Читать книгу Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists - Nicole Fünfstück - Страница 7

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Kapitel 4• Wieder im Buchladen

Als ich zurück zum Tisch kam, hatte Noah seinen Hamburger schon verschlungen und machte sich nun über seine Pommes her.

»Scheint gut gewesen zu sein«, bemerkte ich grinsend.

»Unglaublich«, erwiderte Noah und schob sich noch eine Pommes in den Mund. »Als ich den Hamburger bestellt habe, hat mich der Mädchenschwarm am Tresen ...«,

»X«, sagte ich automatisch und stellte mein Tablett auf den Tisch.

Noah warf mir einen überraschten Blick zu, fuhr aber ohne Kommentar fort: »X hat mich gefragt, ob ich den Hamburger lieber mit Lammfleisch hätte, und das war die beste Idee des Tages.«

Ich probierte die Suppe und war überrascht. Sie schmeckte tatsächlich wie die meiner Großmutter. Das konnte nur bedeuten, dass ihr Rezept doch nicht so geheim und außergewöhnlich war, wie sie selbst immer behauptete. Ich grinste. Beim nächsten Familientreffen, wenn sie mich wieder mit irgendwas aufzog, würde ich das mal erwähnen.

»Und, wie ist die Suppe?«, fragte Noah.

»Wie die meiner Großmutter.« Ich nahm noch einen Löffel.

»Dann genieße sie, ich muss los«, sagte Noah und erhob sich. »Wir sehen uns später.« Er nahm seinen Teller, stellte ihn auf einen eleganten Geschirrwagen, winkte mir noch einmal zu und ging zum Ausgang.

Als ich fertig gegessen hatte, tat ich es ihm gleich und war schon auf dem Weg zur Tür, als ich ein fröhliches: »Ciao Tina!«, vernahm. Ich drehte mich um und sah etwa dreißig Augenpaare auf mich gerichtet. Einige verdutzt, die meisten aber empört und neidisch. Ich nickte in Richtung Tresen: »X!«

Dann verließ ich das Restaurant.

>Cooler Abgang!<, sagte die Wächterin zufrieden.

Dieser Tag hatte das Zeug, der bisher beste meines Lebens zu werden.

Wenig später saß ich im Bus und fuhr in die Innenstadt. Es war schon nach 14:00 Uhr und Jo würde mit Sicherheit sauer sein, dass ich so spät kam, aber wie hatte Noah so schön gesagt: Damit musste er leben. Als ich endlich am Jägerzaun stand, der den Buchladen und den dazu gehörenden Garten umgab, hatte ich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Ich konnte es plötzlich gar nicht mehr erwarten, Mathilde und den Raum der Bücher wiederzusehen. Auch die Wächterin freute sich. Sie summte vor sich hin, was irritierend gewesen wäre, wenn es sich nicht um eins meiner Lieblingslieder gehandelt hätte. Ich öffnete die Gartenpforte, die noch immer leise quietschte, und schritt über den Kiesweg auf das alte Einfamilienhaus, mit dem merkwürdigen Türmchen zu, in dem sich der Buchladen befand. Oder vielleicht sollte ich sagen, in dem er sich versteckte. Das Äußere des Ladens wirkte eher abweisend und im Inneren war es staubig und leicht chaotisch. Ich war gespannt, was Jos Mutter dazu gesagt hatte, denn all das passte nicht wirklich in das wohlgeordnete Leben der Dräxlers.

Ich warf einen Blick auf den nun kahlen Apfelbaum, der bei meinem ersten Besuch voller Früchte gehangen hatte, und wäre fast ausgerutscht, da mir dadurch eine gefrorene Stelle auf dem Weg entgangen war. Es war eindeutig Winter. Wie zur Bestätigung fuhr ein eiskalter Windstoß durch die Tannen, die den Buchladen flankierten. Sie rauschten leise. Die Tannen schirmten den Buchladen zusätzlich vor den Augen ungebetener Gäste ab, und das waren alle, die nicht eingeladen worden waren, ihn zu betreten. Ich zog schaudernd den Reißverschluss meiner Winterjacke höher. Ich erreichte das Haus und sah ins Schaufenster, das die gesamte Vorderfront einnahm. Die verschnörkelte Schrift, die besagte <Mathildes Buchladen - Vergangenes und Modernes>, war noch an ihrem Platz, doch im Schaufenster selbst hatte jemand Ordnung geschaffen. Es war staubfrei, die dort ausgestellten Bücher wurden ordentlich präsentiert und die Spielzeuge waren verschwunden. Wahrscheinlich hatte Mathilde vermeiden wollen, dass Frau Dräxler schon vor Betreten des Ladens auf dem Absatz kehrtmachte und Jo wieder mitnahm.

