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Kapitel 5 - Die Freunde

Alle Hoffnungen waren zu Nichte. Dem sensationellen Ergebnis war nicht die erhoffte Akzeptanz durch Traubl gefolgt. Er durfte weder sein Exil im Keller verlassen, noch auf eine Vertragsverlängerung hoffen. Aber das, was ihn am meisten traf, war die Tatsache, dass nun andere den wissenschaftlichen Lohn einheimsten, der ihm eigentlich zustand, und er nicht mehr am weiteren voraussichtlich erfolgreichen Werdegang des Projektes beteiligt wurde. Aus der vermeintlichen Altlast war plötzlich eine Goldgrube geworden und die Schürfrechte waren übereignet worden. Maja hatte Recht behalten. Es versetzte ihm jedes Mal einen Stich, wenn er sie im Institut sah. Er sehnte sich so sehr nach ihrem Lächeln, doch sie blieb trotz aller förmlichen Freundlichkeit distanziert. Sie schien ebenso wie er nicht die Geschehnisse vom Theaterabend abschütteln zu können. Weinert war nicht in der Lage, den ersten Schritt auf sie zu zumachen, da dies ein totales Einverständnis seiner Niederlage gewesen wäre. Er hatte Angst, nun vor Maja vollständig das Gesicht zu verlieren. So ging er ihr auch weiterhin aus dem Weg.

In den nächsten Monaten begann das Institut sein Gesicht zu wandeln. Traubls Forschungsanträge wurden ebenso wie die damit verbundenen Wissenschaftlerstellen bewilligt. Fast wöchentlich erschien ein neuer Mitarbeiter. Für die Altgedienten bedeutete dies zuallererst Verdrängung. So war es absehbar gewesen, dass auch Costas und Eva eines Tages mit Sack und Pack in Weinerts Kellerloch auftauchten.

„Jetzt sind wir doch wieder zusammen“, stellte Eva mit Tränen in den Augen fest. Kein Tag verging, ohne dass sie ihren Frust nicht lauthals herausschrie. Zum ersten Mal seit zwei Jahren hatte sie brauchbare publizierbare Ergebnisse erhalten und hoffte auf eine Fortführung des Projekts, wenn möglich sogar mit personeller Verstärkung. Als sie jedoch Traubl ihre Ideen vorstellte, gab der ihr unmissverständlich zu verstehen, dass das Institut (er setzte üblicherweise sich und das Institut gleich, um weniger angreifbar bei unangenehmen Entscheidungen zu sein) seine Schwerpunkte der nächsten Jahre bereits festgelegt hatte. Ihr Projekt spielte dabei keine Rolle. Auf ihre Frage, wie er mit ihrem in 6 Monaten auslaufenden Vertrag verfahren würde, meinte Traubl nur vage, dass es zu früh für eine Entscheidung wäre. Falls sie in der Lage wäre, ihre Leistungen noch merklich zu steigern, wäre eine Vertragsverlängerung durchaus im Bereich des Möglichen.

Costas hingegen wurde ganz ohne weitere Begründungen von Frau Dr. Schultheiß-Gottlob mitgeteilt, dass sein Vertrag, der in 3 Monaten auslief, auf keinen Fall verlängert werden würde. Sein Laborplatz sowie seine Technische Assistentin Maja würden bereits jetzt von den neuen Mitarbeitern benötigt werden. Im Gegensatz zu Eva nahm er das Ganze ohne Regung zur Kenntnis. Er schien von nun an noch mehr als sonst seine eigenen Pläne zu verfolgen.

