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ОглавлениеKapitel 3 - Das Wunder
Nikolas Weinert starrte angespannt auf seinen Computerbildschirm. Schon seit ungefähr einer halben Stunde, mit offenem Mund und halb zugekniffenen Augen. Er hatte gerade das letzte, noch verbliebene Kandidatengen in einer so genannten Sequenzierung untersucht. Dabei entschüsselt man in mehreren biochemischen Schritten die Erbinformationen eines bestimmten DNA-Abschnitts, z.B. eines Gens. Weinert hoffte wie schon bei den vorangegangenen 47 Kandidatengenen, endlich auf eine Erbveränderung, auch Mutation genannt, zu stoßen. „Wenn Sie auch bei Ihrem letzten verbliebenen Kandidatengen nichts finden sollten, können Sie sofort Ihre Sachen packen und sich nach einem neuen Job umsehen“, hatte ihm Traubl erst letzte Woche unmissverständlich deutlich gemacht.
Und tatsächlich gab es in diesem Gewirr von zackeligen roten, schwarzen, grünen und gelben Kurven, die mit den Buchstaben A, C, G und T in den gleichen Farben unterlegt waren, eine Abweichung. Die 423. Kurve war eindeutig grün, und zwar ausschließlich bei den erkrankten Ratten. Er schaute sich noch einmal hektisch die gestern erstellten Daten an. Tatsächlich. Gesunde Ratten hatten an der gleichen Stelle eine rote Kurve. Dennoch nagte der Zweifel in ihm. Die letzten Monate hatten sein Selbstbewusstsein auf ein Minimum schrumpfen lassen, so dass er sich jetzt nicht mehr sicher war, ob es sich bei dem vorliegenden Ergebnis nicht um ein Artefakt, also ein nicht reales Ergebnis, handelte. Er wiederholte daher den gesamten Versuch abermals, ohne den anderen im Institut davon zu berichten, und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass die Mutation immer noch da war. Zweifelsfrei.
Das, was nicht mehr für möglich gehalten wurde, war eingetreten. Er hatte die genetische Ursache der Magersucht bei Ratten aufgeklärt. Die Wüste war durchwandert, vor ihm lag ein fruchtbares Tal. Jetzt würde alles gut werden, dachte Weinert, ein Fachartikel in einer Spitzenzeitschrift, eine
sie mit diesem süßem Dialekt, den er so gern hörte.
„Ja“, dachte Weinert, „aber die werde ich Dir lieber nicht beichten.“ Seit sie vor drei Jahren in das Vertragsverlängerung und, wesentlich wichtiger, die Rückkehr in sein altes Labor. Er war sich nun sicher, dass das Ergebnis schlussendlich auch Traubl und Schultheiß-Gottlob überzeugen würde. Bislang wusste noch keiner aus dem Institut von diesen Daten. Weinert konnte es daher kaum noch bis zur Arbeitsgruppensitzung in einer Stunde abwarten. Plötzlich klopfte es an der Labortür und Maja Prokowski kam mit Schreibblock und Stift herein. Sie war die junge polnische Technische Assistentin von Costas.
„Ich sammele gerade Bestellungen für Chemikalien ein. Hast Du irgendwelche Wünsche?“, fragte Institut gekommen war, hatte sich Weinert in sie verliebt. Nicht das sie eine dieser klassischen Schönheiten von den Titelblättern der Modezeitschriften war, aber mit ihrer Fröhlichkeit untermalt von den frechen Grübchen flogen ihr die Sympathien nur so zu. Wenn Weinert es recht bedachte, hatte er sich in jedem Labor, in dem er bisher gearbeitet hatte, immer in eine Mitarbeiterin verliebt. Jedesmal ohne Erfolg. Es schien sich hierbei eindeutig um einen unausweichlichen Automatismus zu handeln. Aber seine Scheu dem anderen Geschlecht gegenüber war derartig groß, dass er nie gewagt hatte, sich Maja zu offenbaren. Ganz im Gegensatz zu Costas, der ihr permanent, wenn auch erfolglos versuchte, Offerten zu machen.
