netter hätte formulieren können!«

»Ja, das hättest du, Vulkanchen. Aber ich verspreche trotzdem, dass ich an mir arbeiten werde.«

»Und ich verspreche, nicht mehr so zu explodieren. Sonst muss ich irgendwann zugeben, dass mein Spitzname doch zu mir passt.« Ich zog eine Grimasse und reichte Jo die Hand. Er drückte sie kurz.

»Der Kartoffelsalat ist übrigens großartig«, sagte er kurz darauf.

»Mein Reden«, entgegnete Noah. »Der Hamburger ist immer noch so gut wie beim ersten Mal. Wie sind die Kartoffelpuffer, Christina?«

»Leider inzwischen lauwarm, aber immer noch sehr gut«, sagte ich abgelenkt. »Wieso finden wir das Wesen nicht, das Unfrieden gestiftet hat? Ich müsste es doch erkennen.«

»Entweder ist es ein Meister im Tarnen oder es war nur ganz kurz im Raum und hat das Restaurant sofort wieder verlassen, sobald ihr angefangen hattet, zu streiten«, schlug Noah vor.

Ich merkte auf. »Oder es arbeitet in der Küche. Das gesamte Personal können wir von hier aus nicht sehen.«

Wir sahen unsicher auf unsere Teller.

»Euer Streit war schon vorbei, bevor wir gegessen haben. Es kann also nicht am Essen liegen«, sagte Noah.

»Diesmal nicht, aber wenn das Wesen in der Küche arbeitet, dann könnte das nächste Essen schlecht für unsere Gesundheit sein«, gab Jo düster zu bedenken.

»Ich weigere mich, so ein geniales Essen aufzugeben, nur weil vielleicht ein Troll in der Küche arbeitet.« Noah sah mich an. »Das muss doch herauszufinden sein!«

»Wenn ich den Offenbarungssud herstelle, schauen wir auch gleich, ob es auch einen übersinnlichen Giftdetektor gibt«, schlug ich vor.

>Dein Amulett würde leuchten.< Die Wächterin seufzte.

Ich wurde wieder einmal rot. »Die Wächterin hat mich gerade darauf aufmerksam gemacht, dass mein Amulett bei Gefahr leuchtet. Und Gift ist eindeutig eine Gefahr, besonders wenn es uns von einem dunklen Wesen verabreicht wird«, sagte ich kleinlaut.

Jo schlug sich theatralisch vor die Stirn. »Wer denken kann, ist klar im Vorteil. Hätte uns echt auch selbst einfallen können, aber was soll es. Wozu hast du schließlich eine innere Wächterin.« Er grinste.

>Um dir bei Gefahr zu helfen, nicht als Babysitter<, sagte diese.

»Übertreibe es nicht!«, entgegnete ich lautlos, »Ich habe gerade einiges im Kopf!«

>Wie zum Beispiel X?<, erkundigte sich die Wächterin.

»Den nun gerade nicht!«, erwiderte ich bestimmt.

»Leute, wir müssen los! Meine Mutter ist eh fuchsteufelswild, weil mein Vater darauf bestanden hat, dass sie den Hausarrest weiter lockert. Wenn sie auch noch auf uns warten muss, nimmt sie das als Anlass, ihn zu erneuern.« Jo erhob sich und ich reichte ihm die Krücken. Noah stellte derweil die Teller auf das Tablett.

»Lass, ich bringe es weg«, sagte ich, nahm ihm das Tablett ab und stellte es auf den drei Schritte entfernten Geschirrwagen. Ich sah zum Tresen. X drehte mir den Rücken zu und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er das absichtlich tat. Sein Problem. Noch jemanden, der herummaulte, brauchte ich nun echt nicht. Ich verließ das Café und meinte zu spüren, wie Xs Blicke mich nun doch verfolgten. Ich widerstand der Versuchung, mich umzudrehen und zu überprüfen, ob ich recht hatte.

Frau Dräxler fuhr uns schweigend zum Krankenhaus. »Um 18:00 Uhr gibt es Abendbrot«, war alles, was sie sagte, als wir ausstiegen.

