Читать книгу Mann meiner Träume - Nicole Knoblauch - Страница 5
ОглавлениеProlog
„So, jetzt will ich alles wissen!“ Anna füllte die Weingläser noch einmal auf und reichte eins an ihre Cousine Marie, die es sich auf der großzügigen Couch bequem gemacht hatte.
„Ich will wissen, was zwischen dir und Stefan vorgefallen ist! Und: Wo warst du die letzten drei Monate?“
Marie saß im Schneidersitz auf der Couch und wich Annas Blicken aus. Ihre Finger spielten mit der Decke über ihren Knien. Wie viel wollte sie erzählen? Unter halb geschlossenen Augen lugte sie zu Anna hinüber und gewohnheitsmäßig verglich sie sich mit ihr. Wie immer kam sie zu dem Schluss, dass es hauptsächlich die breiten Schultern und ausladenden Hüften waren, die sie ähnlich erscheinen ließen. Und natürlich ihre Größe von nur knapp 1,60. Marie schmunzelte. Doch so einige Ähnlichkeiten. Aber Marie hatte ihre Haare in den letzten Jahren lang wachsen lassen und jetzt ergoss sich die haselnussbraune Flut bis zu ihren Hüften hinab. Ihre Naturhaarfarbe unterstrich den weichen Blauton ihrer Augen. Anna fuhr sich gerade geistesabwesend durch den platinblond gefärbten Pixischnitt, der ihre grünen Augen koboldhaft blitzen ließ. Marie lächelte in sich hinein. So schnell würde sie heute keiner mehr verwechseln.
„Ich warte!“ Anna trommelte in gespielter Ungeduld mit den Fingern auf ihr Glas.
Marie beachtete sie nicht und hielt den Blick gesenkt. Erst als Anna sich dramatisch seufzend auf dem Sofa niederließ, entlockte ihr das ein zartes Lächeln und sie begann zögernd zu sprechen: „Stefan hat mich sitzen lassen und ich war in Paris.“
„Das hast du mir schon vor ein paar Wochen gesagt!“ Anna rollte ungeduldig mit den Augen. „Ich habe alles gemacht, worum du mich gebeten hast. Deine Sachen aus der Wohnung geholt und deinen Kram hierher schaffen lassen. Er hat es mir nicht leicht gemacht. Er war ganz Stefan und hat mich fast zur Weißglut gebracht. Jetzt will ich wissen, warum ich das alles auf mich genommen habe.“ Anna hatte in ruhigem Ton gesprochen, aber Marie wusste, dass sie nicht mit Ausreden davonkommen würde.
„Er hat mich zerbrochen. Ich musste mich wiederfinden.“ Sie lächelte ihre Cousine scheu an.
Anna runzelte die Stirn und lehnte sich zurück. „Mal ehrlich, das ist nicht erst vor drei Monaten passiert.“ Ihr Blick streifte Marie und verweilte an dem bunten Muster der Decke. Hatte sie sich mit dieser Bemerkung zu weit vorgewagt? Früher wäre das kein Problem gewesen, doch Marie hatte sich in den letzten Jahren verändert. Annas Meinung nach lag das alles an Stefan, der Marie vollkommen unter seine Kontrolle gebracht hatte.
Wie zur Bestätigung schnaubte Marie: „Ich habe es erst da gemerkt. Er hat Schluss gemacht und mir Dinge an den Kopf geworfen ...“ Sie schüttelte sich. „Das hat mich zuerst in eine Art Schockzustand versetzt. Ich habe tagelang aus dem Fenster gestarrt. Nichts um mich herum wahrgenommen – nicht einmal ihn. Nicht, dass es ihn groß gekümmert hätte, wie es mir ging. Mir wurde klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich habe dich angerufen und bin nach Paris gefahren.“
„Hat es geholfen?“
„Ja! Paris hilft immer!“ Ein gelöstes Lachen unterstrich ihre Worte. „Ich bin tagelang durch die Stadt gewandert und habe sie auf mich wirken lassen. Mein Lebensinhalt war weg, alles schien so sinnlos. Kurzzeitig habe ich überlegt ...“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte reumütig. „Aber dann regte sich mein Überlebensinstinkt. Ich wollte endlich ich sein und nicht nur das, was Stefan geformt hatte. Ich musste mir eingestehen, dass von mir nicht mehr viel übrig war.“
„Schön, dass du das am Ende gemerkt hast. Ich habe dich vermisst.“ Eine kalte Hand hatte kurz nach Annas Herz gegriffen, als Marie von ihren Selbstmordabsichten berichtet hatte. Nicht auszudenken – aber zum Glück war alles gut ausgegangen.
