Читать книгу Die Katze und der General - Nino Haratischwili - Страница 10

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2016/Die Katze

Heiß wallt dein Herz bei schauerlichem Werk, dreimal hintereinander wiederholte sie den Satz in ihren Gedanken, ihre Lippen bewegten sich intuitiv, aber lautlos, wie ein geräuschloses Tier schlichen die Sätze nach außen. Sie presste ihren Oberkörper mit voller Wucht gegen die schwere Metalltür und fiel fast in den Hinterhof hinaus, konnte gerade noch das Gleichgewicht halten. Schon immer drückte sie schwere Türen mit einem Schwung ihres Oberkörpers auf, als gälte es, Mauern zu durchbrechen, als würden alle Türen der Welt ihr Widerstand leisten. Das Licht einer einsamen Laterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite fiel auf ihr nicht vollständig abgeschminktes Gesicht.

Die Laterne stand am Eingang des Hofes und sah aus, als wartete sie seit Jahren auf jemanden, der ein Versprechen nicht eingelöst hatte, und strahlte mit ihrem kalten bläulichen Licht erbarmungslos auf den menschenleeren Gewerbepark, damit er noch trostloser erschien, als er ohnehin schon war.

Sie fühlte sich wohl hier. Schon beim ersten Mal, als sie in dieser zum Theater umfunktionierten Fabrik die Bühne betreten und diesen Satz mit dem Blick halb ins Publikum und halb zu ihrer übermächtigen Schwesterfigur ausgesprochen hatte, hatte sie diesen Ort ins Herz geschlossen. Ihr gefiel die Anonymität, das Raue der Gegend. Auch sah man auf den Straßen kaum Menschen – außer an den Abenden, an denen sie spielten und sich eine kleine, aber immerhin konstante Zahl von Zuschauern am Vordereingang drängte.

Vor allem aber schätzte sie den Hinterhof. Bei gutem Wetter nutzte sie ihn als Garderobe. Die anderen Kollegen verirrten sich kaum hierher, ganz zu schweigen von dem übersensiblen Assistenten, der die Abende betreute und mit seiner Aufgabe vollkommen überfordert war, und wenn der wortkarge Techniker einmal nach einer Vorstellung mit seiner Bierflasche kam, um eine Zigarette zu rauchen, so bot sie ihm kommentarlos ihr Feuerzeug an, sie standen dann schweigend für die Länge einer Zigarette auf dem Hof und sahen in die graue Betonwelt hinaus.

Heiß wallt dein Herz bei schauerlichem Werk, dieser Satz verfolgte sie auch nach der heutigen Vorstellung. Es gelang ihr nicht, ihn von der Zunge zu kratzen, als hätte sie ihn sich aus Ismenes Wortschatz einverleibt.

Im Spiel auf der Bühne liebte sie ganz besonders den Moment, wenn sie den Satz endlich sagte, halb klagend, halb vorwurfsvoll, und doch – viel mehr als an das Publikum oder an ihre Schwesterfigur, die so unbedingt eine Heldin sein wollte – richtete sie diesen Satz an sich selbst, so als gestehe sie sich etwas nicht ein, sie, die eben nicht an blindes Heldentum glaubte und die Einzige aus ihrer vom namenlosen Wahn befallenen Bühnenfamilie war, die jeglichen Fanatismus ablehnte.

Sie sagte es nicht mehr in der Rolle, nicht als Ismene, der Schwester Antigones, für einen Moment verschwand Ismene hinter ihrem Rücken und überließ ihr den schicksalhaften Satz.

Aus dem Inneren des Gebäudes drangen Gesprächsfetzen und das Klirren der Gläser zu ihr hinaus. Das Ganze verschmolz zu einem einlullenden, sanften Geräusch im Hintergrund. Bestimmt unterhielt man sich gerade über das Spiel der Akteure, bestimmt hatten die Kollegen ihre Freunde und Familienmitglieder dabei, weil der Weg von Berlin bis hier in die Walachei nicht sehr weit war. Manche kamen vielleicht schon zum dritten oder vierten Mal, um ihre Liebsten zu unterstützen, da sie alle nicht gerade mit Angeboten überschüttet wurden. Dieses vertraute Treiben hatte etwas äußerst Beruhigendes für sie. Alles Alltägliche, alles Sorgenvolle verschwamm, sobald sie das Gebäude betrat. Der Kündigungsbrief ihres Hausverwalters, der heute Morgen in ihrem Briefkasten lag, der ihr mitteilte, dass sie in drei Monaten die Wohnung räumen müsse, da der Eigentümer Eigenbedarf angemeldet habe. Der Streit mit Natalia, ihrer Schwester. Die Trennung von R., die sie nicht länger hinauszögern durfte und die ein endloser, wie in Zeitlupe ablaufender Schmerz war. Die Geldsorgen, die Frage, ob sie zu diesem idiotischen Casting gehen sollte, von dem sie sich nichts erhoffte – all das verschwand, sobald sie sich in diesem Treiben auflöste.