Ich ging zur Eingangstür mit dem Glaseinsatz, der durch ein altmodisches Eisengitter geschützt wurde, und drückte auf die Klinke. Die Tür schwang nach innen auf und wie immer bimmelte das Glöckchen, das darüber angebracht war. Im Laden selbst hatte sich nichts verändert. Es war dämmerig, leise Musik erklang aus unsichtbaren Lautsprechern und es roch nach Staub, Leder, alten Büchern und noch etwas anderem, das ich immer noch nicht identifiziert hatte. Hinter dem Holztresen, rechts neben dem Eingang, auf dem sich außer einer altmodischen schwarzen Kasse auch unzählige Bücher und ein kleines Töpfchen mit Blumen, diesmal Astern, befanden, saß normalerweise Mathilde mit einem Buch in der Hand. Heute jedoch war der Platz leer.

Das war mehr als ungewöhnlich. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich wollte gerade mein Druidenmesser aus der Innentasche der Winterjacke ziehen, als Mathildes Stimme aus der Tiefe des Buchladens erklang: »Hallo Christina, wir sind im Sachbuchbereich, vierte Regalreihe rechts, ganz hinten.« Ich atmete erleichtert auf und machte mich auf den Weg. Inzwischen fragte ich mich nicht mehr, wie Mathilde wissen konnte, dass ich es war, die den Laden betreten hatte. Sie war ein magisches Wesen. Was genau sie war, hatte sie uns allerdings noch nicht erklärt, aber ich war mir sicher, dass sie es uns zu gegebener Zeit sagen oder herausfinden lassen würde. Der Moment war wohl einfach noch nicht gekommen. Der Buchladen war gefüllt mit Reihen von Regalen aus dunklem Holz, welche sich in der Tiefe verloren und die Gänge dazwischen wurden von runden Deckenlampen nur spärlich beleuchtet. Dafür gab es an jedem der Regale mehrere Leselampen, die man einschalten konnte, um sich die Bücher genauer zu betrachten. Auf dem Boden vor den Regalen lagen hin und wieder Bücherstapel. Ja, es war eindeutig, dass Mathilde Hilfe benötigte. Oder zumindest wollte sie den Eindruck erwecken. Ich wich einem Stapel mit dicken, alten Einbänden aus, den ich im Dämmerlicht fast nicht gesehen hatte und grinste.

Einmal mehr erinnerte mich das Innere des Ladens an den Bauch eines alten Holzschiffes, doch inzwischen fand ich es nicht mehr befremdlich, sondern eher heimelig. Ich hatte Jo und Mathilde schnell erreicht und bevor die Bibliothekarin wusste, wie ihr geschah, fiel ich ihr um den Hals. Mathilde war genauso groß wie ich, was bedeutete, dass ich in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten, einige Zentimeter gewachsen sein musste.

»Mathilde! Ich freue mich so, Sie wiederzusehen«, sagte ich enthusiastisch.

