Читать книгу Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists - Nicole Fünfstück - Страница 6
ОглавлениеKapitel 3• Café "La Cuisine"
Noah und ich machten uns auf den Weg und hatten das neue Café schnell erreicht. Es war in einem Eckladen im Erdgeschoss eines Mietshauses untergebracht und im Stil alter französischer Straßencafés aufgemacht. Die uns zugewandte Front des Cafés war in gedecktem lindgrün gestrichen und dort, wo sich die Fenster befanden, war die Mauer zurückversetzt, so dass sie eine Nische bildete, in der eine Holzbank mit weinroten Kissen stand. Vor der Bank befanden sich drei runde, weiße Eisentische mit verschnörkelten Füßen und darum verteilt standen Eisenstühle im gleichen Stil, mit gleichfarbigen Kissen bestückt. Ich fragte mich, wer sich bei dieser Eiseskälte nach draußen setzen sollte, musste aber zugeben, dass die Dekoration super aussah. Die Fenster des Cafés waren umgeben von lindgrünen Holzrahmen. Der Eingang befand sich genau an der Ecke des Hauses. Auf die Wände rechts und links davon waren Frauen im Jugendstil gemalt worden. Sie erinnerten mich an Feen. Über dem Café, direkt unterhalb des ersten Stockwerks, befand sich sowohl zur optischen Trennung als auch zum Schutz vor Regen, ein schmales Glasdach mit unzähligen grünen Streben, das mich an Libellenflügel erinnerte. Direkt unter dem Glasdach, auf einem schwarzen Schild mit verschnörkeltem Rahmen, stand in geschwungener Schrift: "La Cuisine". Noah und ich näherten uns einem altmodischen Holzkasten, der neben der Bank an der Wand hing und in dem sich die Speisekarte befand. Das Angebot war reichhaltig und günstig. Ich wollte gerade zur Eingangstür gehen, als Noah mich zurückhielt und nach oben wies.
»Guck mal«, sagte er.
Ich folgte seinem Finger mit dem Blick. Unterhalb des Daches, auf einem schmalen schwarz gestrichenen Wasserrohr, hockte einer von diesen hässlichen Wasserspeiern, die man sonst nur an den Außenwänden von Kirchen fand. Er war nicht sehr groß, ebenfalls schwarz und schien mit angelegten Flügeln und verzerrter Fratze auf etwas zu lauern. Obwohl er kaum auffiel oder vielleicht gerade deshalb, fand ich, dass er überhaupt nicht dorthin passte. Wenn man sich schon so ein Ding unter das Dach packte, warum tarnte man es dann? Manche Menschen hatten merkwürdige Ideen, aber der Rest des Cafés war zumindest von außen traumhaft.
»Ich finde, der Wasserspeier passt da überhaupt nicht hin.«
Noah nickte. »Sehe ich genauso. Lass uns schauen, wie es innen aussieht.« Er ging zum Eingang.
Als wir in die Wärme des Cafés traten, beschlug meine Brille und ich musste sie erst putzen, bevor ich irgendetwas erkennen konnte. Mit rotem Gesicht setzte ich sie wieder auf und sah mich um. An den Seitenwänden befanden sich Nischen mit Tischen und Bänken, die durch Glaseinsätze im Jugendstil voneinander getrennt waren und in der Mitte des Raums standen mehrere Tische und Stühle, an denen fast ausschließlich kichernde und flüsternde Mädchen aller Altersstufen saßen. Ich warf Noah einen überraschten Blick zu. Er zuckte mit den Schultern. Ich ließ meinen Blick weiterwandern und er blieb an einem altmodischen Glastresen hängen, der sich gegenüber dem Eingang befand. Belegte Brötchen, Kuchen und andere Gebäckstücke lagen darin. Ein Teil der Wand hinter dem Tresen war für eine Durchreiche geöffnet worden und man konnte einen Koch im Raum dahinter werkeln sehen. Ein junger Mann mit blondem Zopf, der mit dem Rücken zu mir stand, nahm gerade zwei Teller mit dampfendem Essen von einer Frau mit Küchenschürze entgegen. Als er sich umdrehte, klappte mir der Mund auf. Ich hatte noch nie einen so gut aussehenden Jungen gesehen. Er war etwa sechzehn Jahre alt und sein Gesicht war … ich suchte nach Worten. Mir fiel nur eins ein: Perfekt. Während ich dastand und ihn anstarrte, sah er hoch und zu mir herüber. Unsere Blicke trafen sich und ich wurde rot, weil er mich beim Starren erwischt hatte. Schnell folgte ich Noah, der den letzten freien Tisch in der Mitte des Raumes ansteuerte und sich setzte, bevor es ein Mädchen tun konnte, das diesen auch angepeilt hatte.
