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SC Fortuna Köln - SV Eilendorf

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»Prost, ihr Säcke!« Johannes gibt mal wieder einen Trinkspruch aus der Klientel ländlicher Schützenbrüderschaften sowie männlicher Mallorca-Pauschal-Touristen von sich. Und erneut stoßen braune Kölsch-Flaschen zusammen. Das »Prost, ihr Säcke!« und das Klirren der Bierflaschen gehören für mich inzwischen genauso wie die femininen Schlachtrufe in hohen Oktaven zu den akustischen Merkmalen eines typischen Sonntags, wenn die Damenmannschaft vom SC Fortuna Köln ein Heimspiel bestreitet. Warum ich mir freiwillig Damenfußball in der Regionalliga anschaue, hat dabei mehr rituelle als sportliche Gründe. Als Sek2-Lehramtsstudent mit den Fächern Deutsch und Philosophie und neu zugezogener Städter einer Klüngel-Metropole, wie sie Köln in unnachahmbarer Manier präsentiert, muss man sich gerade zu Beginn seines Studiums gewissen gesellschaftlichen Zwängen unterstellen, um nicht gleich schon am Anfang des neuen Lebensabschnittes den sozialen Anschluss zu verlieren. Melanie, die damalige Freundin von Malte, den ich als meinen Kommilitonen auf einer ausschweifenden Erstsemester-Party kennenlernte, spielte für kurze Zeit bei der Fortuna. Malte lud mich einfach mal ein, auf ein Spielchen und ein Bierchen an einem sonnigen Sonntag mitzukommen. Die Fortuna verlor 1:3 im Derby gegen den 1. FC Köln II und Maltes Freundin saß 90 Minuten auf der Ersatzbank, was uns aber alles nicht weiter störte, weil wir uns während des Spiels auf der Tribüne der Sportanlage Süd so dermaßen betrunken haben, dass es trotzdem ein toller Nachmittag wurde. Außerdem waren durchaus attraktive Fußballerinnen mit von der Partie, die den Fokus des Zuschauers nicht selten vom eigentlichen Spielgerät abwendeten. Bei dem darauf folgenden Heimspiel waren wir sodann schon zu viert, das Heimspiel danach zu fünft. Dann wieder nur zu viert, weil Melanie Schluss machte und es Malte deswegen nicht so gut ging. Mit der Zeit entwickelte sich der sonntägliche Ausflug zu den Fußball-Damen zu einem regelmäßigen Ritual, die roten Tribünenplätze der Sportanlage Süd zu einem Treffpunkt von Freunden, Studenten und Hobby-Trinkern. Zu Spitzenzeiten saßen wir allen Ernstes mit 10 Mann auf den teils spärlich besetzten Sitzplätzen. Nach wenigen Monaten Abstinenz stieg schließlich auch Malte wieder mit ein. Mitunter, weil sich Melanie von einem 31-Jährigen Kfz-Mechaniker schwängern ließ und ihre Fußballschuhe in der Folge an den Nagel hängen musste.

»Ja. Prost, du Sack!«, erwidert Ben die Aufforderung von Johannes. Er komplettiert den hirnlosen Trinkspruch als Einziger mit entschlossener Miene. Er studiert Jura und ist schon seit Kindertagen einer meiner besten Freunde. Ben ist ein Genie des organisierten Selbstbetrugs und angewandten Minimalismus. Er ist hoch intelligent und stinkfaul, neigt zu schlechter Ernährung und erhöhtem Alkoholkonsum. Ich erinnere mich noch, wie er von unserer Klassenlehrerin in der 10. Klasse vor versammelter Mannschaft einen Einlauf bekam, weil er mal wieder seine Mathe-Hausaufgaben nicht machte.

»Benjamin Stimmler! Was soll mit dieser Arbeitsmoral denn nur aus dir werden? Wenn du so weiter machst, sehe ich für deine Zukunft ziemlich schwarz! Rabenschwarz!« Ben zuckte mit den Achseln und machte auch fortwährend keine Hausaufgaben, blieb aversiven Konsequenzen gegenüber resistent und schrieb in der nächsten Klausur mit größter Gemütlichkeit eine glatte Eins. Und nun studiert er Jura in Köln. Stress macht er sich noch immer nicht. Gott allein weiß, was aus ihm hätte werden können, wenn er so etwas wie Ehrgeiz und Lerndisziplin gehabt hätte. Wobei seine Entwicklung ja noch nicht abgeschlossen ist. Hopfen und Malz sind demnach noch nicht in aller Gänze bei ihm verloren. Es sei denn natürlich, man bietet ihm Hopfen und Malz zum Trinken an.