»Ehm«, machte sie und tätschelte mir unbeholfen den Rücken, doch als ich sie losließ, sah ich, dass ihre Augen vor Freude strahlten. »Ich habe Jo gerade erklärt, mit welchem Regal er beginnen soll«, erklärte sie, ohne weiter auf meinen Gefühlsausbruch einzugehen. »Hier befinden sich Sachbücher aus dieser Region, über diese Region und über unsere Stadt. Möchtest du Jo helfen oder willst du gleich in den Raum der Bücher?«

»Ich helfe ihm«, sagte ich. »Außerdem kommt Noah auch gleich, und dann können wir gemeinsam starten.«

»Einverstanden«, sagte Mathilde, »dann soll es für heute mal mit dem Sortieren gut sein, sobald Noah da ist. Jos Mutter hat sich nämlich nur mit viel Überredungskunst dazu bereit erklärt, Jo erst um 17:00 Uhr wieder abzuholen. Ich habe ihr erklärt, dass ich Jo zuerst den Laden zeigen und sein System erklären muss, bevor er anfangen kann, aber das klappt nicht jedes Mal! Jetzt müsst ihr euch was ausdenken.«

»Kein Problem, das schaffe ich«, sagte Jo und grinste. »Ich sage ihr einfach, dass der Laden unglaublich ist und ich gerne etwas öfter kommen und länger bleiben würde, um Schmökern zu können. Und davon ist kein einziges Wort gelogen.« Er strahlte uns an. »Hallo, Vulkanchen, übrigens!«

Ich lachte. »Hallo, Jo. Womit fangen wir an?«

Mathilde ließ uns alleine und wir wandten uns den Bergen von Büchern zu, die sich auf dem Boden vor zwei Regalen stapelten. Nach kurzem Überlegen einigten wir uns darauf, alle, die uns nicht interessant vorkamen, in das linke und alle anderen in das rechte Regal zu packen und sie dann nach den Kriterien „über die Region“ und „über unsere Stadt“ zu ordnen.

»Wie hat deine Mutter auf den Buchladen reagiert?«, erkundigte ich mich und packte ein Buch nach kurzem Zögern in das Regal der interessanten Werke.

»Erstaunlich gut.« Jo lehnte sich vorsichtig an das Regal, dem er am nächsten war, um seine Arme zu entlasten. »Zuerst war sie etwas befremdet über das Chaos, das hier herrscht, aber Mathilde hat auf hilflose alte Frau gemacht, uns herumgeführt und immer wieder darauf hingewiesen, wie viel Arbeit es hier gäbe und wie sehr sie Hilfe benötige. Zum Abschluss hat sie meiner Mutter dann auch noch einen historischen Liebesroman aufgenötigt und ich glaube, das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, denn daraufhin hat mein Mutternator eiligst die Flucht ergriffen.«

Ich lachte schallend bei der Vorstellung und Jo stimmte ein. Es war gut, wieder zusammen zu sein. Ich merkte erst jetzt, wie sehr ich das vermisst hatte. Sicher, wir hatten uns täglich in der Schule gesehen, aber das hier war etwas ganz anderes.

»Das klingt weder nach Langeweile, noch nach Arbeit«, ertönte da Noahs Stimme hinter uns. Er grinste über das ganze Gesicht. »Was ist so witzig?«, erkundigte er sich.

Jo erklärte es ihm.

»Da wir jetzt vollzählig sind, sollten wir in den Raum der Bücher gehen. Wir haben nicht mehr viel Zeit«, schlug ich vor und hielt nach Mathilde Ausschau. Sie erschien wie aufs Stichwort mit ihrem Schlüsselring. Dieser war mit unzähligen Schlüsseln bestückt, die man alle benötigte, um die Tür zum geheimen Raum der Bücher zu öffnen. Mathilde ging vor und wir folgten ihr. Mit jedem Gang, den sie nahm, wurde ich verwirrter. Eigentlich war es unmöglich und trotzdem hatte ich das Gefühl, als befände sich der Raum plötzlich in einem anderen Teil des Buchladens.

»Mathilde, ich meine, es ist Ihr Laden und Sie kennen ihn garantiert wie Ihre Westentaschen, aber ich glaube trotzdem, dass wir in die falsche Richtung gehen«, sagte Jo vorsichtig und sprach damit aus, was ich gedacht hatte.

»Richtig, ich kenne ihn und jeden seiner Winkel ganz genau«, stimmte Mathilde ihm zu. »Daher ist es für mich unmöglich, mich zu verlaufen. Hier sind wir.« Sie hielt vor der hohen schweren Holztür und steckte den ersten Schlüssel in das Schlüsselloch.