Nicolas Weinert tat es gut, wieder mit seinen alten Kameraden zusammen das Labor zu teilen. Sie flachsten herum, wie zu Beginn ihrer Doktorarbeiten, wenn auch mit einer Spur mehr Zynismus, und alle machten das Beste aus ihrer Situation. Trotz Verbotes von Traubl wurde eine ausrangierte Stereoanlage von Costas im Labor installiert, die den ganzen Tag mit moderater Lautstärke lief. Nach einigen Wochen lähmender Resignation begann Eva bereits wieder, sich in die Arbeit zu stürzen. Sie würde es Traubl schon zeigen, waren ihre Worte an jedem Morgen. Sie würde ihn mit guten Daten nur so zuschütten, dass er schließlich keine Möglichkeit mehr hatte, ihre Arbeit zu ignorieren. Weinert und Costas schüttelten ob dieser naiven Sichtweise nur den Kopf. Costas saß den ganzen Tag am Computer, nachdem er im Institut provokativ seine komplette Laborausrüstung verschenkt hatte. Was er dort so die ganze Zeit schrieb und arbeitete, wussten Eva und Weinert nicht.

Allmählich lernten sie auch die neuen Kollegen besser kennen. Da waren zum Beispiel „die Zwillinge“, zwei verblüffend ähnlich aussehende Doktorandinnen mit Namen Sybille und Sibylle, die an einem der vielen neuen Projekte arbeiteten, die Traubl aus den USA importiert hatte. Nicht nur ihre äußere Ähnlichkeit war frappierend, beide sprachen auch mit dem gleichen starken, fränkischen Dialekt und konnten mit fug und recht als arbeitswütig bezeichnet werden. Sie sahen ihren 15 Stunden-Job und das halbe Gehalt als wahres Gottes Geschenk an und himmelten Traubl geradezu an. Sie nannten ihn auch in seinem Beisein „Boss“, was ihm durchaus nicht unangenehm zu sein schien, und stürzten sich mit Begeisterung in jede ihnen angetragene Sonderaufgabe. Nachdem sie die hierarchischen Strukturen des Instituts durchblickt hatten, sprachen sie kaum mehr mit den Kellerforschern und legten auch eine durch nichts zu begründende Arroganz gegenüber den restlichen Wissenschaftlern und vor allem dem Technischen Personal an den Tag.

Ein ganz besonderer Fall war Gregor Winzlshammer. Er war wie Traubl Österreicher, klein, rundlich und mit schütterem roten Haar bestraft. Hinter seiner zentimeterdicken Hornbrille beobachteten zwei auf eine Winzigkeit verkleinerte Schweinchenaugen wachsam alles um ihn herum. Besonders das weibliche Personal wurde gewöhnlich minutenlang abgescannt. Von den Kollegen wurde er meist nur das „Alien“ genannt. Er unterhielt sich für gewöhnlich mit niemandem und beteiligte sich weder am gemeinsamen Gang zum Mittag noch an allgemeinen Laborpflichten wie Aufräumen oder Putzen. Weinert konnte sich noch gut an das erste Gespräch erinnern, dass er mit Gregor geführt hatte.

Ohne dass sie sich vorgestellt worden wären, saß Gregor Winzlshammer unangekündigt in einem der oberen Labore und hämmerte stoisch auf die Tastatur eines Computers. Weinert, der ihn für einen Praktikanten hielt, der ohne Erlaubnis Institutscomputer benutzte, fragte ihn:

„Dürfte ich wissen, was Du hier machst?“. Gregor starrte ihn minutenlang an.

„I sitz oam Computa.“, entgegnete er mit dem breitesten Wienerisch, dass Weinert je gehört hatte.

„Das sehe ich. Bis Du dazu befugt?“. Nach einer Weile.

„I oarbeite seeit heut hia.“. Weinert war verblüfft.

„I heeiß Gregoar Winzlshomma und biin dea nee Postdoac.“

„Ach so. Na dann nichts für ungut.“, brachte Weinert irritiert hervor, „Ich bin übrigens Nicolas Weinert und bin ebenfalls Postdoc. Woran sollst Du arbeiten?“ Weinert sah, wie die Worte langsam zu Gregor vordrangen.

„I oarbeite oam Magersuchtprojääkt. I soll oan eeinm Roattenmodöll foarschn.“ Jetzt war es an Weinert ihn anzuglotzen. Konnte das stimmen? Hatte er jetzt sein Projekt endgültig verloren? Weinert verließ langsam ohne noch Weiteres von sich zu geben das Labor, während Gregor ihm ohne Regung nachstarrte.