»Schön. Schöner Pass! Das ist meine Kleine. LAUF!« Johannes ist seit letzter Saison Fan einer brünetten Mittelstürmerin mit der Nummer Neun. Für meine Begriffe hat sie für einen adäquaten Fanatismus einen zu dicken Hintern, der sie aber nicht an schnellen Sprints zu hindern scheint. Fußballerisch ist sie bei der Fortuna zweifelsfrei eine der Besten. Ob ihre Stammposition wirklich im Zentrum des Angriffspiels liegt, können wir nur vermuten. Ich finde, dass das beim Frauenfußball immer schwierig zu entscheiden ist. Die Ordnung auf dem Platz erinnert mich manche Male an den Fußball der F-Jugend. Oder noch besser: an den Fußball der Bambinis, wo der wirklich allerjüngste Nachwuchs mit 22 Mann - beziehungsweise Männchen - über den Platz zerstreut, wie ein Schwarm orientierungsloser Ameisen, dem Ball hinterherläuft, wenn nicht gerade im Sitzen staubige Türmchen aus roter Asche gebaut werden. Sicherlich auch einer der Gründe, weswegen inzwischen in jedem Dorfverein Kunstrasen aus dem Boden sprießt. Eine rein reizreduktive Maßnahme der DFB-Jugendförderung. Ascheplätze gibt es kaum noch. Aber nein, so dramatisch sehe ich die qualitativen Unterschiede zwischen Frauen- und Männerfußball dann natürlich doch nicht. Obgleich es sich hierbei selbstredend um unterschiedliche Niveaus handelt, da gibt es nichts wegzudiskutieren. So wie bei Kreisliga und Championsleague, RTL und ARD… oder Düsseldorfer Alt-Bier und Kölsch.

»Haha, Mikka, hast du das gesehen? Alter! Ein Träumchen.« Johannes schaut mich stolz an, als wäre er für die gute Leistung seiner potentiellen Torjägerin persönlich verantwortlich. Ich verziehe nur emotionslos die Mundwinkel und nicke abwesend.

»Ja oder? Ein Zuckerpass! Oder nicht? Mann, das war echt gut.«

»Ja doch, war gut. Also… für Frauenfußball.« Ich grinse Johannes hämisch an und nehme einen tiefen Schluck meines Bieres. Johannes schüttelt enttäuscht und verständnislos den Kopf. Das war gar nicht böse gemeint. Vielleicht bin ich nur neidisch. In meiner aktiven Zeit als Fußballer habe ich in meinem Provinzverein ähnliche und sicherlich auch bessere Pässe gespielt. Nur mit dem Unterschied, dass mir keine sekttrinkenden Frauen als Pendant unserer Erscheinung zugejubelt haben.

»Pass doch auf! Nein! Tor… Neiiiiiiin.« Malte hält sich die Hände vor das Gesicht. Tor für den SV Eilendorf. Ein böser Schnitzer der Nummer Vier mit den schlaksigen X-Beinen. Die Torhüterin war chancenlos. Übrigens meine Favoritin. Und das tatsächlich aus rein sportlichen Gründen. Sie ist durch und durch eine Fußballerin. Kurze Haare und stämmige Figur mit Haaren auf den Zähnen. Wenn sie anfängt ihre Vorderleute zu maßregeln, weht immer ein kalter Wind über den Fußballplatz. Ich nenne sie liebevoll Olivia Kahn. Ein stämmiger Eiszapfen zwischen den Pfosten, eine aggressiv wortgewandte Torhüterin, die auch gleich wieder loslegt:

»Jenny! Jeeeenny! Verdammte Axt! Lass die doch nicht vorbeiziehen. Elif! Ey Mann, musste mit nach hinten kommen! Scheiße Mann! Fuck! Scheiße! Scheiße!« Herrlich.

Jenny mit den X-Beinen und Elif tun uns Leid, wir müssen aber dennoch alle lachen und machen uns fast synchron das nächste Bier auf. Flaschen klirren, Gerstensaft fließt. Es bleibt beim 0:1 bis zur Halbzeit als Michael mit Rucksack und neuem Bier dazustößt.