Jo sah mich verblüfft an, doch ich konnte auch nur ratlos den Kopf schütteln. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Mathilde zu. Sie steckte gerade den nächsten Schlüssel des Rings ins Schloss. Um die Tür zu entriegeln, waren alle Schlüssel nötig, und wie immer bewegte Mathilde sie alle in unterschiedliche Richtungen. Als sie endlich fertig war, öffnete sich die Tür und wir betraten den Raum. In dem enormen, halbrunden Kamin, der sich direkt gegenüber dem Eingang befand und dessen Abzugsschacht im Dach verschwand, hing wie immer ein Kessel über den Resten eines erloschenen Feuers. In den verschiedenen Regalen und Glasvitrinen rechts von ihm, gab es alle möglichen (und unmöglichen) Gerätschaften, Kräuter, Tiegel und Flaschen. Der Rest der Wände war bis fast unter die Decke mit vollen Bücherregalen bedeckt. Es war heute schummeriger im Raum als sonst, denn durch die Buntglasfenster knapp unter dem Dach fiel kein Licht. Draußen wurde es bereits dunkel. Wir hatten nicht mehr viel Zeit.

Mathilde machte für uns das Licht an. »Bevor ihr anfangt ...« Sie kam mit uns in den Raum und schloss die Tür. Gespannt sah ich sie an, denn das tat sie nur, wenn es etwas Wichtiges gab, dass sie uns mitteilen wollte. Aus einem Grund, den wir auch noch nicht herausgefunden hatten, sagte sie es uns nie im Laden selbst. »Dieser Raum hat den Platz gewechselt«, erklärte sie, »weil Christina im Sommer von dem alten Standort aus in die Zwischenwelt gegangen ist. Nun ist es für die dunklen Wesen die dort lauern, und Christinas Ankunft vielleicht bemerkt haben, unmöglich ihr zu folgen, denn auch das Tor ist nicht mehr dort, wo es vorher war. Und nun lasse ich euch arbeiten. Ich gebe euch Bescheid, wenn Jos Mutter in der Nähe ist.« Sie lächelte uns noch einmal zu, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Ich sah ihr einen Augenblick nach und überlegte wieder einmal, warum sie uns solche Dinge nur hier im Raum der Bücher mitteilte. Er war zwar so isoliert, dass noch nicht einmal unsere Handys Empfang hatten, doch im Laden war niemand, der uns hätte belauschen können.

>Niemand, aber vielleicht etwas<, sagte die Wächterin nachdenklich.

Ich stutzte. Vielleicht war nicht nur der Raum der Bücher magisch, sondern der ganze Buchladen. Möglicherweise gab es wirklich etwas, das zuhörte. Ich beschloss, Mathilde irgendwann danach zu fragen, aber momentan hatten wir Wichtigeres zu tun.

Ich drehte mich zu Jo und Noah. »Auf geht's!«

Noah griff nach dem Karteikasten und Jo war bereits auf dem Weg zu dem großen Holztisch mit den Leselampen, der direkt unter dem gigantischen Kronleuchter stand, welcher an einer dicken Metallkette von der Decke hing. Jo machte die Lampen an, ließ sich auf einen der Stühle fallen und ich setzte mich neben ihn. Noah stellte den Karteikasten vor uns auf den Tisch und nahm neben mir Platz.

Ich zog eine Karte mit der Aufschrift „Dämonen“ aus dem Kasten und fragte: »Welches Ritual muss ich durchführen, um getarnte Dämonen zu erkennen?«

»Die Wächterin kann sie spüren«, erschien sofort auf der Karte.

»Das wissen wir bereits«, sagte Jo. »In diesem Fall kann sie es aber eben nicht.«

Ich ignorierte ihn, steckte die Karte wieder weg und nahm eine mit der Aufschrift „Allgemein“. Wahrscheinlich musste ich weiter vorne anfangen. »Welches Ritual muss ich durchführen, um meinen noch nicht aktivierten Sinn, zum Aufspüren von Dämonen, zu wecken?« Jo sah mich anerkennend an. Noah lächelte.