„Ja, danke, dass Du fragst. Natriumacetat und Chloroform gehen zur Neige.“, sagte Weinert bemüht sachlich. Sie notierte und ging wieder in Richtung Tür.
„Ach, hättest Du Lust mit mir heute ins Theater zu gehen? Ich habe Karten für ‚Warten auf Godot’, aber meine Freundin ist krank geworden.“ Weinert war wie versteinert.
„Klar doch. Gerne“, antwortete er mit belegter Stimme. „Dann um Sieben vor dem Theater“, gab sie lächelnd zurück und verließ das Labor. Da waren sie wieder, diese Grübchen. Weinert saß noch 20 Minuten benommen in seinem billigen Bürostuhl und dachte über die unfassbare Schönheit dieses Tages nach.
Pünktlich um ein Uhr fand die Arbeitsgruppensitzung in der Bibliothek statt. Bis auf Costas, der wie immer zu spät kam, waren alle Institutsangestellten anwesend. An der Kopfseite des Tisches saß Traubl zusammen mit Frau Dr. Schultheiß-Gottlob und befragte die Mitarbeiter im Uhrzeigersinn nach den experimentellen Forschritten der Woche. Diese fassten ihre aktuellen Ergebnisse sowie Neuigkeiten ihrer Literaturrecherchen in 5 Minuten zusammen und warteten anschließend auf das Fazit aus der Chefetage. Traubls Motto war dabei: Kein Tadel ist Lob genug. Dementsprechend kommentierte Traubl fantastische Ergebnisse mit den Worten:
„Na endlich geht es mal etwas voran. Jetzt aber nicht wieder nachlässig werden.“ Waren die Versuche zwar gut gemacht, die Ergebnisse aber eher belanglos, wurde er meistens etwas gereizter und sagte sinngemäß:
„Was soll man mit solchen Ergebnissen anfangen? So werden wir der internationalen Konkurrenz nie Paroli bieten können. Wir verschwenden mit dieser Allerweltsforschung nur Zeit und Geld. Ich werde mir das nicht viel länger anschauen.“ Man kann sich leicht ausmalen, wie er reagierte, wenn mal etwas richtig schief ging. Man muss dazu wissen, dass in der Wissenschaft ungefähr 80 % aller Versuche per se nicht das erhoffte Resultat bringen. Bei diesen nicht so zufrieden stellenden Ergebnisse meldete sich dann auch Frau Schultheiß-Gottlob zu Wort, legte mit offensichtlicher Freude noch einmal den Finger tiefer in die Wunde.
Von allen Institutsmitgliedern nahm sich vor allem Eva die öffentliche Rüge sehr zu Herzen. Sie hatte ihr Arbeitspensum seit dem Wechsel der Führungsetage drastisch erhöht, ohne dass daraus mehr oder bessere Ergebnisse resultierten. Mittlerweile war sie physisch und psychisch an ihrer Belastungsgrenze angekommen und stellte frustriert fest, dass ihre Leistung Traubl und Schultheiß-Gottlob nie genügen würde.
Eine der ersten Taten von Traubl war der Stopp aller Forschungsprojekte von Bergius aufgrund offensichtlicher Belanglosigkeit, so Traubl. Zwar kosteten diese kleinen, recht altertümlich anmutenden Projekte wenig Geld, worauf Bergius persönlich sehr stolz war, und erbrachten regelmäßige Publikationen in ebenso kleinen wie sehr speziellen Zeitschriften, doch für Traubl war es eine grundsätzliche Imagefrage.
