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Die ICF und das Bio-psycho-soziale Modell der WHO

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Dem genannten Paradigmenwechsel von der Orientierung an den Defiziten und Krankheiten sowie dem Fürsorgeprinzip hin zur Teilhabe und Selbstbestimmung liegt ein theoretisches Modell zugrunde, das seit seiner Einführung in Deutschland die Grundlage für unser Handeln in der Rehabilitation darstellt. Es handelt sich hierbei um die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF – „International Classifikation of Functioning, Diability and Health“). Die ICF ist zunächst einmal eine Klassifikation, die Krankheitsfolgen bezeichnet, gruppiert und nummeriert. Sie setzt auf der in der Medizin weltweit etablierten Internationalen (statistischen) Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD – International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) auf, die im Jahr 1989 eingeführt wurde und mit der heutzutage (aktuell ICD 10, in absehbarer Zeit ICD 11) sämtliche medizinische Diagnosen geschlüsselt werden. Wer sich im Gesundheitswesen ein wenig auskennt oder schon einmal eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt überreicht bekommen hat, der müsste einen ICD-Schlüssel schon gesehen haben.

Die ICF nun befasst sich mit den Auswirklungen dieser mit der ICD geschlüsselten Erkrankungen auf unser Leben. Dies geschieht gestützt auf das „Bio-psycho-soziale Modell“, das die WHO gemeinsam mit der ICF im Jahr 2001 in seiner derzeit aktuellen Fassung veröffentlicht hat.

Das Bio-psycho-soziale Modell bietet für alle an der Rehabilitation beteiligten Disziplinen eine wissenschaftlich untermauerte Grundlage für ein gemeinsames Verständnis von Rehabilitation und Teilhabe.


Abbildung 3: Das Bio-psycho-soziale Modell der WHO

Nach diesem Modell gilt ein Mensch als funktional gesund12, wenn vor seinem gesamten Lebenshintergrund

► seine körperlichen Funktionen (einschließlich des geistigen und seelischen Bereichs) und Körperstrukturen allgemein anerkannten (statistischen) Normen entsprechen (Konzept der Körperfunktionen und -strukturen),

► er alles das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem (Gesundheitsproblem im Sinn der ICD) erwartet wird (Konzept der Aktivitäten), und

► er zu allen Lebensbereichen, die für ihn wichtig sind, Zugang hat und sich in diesen Lebensbereichen in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder -strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird (Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen).

Eine wesentliche Bedeutung kommt dabei den sogenannten Kontextfaktoren zu, die im Modell als „Umweltfaktoren“ und „personbezogene Faktoren“ verankert sind. Das bedeutet, dass alle externen Gegebenheiten des Lebensumfeldes des Menschen, wie auch seine ganz persönlichen Eigenschaften, in die Betrachtung seiner Teilhabe einbezogen werden. Umweltfaktoren sind dabei z. B. technische Geräte oder sonstige Hilfsmittel sowie auch die Wohn- und Arbeitsumgebung des Menschen. Personbezogene Kontextfaktoren stellen sein Alter, sein Bildungsstand oder auch seine Coping-Strategien, das heißt, seine Fähigkeiten zur Bewältigung schwieriger Situationen, dar.

Schuntermann liefert in seinem Grundkurs zur ICF zur Erläuterung dieses Denkkonzepts das folgende sehr anschauliche Beispiel:

Eine aufgrund bestimmter Funktionsstörungen und Strukturschäden des Bewegungsapparates im Gehen stark eingeschränkte Person (erhebliche Aktivitätseinschränkung im Gehen) möchte selbst (Wille als Kontextfaktor) bei der Post ein Paket aufgeben (Wunsch nach Teilhabe am üblichen Alltagsleben, hier: ein Paket bei der Post aufgeben), wozu sie physisch und psychisch in der Lage ist (keine Einschränkung der Aktivität „ein Paket bei der Post aufgeben können“). Sie verfügt über einen Rollstuhl (Rollstuhl als Kontextfaktor) und kann damit allein zur Post fahren (keine Aktivitätseinschränkung in der Mobilität mit Hilfsmittel, Kontextfaktor „Rollstuhl“ wirkt sich positiv aus). Dort angekommen trifft sie auf eine für sie unüberwindbare Treppe, die zur Schalterhalle führt (Treppe als Kontextfaktor, der sich negativ auswirkt). Ein Aufzug für Rollstuhlfahrer ist nicht vorhanden (Aufzug als Kontextfaktor). Diese Gegebenheit ihrer Welt lässt nicht zu, dass sie selbst das Paket aufgibt (Aufzug als positiv wirkender Kontextfaktor nicht vorhanden). Wäre das Postamt barrierefrei, hätte sie keine Probleme mit der Aufgabe des Paketes.

Das Bio-psycho-soziale Modell liegt fortan allen Überlegungen und Betrachtungen zugrunde, die im Case Management in der Rehabilitation vorgenommen werden.

Zum vertiefenden Selbststudium sei hier der bereits erwähnte Grundkurs „Einführung in die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO)“ von M. F. Schuntermann wärmstens empfohlen.

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