Читать книгу Frauenfußball - Nils Seydel - Страница 7
Spielaufbau
ОглавлениеIch wache nur auf, weil das Telefon nicht mehr aufhört zu klingeln. Ich liege mit allen vier Gliedmaßen von mir gestreckt auf dem Rücken im Bett und schaue an die früher mal bestimmt weiße Decke. Ich habe einen widerlichen Geschmack im Mund und der verrauchte Geruch meiner Klamotten liegt wie eine Dunstwolke in meinem verdunkelten Zimmer. Ich drehe mit schmerzverzerrtem Gesicht meinen Kopf zur Seite, um auf die Digitaluhr auf meinem Nachttisch zu stielen. Es ist 13.34 Uhr. Okay, das ist eine gute Zeit, weil der Tag noch nicht vorbei ist. Die Sonne scheint in einem schmalen Strahl durch die Jalousien geradewegs in mein Gesicht. Ich brauche etwas Zeit, um meine Gedanken zu sammeln. Das Telefon ist derweil verstummt. Dann lasse ich, noch immer in gleicher Position liegend, den Abend Revue passieren und bin überrascht darüber, dass ich gar kein sonderlich schlechtes Gewissen verspüre. Da habe ich mich gestern noch weitaus schlechter gefühlt. Ich raffe mich auf. Mir ist schwindelig. Ich schlendere nur in Boxershorts ins Wohnzimmer zum Telefon und erkenne an der Nummer auf dem Display, dass mich Sophie versuchte zu erreichen. Mit dem Telefon in der Hand geht’s dann in die Küche. Dort setze ich mir einen Kaffee auf. Als ich nach einer noch sauberen Tasse suche und nicht fündig werde, entdecke ich einen gelben Post it auf dem Küchentisch:
»Hey du Partygurke! Wir waren kurz hier, um noch ein paar Sachen abzuholen. Sind schwimmen und danach zu Anjas Eltern! Wissen nicht, wann wir wieder kommen. Lieben Gruß, Michael und Anja«
Partygurke? Es ist Anjas Handschrift. War ja klar, sie schreibt aus Michaels Perspektive, in Michaels Namen. Und so unnötig. Als müsse ich über jeden Punkt ihrer Tagesplanung informiert werden. Ich bin doch nicht mit Michael verheiratet. Wobei ihm das sicherlich gut täte. Vielleicht will mich Anja ja eifersüchtig machen. Anja ist so scheiße. Neben dem Zettel liegt eine Tüte mit zwei normalen Brötchen und einem Croissant. Okay, das ist wiederum nett. Michael und Anja sind schon niedlich. Eigentlich sollte ich heute auch mit Sophie schwimmen gehen. Sie hat das alles nicht verdient. Ich setze mich auf einen der harten, hölzernen Küchenstühle, die wir damals nur aus rein optischen Gründen in einem Kölner Billig-Möbelhaus kauften. Den einen Stuhl mussten wir schon mehrmals wieder instand setzen. Ich halte mir das Telefon vor meine Nase und wähle Sophies Nummer. Ich hätte ihr doch wenigstens schreiben können als ich wieder zu Hause war. Das Freizeichen ertönt.
»Hallo?«
»Ja hey, Kleine! Ich bin’s.«
»Oha. Der Herr bequemt sich, sich zu melden.« Sophie ist sauer. Das erkenne ich schnell an ihrer Tonlage. Wenn sie sauer ist, hört sie sich immer wie ein bockiges Grundschulkind an. Sie hat ja auch allen Grund sauer zu sein. Ich schaffe es jedoch schnell, sie wieder zu besänftigten, indem ich ihr erkläre, dass Ben und ich ein wenig über die Stränge geschlagen haben und dass ich mein Handy zu Hause vergessen hätte. Und selbst wenn ich es dabei gehabt hätte, wäre ich vermutlich nicht mehr in der Lage gewesen, es zu bedienen. Fette Party, Männerabend, große Sause halt. Das ist nicht einmal gelogen. Und was verschwiegen wird, kann nicht als Lüge gelten. Sophie kauft mir glücklicher Weise alles ab. Ich verspreche ihr, dass ich das am Abend alles wieder gut mache. Ich hätte eine Überraschung für sie. Nach knapp 20 Minuten beenden wir das Telefonat versöhnlich und freuen uns auf den Abend, den wir gemeinsam verbringen werden. Ich lege auf und werfe das Telefon rücksichtslos auf den Küchentisch.