Wie immer erschien die Antwort postwendend: »Dieser Sinn aktiviert sich von selbst, aber bis es so weit ist, kann die Wächterin die Zeit mit einem Trank überbrücken. Die Wirkung des Tranks hält so lange an, bis der Sinn der Wächterin aktiv ist. Ritual zum Brauen des Tranks: Siehe Arbeitsbuch zur großen Dämonenenzyklopädie, erster Teil: Aufdecken des wahren Seins, 5. Regal links, 2. Brett, Seite 10 und folgende«, las ich laut.

Noah erhob sich, ging zu dem genannten Regal und kam mit dem Buch zurück. Er öffnete es und legte es vor mich hin. All das passierte automatisch, es war so, als wären wir erst gestern zum letzten Mal im Raum gewesen. Noah holte die Bücher, Jo machte seine Kommentare und ich, ja, was war mit mir? Ich hatte plötzlich keine Angst mehr davor, Rituale auszuprobieren. Im Gegenteil, ich freute mich darauf!

>Wurde auch Zeit<, bemerkte die Wächterin.

»Soll ich lesen?«, fragte Jo eifrig.

Ich nickte. »Wenn du willst.«

Jo zog das Buch zu sich herüber und räusperte sich. »OK, hier steht: Das Ritual zum Aufdecken des wahren Seins bewirkt, dass sich die Dämonen zeigen, ohne die Körper der betreffenden Menschen zu verlassen. Die Wächterin muss einen Durchsichtigkeitstrank brauen (siehe: „Hilfreiche Tränke und wie man sie braut“ Teil 1, 1. Regal links, 4. Brett, Seite 20 und folgende) und ihn dann trinken. Binnen kurzer Zeit wird sich das Ergebnis offenbaren. Sie wird bei Menschen, die von dämonischen Kreaturen besessen sind, die Pupillen neongrün aufleuchten und anschließend für ein paar Sekunden die Art des Wesens sehen. Bei Menschen, die Kontakt mit dämonischen Kreaturen hatten oder von diesen heimgesucht werden (Zum Beispiel: Poltergeister, Kobolde etc.), befinden sich neongrüne Flecken auf Stirn, Nase und Handrücken, die an Sommersprossen erinnern. Je mehr Flecken ein Mensch hat, desto intensiver war oder ist der Kontakt mit dem Wesen.« Er machte eine Pause, zog den Karteikasten zu sich, zog eine Karte mit der Aufschrift „Allgemein“ und fragte: »Da frage ich mich doch, ob die Helfer der Wächterin den Trank auch trinken können. Es wäre nämlich durchaus hilfreich, wenn auch wir die Wesen sehen könnten.«

Die Antwort kam prompt. Ich beugte mich nach vorne, um sie besser lesen zu können: »Der Trank ist einzig und allein für die Wächterin gedacht, denn das latente Gen der Helfer kann den potentiell giftigen Trank nicht umwandeln und er wäre für sie tödlich. Es ist auch völlig unnötig, dass die Helfer ihn trinken, denn sie sind mit der Wächterin verbunden und sobald diese ein Wesen oder seine Spuren wahrnehmen kann, können sie es auch.«

»Ehm.« Jo sah mich stirnrunzelnd an. »Potenziell giftig und den sollst du trinken?«

»Bist du sicher, dass es für dich wirklich ungefährlich ist, Christina?«, erkundigte sich Noah gleichzeitig. »Du bist noch nicht lange Wächterin, dein Gen ist vielleicht noch nicht ganz aktiviert.«

»Ich schätze, seit ich meine innere Wächterin hören kann, ist das Gen voll funktionsfähig«, entgegnete ich. »Außerdem ist es momentan die einzige Möglichkeit, dunkle Wesen aufzuspüren und wie wir wissen, ist damals beim Gewitter etwas angekommen.«

»Und wenn nicht?«, erkundigte sich Jo. »Ich meine, es ist lange her und nichts ist passiert. Vielleicht ist ja gar nichts angekommen.«

»Nicht jedes dunkle Wesen will auffallen«, erinnerte ich ihn. »Viele sind hier, um Luzifer zu unterstützen, den letzten Kampf zwischen Gut und Böse vorzubereiten.«

»Dann hole ich mal das Buch über die nützlichen Tränke.« Noah erhob sich. Er kam gerade damit zurück zum Tisch, als sich die Tür öffnete und Mathilde den Kopf hereinsteckte.