»Sorry, diesmal war ich schneller«, sagte Noah und schenkte ihr ein Lächeln, welches sie normalerweise hätte dahin schmelzen lassen, aber im Schatten des Jungen hinter dem Tresen eher lau wirkte.
Das Mädchen zog eine Grimasse und verschwand zwischen den Tischen, um sich dann in eine der noch freien Nischen zu setzen. Ich ließ mich auf den Stuhl neben Noah fallen. »Jetzt weiß ich, warum hier fast alle weiblich sind und in der Mitte des Raumes sitzen wollen. Guck mal unauffällig zum Tresen.«
Noah sah in die angegebene Richtung und dann zurück zu mir.
»Ja, ich schätze, das erklärt es«, sagte er trocken. »Willst du zuerst bestellen? Hier ist Selbstbedienung.«
Er reichte mir eine Karte, auf der sich, vorne und hinten, die gleichen Jugendstilbilder befanden wie neben der Eingangstür. Auf der Vorderseite stand unter dem Bild: Speisekarte – bitte am Tresen bestellen und abholen.
Ich schüttelte den Kopf. »Von mir aus kannst du zuerst gehen. Ich weiß noch nicht, was ich essen will, und du musst ja gleich wieder los.« Ich schlug die Karte auf.
Noah nickte, erhob sich und ging zum Tresen. Ich folgte ihm mit dem Blick. Er sagte etwas zu dem perfekten Jungen und zeigte kurz in unsere Richtung. Der Junge sah zu mir herüber und wieder schaute er mich länger an als nötig. Was sollte das? Er war mindestens zwei Jahre älter als ich und ich nun wirklich nicht die Queen of Attraction. Und dann dämmerte es mir. Genau das war wohl der Grund. Ich fiel hier zwischen den ganzen herausgeputzten und aufgestylten Mädchen noch mehr auf als sonst. Ich zuckte mit den Schultern. Und wenn schon, das war ich schließlich gewohnt. Auf der Speisekarte stand unter anderem „Großmutters Linsensuppe“ und ich beschloss, mein Glück zu versuchen, auch wenn sie wahrscheinlich nur halb so gut war wie die meiner Großmutter.
Als Noah zurückkam, stand ich auf, doch Noah hielt mich zurück: »Du musst bei der Bestellung unsere Tischnummer angeben«, sagte er. »Wir haben Tisch Nummer fünf. Wenn das Essen fertig ist, leuchtet die Tischlampe zweimal auf und du kannst es abholen. Genial einfach, oder?«
Ich nickte und machte mich auf den Weg, um zu bestellen. Dabei quetschte ich mich zwischen zwei Stühlen hindurch und warf eine Jacke zu Boden. Ich hob sie auf und wunderte mich über das plötzliche Schweigen am Tisch. Erst als ich die Mädchen ansah, erkannte ich, dass es Ramona, Michelle und Janine waren.
»Was willst du denn hier?«, fragte Janine von oben herab und strich sich anmutig die Ponyfransen ihres kastanienbraunen Pagenschnittes zurück, der wie immer aussah, als käme sie direkt vom Friseur.
»Meinen Freischwimmer machen«, sagte ich, reichte ihr die Jacke und ging weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.
>Halla!<, entfuhr es der Wächterin begeistert.
Am Tresen erwartete mich Mr Perfect. Er war mehr als einen Kopf größer als ich und aus seinem kurzärmeligen, schwarzen T-Shirt schauten muskulöse Arme, die aber nicht die Ausmaße eines Bodybuilders hatten. Mit anderen Worten: Auch sein Körper war perfekt. Es war unfair. Der Junge sah mich abwartend an. Ich erwiderte den Blick und bemerkte, dass seine Augen grün waren. Meine Lieblingsaugenfarbe.
»Wenn du jetzt auch noch eine umwerfende Stimme hast, hasse ich dich!«, sagte ich, ohne nachzudenken.
Der Junge lachte laut auf. »Ich finde sie nicht umwerfend.«
»Ich hasse dich. Und ich hätte gerne Großmutters Linsensuppe!«
Der Junge grinste. »Ich könnte stottern, wenn es hilft«, schlug er vor.
»Zu spät«, sagte ich mürrisch.