»Scheiße«, sage ich dann zu mir selbst. Die ganze Kacke in der letzten Nacht und dann muss ich mir noch irgendeine Überraschung für Sophie einfallen lassen. Ich versuche optimistisch zu bleiben. Mit Lena, das war sicherlich nur ein Ausrutscher, der sich im beidseitigen Einverständnis vergessen lassen wird und für heute Abend wird mir bestimmt auch noch was einfallen. Das mache ich wieder gut, und zwar ohne, dass Sophie von der kompletten nächtlichen Eskapade erfährt. Schwamm drüber. Abhaken. In die Ablage.
Ich öffne die Spülmaschine, um mir eine Tasse herauszuholen. Ein drückender Geruch steigt mir entgegen, weil die Maschine lange nicht mehr lief. Das ist mal wieder Michaels Schuld. Wäre er häufiger zu Hause, würde es sich auch wieder lohnen, die Maschine anzumachen. Ich spüle die Tasse flüchtig mit kaltem Wasser durch und schenke mir den fertig aufgebrühten Kaffee ein. Die Brötchen ignoriere ich. Vorerst. Nach Essen ist mir im Augenblick noch nicht zumute. Danach schlendere ich mit der Tasse zurück in mein Bett und schalte den Fernseher ein. Cool. RTL beglückt mich mit einer Real-Life-Doku. Eine leichte Kost unterstem Niveaus, die mir zum Kater-Frühstück gerade gelegen kommt. Beim Zapping durch das trostlose Mittagsprogramm des deutschen Fernsehens, lande ich im Niemandslands der hinteren Programmplätze. In einer US-amerikanischen Talkshow sind gerade zwei dicke schwitzende Hausfrauen sozialer Unterschicht zu sehen, die scheinbar um die Gunst eines eher schmächtigeren Mannes mit schlechten Zähnen und grünen Wollpullunder kämpfen. »Kämpfen« ist hierbei tatsächlich wörtlich zu nehmen. Sie keifen sich an und watschen sich gegenseitig ab. Athletische Security-Bedienstete haben alle Mühe sie zu bändigen. Was ein Scheiß! Ich glaube, dass es gar nicht ihre Aufgabe ist, die Situation zu deeskalieren. Wenn diese zwei glatzköpfigen Kanten wirklich Ruhe wollten, bekämen sie diese von den dicken Hausfrauen sofort. Akustisch kommt da außer dem berühmten Piepton nicht viel bei mir an. Der Mann sieht glücklich aus. Die Sendung ist purer Zucker für sein Ego. Da sind tatsächlich zwei Frauen, die um ihn kämpfen. Wahnsinn. Welch ein schöner Tag.