»Du solltest nach vorne kommen, Jo, deine Mutter ist gerade in den Vorgarten getreten.«

Jo erhob sich eilig und ich reichte ihm seine Krücken. »Damit bist du gerade noch darum herumgekommen, Gift zu trinken«, sagte er und fügte unsicher hinzu: »Ihr fangt doch nicht ohne mich an, oder?«

»Auf keinen Fall.« Ich schüttelte den Kopf. »Aber es wäre hilfreich, wenn wir morgen weitermachen könnten. Meinst du, das kriegst du hin?«

»Definitiv«, sagte Jo überzeugt. »Allerdings sollte sie euch vorerst nicht sehen.«

Wir verließen den Raum. Während Jo sich auf den Weg zum Verkaufstresen machte, verschloss ich die Tür zum Raum der Bücher, indem ich dreimal gegen das Metallschloss klopfte. Ich hörte, wie sich verschiedene Riegel vorschoben und metallene Zähne klickten, ohne sie sehen zu können. Obwohl ich dies schon häufig getan hatte, fand ich es immer noch faszinierend. Ich lächelte Noah zu und zeigte mit dem Kopf in die Richtung, in der ich die Ladentür vermutete. Noah sah mich ratlos an, nickte dann aber und wir machten uns auf den Weg. Wir mussten in die richtige Richtung gegangen sein, denn plötzlich konnte ich Jo hören. Er sprach mit sich vor Begeisterung fast überschlagender Stimme: »Mama, dieser Laden ist der Hit. Du glaubst nicht, was es hier alles an Büchern gibt, und ich habe heute nur mit den Sachbüchern über unsere Stadt angefangen. Wusstest du, dass wir nach dem Krieg fast Landeshauptstadt geworden wären und nur knapp gegen Bonn verloren haben? Und dass wir mal Königssitz waren? Stell dir vor, was ich hier noch alles lernen und entdecken kann, wenn ich mehr Zeit habe. Bitte, Mama, kann ich morgen wiederkommen? Mathilde kann wirklich Hilfe gebrauchen. Außerdem könnte ich nach dem Ordnen noch ein bisschen schmökern. Mathilde hat nichts dagegen. Bitte, Mama!«

»Es wäre wirklich schön, wenn Ihr Sohn öfter käme«, hörte ich Mathilde ruhig sagen. »Hier ist so viel zu tun, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, und seine Gesellschaft macht mir Freude.«

Für einen Moment herrschte Schweigen, dann sagte Jo: »Du kannst mich herfahren und wieder abholen, ich esse mittags auch zu Hause, wenn du es möchtest. Bitte!«

Ich hörte, wie Frau Dräxler tief Luft holte. »Dienstags, mittwochs und donnerstags, sonst hast du nicht genug Zeit, um für die Schule zu lernen. Ich fahre dich hin und hole dich ab«, sagte sie schließlich. »Wenn ich sehe, dass es deine schulischen Leistungen nicht beeinträchtigt, sprechen wir erneut darüber! Und nun komm, dein Vater kommt gleich nach Hause und wir wollen zusammen zu Abend essen.«

»Danke, Mama«, sagte Jo inbrünstig und dann etwas lauter als nötig, »bis morgen um 14:00 Uhr, Mathilde.«

»Bis morgen, Jo«, erwiderte Mathilde freundlich.

Ich hörte, wie die Tür sich öffnete, das Glöckchen bimmelte und die Tür wieder zufiel. Dann erst drehte ich mich zu Noah.

»High five auf Jo.« Noah hob die Hand. Ich klatschte ab und wir gingen nach vorne zu Mathilde.

»Jo und Sie sind ein unschlagbares Team«, sagte ich lachend. »Wir sehen uns morgen!«

»Bis morgen, ihr zwei«, erwiderte Mathilde und zwinkerte mir zu.

Die Aussenseiter und die Rache des Poltergeists

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