Читать книгу Ferkel fliegen nicht - Ninni Martin - Страница 5
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ОглавлениеEs ist nur die Frage, wie Zeit vergeudet wird. Im Bett zu liegen den ganzen Tag ist die bequemste Art, sich im Internet zu verlieren die sinnloseste und im Supermarkt Roulette mit den Warteschlangen vor den Kassen zu spielen die vielleicht häufigste. Doch außer Frage ist Müßiggang dieser oder jener Art in jedem Fall verlorene Lebenszeit.
»Sei wie du bist, aber nutze die Zeit, denn alles ändert sich«, dachte Frieder und fand, dass ihm Lebensweisheiten nichts nutzten. Die Luft in dem kleinen Apartment war inzwischen so schlecht geworden, dass sich für Dr. med. vet. Friedemann Bronn das Sein über das Dasein zum quälenden Hiersein gewandelt hatte.
Am Vormittag waren im Billigsupermarkt die Sonderposten interessant genug, sie anzusehen, zu begreifen und zu prüfen auf Herz und Nieren. Es machte fraglos Spaß, im Gedränge an den Körben mit zumeist Arbeitslosen, bürgerlichen Beamten und Angestellten, türkisch gewandeten Frauen und vietnamesisch scheinenden Gastronomen mit Haut, Haaren und Ellenbogen Körpereinsatz zu zeigen. Hier war Frieder wieder in seinem Element. Er stemmte sich gegen alle Widerstände aus Muskeln, Schweiß, Schleim und purem Rotz wie einst gegen kalbende Kühe, kopulierende Eber und Jungbullen bei der Kastration. Am Nachmittag am Computer war Frieder wieder einsam, verlassen und im Netz weltweit verloren. Die Anwahl einer Erotik-Nummer verschaffte ihm Erleichterung von der Niedergeschlagenheit und hob bei wiederholtem Male sogar die Stimmung. Juttas Konto würde dafür nächstens von der Telefongesellschaft mit einer entsprechend angehobenen Schlussrechnung belastet werden. War es das wert? Ja, ohne Frage.
»Morgen bleibe ich im Bett«, nahm sich Frieder im Selbstgespräch vor.
Vorgestern war Frieder mit Jutta ein letztes Mal zusammen. Morgens schlief er mit ihr und blieb dabei ohnmächtig, sie wirklich noch zu lieben. Dann frühstückten sie gemeinsam und tranken Kaffee. Jutta meinte, es wäre das Aroma und die Stärke der Zubereitung, die sie noch lange missen werde, selbst dann, wenn alle Erinnerung an ihn, Frieder, längst verblasst sein werde. Dann trieben sie es wieder, erst recht und wild und in dem verbliebenen spärlichen Mobiliar, alles samt nichts mehr wert, schien die Geschirrablage des Spülbeckens wie dafür geschaffen. Später rauchten sie Hasch, die Zigaretten so groß, prall und dick wie kaum zuvor und pinkelten sich vor Lachen und Erschöpfung in die Hosen, dass ihnen die gereizten Genitalien brannten und sie erbärmlich stanken. Daraufhin bekamen sie beide unbändigen Appetit, doch da es keinen Kühlschrank und überhaupt Nahrungsmittel nicht mehr gab, genossen beide einander mit unbändiger Lust und betäubter Müdigkeit vom Leben.
Es klingelte. »Die Tür ist offen!«, rief Jutta und ein kleiner Trupp so sonderbar lebensfroh scheinender junger Christen knäuelte sich eng durch den Türrahmen. Die Vorderen wendeten sich rasch mit geschützten Augen wieder ab und liefen gegen die von hinten gierig Ahnenden und Drängelnden an. Frieder war weggetreten und so verschwitzt wie das Spülbecken feucht, doch war Jutta noch wach genug für Pragmatismus:
»Hallo, ihr Freunde, bedient euch mit allem, was ihr findet, doch lasst uns das Spülbecken noch ein wenig. Wir sind hier gleich fertig.« Dann war sie fertig. Sie stieß Frieder mit ihren nackten, feuchten Beinen von sich und zog ihn an den Füßen über Kacheln und Parkett. Jutta hob Frieder in das Bett, schwang sich auf ihn und zog die Decke weit über ihre beiden Körper. Sie hörte den Trupp der Gotteskämpfer leise zu Werke gehen und achtete auf Frieders schwachen Atem. Über all diesem unwirklichen Klangbild fielen Ströme fahler, dumpfer Farben, die sie sah, als sie durch die nun geschlossenen Lider ihrer Augen klar zu schauen suchte. Da war Frieders näselndes Pfeifen genauso wie dieses Schieben und Schrauben, Rücken und Ziehen, verschämtes Kichern, ein 'Igittigitt' hier und ein 'Ach guck mal' da. Dann wähnte sie noch im Chor ein 'Danke', ein 'Vergelt's Gott', ein einfaches 'Tschüss' und das Schnappen der Eingangstür. Die Stille danach nahm sie nicht länger wahr. Vielleicht zwei Stunden nur mochte sie geschlafen haben, ehe sie das Taxi rief, sich zurecht machte und sie ihre Habseligkeiten in einen Beutel stopfte. Frau Dr. rer. nat. Jutta von Lindenburg verließ das Apartment. Sie küsste Friedemann nicht zum Abschied, sie drehte sich nicht einmal nach ihm um.