Ich trinke meinen Kaffee aus und schnappe mir mein Handy. Ich lösche die zwei Anrufe in Abwesenheit aus der Anrufliste. Die kamen ja von Sophie und das ist geklärt. habe vier neue Nachrichten empfangen. Drei sind von Sophie und eine Vierte von Lena. Die muss ich erst heute Vormittag bekommen haben. Diese lese ich zuerst:
»Hey Mikka. Tut mir alles Leid mit gestern. Wenn du drüber reden willst… kannst ja mal anrufen?! Glg, Lena«
Ich beschließe ihr vorerst nicht zu antworten. Bevor ich diesen Entschluss fasse, lese ich mir ihre Nachricht aber mehrmals durch. Sie hat gute Worte gewählt. Durchdacht und taktisch erstklassig. Ich könnte alles oder auch gar nichts hineininterpretieren. Lena ist schon toll. Trotzdem kann das nichts zwischen uns geben. Das wäre nicht richtig. War eine unsagbar blöde Idee. Schließlich lese ich mir Sophies Nachrichten durch. Die ersten Beiden hinterfragen lediglich den Unterhaltungsgrad der Party. In der Dritten wird sie dann etwas ungehaltener:
»Schön, dass du Spaß hast. Bist bestimmt megavoll... tolle Mädchen da??«
Hm, eigentlich schon… Ich habe nun inklusive Sophies unbeantworteten Nachrichten eigentlich wirklich genug gute Gründe, um ein echt schlechtes Gewissen zu haben. Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe, aber das schlechte Gewissen bleibt einfach aus. Nun, immerhin will ich es ja auch ohne schlechtes Gewissen wieder gut machen. Irgendwas scheint da nicht mit mir zu stimmen. Ich verabschiede mich vom Unterschichten-TV und schalte den Fernseher aus, gehe daraufhin ins Bad, dusche und putz mir die Zähne. Jetzt fühle ich mich wieder frisch. Der Schwindel ist auch fast verflogen. Vorsichtshalber werfe ich mir dennoch eine Kopfschmerztablette ein. Meine auf der Party getragenen Klamotten stecke ich umgehend in die Waschmaschine und öffne sämtliche Fenster der Wohnung, um dem Partymuff endgültig den Garaus zu machen. Dann ziehe ich mir frische und wieder wohlriechende Sachen an. Nachdem ich auch das von Michael und Anja herzlich gesponserte Frühstück zu mir genommen habe, weiß ich durch einen Anflug kreativer Energie, was ich mit Sophie am Abend unternehmen werde: Ich gehe mit ihr essen. Der Klassiker, was auch sonst. Sie geht gerne auswärts essen und wenn ich sie dazu einlade, habe ich auch das Gefühl, wieder etwas gut gemacht zu haben. Alles nichts besonderes, aber für heute Abend absolut ausreichend. Und hinterher kann ich sie noch im Bett mit einer ausgiebigen Ganzkörpermassage verwöhnen. Genau. So werde ich es machen.
Den Tag verbringe ich mit Rumgammelei. Ich schalte immer wieder den Fernseher an und schalte ihn auch immer wieder aus, weil einfach nichts Gescheites läuft. Ich spiele ein wenig Playstation, höre aber auch bald wieder auf, weil die schnellen Bilderabfolgen aktionsgeladener Zombiekämpfe in meinem noch angeschlagenen Zustand nicht gut für mich sind, den Zustand zudem zu verschlechtern drohen. Ich stöbere dann und wann ein wenig in Fachliteratur für die Uni herum, um zumindest mein schlechtes Gewissen auf dieser Ebene zu beruhigen. Ich mache nach wie vor zu wenig für mein Studium. Halbherzig. Organisierter Selbstbetrug. So wie Ben. Stichwort! Er ruft mich an. Er fand den gestrigen Abend supergeil und Tessa ist ein heißes Kätzchen. Bens Vokabular ist lustig, wenn er über Frauen redet. Er kombiniert dann gerne hart klingende Adjektive mit harmlosen Tieren, die er zusätzlich in der Verniedlichung ausspricht. Da ist es mal das geile Mäuschen oder das rattenscharfe Spätzchen oder auch wie heute das heiße Kätzchen. Er ist morgens wohl ein paar Stunden nach mir abgehauen ohne sich zu verabschieden, ohne eine Nachricht oder Nummer hinterlassen zu haben. Ben macht es richtig. Er entschuldigt sich dafür, mich alleine nach Hause gefahren lassen zu haben und ist leicht erbost, dass ich mich von Lena hab verführen lassen. Er habe mich wohl die ganze Zeit in Schutz genommen und meine Treue und Loyalität Sophie gegenüber betont, als Tessa ihm lallend erzählte, dass da zu 100% was laufen werde. Mindestens. Wir einigen uns darauf, die Tage voneinander zu hören. Ich solle keinen weiteren Scheiß machen, denn dreimal Fremdgehen würde nun bis ans Ende meines Lebens reichen. Ich sehe das ja noch immer etwas anders. Einmal Fremdgehen. Maximal. Dann beginnt die Sportschau. Alles keine Bombenspiele. Bayern gewinnt auswärts 2:1 gegen den Tabellen-Dreizehnten Hoffenheim. Und Bremen gewinnt 2:0 auf Schalke. Ein auswärtssiegreicher Spieltag. Und das war es auch schon. Der FC spielt erst morgen. Dortmund und Wolfsburg auch.