Als er sein Kellerlabor erreicht hatte, explodierte Weinert. Es kam extrem selten vor, dass sich Nicolas Weinert zu Gefühlsausbrüchen hinreißen ließ. Doch dieses Mal war eine unsichtbare Grenze überschritten worden. Weinert hatte einen sehr strikten Kodex, der sich auf Respekt und Toleranz begründete. Er stellte sich nie über die Gefühle, Eigenarten und Ansichten anderer. Gleiches verlangte er aber auch von anderen ihm gegenüber. Er wusste, dass er kein Weltklasseforscher war, wie sollte er auch mit so wenig Berufserfahrung, aber er hatte aus seiner komplexen und schwierigen Aufgabe das Maximale herausgeholt, und hatte es nicht verdient, jetzt so mit Füßen getreten zu werden. Weinert schrie alle Schimpfwörter heraus, die ihm gerade in den Sinn kamen und riss die Schubladen seines Kühlschranks auf. Er kippte alle Probenröhrchen geräuschvoll in den großen Mülleimer in der Mitte des Labors. Costas schaute nur kurz von seinem Computer auf und grinste breit. Nachdem Weinert die letzten Röhrchen weggeschmissen hatte und jetzt nach neuen Opfern seiner Zerstörungswut Ausschau hielt, fragte Costas ihn ruhig:

„Muss ja ein ziemlicher Hammer sein, den Du da gerade erfahren hast. Lässt Du mich an Deinem Wissen teilhaben?“. Weinert, der erst jetzt merkte, dass er nicht allein im Labor war, schaute ihn überrascht mit hochrotem Kopf an und stammelte:

„Sie haben so einem österreichischen Schweinchen mein Projekt übergeben, ohne mich vorher informiert zu haben.“

„Mann, das wundert Dich noch? Ich dachte, Du hättest den Laden hier mittlerweile durchschaut.“ Weinert starrte Costas verblüfft an.

„Soll das heißen, Du wusstest von dem Scheiß?“

„Nö. Aber es überrascht mich auch nicht sonderlich. Traubl hatte von Anfang an vor, uns auszutauschen. Ob mit Ergebnissen oder ohne. Dein Superergebnis ist für ihn nichts anderes als ein kleines Antrittsgeschenk und jetzt kannst Du Dich gefälligst verziehen.“

„Aber ich habe fast 6 Jahre meines Lebens daran geschuftet. Und jetzt soll ich das alles einfach so hinnehmen. Niemals!“ Weinerts Stimme zitterte.

„Was kannst Du denn dagegen ausrichten? Nichts. Kapier das endlich“, entgegnete Costas energisch.

„So? Und was machst Du bitte schön den ganzen Tag?“

„Ich arbeite hier nur noch für mich. Schreibe meine Veröffentlichung und meine Bewerbungen. Für dieses Institut mache ich nichts mehr.“ Weinert war erstaunt, dass es ihm jetzt erst auffiel, dass Costas sich seit ein paar Wochen nicht mehr am Laborbetrieb beteiligte.

„Und was bitte schön präsentierst Du da die ganze Zeit auf den Arbeitsgruppensitzungen?“

„Meine alten Kamellen aus der Doktorarbeit. Oder glaubst Du, Traubl setzt sich hin und liest in seiner Freizeit die Dissertationen seiner Mitarbeiter?“. Nun musste Weinert doch grinsen.

„Dieser alte Schuft. Das könnte ich niemals“, dachte er.

„Du willst also weg?“, fragte Weinert.

„Welche Wahl habe ich? Mein Vertrag läuft aus, Ich muss. Und Eva und Du müsst es auch.“, sagte Costas ernst.

„Nein. Nicht solange ich noch kämpfen kann.“

„Das wirst Du Don Qichotte aber nicht alleine schaffen. Wenn überhaupt, dann mach es mit Lamprecht zusammen. Der wurde bei Deinem Projekt nämlich genauso über den Tisch gezogen wie Du. Wie mir Bergius erzählt hat, arbeiten Traubli und Schulti schon an Patenten. Die wollen mit Euren Erkenntnissen jetzt richtig Geld machen.“ Weinert lief wieder rot an. Über die möglichen Verwertungsmöglichkeiten hatte er sich bisher noch keine Gedanken gemacht.