Jo nickte. »Ich bin pünktlich«, versprach er.

»Danke fürs Fahren, Frau Dräxler«, sagte ich und Noah reichte ihr die Hand. Frau Dräxler ergriff sie kurz, nickte mir zu und legte den Gang ein.

Seufzend schloss Jo die Autotür. »Ich hoffe, sie kriegt sich bald wieder ein, sie ist gerade unausstehlich.« Er sah zum Krankenhaus. »Und wo wir gerade von unausstehlich sprechen: Wenn wir wirklich zu Sylvia wollen, lasst uns los, bevor mich der Mut verlässt.« Er zog eine Grimasse.

Im Eingangsbereich angekommen, gingen wir zum Informationsschalter, erkundigten uns nach dem Weg zu Station C und standen wenig später vor Sylvias Zimmer.

»Auf in den Kampf.« Jo verzog das Gesicht. »Schade, dass ich keine Kamera dabei habe. Das Gesicht, das Sylvia gleich machen wird, würde ich gerne für die Nachwelt festhalten.«

Ich kicherte, drückte die Türklinke runter und die Tür schwang lautlos auf. Sylvia blickte uns mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck entgegen. Er verwandelte sich sofort in einen Ausdruck völliger Verblüffung, als sie uns erkannte. Auch die unzähligen neongrünen Punkte auf ihrer Nase konnten ihn nicht mindern, allerdings zeigten sie deutlich, dass sie von etwas heimgesucht wurde.

»Was wollt ihr denn hier?«, fragte sie angewidert.

»Ja, wir freuen uns auch, wenn wir dieses Zimmer wieder verlassen können«, entgegnete Jo und machte sich auf den Weg zu dem einzigen Stuhl im Raum.

Noah und ich folgten ihm. Ich schloss die Tür hinter mir.

»Was ihr hier wollt, habe ich gefragt!« Sylvias Stimme klang schrill und ich konnte sehen, wie ihr Blick zum Notknopf huschte.

»Na, da hat aber jemand ein schlechtes Gewissen«, meinte Jo, dem ihr Blick wohl auch nicht entgangen war.

»Keine Sorge, wir sind hier, um dir zu helfen, nicht um dir zu schaden«, beruhigte sie Noah.

»Sprich für dich«, murmelte Jo und ließ sich auf den Besucherstuhl sinken.

Wieder musste ich kichern und auch Jo verzog das Gesicht. Sylvia blickte verwirrt von einem zum anderen und sah dabei so unfreiwillig komisch aus, dass ich mir das Lachen echt verkneifen musste.

>Würdest du jetzt bitte mit dem Wesentlichen beginnen?<, erkundigte sich die Wächterin ungeduldig.

»Geht los«, entgegnete ich lautlos, stellte mich ans Fußende von Sylvias Bett und sagte: »Wir wissen, dass das, was dir passiert ist, kein simpler Unfall war. Was wir nicht wissen ist, was ihn verursacht hat. Was war es? Ein Kobold, ein Poltergeist? Hat das Wesen dich erschreckt oder hat es von dir Besitz ergriffen?« Ich sah Sylvia abwartend an.

Sie erstarrte für einen winzigen Augenblick, erholte sich aber schnell. »Kobold, Poltergeist? Habt ihr sie noch alle? Ha, ha, die Komtesse hat sich das Bein gebrochen und das Fußvolk hatte seine dreißig Sekunden um sich darüber lustig zu machen, aber jetzt reicht es. Raus hier oder ich rufe die Schwester!« Sie griff nach dem Notknopf, doch Noah, der am Kopfende ihres Bettes stand, war schneller und hielt ihn mit einem Lächeln außer Reichweite. Auch Sylvias Hände waren mit grünen Flecken gesprenkelt.

»Ich schreie!«, drohte sie.