Sie schloss die Augen und zog an ihrer Zigarette, schirmte sie gleichzeitig mit der anderen Hand vor dem Regen ab.

Es war ihr immer wieder ein Rätsel, wieso sie dieses Lampenfieber, das sich sofort nach dem Aufwachen einstellte, wenn sie abends eine Vorstellung hatte, diese Hektik, überhaupt diese merkwürdige, staubige, abgeschaute Welt so sehr liebte. Wieso sie sich an einem solch weltfernen Ort so sehr als sie selbst fühlte. Es war doch paradox: Nie war sie weiter von sich selbst entfernt, als wenn sie spielte, und gleichzeitig so sehr bei sich. Bereits als kleines Mädchen, wenn sie an der Hand ihrer Großmutter, die ihr ihren Vornamen vererbt hatte, durch die Straßen des Bäderviertels gelaufen war und in die Hinterhöfe mit den Pawlatschen und den bunten Holzbalkonen geschaut hatte, in all die Wohnungen, in denen Lichter brannten, hatte sie sich ausgemalt, was für ein Mensch dort lebte, welchen Beruf er ausübte, was ihn schmerzte oder freute, welche Verluste er erlitten hatte und welches Glück ihm noch bevorstünde. Später hatte sie gelernt, die Stimmen der anderen zu imitieren, und sich mit ihrer Schwester einen Heidenspaß daraus gemacht, mit Telefonstreichen Menschen in die Irre zu führen. Theater wurde früh ihr Lebenswunsch. Hielt sie es mit sich selbst so wenig aus oder reichte ihr ein Leben nicht, oder traf gar beides zu? Welche geheime Kraft trieb sie als kleines Mädchen im farbenfrohen und lauten Haus ihrer Großmutter dazu an, Vorführungen und Konzerte zu veranstalten, wo alle Kinder der Hinterhöfe nach ihren Möglichkeiten etwas darbieten konnten? Die Erwachsenen spendeten den Kindern danach etwas Geld, damit sie Süßigkeiten und Limonade kaufen konnten. Für sie jedoch ging es um etwas anderes, für sie ging es darum, Publikum zu haben, die Möglichkeit, vor ihm zu spielen, seine Erwartungen zu brechen, es zu überraschen. Natürlich konnte sie es damals nicht in Worte fassen, sie ahnte nur, dass dieser Wunsch, der in ihr brannte, groß, ja stärker war als sie selbst.

Als dann die »Schwarzen Zeiten« kamen, wie ihre Großmutter das Jahrzehnt nach der Perestroika nannte, als die Kindheit plötzlich einen rostigen Beigeschmack bekam und die Stadt tagelang in Finsternis versank, die Straßen nach Petroleum rochen und die Schlangen vor den Brotgeschäften immer länger wurden und aussahen wie eine Ziehharmonika, als die Erwachsenen ihre Stimmen senkten und ständig über Politik redeten, als Vater und Mutter sich nicht mehr auf den Mund küssten und ihre Großmutter das mühsam ersparte Ferienhaus verkaufen musste, als viele der Nachbarn aus dem Judenviertel nach Israel auswanderten und das bunte Treiben in der Silberstraße gar nicht mehr so bunt war, da, ja da wurden ihre Veranstaltungen zu einer Notwendigkeit. Sie fühlte sich verantwortlich für die Menschen, die ihr wichtig waren, die ihre Welt bildeten, musste sie ablenken, erheitern, sie auf andere Gedanken bringen.

Und erst recht zur Notwendigkeit wurde dieser Wunsch, als Vater vom Krieg eingesogen und dann als Riese wieder ausgespuckt wurde. »Du kannst uns nicht einfach so zurücklassen. Ich weiß nicht, wie ich das durchstehen soll. Das ist unfair!«, hatte ihre Mutter in der Nacht vor seiner Abreise gejault. Ja, es war ein Jaulen gewesen, als wäre sie ein Wolf.

Doch ihrer Mutter war klar, dass es vollkommen sinnlos war zu diskutieren. Und wahrscheinlich hatte sie recht. Er hatte seine Entscheidung längst getroffen und war nicht mehr davon abzubringen. Zwei seiner Kollegen waren kürzlich nach Gagra gefahren, nachdem Gerüchte kursierten, dass sich die abchasischen Ärzte angeblich weigern würden, georgische Verwundete zu behandeln. Und nun fühlte Vater sich berufen, zu helfen. Selbst die Tatsache, dass man täglich Schreckensnachrichten von der Einnahme der Stadt hörte, im Fernsehen die Bilder der über die Berge ziehenden Flüchtlingskarawane sah, immer mehr schwarz gekleidete Frauen auf den Straßen umhergingen, die Fotos ihrer gefallenen Angehörigen als Brosche auf der Brust trugen, konnte seine Überzeugung nicht erschüttern. Er war Arzt, und es war seine Aufgabe, dorthin zu fahren und zu helfen, wo er gebraucht wurde. »Was wäre ich für ein Arzt, wenn ich bleiben würde?«, sagte er nur.