„Wie kommst Du darauf, dass man mit der Mutation Geld verdienen kann.“ Costas fuhr mit seinem rollbaren Bürostuhl näher an Weinert heran.

„Erstens kann man damit Diagnostik machen. Man schaut nach Risiken, an Magersucht zu erkranken. Jeder, der den Test kommerziell durchführt, muss an den Patentinhaber zahlen. Zweitens, und das ist noch wichtiger, ist da das kaputte Protein. Maja erzählte mir, dass wenn man das defekte Protein einer gesunden Ratte gespritzt hat, diese genauso abgemagert ist wie das mutierte Viech. Die gleiche Supermodellfigur innerhalb nur weniger Tage. Kapierst Du es nun?“. Weinert war so konsterniert, dass er gerade noch ein „das ist ja der Hammer“ von sich geben konnte.

„Stell Dir mal vor“, sprach Costas weiter, „Du frisst Dir über die Weihnachtsfeiertage ein richtige Pocke an und lässt Dir anschließend beim Hausarzt eine kleine Spritze setzen. Zack. Wieder schlank innerhalb von zwei Wochen. Nicht schlecht oder?“

„Und Du meinst, Lamprecht weiß von nichts?“ „Von gar nichts. Oder meinst Du, Traubl würde bei ihm zuhause anrufen und sagen: Du, Gerhard, als Dank für das schöne Institut und Deine tolle Ratte machen wir Dich jetzt richtig reich.“

Weinert hatte Lamprecht angerufen und gefragt, ob er ihn zuhause aufsuchen dürfte. Lamprecht hatte seiner Art entsprechend nur „15 Uhr“ ins Telefon gebrummelt und ohne Verabschiedung aufgelegt. Lamprechts Haus stand in einem Viertel, in dem fast ausschließlich Hochschullehrer zu wohnen schienen. Das Haus war für Weinert unerwartet imposant und gepflegt. In seiner Fantasie hatte er sich ein altes, etwas verlottertes Haus mit verwildertem Garten vorgestellt, doch dieses Haus wirkte wie aus einer Gartenzeitschrift entnommen. Noch mehr überraschte ihn jedoch die Person, die ihm öffnete. Es war ein ungefähr 20-jähriger Punk mit grünen Haaren und bemalter schwarzer Lederjacke, der ihm freundlich sagte:

„Mein Vater ist in seinem Atelier, am Ende des Flurs.“ Weinert konnte sich vage daran erinnern, dass Frau Schrepper ihm erzählt hatte, dass Lamprechts Frau ihn und seinen recht aufsässigen Sohn vor 6 Jahren verlassen hatte und mit einem indischen Guru durchgebrannt war. Frau Schrepper, die immer bestens informiert zu sein schien, sagte, dass falls Lamprecht jemals so etwas wie Verletzlichkeit gezeigt hatte, es hier der Fall gewesen war. Sichtbar gealtert soll er ausgesehen haben. Es lag wohl weniger an dem Tratsch, der dann in der Fakultät losbrach, sondern vielmehr am persönlichen Verlust. Frau Schrepper meinte, dass er seine Frau immer mehr geliebt habe, als die Wissenschaft. Und das hieß schon was. Weinert folgte dem Flur und klopfte an eine große Milchglastür. Ein Mann öffnete, der Weinert entfernt an Lamprecht erinnerte. Mit Dreitagebart und kariertem Flanellhemd wirkte er mehr wie ein Holzfäller denn wie ein pensionierter Professor. Zudem lächelte Lamprecht ihn breit an. Ein Anblick, an den sich Weinert nicht erinnern konnte, solange Lamprecht noch das Institut leitete.

„Schön, Sie wieder zu sehen.“

„Ich kann das Gleiche nur zurückgeben. Sie sehen aus, als ob Ihnen der neue Lebensabschnitt gut tut“, sagte Weinert.