„Ich mich auch“, sagte Marie und lächelte Anna glücklich an. Die beiden Frauen prosteten sich zu. „Weißt du, wo ich den Entschluss gefasst habe weiterzumachen?“
Anna schüttelte den Kopf, obwohl das abwesende Lächeln auf Maries Gesicht sie Vermutungen anstellen ließ.
„An Napoléons Grab. Ich habe mich erst am dritten Tag in den Invalidendom getraut.“ Eine leichte Röte überzog Maries Gesicht. „Ich wollte nicht so zu ihm gehen“, flüsterte sie.
Anna schmunzelte in sich hinein und ihr Blick wanderte zu zwei Umzugskisten, auf denen in großen Druckbuchstaben NAPOLÉON stand.
Die Röte in Maries Gesicht vertiefte sich noch. Sie räusperte sich vernehmlich. „Ich habe stundenlang auf den Sarg hinabgestarrt.“ Jetzt huschte ein Lächeln über ihre Lippe. „Die haben mich bestimmt dort alle für bescheuert gehalten. Aber das hat den Schmerz weggespült und ich konnte wieder klar denken.“
Grinsend sagte Anna: „Du und Napoléon, das ist schon legendär!“
„Na ja, er hat mich die letzten zwanzig Jahre begleitet. Seit ich an meinem achten Geburtstag das Schlachtfeld von Mont-Saint-Jean besucht habe.“
Anna runzelte fragend die Stirn. „Mont-Saint-was? Wir waren da in Waterloo, oder?“
„Ja, natürlich. Die Namen werden von Siegern gemacht. Für Napoléon war das nie Waterloo ...“
„Siehst du! Das meine ich. So was weiß doch niemand! Ich kann mir dich ohne diesen Napoléon-Fimmel gar nicht vorstellen! Oh, ich weiß noch, dass dich alle belächelt haben, weil du diese Bilder über dem Bett hängen hattest.“
„Die Alpenüberquerung von David. Das wird wieder über meinem Bett hängen. Genau wie die Postkarte von seinem Sarkophag.“
„Ich hätte nichts Anderes erwartet. Aber normal ist das nicht.“ Sie zwinkerte Marie zu.