»Hey Jungs, hat was länger gedauert. Was hab ich verpasst? Gab`s ein Törchen?«

»1:0 für Eilendorf. Blöder Abwehrfehler, aber die Fortuna ist eigentlich besser im Spiel.«

Michael ist mein Mitbewohner und sekundär wegen seines Studiums und primär wegen seiner Freundin Anja unter permanenten Zeit- und Termindruck. Er studiert Medizin. Aufgrund zahlreicher beruflicher Irrwege ist er allerdings erst im 3. Semester. Michael ist 27 Jahre alt und damit zwei Jahre älter als ich. Ein 27-jähriges Kücken also unter den Kölner Medizinstudenten. Seit er mit Anja zusammen ist, ist nicht mehr allzu viel mit ihm los. Für gemeinsame Partys hat er praktisch keine Zeit mehr. Oder keine Lust. Oder keine Erlaubnis. Vermutlich empfinde ich auch deswegen insgeheim eine tiefe Abneigung gegenüber Anja. Er ist mit ihr nun knapp zwei Jahre liiert, was genau ein Jahr und elf Monate zu viel sind. Den einen Monat hätte ich ihm wegen einer langen sexuellen Durststrecke noch gegönnt. Anja hat ihn weich gekocht und vollständig im Griff. Hosen hat er da schon lange keine mehr an. Manchmal verwundert es, dass er ohne Halsband und Leine nach draußen darf. Zum gemeinsamen Fußballschauen schafft er es auch nur noch sporadisch. Meist kommt er dann wie heute zu spät oder ist viel zu früh wieder weg. Trotzdem ist es angenehm ihn als Mitbewohner zu haben, denn er ist im Durchschnitt fünf Tage die Woche bei Anja und zahlt dennoch den vollen Anteil an Miet- und Nebenkosten. Zugegeben: eine richtige Wohngemeinschaft sieht anders aus. Wir wohnen seit drei Jahren zusammen. In einer 60 qm großen Wohnung in Köln-Deutz. Eine jenseits rechts des Rheins inzwischen ziemlich angesagte Lage. Und wenn man vom Balkon um ein paar Ecken und durch einige Häuser hindurchschaut, hat man sogar einen romantischen Blick auf den Rhein und seine Deutzer Brücke. Und um ein paar weitere Ecken kann man auch einen Blick auf den Kölner Dom erheischen. Wahrzeichen und Stolz eines jeden Kölners.

Als die zweite Halbzeit anläuft, hat Michael seine erste Flasche Bier angenippt. Die x-beinige Verteidigerin, die mit großem Einsatz das 0:1 verschuldete, durfte in der Kabine bleiben. Auch beim Frauenfußball wird konsequent durchgegriffen. War heute halt keiner von Jennys Tagen. Oder aber auch genau das, je nachdem wie man es sieht. Nach 75 Minuten schießt die Fortuna endlich den hoch verdienten und längst überfälligen Ausgleich. Getroffen hat die große Südländerin mit der Nummer Elf, nach einem erneut tollen Pass von Johannes geliebter Flitzerin. Jetzt freut er sich genauso wie die Mädels auf dem Rasen, jubelt und klatscht anerkennend. Wir anderen freuen uns auch. Wenn auch nicht ganz so augelassen wie Johannes. Es war letztlich nur ein verdienter Ausgleich beim Frauenfußball in der Regionalliga West.

»So, weiter meine Damen! Fortuna vor, noch ein Tor!« Malte packt Sprechchöre aus längst vergangenen Zeiten aus. Aus unerklärlichen Gründen scheint er Talent zu haben, fußballerische Schlachtgesänge anzustimmen und seine Nachbarn damit anzustecken, denn nach kurzer Zeit feuern wir alle laut und hemmungslos die Spielerinnen unserer Fortuna an. Die Gesänge haben ihre motivierende Wirkung, denn nun ist das Angriffsspiel der Fortuna entfesselt. Schließlich ist es die Nummer Neun, die nach einem durchaus sehenswerten Doppelpass zu der 2:1 Führung einschiebt.

»Tooooor!« Nicht nur Johannes ist außer sich. Der Bierkonsum hat derweil aus uns allen emotional eskalierende Fans gemacht. Ein ekstatischer Höhepunkt. Am Ende bleibt es beim 2:1. Drei Punkte für die Fortuna und ein neues Bier für seine Fans. Prost, ihr Säcke!

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