Читать книгу Alles fließt - Nicole Garos - Страница 12
Friedrich und ich
ОглавлениеAm Tag unserer Hochzeit sollte sich ein Thema offenbaren, dass meine gesamte Ehe mit Friedrich überschattete und ihr schließlich ein Bein stellte. Den Tag unserer Eheschließung feierten wir in sehr kleinem Rahmen. Obwohl mein Mann katholisch war und ich ungetauft, erklärte sich ein evangelischer Pfarrer in unserer Nähe dazu bereit, uns kirchlich zu trauen. Im schwarzen, eleganten Kleid, das ich mir mit einer grünen Jacke von unserer Bekannten Ilse geliehen hatte, trat ich gemeinsam mit meinem zukünftigen Mann vor den Traualtar. Neben uns waren noch weitere sechs Hochzeitsgäste anwesend, alles befreundete Paare. Friedrichs Mutter war nicht erschienen. Schon nach wenigen Begegnungen hatte sich herausgestellt, dass sie nicht viel von mir hielt. Sie, eine Frau, der materielle Güter sehr wichtig waren, hatte sich für ihre Kinder immer eine ‘gute Partie’ gewünscht und aus diesem Grund auch ihre beiden Töchter an Amerikaner verheiratet. Ich, ein mitelloses Mädchen ohne gutes Elternhaus, passte nicht in ihre Vorstellungen einer Ehefrau für ihren ältesten Sohn Friedrich. Doch Friedrich lies sich, vielleicht auch mit dem Drang sich von seiner Mutter zu lösen, in seiner Wahl für mich nicht beirren. Er bestand darauf mich zu heiraten.
Nach der Hochzeit gab es Kaffee und Kuchen bei uns in der Wohnung, in der ich inzwischen mit Friedrich alleine wohnte, da seine Schwester, frisch verheiratet, gemeinsam mit meiner Schwiegermutter zu ihrem Mann in ein neues Haus in unserer Nachbarschaft gezogen waren. Noch während wir mit unseren Freunden zusammensaßen, klingelte es an der Haustür. Ich ging, um zu öffnen – und vor mir stand eine junge, gutaussehende, stark geschminkte Dame, die danach verlangte, Friedrich zu sprechen.
“Wer sind Sie?”, fragte ich sie erstaunt.
“Ich bin Friedrichs Freundin.”, antwortete mir die blonde Frau fast ein wenig ungeduldig.
“Friedrich, kommst Du mal.”, rief ich doch etwas aufgeregt ins Wohnzimmer.
Friedrich trat zu uns, dicht gefolgt von Ilse, unserer gemeinsamen Bekannten, die ich von Anfang an sehr gemocht hatte.
“Hallo Friedrich”, liebäugelte die junge Dame vor der Tür, “ wir haben uns schon eine Weile nicht mehr gesehen, da dachte ich, wir könnten mal wieder miteinander ausgehen.”
Die aufgeweckte Ilse übernahm, da Friedrich erst einmal etwas perplex dastand, das Wort. “Na kommen Sie doch erst einmal herein.”, sagte sie zu der Unbekannten und dann, an mich und Friedrich gerichtet: “Ladet die Gute doch erst einmal zu einem Kaffee ein.”
Friedrich lief knallrot an, wandte aber nichts dagegen ein, so gingen wir tatsächlich alle zusammen Richtung Wohnzimmer. Als unser neuer Gast ins Wohnzimmer trat und den schön gedeckten Kaffeetisch vorfand, fragte sie in die Runde: “Feiert ihr etwas? Wem darf ich denn zum Geburtstag gratulieren?”
Ilse setzte spöttisch hinzu: “Na Friedrich, willst Du uns nicht mal vorstellen?”
Nun blieb Friedrich nichts anderes übrig als nach und nach die Namen der Runde aufzuzählen und zu guter Letzt auf mich zu zeigen: “… und das ist … das ist meine Frau Doreen.”
Verdattert, verblüfft, fast entsetzt sah mich die junge Dame an – sie zögerte ein paar Sekunden und machte dann auf der Stelle kehrt, verließ das Wohnzimmer und schließlich die Wohnung. Es herrschte Stille im Raum, die Haustür knallte.
Ilse war erneut diejenige, die die verlegene Stille durchbrach: “Ich glaube, da ist jetzt eine Erklärung fällig”, sagte sie, “so lange kann das doch gar nicht her sein.”