„Wir haben hier Großes vor. Da werden wir uns nicht mit Kleinkram aufhalten. Das überlassen wir gerne den armen Instituten in unserem Windschatten.“ Bergius konzentrierte sich von nun an, äußerlich gelassen, innerlich jedoch schwer getroffen, auf die Lehrtätigkeit und die Praktika. Traubl ließ früh durchblicken, dass er sich für die Studentenausbildung überhaupt nicht interessierte und übertrug die Lehre vollständig auf den aus der Forschung abgezogenen Bergius. Auf Traubls wöchentliche Frage nach Bergius´ Wochenleistung antwortete dieser daher meistens giftig:
„Ich habe für Sie die ganze Woche die Studenten bei Laune gehalten.“
Einer der Höhepunkte einer jeder Arbeitsgruppensitzung war der Auftritt von Costas. Wie gewöhnlich kam er auch dieses Mal gerade von Zuhause und hatte nur mal kurz seine meist privaten E-Mails abgerufen. Nachdem er mit 10 Minuten Verspätung Platz genommen hatte, wurde er von Traubl gefragt, ob sich in der zurückliegende Woche etwas Besonderes getan hatte.
„Weiß nicht genau.“
Traubl verblüfft: „Wie, Sie wissen nicht genau?“
„Wie ich gesagt habe. Man muss sich die Daten noch mal in Ruhe anschauen.“
Traubl gereizt: „Na dann aber mal her damit.“ Costas verteilte bedächtig einen beeindruckenden Stapel farbiger mikroskopischer Aufnahmen zur allgemeinen Ansicht auf dem Tisch. Es waren überwiegend Aufnahmen einzelner Zellen, die im Inneren grüne, rote oder gelbe Anfärbungen aufwiesen.
„Ist die Enzymaktivität nach Zytokinzugabe nun erniedrigt oder nicht? Das werden sie uns doch sicher noch verraten können“, provozierte Traubl. Aber wie üblich ließ sich Costas nicht zu einer schnellen Schlussfolgerung verleiten.
„Ich bin mir nicht sicher. Klarheit werden wir erst bekommen, wenn der neue Zelltyp angekommen ist. Das wird laut der Firma, bei der ich bestellt habe, noch 3 Wochen dauern,“ meinte Costas nur und lehnte sich selbstzufrieden zurück. Traubl lief mittlerweile purpurrot an und verkündete, dass man sicher auch aus den vorliegenden Daten genügend Schlüsse ziehen könnte, und stürzte sich mit seiner Abteilungsleiterin auf das Datenmaterial und versuchte erste Interpretationen. Diese meist recht geistreichen Ideen wurden wie gewohnt von Costas mit Daten aus seinem geheimen Archiv vom Tisch gefegt und fand mit den Worten
„Ich will es mal so ausdrücken. Das Schwarze, das man sieht, kann der Nachthimmel oder auch der Arsch von einem Panther sein.“ ein treffendes, wenn auch recht derbes Schlusswort. Traubl sank daraufhin kurz in sich zusammen und fuhr daraufhin mit der Projektbesprechung fort.
Mit einem gehässigen Lächeln schaute er nun zu Weinert. Man merkte ihm an, dass er vorhatte, nach der von Costas erduldeten Schmach, an Weinert Vergeltung zu üben.
„Na. Was macht denn so die Kellerforschung? Schaffen es ihre Ergebnisse dieses Mal bis ins Erdgeschoss?“ Traubl schaute sich ob seines Kalauers bei der Belegschaft um, stellte aber zu seinem Bedauern fest, dass keiner lachte. Weinert wurde im Wissen um den anstehenden Triumph immer ruhiger. Er lege die Ausdrucke der Ergebnisse in die Mitte des Tisches und antwortete gelassen:
„Ich habe die Mutation gefunden. Eine Punktmutation.“ Er zeigte dabei mit dem Finger auf die grüne Kurve in der Mitte des Ausdrucks.
„Alle 10 untersuchten erkrankten Ratten weisen im Gegensatz zu ihren gesunden Tieren die Veränderung auf. Die Trägertiere zeigen wie erwartet beide Variationen des Gens. Das betroffene Gen heißt Neuropeptid Y (ein Peptid ist ein kleines Protein). Es ist für die Herstellung eines Botenstoffs im Gehirn erforderlich, der unter anderem für die Erzeugung des Hungergefühls zuständig ist. Die Zerstörung des Proteins scheint zu einer Appetitlosigkeit zu führen.“ Eine ganze Weile herrschte Stille im Raum. Dann erhob sich hektisches Gebrabbel. Traubl klatschte mehrmals nervös in die Hände und bat um Ruhe.