Um kurz nach Acht stehe ich fast pünktlich vor Sophies Tür. Im schönen Köln-Nippes. Wir hatten 20 Uhr abgemacht. Ich ärgere mich, weil ich eigentlich etwas früher eintreffen wollte. In der dritten Etage angekommen, öffnet Sophie mir die Tür und lächelt verstohlen. Ihr Lächeln ist immer schon das Beste an ihr gewesen. Es hat mich seit unserer ersten Begegnung in seinen Bann gezogen. Sie fiel mir in einer ziemlich feucht-fröhlichen Karnevalsnacht auf. Sie war als Engel verkleidet und tanzte mit zwei Freundinnen. Wie in Zeitlupe schwebte sie über den klebrig versifften Boden des kleinstädtischen Festzeltes. Sonnenstrahlen durchbrachen die von Kondenswasser triefende Zeltdecke, um ihre himmlische Erscheinung auszuleuchten. Eine ihrer tanzenden Freundinnen im Erdbeer-Kostüm kannte ich vom Sehen. Als ein zufälliger Augenkontakt zustande kam, lächelte mich Sophie an und ich war sofort hin und weg. Ich habe sie nicht an Ort und Stelle angesprochen, weil ich zu betrunken war und keinen schlechten ersten Eindruck hinterlassen wollte. Nein, ich ging taktisch vor und organisierte mir erst Tage später um ein paar Ecken ihre Telefonnummer. Naja, und nach dem einen oder anderen Date, wurden wir auch schon ein Paar. Der ganz klassische und irgendwie auch langweilige Ablauf. Hätte sie mich an jenem Abend nicht angelächelt, wäre es vermutlich nie zu dieser Entscheidung gekommen, mir ihre Telefonnummer zu besorgen. Dann hätte ich einen kichernden Marienkäfer mit großen Brüsten abgeschleppt. Tja, das ist jetzt drei Jahre her. Inzwischen spüre ich zwar keinerlei Schmetterlinge mehr im Bauch, aber Sophies Lächeln wirkt noch immer in einer geheimnisvollen Art anziehend auf mich. Sie hat sich für heute schick gemacht. Sportlich schick. Sie trägt schwarze Ballerinas, eine dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Poloshirt von Lacoste. Ihre langen, hellblonden Haare trägt sie zusammengebunden zum Zopf. Das tut sie immer, seit ich ihr sagte, sie sähe mit offenen Haaren aus wie ein 15-jähriges Schulmädchen.
»Hatten wir nicht acht gesagt, Mikka?«
Ich bin etwas irritiert. Da ist sie aber jetzt kleinlich.
»Ja, ich weiß… ich bin doch fast pünktlich.«
»Und trotzdem bist du mal wieder zu spät. Das find ich jetzt echt nicht in Ordnung.« Sie schaut mich konzentriert und grimmig an. Ich schaue ihr fragend entgegen. Die verarscht mich doch. Dann verziehen sich ihre Mundwinkel und sie beginnt zu lachen. Das erleichtert mich und auch ich beginne zu lachen. Wir küssen uns und ich hebe sie im Anschluss bei der Umarmung hoch. Sophie ist einen guten Kopf kleiner als ich, daher liebe ich es, sie hochzuheben und sie ein wenig hin und her zu schaukeln, so dass ihre Beine wie der Pendel einer Standuhr nach links und rechts schwingen. Ich imitiere währenddessen die Geräusche des Pendels. Sie fängt wieder an zu lachen. Als ich sie absetze, sagt sie:
»Hör mal, wir müssen aber noch mal über gestern Abend reden, ja?«
»Klaro, aber jetzt gehen wir Beide erst mal schön was essen, ja?«
Schade. Ich dachte das Thema sei vom Tisch.