»Und wenn ich mir Mühe gebe?«, erkundigte er sich und tippte etwas in die Kasse. Dabei konnte ich den Ansatz eines Tattoos entdecken, das ein Stückchen weit unter dem linken Ärmel herausschaute. Er sah hoch. »Ich werde nicht gerne gehasst!«
Zu meinem Erstaunen hörte ich mich sagen: »Ich denke, bei den vielen Mädchen, die dich anhimmeln, wirst du es überleben, wenn ich es nicht tue.« Die Gewissheit, dass ich viel zu unspektakulär für ihn war, schien meine Schüchternheit kurzfristig außer Gefecht gesetzt zu haben. Die Wächterin fand es klasse, ich konnte ihr breites Lächeln regelrecht spüren. »Soll ich gleich zahlen oder erst, wenn ich die Suppe abhole?«, erkundigte ich mich schnell und starrte angestrengt in mein Portemonnaie.
»Wenn du sie abholst.«
Ich blickte hoch und sah, dass er immer noch grinste. »Fein, dann gehe ich mal zu meinem Tisch zurück und warte auf das Blinken der Lampe.« Mir fiel etwas ein: »Ach ja, ich sitze an Tisch Nummer fünf.«
»Ich weiß«, sagte Mr Perfect. »Dein Freund war eben schon hier. Ich lasse euch wissen, wenn euer Essen fertig ist.«
Wow! Er war der Meinung, dass jemand wie ich mit jemandem wie Noah gehen könnte. Das war definitiv das Highlight des heutigen Tages. Ich hätte das so im Raum stehen lassen sollen, aber ich konnte nicht aus meiner Haut.
»Er ist nicht mein Freund, sondern ein Freund«, korrigierte ich und ging zurück zu Noah. Bereits am ersten Tisch, an dem ich vorbei musste, stolperte ich und fiel auf die Knie. Mit hochrotem Kopf und ohne mich umzusehen, stand ich auf und ging weiter, begleitet von dem hämischen Kichern der Mädchen, die meinen peinlichen Auftritt mitbekommen hatten.
>Und da schwand sie hin, die Hoffnung!<, sagte die Wächterin.
Ich entgegnete nichts, sondern knirschte nur mit den Zähnen.
Noah sah mir entgegen. »Ich hoffe, unser Essen ist gleich so weit, ich sterbe vor Hunger,« sagte er, ohne auf meinen Unfall einzugehen.
Wenig später leuchtete unsere Tischlampe auf.
»Du oder ich?«, erkundigte sich Noah.
»Beide«, schlug ich vor.
»Habe ich aus Versehen vier Mal gedrückt?«, fragte Mr Perfect, als wir angetrabt kamen. »Sorry, aber es ist nur der Hamburger fertig. Die Linsensuppe braucht noch ein paar Minuten.« Er reichte Noah den Teller, nahm das Geld entgegen und sagte zu mir, während er es in die Kasse legte: »Du kannst aber gerne hier warten. Dann habe ich Gelegenheit, ein bisschen Schönwetter zu machen.«
Noah sah mich fragend an.
Ich zuckte mit den Schultern. »Er ist einfach zu perfekt, um ihn zu mögen.«
»Aha!«, machte Noah, »ich gehe dann schon mal.«
Sobald er verschwunden war, wandte sich der Junge wieder an mich. »Fangen wir doch mit etwas Einfachem an«, meinte er. »Wenn du mir deinen Namen sagst, sage ich dir meinen.«
»Es wird dir zwar nichts nützen, aber einverstanden. Ich heiße Christina.«
Der Junge betrachtete mich einen Moment aufmerksam und nickte. »Passt zu dir. Macht es dir was aus, wenn ich dich trotzdem Tina nenne? Ich fasse mich gerne kurz.« Bevor ich antworten konnte, sprach er bereits weiter: »Ich nenne mich X.«
»Ex?«, fragte ich verwirrt.
»Genau. X, nur auf Englisch ausgesprochen. Hier, deine Suppe ist fertig.« Er reichte mir einen Teller. »Macht drei Euro fünfzig, bitte.«
Ich kramte nach dem Geld und reichte es ihm über den Tresen. »X passt überhaupt nicht zu dir. Ich hätte auf Rafael oder so was getippt. Ich würde meine Eltern verklagen, wenn sie mich nur mit einem einzigen Buchstaben bedacht hätten!« Wieder diese für mich ungewöhnliche Offenheit. Keine Ahnung, was heute mit mir los war, aber der Wächterin gefiel es definitiv. Und wenn ich ganz ehrlich war, mir auch.
Xs Gesicht verdüsterte sich einen Moment, dann sagte er: »Haben sie nicht, aber X gefällt mir besser als mein Geburtsname!«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst. Es ist dein Name. Vielleicht erfahre ich ja irgendwann mal, wie du dazu gekommen bist.«
X sah mich an und nickte langsam. »Ja«, sagte er, »vielleicht.«