„Seit wann wissen Sie um dieses Ergebnis?“, fragte Traubl und lehnte sich dabei weit nach vorne.
„Seit sechs Tagen.“, erwiderte Weinert. „Und dann kommen Sie, verdammt noch mal, erst jetzt damit heraus? Was spielen Sie hier für ein Spielchen?“ „Wenn ich das erste Ergebnis zu früh bekannt gegeben hätte und es sich nicht bestätigt hätte, wäre mir vermutlich der Kopf abgerissen worden.“, meinte Weinert, verärgert über die doch Recht unerwartete Reaktion seines Chefs.
„Dann führt man eben seine Versuche so durch, dass sie nicht beanstandet werden können.“, brüllte Traubl wild gestikulierend. Es war Frau Schultheiß-Gottlob, die die außer Kontrolle zu geratende Diskussion in eine andere Richtung lenkte.
„Soviel ich weiß, ist dieses Gen schon einmal bei Mäusen künstlich zerstört worden, ohne dass man eine solche Abmagerung der Tiere beobachten konnte.“
„Sie haben Recht. Aber bei den von Ihnen angesprochenen Experimenten hatte man das ganze Gen zerstört, so dass in diesen Mäusen gar kein Neuropeptid Y mehr gebildet wurde. Hier aber ist nur die Stelle des Proteins defekt, die vermutlich für das Andocken des Proteins an bestimmte Zellen des Hypothalamus verantwortlich ist.“ Weinert merkte, dass sich seine umfangreichen Literaturrecherchen der letzten Tage bezahlt machten. Schultheiß-Gottlob hakte nicht weiter nach. Ihre nachdenkliche Miene verriet jedoch, dass sie sich bereits ihre eigenen Gedanken zu diesem Thema machte. Erst nach Beendigung der Sitzung sagte sie leise zu ihm:
„Ich möchte eine Kopie ihrer Ergebnisse bis 15 Uhr auf meinem Tisch haben.“ Der Blick in Schultheiß-Gottlobs Augen verhieß nichts Gutes.
Bereits um 18 Uhr 30 stand Weinert vor Kälte zitternd vor dem Theater und wartete auf Maja. Sie trug ein langes schwarzes Abendkleid, das trotz der Kälte tief ausgeschnitten und ärmellos war. Die wilden Locken waren hochgesteckt und das Gesicht dezent geschminkt. Fast hätte Weinert Maja nicht erkannt, war sie doch im Labor stets zurückhaltend gekleidet, meist im weißen Kittel. Jetzt sah er, wie unglaublich hübsch sie doch war. Durch ihre unerwartete Eleganz wurde Weinert ganz verlegen, hinsichtlich seiner eher legeren Kleidung. Zwar trug er den besseren seiner beiden Blazer und sein blaues Lieblingshemd, aber dazu eine recht verwaschene Jeans. Obwohl er gar keine anderen Hosen besaß, kam er sich doch reichlich unpassend vor. Es war nicht mehr zu ändern. Als Maja ihn in der Menge ausmachte, kamen wieder diese wunderbaren Grübchen zum Vorschein. Sie rannte ihm entgegen und rief ihm schon von weitem ein „Super, dass Du kommen konntest.“ entgegen.