»Sei nicht albern«, sagte ich gelassen und sie sah mich verblüfft an. »Das Wesen wird dich nicht in Ruhe lassen. Du wirst immer wieder Unfälle haben, bis es ihm endlich gelingt, dich umzubringen und danach oder vielleicht auch davor, deinen Vater. Denn wenn es nur deinen Körper haben wollte, würdest du jetzt nicht hier liegen, sondern wie eine Marionette durch die Gegend laufen. Glaube mir, es wird nicht eher ruhen, bis ihr beide tot seid. Ich weiß zwar noch nicht, was es ist und warum es hinter euch her ist, aber ich weiß, dass Jo, Noah und ich die Einzigen sind, die euch helfen können, es loszuwerden.«

Sylvia blickte von mir zu Jo und Noah und wieder zurück zu mir. »Ihr meint das tatsächlich ernst, oder? Ihr braucht dringend ärztliche Hilfe!«

Bevor jemand etwas erwidern konnte, öffnete sich die Tür und ein gutaussehender Mann mit rotbraunen Locken schaute ins Zimmer. Seine rechte Hand war notdürftig bandagiert. Auf seinem Gesicht und der gesunden Hand befanden sich neongrüne Punkte.

»Oh, du hast Besuch, wie schön«, sagte er zu Sylvia, trat in den Raum und wandte sich zu uns. »Ich bin Wolfgang von Kastanienburg, Sylvias Vater. Ich würde euch gerne die Hand geben, aber die tut zur Zeit gerade verflixt weh.«

»Ich bin Christina Stahl«, stellte ich mich vor, »und das sind meine Freunde Jo Dräxler und Noah Ahadi.«

Herr von Kastanienburg merkte auf. »Christina Stahl? Dann bist du Raquels Tochter! Ich freue mich, dich kennenzulernen. Deine Mutter ist eine außergewöhnliche Frau und ich bin froh, dass wir sie für unser Museum gewinnen konnten. Ich will euch auch gar nicht weiter stören. Ich wollte nur schnell vor dem Röntgen bei Sylvia vorbeischauen.« Er beugte sich über seine Tochter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich komme nachher noch mal wieder«, versprach er und wandte sich zum Gehen.

»Papa, warte«, bat Sylvia. »Deine Hand, wie ist das passiert?«

»Ach, das war ein dummer Unfall.« Herr von Kastanienburg winkte mit der gesunden Hand ab. »Ich war im Weinkeller, um eine Flasche heraufzuholen, und als ich zum Lichtschalter griff, fiel die Tür wieder zu. Es muss irgendwo ein Fenster offen gestanden haben. Gott sei Dank ist die Kellertür ja nur aus Holz. Wenn sie aus Eisen wäre, hätte das Ganze schlimm ausgehen können. Aber nun lasse ich euch wieder alleine. Viel Spaß noch, und bis nachher, Prinzessin. Mache dir keine Sorgen, die Hand ist bestimmt nur geprellt.« Mit einem Lächeln verließ er das Zimmer.

Eine ganze Weile sagte niemand etwas, dann flüsterte Sylvia: »Es war kein Kobold, es war ein Geist. Eine Frau.«

»Eine Frau?«, fragte Jo verblüfft, fing sich aber sofort wieder. »Warum überrascht mich das eigentlich? Schließlich wissen wir alle, wie gemein Frauen schon in jungen Jahren sein können.« Er schenkte Sylvia ein strahlendes Lächeln, was diese mit einem bitterbösen Blick quittierte.

»Erzähl uns bitte mehr von dem Geist«, sagte ich schnell.