»Ehrlich?« Sophie ist zu meinem Vorhaben erwartungsgemäß positiv überrascht.
»Ehrlich. Heute lassen wir es uns so richtig schmecken.«
Ich führe sie in ein Steakhaus in der Kölner Altstadt aus. Auch nicht wirklich was besonderes, aber ich hab halt große Lust auf Fleisch. Sophie findet das, glaub ich, auch ganz gut. Zu reservieren versäumte ich leider, deswegen müssen wir noch 15 Minuten im Eingangsbereich warten, ehe wir an einem freigewordenen Zweier-Tisch Platz nehmen können. Sophie nimmt es gelassen entgegen. Wir bestellen uns einen großen Grillteller für zwei Personen. Sie bekommt ein kleines Kölsch, ich hingegen ein Malzbier, da meine Alkohollaune noch im Keller ist.
»Du, mit gestern Abend… und überhaupt, ist ja nicht das erste Mal. Ich frag mich oft… liebst du mich eigentlich, Mikka?« Wir haben noch nicht einmal angestoßen. Ich stutze und fühle mich überrempelt. Ich habe ihr tatsächlich noch nie gesagt, dass ich sie liebe. In den gesamten drei Jahren nicht einmal. Es gab einen Augenblick, da hätte ich es fast über die Lippen bekommen, weil ich mir irgendwie sicher war. Und auch, weil ich das romantische Ambiente auf der Bank vor dem Erdmännchen-Gehege des Kölner Zoos überwältigend fand. Irgendwas hat mich dann doch davon abgehalten. Insgesamt bin ich ohnehin ein wenig emotional abgestumpft. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals schon mal einen anderen Menschen, außer mir natürlich, geliebt habe. Gut, meine Eltern sicherlich. Und meine Großeltern und Geschwister wohl auch. Und gut, Mehmet Scholl zu Kindertagen abgöttisch. Aber nur eine meiner Freundinnen? Ehe ich mir eine verlegende Antwort aus den Fingern saugen kann, setzt Sophie nach:
»Mikka, du hast mir noch nie gesagt, dass du mich liebst.« Mein Blick wandert nachdenklich durch das Lokal. Das hab ich gerade auch selbst herausgefunden. Ehe ich mich irgendwie erklären kann, fragt sie mich noch, warum wir überhaupt zusammen seien. Weitere ganz blöde Frage.
»Na, weil wir zusammen gehören! Du bist ein tolles Mädchen und ich will nur dich und keine Andere.« Ich muss kurz an Lena denken und bin mir nicht ganz sicher, ob das gerade die Wahrheit war.
»Du weißt doch, dass ich da meine Probleme habe. Ich wäre ja sonst nicht mit dir zusammen, oder? Mach dir nicht so viele Gedanken, Kleine!«
Ich erhebe mein Glas und ergänze:
»Auf dich, Sophie.«
»Auf uns«, erwidert sie.
»Natürlich… auf uns.« Ich verlogenes Arschloch. Sophie frisst mir aus der Hand. Ich gelobe Besserung und dann ist das Thema endlich abgehakt. Wir reden wieder über die alltäglichen Dinge, wie ihren Job, mein Studium, unsere Eltern und so weiter und sofort. Das Essen schmeckt hervorragend und ich vergesse für den Augenblick jegliches Beziehungstheater. Nachdem ich die Rechnung bezahlt habe, beschließen wir zu mir nach Hause zu gehen.
Als wir ankommen, machen wir uns ohne Umwege direkt bettfertig. Wir sind beide müde vom Essen. Ich außerdem noch zusätzlich vom fehlenden beziehungsweise ungesunden Schlaf aus der Nacht zuvor. Sophie hat sich schon in meine Bettdecke eingelümmelt, als ich aus dem Badezimmer komme. Sie sieht aus, wie eine kleine Haselmaus, die sich für den bevorstehenden Winterschlaf bereit macht. Sehr niedlich. Sehr toll.