“Ach”, versuchte Friedrich etwas kleinlaut zu beschwichtigen, “das ist schon lange vorbei.”
Ich sagte gar nichts, sah Friedrich nur ernst an. Ja, ich machte mir meine Gedanken, aber was sollte ich denn machen, ich war seit heute verheiratet, schwanger – und wo hätte ich denn hingesollt? Doch diese unerwartete Begegung auf unserer Hochzeitsfeier verursachte einen ersten Riss in das Vertrauen, das mich mit Friedrich verband. Aber an Risse hatte ich mich ja in meinem bisherigen Leben gewöhnt. So fuhren wir noch am selbigen Abend wie geplant auf Hochzeitsreise für ein Wochenende in den Schwarzwald. Das Thema ‘andere Frauen’ sollte uns aber im Laufe unserer gesamten Ehe nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.
Inzwischen war ich im dritten Monat schwanger, und die Schwangerschaft meines ersten Kindes entwickelte sich zu einer regelrechten Tortur für mich. Fast vom ersten bis zum letzten Monat konnte ich kaum einen Bissen behalten, musste immer wieder stationär behandelt werden und war insgesamt sehr, sehr schwach. Nach acht Monaten wollte schließlich unser Kind geboren werden, doch die Prozedur der Geburt brachte mich fast um. Geschwächt und ausgemergelt brachte ich trotz verfrühter Geburt einen vier Kilo schweren kleinen Jungen auf die Welt. Und trotz Gebärmutterriss und starkem Blutverlust, trotz all der Strapazen war ich glücklich. Ich hielt mein Wunschkind in den Armen, jemanden, der von mir und zu mir gehörte.
Doch auch die ersten Monate nach der Geburt von Ralf, meinem ersten Sohn, waren nicht einfach. Ich war sehr schwach und vielfach auf mich alleine gestellt. Menschen, die mir in dieser Zeit beistanden, waren in den ersten Wochen eine sehr geerdete, patente und liebevolle Hebamme und mein Hausarzt Dr. Kern, ein Freund der Familie, der auch bei der Entbindung von Ralf anwesend war und auch sonst immer verständnisvoll für mich da war, wenn ich ihn brauchte. Außerdem kam Erika, Friedrichs große Schwester, zu der ich ein sehr herzliches Verhältnis hatte, immer wieder zu Besuch. Meine Schwiegermutter, die nur wenige Häuser entfernt von uns wohnte, machte mir hingegen bei Stipvisiten das Leben schwer.
Friedrich sah ich eher selten. Nach langen Arbeitstagen kam er oft spät nach Hause – und blieb dann nicht lange. Er zog fast jeden Abend mit seinen Kumpels um die Häuser und kam oft erst des Nachts, immer wieder auch angetrunken, zurück. Was uns auch in dieser Zeit weiterhin verband, waren Bücher und Hörspiele. Interessante Hörspiele, die wir uns gemeinsam im Radio anhörten, um uns dann darüber auszutauschen, waren die einzige Möglichkeit, ihn von seinen abendlichen Touren abzuhalten. Für diese Abende blieb er gerne zu Hause.
Und obwohl ich aufgrund meiner schwachen Gesundheit die kommenden fünf Jahre auf Anraten des Arztes nicht schwanger werden solllte und obwohl ich in dieser Zeit auch kein weiteres Kind wollte, stellte ich nur fünf Monate nach Ralfs Geburt fest: Ich war erneut schwanger. Noch am selbigen Tag suchte ich Herrn Dr. Kern, unseren Vertrauensarzt, auf. Er bestätigte meine Vermutung und ließ mich wissen, er käme des Abends bei uns zu Hause vorbei. Am frühen Abend stand er vor der Tür und setze sich schließlich zu meinem Mann Friedrich ins Wohnzimmer, während er mich unter einem Vorwand in die Küche schickte. Von dort hörte ich Wortfetzen eines sich aufbäumenden Streites zwischen den beiden Männern: “Du Schurke!”, “Wie kannst Du nur?”, “Deine Rücksichtslosigkeit”, “Du weißt überhaupt nicht, was diese Frau wert ist!”, “Du kannst das gar nicht schätzen.”