Sylvia holte tief Luft und berichtete: »Ich war auf dem Weg zum Tennistraining und wollte gerade die Treppe unserer Eingangshalle runter, als plötzlich diese Frau auftauchte. Sie trug ein schlichtes, weißes Kleid und ich hätte sie wahrscheinlich für eine neue Angestellte gehalten, wenn das Kleid nicht lang und etwas altmodisch und ihre schwarzen, lockigen Haare offen gewesen wären. Sie stellte sich mir in den Weg und zischte: „Euer Hochmut und eure Habgier haben mein Leben zerstört, doch ich will nicht eher ruhen, bis der letzte Schönbrunn zerstört und vernichtet ist!“ Ich erinnere mich so genau an die Worte, weil ich ihr gerade klarmachen wollte, dass ich keine Schönbrunn bin, als sie sich vor meinen Augen verwandelte. Ihr Gesicht wurde zum Totenschädel, ihr Körper zu einem Skelett, das Kleid war plötzlich zerrissen und sie versuchte, nach mir zu greifen.« Hier machte Sylvia eine kurze Pause und krallte die Hände in ihre Bettdecke. Sie räusperte sich und sprach dann weiter: »Ich wich ihr aus, verpasste die erste Stufe, fiel die Treppe hinunter und verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, lag ich hier im Krankenhaus. Wie ihr euch denken könnt, habe ich niemandem davon erzählt und ich werde jedes Wort bestreiten, solltet ihr die Geschichte verbreiten wollen.«

Ich ignorierte den letzten Teil des Satzes und fragte: »Kam dir der Geist bekannt vor? Hast du ihn vielleicht schon mal auf alten Familienfotos gesehen?«

»Was willst du denn damit sagen?«, erkundigte sich Sylvia beleidigt. »Dass es in unserer Familie Verrückte gegeben hat, die jetzt als Geister umgehen und versuchen, andere zu ermorden?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht und genau das ist das Problem. Ich muss so viel wie möglich über den Geist herausfinden. Das macht es einfacher, ihn wieder loszuwerden. Wenn du ihn nicht gerufen hast ...« Ich machte eine Pause und sah Sylvia an, die entrüstet den Kopf schüttelte. »Dann wird es wohl deine Urgroßmutter gewesen sein. Sie hat gerne mit Magie herumgespielt. Bist du sicher, dass der Geist, nennen wir ihn einfach die „wütende Dame“, bis wir den richtigen Namen wissen, nicht doch noch irgendwas gesagt hat, das uns weiterhelfen könnte?«

Sylvia sah mich mit offenem Mund an. »Cecile Schönbrunn hat den Geist gerufen? Natürlich. Kannst du mir mal verraten, warum sie das gemacht haben soll?«

»Glaub es mir einfach«, entgegnete ich. »Was ist nun, kannst du dich noch an etwas anderes erinnern?«

Sylvia schien etwas erwidern zu wollen, schloss aber nach einem Blick auf mein Gesicht den Mund. Sie wirkte irritiert. Schließlich sagte sie: »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, als ich die Treppe runter gefallen bin, habe ich noch gehört, wie sie ein Amulett erwähnte, das niemand je finden würde.«

Ich nickte. »Das könnte wichtig sein«, sagte ich anerkennend und Sylvia schenkte mir das erste aufrichtige Lächeln, seit wir uns kannten. »Du musst uns gleich am Tag deiner Entlassung zu dir nach Hause einladen«, fuhr ich fort. Sofort erstarb das Lächeln auf ihrem Gesicht. Ich tat, als würde ich es nicht bemerken, und sprach weiter: »Du solltest der „wütenden Dame“ keine zweite Chance geben und auch deinen Vater warnen. Er muss vorsichtig sein. Lass dir was einfallen.«

Sylvia verzog das Gesicht. »Euch zu mir nach Hause einladen? Das kommt gar nicht in Frage. Was sollen denn meine Freunde denken?«

Ich ignorierte sie und kramte in meiner Schultasche nach einem Stück Papier. Schließlich riss ich ein Stück von einem Block ab. »Hier, das sind meine Telefonnummern. Ruf mich an, sobald du weißt, wann du entlassen wirst. Wir kommen dann zu dir. Wenn es dir peinlich ist, kannst du deinem Vater ja sagen, dass wir dir die Hausaufgaben bringen«, fügte ich hinzu.

»Mein Vater ist nicht das Problem«, erwiderte Sylvia und nahm zögernd den Zettel entgegen. »Wie spät ist es?«, fragte sie unvermittelt.

»Kurz nach drei«, sagte Noah. »Warum?«

»Oh.« Sylvia wurde blass. »Ihr müsst verschwinden, schnell!«

Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists

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