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Was ist der Tod, frage ich mich...
ОглавлениеFür mich bedeutet der Tod das andere Leben.
In den jungen Jahren meiner Kindheit, in denen ich häufig durch den Krieg mit dem Thema Tod in Berührung kam, machte ich mir keine wirklichen Gedanken um ihn. Er war für mich ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Beim Tod meiner Mutter kam ich das erste Mal direkt mit ihm in Berührung. “Ist das alles?”, fragte ich immer wieder den toten Körper, der da vor mir lag: “Ist das alles?” Ich bekam keine Antwort. Und es mag hart klingen, doch der Tod meiner Mutter war für mich eine Art Erlösung.
Die zweite Begegnung mit dem Tod, das Sterben meiner Großmutter, war eine ganz andere Erfahrung. Das Abschiednehmen ihrer Seele von dieser Erde empfand ich als großen Verlust, als hätte man ein Stückchen meiner selbst abgesägt. Ein Stück, das immer fehlen sollte. Und bei jedem weiteren geliebten Menschen, der in späteren Jahren von mir gehen sollte, ging es mir ähnlich.
Doch ganz verloren war meine Großmutter mir auf meiner weiteren Lebensreise nicht, immer wieder kommunizierte ich mit ihr in Gedanken - und oft schien es mir, als würde ich sie von weitem irgendwo auf der Straße vor mir laufen sehen oder sie in einer Menschenmenge entdecken.
Viele, viele Jahre später hatte ich durch eine Tetanusinfektion eine Nahtoderfahrung - ich war für wenige Minuten tot, ehe es den Ärzten gelang, mich wieder ins Leben zurückzuholen. Seitdem habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Er ist für mich eine weitere Reise, ein weiterer Ortswechsel, wie ich sie vielfach in meinem Leben unternommen habe. Eine Reise in ein Land, das ich noch nicht kenne. Es ist die große Reise in ein anderes Leben, das keine Schmerzen kennt, weder innen noch außen.