„Wartest Du schon lange?“
„Nö, ich bin auch gerade erst gekommen“, log Weinert und fragte sich, warum er das tat. Auf dem Weg durch das Foyer fragte ihn Maja, ob er das Stück schon mal gesehen hätte. Er verneinte. Weinert ging nie ins Theater. Er war sich nicht ganz sicher, das Stück einmal in der Schule behandelt zu haben, aber wenn, dann war absolut nichts mehr hängen geblieben. Er wusste nur von dem Eingangsplakat, dass das Stück von einem gewissen Samuel Beckett stammte, den er aber auch nicht kannte. Er fühlte sich plötzlich sowohl für das Treffen mit Maja als auch für das Theaterstück ziemlich schlecht vorbereitet. Die Konversation mit Maja hätte sich vermutlich schwierig gestaltet, wenn er selbst die Gesprächsführung hätte übernehmen müssen. Er war in ihrer Gegenwart immer schon wie betäubt, insbesondere jetzt, wenn sie so umwerfend zurechtgemacht war, nicht mehr in der Lage, charmant oder gar geistreich zu sein.
Zum Glück übernahm Maja die Initiative und erzählte ihm einiges über das Theater, das sie nach eigenen Angaben jeden Monat besuchte sowie über das Stück. Dieser Samuel Beckett sei von Haus aus Ire gewesen, hätte aber in Frankreich gelebt und auch alle Stücke in Französisch geschrieben. Er schrieb meistens philosophische Theaterstücke über den Sinn des Daseins und bekam für seine Werke 1969 den Nobelpreis für Literatur. Weinert wusste nicht genau, ob ihn das Gesagte tatsächlich interessierte, aber Maja hatte so eine wundervolle Art zu erzählen. So viel Leidenschaft und Wärme war in ihrer Stimme.
Das Theaterstück irritierte ihn nicht weniger als Maja selbst. Es ging um zwei Landstreicher, die auf einen gewissen Godot warteten, der aber nie kam. Zwar wurde er unter anderem von einem Jungen zwischendurch wieder angekündigt, kam dann aber trotzdem nicht.
Das Warten wurde zur Qual. Die Landstreicher versuchten aus Verzweiflung Selbstmord zu begehen, scheiterten aber. Die beiden schienen sich nun unentwegt durch Unterhaltung ablenken zu wollen, obwohl die Dialoge ständig konfuser wurden. So endete das Stück, ohne das Godot erschien. Weinert war völlig durcheinander, meinte schon, er wäre zu blöd, der Logik des Stückes folgen zu können. Dieser Komplex trat bei ihm immer wieder zu Tage. Er war sich seiner manchmal recht behäbigen Art durchaus bewusst und wusste, wie dies von Leuten wie Traubl ausgelegt wurde. Er selbst sagte sich zwar, dass er so unterbelichtet gar nicht sein konnte, schließlich hatte er sowohl das Abitur als auch das Diplom ohne Probleme geschafft, aber die Unsicherheit gegenüber intellektuellen Persönlichkeiten blieb dennoch. Maja fragte ihn, ob er Lust hätte, mit ihr noch das Café gegenüber dem Theater zu besuchen. Er nickte kurz, da man in der herausströmenden Menschenmenge kaum etwas verstand. Nachdem sie den letzten freien Bistrotisch bekommen hatten, bestellten sie sich beide einen Latte Macchiato. Weinert trank sonst nie Kaffee, meinte aber durch die Bestellung eines Modegetränks etwas weltmännischer zu wirken.
„Wie hat Dir das Stück gefallen?“. Vor dieser Frage von Maja hatte sich Weinert bereits den ganzen Abend gefürchtet.
„Gut. Tolle Schauspieler. Auch die Kulisse war eindrucksvoll.“, gab er von sich, in der Hoffnung, das Thema damit beenden zu können. Aber Maja setzte nach:
„Ich meine das Stück.“
„Also, ehrlich gesagt, weiß ich bis jetzt nicht genau, worum es sich hier eigentlich drehte“, gab Weinert kleinlaut wieder und rührte dabei intensiv seinen Milchkaffee um. Maja grinste ihn fröhlich an.
„Ich habe das Stück schon dreimal gesehen. Beim zweiten Mal mit meinem damaligen Freund, der Literaturwissenschaft studierte.“ Die Erwähnung ihres ehemaligen Freundes versetzte ihm einen kleinen Stich. Er hatte sich bislang noch keine Gedanken gemacht, ob Maja überhaupt liiert ist.
