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Das Verständnis von Gesundheit und Krankheit

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Worüber reden wir eigentlich, wenn wir über Gesundheit sprechen? Genau genommen hören oder sprechen wir viel häufiger von Krankheit als von Gesundheit. Mal abgesehen von einer Erkältung, die jede oder jeder von uns irgendwann hat, zwickt es doch hier und dort, der eine hat die eine, die nächste eine andere Krankheit. Und wenn wir selbst etwas haben, dann finden sich sehr schnell einige Verwandte und Bekannte, die ebenfalls davon berichten können. Ja, sind wir denn alle krank? Vielleicht sogar chronisch? Wenn wir genau hinsehen, wird das wohl mal mehr mal weniger so sein. Irgendetwas haben wir alle. Ist Gesundheit also ein Idealzustand, von dem wir nur träumen können? In ärztlichen Fachkreisen kursiert daher die Erkenntnis, dass nur derjenige gesund ist, der nicht ausreichend untersucht wurde. Wenn man nur gut genug diagnostiziert, dann wird man auch bei denen etwas finden, die sich selbst als kerngesund bezeichnen. Das ist statistisch bewiesen. Die Zahl der erkrankten Menschen korreliert mit der Zahl der Untersuchungen.

Gesundheit und Krankheit, Zusammenhänge und die Dynamik von Gesundheit und Krankheit beschäftigten die Menschen bereits in ganz früher Zeit. Die Definitionen sind untrennbar mit der jeweiligen Betrachtungsweise verbunden. So sind spirituelle Betrachtungsweisen ebenso zu finden, wie rein wissenschaftlich-medizinische. Weitergedacht bedeutet das aber auch, dass es sich weder bei dem empfundenen gesunden noch dem kranken Zustand um eine rein individuelle Wahrnehmung handelt, sondern dass hier zusätzlich die gesellschaftliche Komponente definierend wirkt. Es gibt Ansätze, die diese Thematik von Geschlecht, Alter, Ethnie angehen oder das jeweilige Umfeld in den Vordergrund stellen. Mitte des 19. Jahrhunderts gewannen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften so großen Einfluss in weiten Teilen der Welt, dass der Mensch in der Medizin objektiviert wurde. Der Körper wird eine objektiv messbare Größe. Der Organismus wird als ein funktionierendes System reibungsloser Abläufe angenommen. Eine Analogie zu Maschinen kann nicht von der Hand gewiesen werden. Der Krankheitsbegriff verdrängt hier den Gesundheitsbegriff. Jede Störung des Systems wird als krankhaft angenommen.1

Eine Definition von Gesundheit liefert uns die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Ottawa-Charta (1986) mit der folgenden Formulierung:

Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlseins und nicht nur das Fehlen von Krankheit und Schwäche.

Zunächst fällt am Gesundheitsbegriff der Ottawa-Charta auf, dass Gesundheit nicht als das einfache Gegenteil von Krankheit beschrieben wird. „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selber und um andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selbst Entscheidungen zu fällen und Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit … ermöglichen“.2 Daraus resultiert ein eigenständiger Gesundheitsbegriff, der „in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten“3 und sich auch darin äußert, dass der Begriff Krankheit in der Ottawa Charta nicht weiter vorkommt.

Gesundheit wird in der Ottawa Charta prozesshaft definiert: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“.4 Gesundheit wird über das Ausbleiben von Krankheiten hinaus als „positive Gesundheit“ verstanden. In Abgrenzung zum krankheitsorientierten, pathogenetischen Verständnis von Gesundheit wird dieses eigenständige oder positive Gesundheitsverständnis salutogenetisch genannt.

Die Salutogenese beschäftigt sich mit der Entstehung und Entwicklung von Gesundheit und ist verbunden mit dem Namen Aaron Antonovsky5, einem israelischen Medizinsoziologen und Stressforscher. Er hat untersucht, wie Menschen, u. a. Überlebende aus Konzentrationslagern im dritten Reich, negative und zerstörerische Erfahrungen verarbeitet und ihr weiteres Leben bewältigt haben (1997). In der Erforschung der vielfältigen persönlichen Widerstandsquellen gelangte Antonovsky zu einem Konzept generalisierter Widerstandsressourcen, das er hinter den einzelnen Widerstandskräften, z. B. Immunsystem, Wissen, Ich-Stärke, Bewältigungskompetenzen, sozialer Unterstützung, Eingliederung ins soziale Netzwerke, soziokulturelle Widerstandsquellen etc., vermutet.