»Hey Kleine, du kannst jetzt aber noch nicht schlafen, ich hab da noch eine Überraschung für dich.«
Ich nehme stolz eine Flasche Lavendel-Massageöl hinter meinem Rücken hervor und bemerke, dass die kleine Überraschung auf Begeisterung stößt.
»Oooh, das ist echt süß von dir.« Sophie macht sich ohne Aufforderung oben herum frei. Dann auf Aufforderung auch unten, weil es sich ja um eine Ganzkörpermassage handelt. Nachdem ich die Musikanlage einschalte und Tomte – Buchstaben über der Stadt auf »Repeat all« stelle, schwinge ich mich aufs Bett und beginne die ölige Lavendelsoße auf ihrem jungen geschmeidigen Körper zu verteilen. Ich kann ganz gut massieren. Angenehme Laute des Genusses diverser Frauen stützen da meine These. Auch Sophie gibt sich mir hin und genießt meine Art der Wiedergutmachung in vollen Zügen. Ich massiere sie eine dreiviertel Stunde. Wir reden kaum miteinander, sondern lauschen nur den Klängen von Tomte. Während ich Sophie sinnlich durchknete, muss ich unvorhergesehen wieder an Lena denken. Na toll. Hat doch bis hier hin alles so gut geklappt. Was sie wohl jetzt gerade macht? Ob sie in diesem Augenblick auch an mich denkt? An die vergangene Nacht. Nur aus Spaß stelle ich mir vor, dass nicht Sophie, sondern Lena unter mir läge und von mir massiert wird. Keine so schlechte Vorstellung. Lena ist doch auf das Äußerste anziehend. Was mache ich nur? Bin ich Sophie jetzt wirklich fremdgegangen? Gut, wir hatten Sex, abgeschlossenen Sex. Aber zum einen war ich betrunken und zum anderen habe ich mich durchaus gegen diesen Akt zur Wehr gesetzt. Im Grunde bin ich vergewaltigt worden, nur eben ohne Gewalt. Zumindest ohne körperliche Gewalt, sehr wohl aber mit einer geheimnisvollen suggestiven Gewalt. Und da haben wir ihn, den Kasus Knacksus: eine Vergewaltigung ist kein Fremdgehen. Stumpfen Blickes auf die glänzende Haut gerichtet, sitze ich kopfschüttelnd auf Sophie und durchknete ihren Rücken mit immer monotoner werdenden Bewegungen. Ich verarsche mich hier doch gerade selbst. Egal, nach welcher Definition, da kann man nichts mehr dran rütteln oder klein reden, wie bei den zwei Malen zuvor. Ich bin fremdgegangen. Schluss machen ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch undenkbar. Beichten sowieso. Zum Schlussmachen müsste ich den richtigen Zeitpunkt finden. Vielleicht wieder darauf hin arbeiten? Sophie würde in sich zusammenbrechen und sich vielleicht was antun, was weiß ich.
Als ich mit der Massage fertig bin, decke ich eine leicht eindösende Sophie sanft zu und gebe ihr gefühlvoll einen Kuss auf die Wange. Sie öffnet schwach ihre Augen und sagt, dass sie es sehr schön gefunden habe. Im Rückblick betrachtet habe ich wohl die Nacht zuvor wunderschön gefunden. Wir sagen uns »gute Nacht« und ich lasse Sophie mit ihrem Kopf auf meiner Brust einschlafen. Ich liege noch lange wach und atme den noch immer in der Luft liegenden Lavendelduft tief ein. Heute Morgen lagen noch drückende Nebelwolken der nächtlichen Ausdünstungen von Alkohol und Nikotin in meinem Zimmer. Nun liegt eine gewisse Frische in der Luft, eine Mixtour aus Lavendelöl und Sophie. Ich streiche sanft über ihr Haar und grüble still vor mich hin. Als sie sich irgendwann zur Seite dreht und ich an ihrem Atmen höre, dass sie tief genug schläft, greife ich zu meinem auf dem Nachttisch liegenden Handy und schreibe eine Nachricht:
»Hey Lena! Musst dich für nichts entschuldigen! Hast du nächste Woche Zeit für’n Kaffee? Lg, Mikka.«