„Tut es auch. Es war weniger schlimm als erwartet. Bei seiner Emeritierung fürchtet jeder Professor mehr den Verlust des öffentlichen Ansehens als den Verlust seines Berufs. Seine beste berufliche Zeit liegt meistens sowieso schon weit zurück. Mittlerweile ist mir mein öffentliches Ansehen ziemlich egal.“ Beide schmunzelten sich an.

„Sie waren lange nicht mehr im Institut.“

„Mir gefällt das Klima dort nicht mehr. Und mein neues Büro, diesen dunklen Verschlag, den mir Traubl so generös überlassen hat, mag ich auch nicht. Ich bleibe lieber zuhause, als mich aufzuregen.“ Weinert blickte sich in dem Raum um. Er wurde zur Hälfte als Künstlerwerkstatt benutzt und war neben einem großen Haufen von Werkzeugen mit mehr oder weniger bearbeiteten Stein- und Holzfiguren gefüllt. Die meisten von ihnen zeigten verzehrte Körper mit abstrakten Gesichtern. Die andere Hälfte des Raums mündete in einen Wintergarten, in dem zwei Rattansesseln umrankt von gewaltigen exotischen Pflanzen standen. Lamprecht bot Weinert einen der beiden Sessel an und fragte ihn, ob er einen Tee trinken wollte, was dieser bejahte.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Bildhauerei interessieren“, meinte Weinert, während Lamprecht den Tee einschenkte.

„Eine sehr alte Leidenschaft von mir. Als junger Mann war ich sehr begeistert von Henri Moore, Ernst Barlach und anderen modernen Bildhauern und wollte unbedingt Kunst studieren. Ich scheiterte aber am Widerstand meiner Familie, die mich schon in einem verruchten Pariser Vorort am Rande des Existenzminimums dahinvegetieren sahen. Die Naturwissenschaft war also zu Beginn eher so etwas wie eine Notlösung.“ Nach einer kurzen Pause fragte Lamprecht:

„Aber Sie sind sicher nicht hergekommen, um sich langweilige Geschichten aus meinem Leben anzuhören.“

„Ich hatte Ihnen ja von der Entdeckung der Mutation berichtet.“ Er erinnerte sich noch wie Lamprecht sich zwar ehrlich gefreut hatte, doch bereits sehr distanziert dem wissenschaftlichen Erfolg seines ehemaligen Schützlings gegenüber gestanden hatte.

„Traubl hat sich nun das Projekt vollständig unter den Nagel gerissen und verfolgt dabei wohl nun auch intensiv wirtschaftliche Interessen.“ Weinert berichtete ihm von den Geschehnissen, die ihm von Costas und anderen zugetragen worden waren. Lamprecht hörte ernst zu, während er sich eine weitere Zigarette anzündete.

„Was wollen Sie nun von mir?“, fragte Lamprecht sanft.

„Ich glaube, man sollte etwas unternehmen. Das, was Traubl da abzieht, ist eindeutig geistiger Diebstahl.“ Weinert merkte, wie wieder die Wut in ihm aufstieg.

„Hatten Sie sich denn auch Hoffnung auf das große Geld gemacht?“, fragte Lamprecht durchaus provokant.

„Ich hatte bis heute Morgen überhaupt keine Ahnung, dass man mit der Mutation überhaupt Geld verdienen kann. Mir geht es auch nicht um das Geld, sondern vielmehr um Traubls´ Dreistigkeit. Ich könnte es nicht ertragen, dass er alles an sich reißt und schließlich groß absahnt.“ Lamprechts Miene verriet Weinert, dass dieser ähnlich dachte, wie er.

„Und was ist demnach zu tun?“

„Ich hatte gehofft, dass Sie eine Idee haben“, antwortete Weinert ehrlich.

„Dann sagen Sie mir erstmal, was genau Sie wollen.“

„Ich möchte an dem weiteren wissenschaftlichen Werdegang aktiv beteiligt werden, falls ein Patent oder gar mehrere gestellt werden sollen, möchte ich mit draufstehen. Das Gleiche gilt für Veröffentlichungen“, sagte Weinert, der sich über diese Frage seit heute Morgen intensiv Gedanken gemacht hatte.