Die überging die Bemerkung mit einem würdevollen Lächeln. „Stefan mochte ihn nicht. Ich hatte ihm zuliebe sogar die Bilder abgenommen.“
Anna schnaubte missbilligend. „Was hat ihn daran gestört?“
Marie zuckte mit den Schultern. „Er konnte es nicht ertragen, dass ich für einen anderen schwärmte.“ Maries Wangen röteten sich erneut. „Ganz so ist es ja nicht. Aber er hat es so aufgefasst.“
„Nur, dass ich das richtig verstehe: Der Mann, der mit allem flirtet, was einen Rock trägt, verbietet dir ein Bild über dem Bett, auf dem ein toter Kaiser zu sehen ist? Ernsthaft?“
„Wenn du das jetzt so sagst, klingt es komisch. Für mich war es das aber nicht. Ich fand es irgendwie süß! Er hat immer gesagt, dass er nur mich will und nie etwas mit einer anderen hatte. Ich habe ihm geglaubt. Ich habe ihm alles geglaubt.“
„Und jetzt?“
Marie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob er mir treu war. Ich will es auch nicht wissen. Schlimm genug, dass ich so sehr in seinem Bann stand und jedes seiner Worte für eine Offenbarung hielt.“ Ihre Hände zitterten leicht und sie klammerte sie fester um ihr Glas. „Deshalb traf mich das Ende so hart.“
„Was ist passiert? Auf einmal liebt er dich nicht mehr?“
„Ich weiß nicht, ob er mich je geliebt hat.“ Ein bitterer Zug erschien auf Maries Gesicht. „Er kam eines Tages nach Haus und sagte, es sei vorbei. Einfach so. Ich würde ihn nicht mehr glücklich machen, sondern lästig sein. Das war's. Aus und vorbei.“
Anna blieb der Mund offen stehen. „Das kam einfach so, aus heiterem Himmel?“
Marie schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht, aber ich habe es nicht wahrhaben wollen. Einige Wochen vorher hatten wir ein langes Gespräch, in dem er meinte, dass ich keine Frau fürs Leben sei.“
Schnaubend verkniff sich Anna jeden Kommentar.
„Er sagte, ich entspräche nicht den Erwartungen, die er an eine Frau hätte. Schon mein Aussehen sei nicht das, was er wolle.“
„Arschloch! Habe ich schon immer gesagt!“
Marie grinste kurz. „Das Gespräch endete damit, dass er mir sagte, dass er mich trotzdem lieben würde und deshalb mit mir zusammen sei.“
„Aha. Sehr gnädig.“ Anna atmete tief ein. „Mal ehrlich jetzt: Das hat dich nicht stutzig gemacht? Du hast da nicht drüber nachgedacht?“
Das Blut schoss Marie in die Wangen. „Nein. Ich habe es einfach abgetan. Schließlich ist er an dem Abend betrunken gewesen.“
Missbilligend verzog Anna das Gesicht. „Noch so etwas, was ich nicht verstanden habe. Wieso hast du das mitgemacht? Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn je wirklich nüchtern angetroffen habe. Auch als ich deinen Kram geholt habe, war er ziemlich zugedröhnt.“
Marie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich weiß nicht. Er hat häufig getrunken und manchmal habe ich nachgeholfen.“
„Dann habe ich mich da nicht getäuscht. Aber warum? Das passt nicht zu dir.“
„Er war freundlicher, wenn er getrunken hatte. Weniger grüblerisch und mir gegenüber offener. Dann sagte er mir wenigstens, dass er mich liebt.“ Marie verbarg kurz ihr Gesicht in den Händen. Als sie wieder aufblickte, lächelte sie.
„Lass uns von etwas anderem reden. Da wir gerade bei Napoléon waren ...“
So kannte Anna ihre Cousine. Bei diesem Thema besserte sich ihre Laune immer. „Was ist mit ihm?“
„Ich habe von ihm geträumt.“
„Echt?“
„Ja. Der Traum war merkwürdig realistisch. Also, real sind Träume ja irgendwie immer, aber an diesen kann ich mich haarklein erinnern.“
Anna verzog skeptisch einen Mundwinkel. „Ich erinnere mich auch an meine Träume.“
„Nein, es ist nicht so, wie man sich an Träume erinnert. Es ist mehr wie eine echte Erinnerung. Ich kann das schlecht erklären.“ Marie zögerte, entschied sich dann aber, weiterzusprechen. „Ich kann den Staub auf meiner Haut fühlen, die warme Nachtluft, die Grillen zirpen hören – und ihn. Seine Stimme, sanft, eindringlich und mit diesem Akzent.“
„Du hörst dich an, wie ein schwärmender Teenie!“, kicherte Anna.
„Willst du die Geschichte jetzt hören oder nicht?“ Marie hatte jenes Leuchten in den Augen, das Anna so gut kannte. Das Leuchten, das sich immer zeigte, wenn sie von Napoléon sprach.
„Sicher will ich das. Fang an!“