Dieses Konzept nennt Antonovsky den Kohärenzsinn (Sense of Coherence). Der Kohärenzsinn hat die Qualität einer zuversichtlichen und vertrauensvollen Grundeinstellung zum Leben, dass die Dinge im Leben sich gut entwickeln werden und dass man auf die eigenen Fähigkeiten sowie auch auf die Unterstützung anderer Menschen vertrauen kann. Das Konzept des Kohärenzsinns umfasst die drei Komponenten Verstehbarkeit (comprehensibility), Handhabbarkeit (manageability) und Bedeutsamkeit (meaningfullness):

► Verstehbarkeit: Die Ereignisse im Leben sind geordnet, vorhersehbar, und in irgendeiner Weise auch verständlich und nachvollziehbar

► Handhabbarkeit: Das Vertrauen darauf, dass Lebensaufgaben aus eigener Kraft oder mit Hilfe sozialer Unterstützung gemeistert werden können

► Bedeutsamkeit: Die Freude am Leben und das grundlegende Gefühl, dass das Leben auf dieser Welt einen Sinn ergibt.

Hiernach ist ein Mensch gesund, der seine eigene Lebenswelt als verstehbar, sinnhaft und beeinflussbar begreift. Die Ausprägung des Kohärenzsinns ist entscheidend dafür, dass Ressourcen zur Erhaltung der Gesundheit und des Wohlbefindens eingesetzt werden können. Ist der Kohärenzsinn stabil ausgeprägt, entsteht ein positives Selbstbild mit Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Der Kohärenzsinn wird durch Lebenserfahrungen beeinflusst.

Gesundheit in der Definition der Gesundheitswissenschaften ist ein Balanceakt, ein Abstimmungsakt zwischen drei Anforderungsbereichen6:

► Der physische und psychische Bereich des Körpers (Leistungsfähigkeit, Veranlagung, Konstitution etc.) und des Selbst (Selbstbild, Selbstwirksamkeit, Erwartungen etc.)

► Der soziale Bereich der Lebenswelt (der Einflussbereich der Familie, Gruppen, FreundInnen7, KollegenInnen etc.)

► Der Bereich der gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt (Wohnen, Freizeit-verhältnisse etc.).

Diese drei Bereiche stellen Anforderungen an die persönliche Gesundheit als der individuellen Balance dieser Anforderungen. Das Maß dieser Balance liegt in der persönlichen Handlungsfähigkeit und Lebensbewältigung.

Bei genauer Betrachtung lässt sich eine hierarchische Gliederung dieser Einflussbereiche erkennen. Wir haben als untere Ebene die individuelle Gesundheit, die beeinflusst wird durch die Arbeits- und Lebensbedingungen, zwar nicht direkt kausal beeinflusst, aber doch in einem hierarchischen Verhältnis. Und ganz oben steht die soziale und gesellschaftliche Umwelt, die wiederum die Lebens- und Arbeitsbedingungen beeinflusst und darüber die individuelle Gesundheit beeinflusst.

Der Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann letztendlich definiert Gesundheit wie folgt (2000):

Gesundheit bezeichnet den Zustand des objektiven und subjektiven Befindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. Gesundheit ist beeinträchtigt, wenn sich in einem oder mehreren dieser Bereiche Anforderungen ergeben, die von der Person in der jeweiligen Phase im Lebenslauf nicht erfüllt und bewältigt werden können. Die Beeinträchtigung kann sich, muss sich aber nicht, in Symptomen der sozialen, psychischen und physisch-physiologischen Auffälligkeit manifestieren.

Diese Definition behalten wir im Hinterkopf, wen wir uns im Folgenden der Rehabilitation, der UN-Behindertenrechtskonvention und der Frage zuwenden, was eigentlich der Begriff „Behinderung“ besagt.


Abbildung 1: Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum in Anlehnung an Antonovsky

Ein weiterer im Kontext von Gesundheit oftmals verwendeter Begriff ist „Prävention“. Prävention zielt im Gegensatz zur Gesundheitsförderung nicht auf eine verbesserte Gesundheit, sondern hat die Aufgabe, eine Verschlechterung der Gesundheit zu verhindern. Präventive Maßnahmen können als „Schutzmauer“ vor Einflüssen dargestellt werden, die die Gesundheit bedrohen. In Abbildung 1 sind Gesundheit und Krankheit als Kontinuum im Zusammenhang mit Gesundheitsförderung und Prävention dargestellt.

Gesundheit und Krankheit sind demnach als die Endpunkte eines Kontinuums zu sehen. Jeder Mensch bewegt sich in seinem Leben innerhalb dieses Kontinuums. Er ist immer gesund und krank zugleich und mal überwiegt das Gefühl gesund zu sein, mal das Gefühl krank zu sein.

Management der Rehabilitation

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