„Das ist doch schon ziemlich konkret“, konstatierte Lamprecht und ließ sich zufrieden in den Sessel fallen. „Lassen Sie mich mal machen, Nicolas. Ich habe da schon eine Idee.“ Mehr verriet er sehr zum Leidwesen von Weinert nicht. Sie sprachen noch ein wenig über die übrigen alten Institutskollegen und deren Projekte und Weinert merkte, dass Lamprecht dies nur peripher zu interessieren schien. So verabschiedete sich Weinert mit dem Wissen, einen ernstzunehmenden Verbündeten gegen Traubl gefunden zu haben.

Lamprecht aber verfolgte vor allem seine eigenen Ziele. Weinerts Sorgen, die ihn zwar auch persönlich berührten, waren dabei eher so etwas wie ein willkommener Grund, Traubl in seine Schranken zu weisen. Sein Nachfolger hatte einen derartig extremen Charakter, dass Lamprecht irgendwann mit einem Fehler gerechnet hatte. Jetzt, früher als erwartet, war er passiert. Ihn störte dieser kleine wichtigtuerische Despot schon lange. Auch, weil Traubl den wissenschaftlichen Erfolg geradezu anzuziehen schien. Der Ruhm seiner Kollegen war etwas, mit dem sich Lamprecht schon immer sehr schwer tat. Die Vorstellung, Traubl würde tatsächlich sein altes Institut aus dem Dornröschenschlaf erwecken und zu neuem Ruhm führen, war für ihn nicht zu ertragen. Dies wäre gleichbedeutend mit seinem persönlichen Scheitern gewesen. So ließ er sich am nächsten Tag einen Termin von Traubls neuer Sekretärin, Frau Wünschle, geben.

Nachmittags um 17 Uhr betrat er Traubls Büro ohne anzuklopfen (Lamprecht hatte seine Gewohnheit nicht abgelegt, als Direktor auch ohne Vorankündigung jeden Raum seines Instituts besuchen zu dürfen). Traubl war sichtlich geschockt, blieb aber ruhig und bot Lamprecht einen Platz in seiner neuen Sitzecke an.

„Werter Kollege, ich freue mich über ihren Besuch“, log Traubl. „Ich freue mich auch, mal wieder mit Ihnen sprechen zu können.“ Lamprecht ließ sich schwerfällig in den Sessel fallen und zündete sich sehr zum Unwillen von Traubl eine Zigarette an.

„Erstmal möchte ich Ihnen zu ihren sensationellen Erfolgen im Magersucht-Projekt gratulieren. Muss ja mächtig vorangehen, wie man mir berichtete“, brummelte Lamprecht und ließ dabei sein Gegenüber nicht aus den Augen. Traubl war sichtlich verunsichert und fragte sich, wer etwas von diesem streng geheimen Projekt nach draußen getragen hatte.

„Ja. Herr Weinert hat hervorragende Arbeit geleistet. Wir überlegen bereits, ihm weiteres Personal zur Seite zu stellen und ein Folgeprojekt zu beantragen.“

„Oh, das wundert mich jetzt aber. Wir mir berichtet wurde, ist Herr Weinert bereits nicht mehr in dem Projekt tätig. Das wird doch nun von einer neuen Gruppe von Wissenschaftlern in Kooperation mit Herrn Professor Schütte durchgeführt oder?“ Traubl fragte sich gerade, ob Weinert hinter seinem Rücken spionierte, als Lamprecht fortfuhr:

„Man berichtete mir, dass die Untersuchungen des defekten Proteins derartig erfolgreich waren, dass man bereits schon an eine Vermarktung dieser Erkenntnisse denken würde.“ Langsam schwante Traubl, worum es Lamprecht ging. Er wollte nur seine Hand aufhalten.

„Die Daten sind noch sehr bruchstückhaft. Es muss noch sehr viel Arbeit investiert werden, um absehen zu können, ob man tatsächlich Produkte ableiten kann“, meinte Traubl äußerlich recht gelassen.

„Ist es richtig, dass momentan an einer Veröffentlichung und einem Patent gearbeitet wird?“

„Wir arbeiten immer an Veröffentlichungen und Patenten“, wich Traubl aus.