Dann hörte ich Gerumpel und Schläge. Schließlich stürzte Herr Dr. Kern, der immer noch in Rage war, an mir vorbei und rief mir im Vorübergehen zu: “Geh und wasch ihn ab”, und kurz bevor er aus der Tür trat, drehte er sich noch einmal zu mir um, “und wenn es Dir nicht gut geht”, sagte er etwas ruhiger, “dann kommst Du einfach vorbei.” Damit verließ er unsere Wohnung.
Zum Glück bereitete mir die zweite Schwangerschaft weniger Probleme. Ich gewöhnte mich an den Gedanken, bald ein zweites Kind zu haben, wobei ich den insgeheimen Wunsch hegte, dass es diesmal ein Mädchen werde. Ich konnte inzwischen auch den Alltag mit meinem kleinen Ralf gut bewältigen, wobei mir insbesondere Friedrichs Schwester Erika, die selbst keine Kinder bekommen konnte und unbedingt die Patenschaft für unser zweites Kind übernehmen wollte, immer wieder zur Seite stand und uns oft besuchte. Sie war es auch, die die gesamte Babyausstattung für mein zweites Kind ins Haus schleppte, bevor das Kleine überhaupt geboren war. Und sie war es auch, die an dem Abend, ich war inzwischen im 9. Monat schwanger, anwesend sein sollte, an dem ein großes Erdbeben meine Ehe erschütterte und einen zweiten tiefen Riss hinterließ.
Erika war mit ihrem Mann zu Besuch bei uns und die beiden Männer becherten bis spät in die Nacht hinein in der Küche ein Bier nach dem anderen. Wir Frauen hatten uns längst zur Ruhe gelegt. Mitten in der Nacht, es muss so gegen 3 Uhr gewesen sein, rumpelte Friedrich ins Schlafzimmer und forderte mich auf, ein Essen für ihn und meinen Schwager zu richten. Als ich mich weigerte, da ich zu erschöpft war, schlug er mich nieder. Ich schrie vor Schmerzen, doch rappelte mich auf. Inzwischen war auch mein Schwager hinzugetreten, der mir in seinem besoffenen Zustand einen zweiten Schlag versetzte. Erika, die vom Lärm erwacht war, versuchte einzuschreiten, doch mein Mann schlug erneut zu. Endlich gelang es Erika, die Männer abzudrängen. Friedrich wurde zum Schlafen auf das Sofa verbannt, ihr Mann ins Gästebett. Erika blieb bei mir und versorgte mich und meine blutende Nase. Auch die folgenden Tage wich Erika nicht von meiner Seite und schickte Friedrich aus dem Haus. Er solle sich hier nicht blicken lassen, könne ja bei seiner Mutter unterkommen.
Während dieser Tage, zwei Wochen früher als geplant, setzten bei mir die Wehen ein. Mein zweites Kind wollte auf die Welt kommen. Die Geburt verlief ohne größere Komplikationen und ich überstand sie gut. Als Herr Dr. Kern, der auch dieses Mal bei der Geburt anwesend war, mir mein Baby in den Arm legte, weinte ich – denn es war nicht, wie ich erhofft hatte, ein Mädchen, sondern erneut ein Junge. Herr Dr. Kern setzte sich neben mich und bat mich: “Sieh Dir das Kind doch wenigstens an.” Ich konnte mich nicht beruhigen. “Jetzt kommt mir noch ein Mann ins Haus.”, schluchzte ich. “Sieh Dir das Kind doch erst einmal an”, versuchte es Herr Dr. Kern erneut, “es ist so ein schönes Kind.”
Nun wagte ich doch einen Blick. Genau in diesem Augenblick machte der Kleine, der in meinem Arm lag, die Augen auf und schaute mich an. Mein Erwin, wie ich ihn nennen wollte, sah mich an, sein kleiner Mund verzog sich und ihm entwich ein zarter Babyseufzer.
“Ach, Du kannst ja nichts dafür, dass Du bist, der Du bist.”, flüsterte ich dem Kleinen zu und meine Tränen versiegten. Ich spürte zunächst eine Form von Mitleid, die sich, je länger ich den Kleinen betrachtete, in eine tiefe, warme, endlose Mutterliebe wandelte.
Der Abend kurz vor der Geburt meines zweiten Kindes sollte das erste und das letzte Mal gewesen sein, dass mein Mann Friedrich mich während unserer Ehe schlug. Es kam nie wieder vor. Und ich blieb trotz der Vorkommnisse bei ihm. Mit zwei Kleinkindern und ohne jedwede Anlaufstelle sah ich auch gar keine andere Möglichkeit für mich.