„Natürlich ist sie das,“, dachte Weinert, „so ein attraktives Mädchen läuft nicht lange frei herum“. Maja fuhr fort:
„Beim ersten Mal habe ich mich über das Stück sehr aufgeregt. Blöde konfuse Dialoge, kein richtiger Handlungsstrang, kein vernünftiges Ende. Dann hat mir mein Ex den Sinn des Stückes erklärt: Godot ist Gott. Die Landstreicher, einer ein Realist, der andere ein Träumer, warten erfolglos auf Gott und auf Erlösung. Zwar wird immer wieder ihre Hoffnung geschürt, dass Godot also Gott doch noch kommt, aber er wird nie kommen, solange sie sich nicht bewegen. Die Welt um sie herum verändert sich mit der Zeit, unsere beiden Landstreicher aber harren aus. Man muss nach Gott suchen, um Erlösung zu finden, er wird niemals zu einem hinkommen.“ Maja trank nun genüsslich ihren Milchkaffee und blickte ihn ernst an. Plötzlich hatte Weinert eine Ahnung.
„Was hat Deine Freundin eigentlich für eine Krankheit?“
„Gar keine. Sie ist kerngesund.“, sagte Maja und grinste ihn spitzbübisch an.
„Ich wollte, dass Du mit mir in dieses Stück gehst.“ Weinert war perplex.
„Ich wollte, dass Du Dich fragst, was Du eigentlich willst. Und worauf Du wartest. Das, was Du willst, wird niemals zu Dir kommen. Du musst Dich bewegen, nicht die Welt.“
„Meinst Du das in Hinblick auf meinen Job?“
„Auch. In diesem Institut wirst Du nicht mehr glücklich werden, weil Traubl es nicht zulassen wird. Du hoffst nur deshalb auf Vertragsverlängerung, weil Du Angst vor der Welt da draußen hast, obwohl genau dort irgendwo Dein berufliches Glück liegt.“ Vermutlich hat sie sogar ein Stück weit recht, dachte Weinert. Dass sie ihm das sagen musste, schmerzte ihn dennoch. Er fühlte sich ertappt. Er war sich bewusst, dass er alles andere als ein entscheidungsfreudiger Mensch war, hätte sich aber auch niemals als ängstlich eingeschätzt.
„Aber Du hast doch heute von meinem sensationellen Ergebnis gehört. Vermutlich eröffnen sich dadurch für mich ganz neue Möglichkeiten im Institut“, rechtfertigte sich Weinert.
„Das Ergebnis ist wie der Junge, der den beiden Landstreichern sagt, dass Godot morgen auf jeden Fall kommt. Es sind diese kleinen falschen Verheißungen, die uns immer wieder glauben lassen, wir müssten uns nicht bewegen.“
„Weißt Du, wie lange ich schon auf dieses Ergebnis warte?“, Weinert wurde allmählich ärgerlich,
„Fast 6 Jahre habe ich für diesen Moment geschuftet, und Du sagst, ich hätte mich nicht bewegt?“.
„Es tut mir Leid. Ich wollte Dich nicht verletzen.“, sagte Maja kleinlaut. „Von außen sieht das alles ganz einfach aus. Einfach alles hinpfeffern, wenn es nicht mehr läuft. Aber so geht das nicht. Auch wenn es unangenehm ist, muss man sich seiner Verantwortung stellen.“, brauste Weinert sichtlich getroffen auf.
„Ich möchte gerne zahlen“, rief er dem vorbei eilenden Kellner zu. Maja und Weinert verabschiedeten sich vor dem Café. Er war immer noch tief verletzt, zumal er meinte, dass Maja die völlig falschen Schlüsse gezogen hatte.
„Ja, dann bis morgen“, sagte Weinert.
„Bis Morgen“, antwortete Maja mit trauriger Stimme. Die Grübchen waren verschwunden.
Auf dem Heimweg redete Weinert laut vor sich hin, sagte sich immer wieder, dass durch dieses Ergebnis alles gut werden würde und Maja Unrecht hatte. Er sollte sich täuschen.