„Herr Traubl, halten Sie mich nicht für senil. Ich frage Sie noch mal, ob Sie an einer Veröffentlichung und einem Patent über Weinerts Magersucht-Projekt arbeiten?“

„Selbstverständlich arbeiten wir an einer Publikation. Sie sind im Übrigen ebenso wie Herr Weinert Koautor dieser Veröffentlichung. Sobald das Manuskript von Frau Dr. Schultheiß-Gottlob fertig gestellt wird, werden wir es Ihnen zur kritischen Durchsicht zusenden“, gab Traubl von sich, obwohl die beiden genannten Namen bislang nicht auf der Autorenliste vertreten waren.

„An welchen Positionen?“, setzte Lamprecht nach.

„Mittlere Positionen, mehr ist nicht drin, da sich das Manuskript fast ausschließlich auf biochemische Daten bezieht und nicht auf die Daten der Ratte. Falls Sie diese selbst noch veröffentlichen wollen, steht Ihnen das selbstverständlich frei“ Lamprecht konnte Traubl schlechter als erwartet in die Ecke treiben. Der Kerl wand sich wie ein Aal. „Wie sieht es mit einem Patent aus.“

„Ich weiß von keinem Patent. Da wissen Sie anscheinend mehr als ich“, gab Traubl freundlich zurück.

„Sie können eine Patentanmeldung ein Jahr nach Einreichung unveröffentlicht lassen. Danach wandert das Ding in die frei zugänglichen Datenbanken. Falls ich dort etwas über die von Weinert identifizierte Mutation finden sollte und Weinert und meine Wenigkeit sich nicht in der Anmelderliste befinden, überziehe ich Sie mit Prozessen, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht. Das würde die Kollegen in der Fachwelt übrigens auch sehr amüsieren“ Lamprechts Stimme war jetzt um einiges schärfer, aber dennoch ruhig. Es war nun an Traubl rot zu werden. Ihm war bewusst, dass das geltende Recht eindeutig auf Lamprechts Seite war, und das Lamprecht hinterhältig genug war, um seine Drohung gegebenenfalls wahr zu machen.

„Wären sie denn bereit, eine mögliche Patentanmeldung als Anmelder inhaltlich und finanziell überhaupt mit zu tragen?“, fragte Traubl nun doch deutlich in die Ecke gedrängt.

„Selbstverständlich“, sagte Lamprecht jetzt etwas entspannter. „Aber nur unter folgenden Bedingungen: Weinert ist auch beim Patent mit im Boot.“

„Warum das? Er ist nur ein kleiner Mitarbeiter, der hier mehr schlecht als recht seine Arbeit macht. Ich sehe nicht, welche intellektuellen Leistung Herr Weinert in dieses Projekt eingebracht hat“, sagte Traubl aufgebracht.

„Ich will Ihnen was verraten. Ohne Herrn Weinerts intellektuellen Input würde es diese Diskussion zwischen uns beiden überhaupt nicht geben. Er hat jahrelang dieses Projekt alleine geführt und zum erfolgreichen Abschluss gebracht.“ Lamprecht war jetzt deutlich zufriedener. „Ich fordere daher auch, dass er langfristig an das Projekt gebunden wird, und voll in ihre neue Gruppe aufgenommen wird.“

„Sonst würde was passieren, wenn ich fragen darf?“, raunzte Traubl.

„Sonst würde ich als Mitpatentanmelder, ich nehme Ihr großzügiges Angebot übrigens an, die kommerzielle Nutzung des Patentes zukünftig massiv blockieren.“ Ein böses Grinsen zeigte sich auf Lamprechts Gesicht. „Ich stelle fest, dass wir uns verstehen.“ Lamprecht stand schwerfällig auf und ging Richtung Tür. Er drehte sich noch einmal zu dem in sich zusammen gesunkenen Traubl um.

„Ich erwarte das fertige Manuskript, die Patentanmeldung und Weinerts Arbeitsvertrag in den nächsten Wochen in meinem Postfach. Schönen Tag noch.“ Zufrieden verließ er Traubls Büro.

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