In dem KAMAZ-Laster, mit dem er davonfuhr, befanden sich zwei weitere Ärzte und einige sehr jung aussehende Männer, ein Journalist, der unermüdlich irgendwelche Witze machte, als wollte er krampfhaft seine Angst überspielen, und ein Mann, von dem keiner wusste, was er auf den Schlachtfeldern zu suchen hatte, wen er retten oder wen er töten wollte. Sie hatten sich am Treffpunkt eingefunden, und Natalia, ihre kleine Schwester, der das Wort Krieg noch nichts als Gleichgültigkeit entlocken konnte, saß auf Vaters Schultern und spielte mit seinen Ohren. Diese Beschäftigung schien sie so zu vergnügen, dass sie ab und zu laut auflachte, und dieses fröhliche Lachen bildete einen absurden Kontrast zu der ansonsten so bedrückten und schweigsamen Stimmung.

Sie erinnerte sich an diese Szene, so klar, als hätte sie erst vor einigen Tagen stattgefunden. Und sie erinnerte sich ebenso, dass auch sie in dieser traurigen Konstellation die Heitere und Spaßige zu sein versuchte. Sie lächelte unnatürlich viel, war freundlich, gab die unkomplizierte und hilfsbereite Tochter und schnitt für den zu einer mechanischen Puppe gewordenen Vater lustige Grimassen, der es vermied, seinen Familienmitgliedern direkt in die Augen zu blicken.

Aber kurz bevor er in den Frachtraum des Lasters stieg, zu den Gütern, die dort verstaut waren, lächelte er sie noch einmal an. Und er tat es, weil es ein Spiel war, weil sie ihm dieses Lächeln entlockte, es war ein beliebtes Spiel zwischen den beiden gewesen, das Wetteifern um den größten Gesichtsgulasch. Und tatsächlich öffnete er den Mund, die Lippen, befreit aus der Gefangenschaft der Reglosigkeit, verzogen sich zu einem Lächeln.

Ja, sie hatte ihm dieses kostbare Lächeln entlockt, an das sie so oft noch würde zurückdenken müssen, bevor der KAMAZ davonfuhr und Mutters Hände zu zittern begannen und Natalia, ohne selbst zu wissen, warum, vielleicht stellvertretend für die Erwachsenen, anfing, lauthals zu weinen. Ja, der Wunsch erwachte an jenem Tag, aber vor allem begann er ab dem Zeitpunkt in ihr zu pochen, als Vater als Riese nach Hause zurückkehrte.

Sie genoss die Ruhe, die sich nach jeder Vorstellung hier in ihrem Hinterhof einstellte. Der Nieselregen wusch die Reste der Schminke und alle Gedanken von ihr ab, verwandelte sie in farblose Tropfen und dann in bräunliche Pfützen im löchrigen Asphalt. Es tat gut, nichts zu denken, nichts zu wollen, einfach nur dazustehen, noch nicht ganz sie selbst, aber auch nicht mehr die in sich brütende, in sich zusammenfallende Ismene, der es nicht vergönnt war, ihr Unglück laut hinauszuschreien.

Vielleicht war genau das der Zustand, in dem sie dem Glück am nächsten kam. In dem sie frei war. Frei von Vorherbestimmungen und Erinnerungen, frei von Erwartungen und von Zwängen. Deshalb fühlte sie sich so wohl an diesem Ort, gerade nach den Vorstellungen, noch Ismenes Gesicht über ihres gemalt, mit den Fetzen fremder Sätze in sich.

Doch der Schmerz im Bauch kehrte wieder, sobald sie anfing, an ihn zu denken, von dem sie lange angenommen hatte, er wäre ihr Zuhause, und wurde im gleichen Moment abrupt unterbrochen, weil jemand die schwere Tür aufriss, sicherlich Juri, dachte sie und drehte sich nicht um.

– Hey Katze, da sucht dich einer, echt komischer Kerl, meinte, er müsse dich dringend sprechen, etwas Persönliches oder so, soll ich ihn zu dir rausschicken?

Es war Anton, der Produktionsassistent, der in Sekundenbruchteilen ihre hart erkämpfte Ruhe zerstört hatte. Ein Rätsel, wie man einerseits so überempfindlich und gleichzeitig so grobschlächtig sein konnte wie Anton.

– Wer soll das sein?, fragte sie gelangweilt nach, eher mechanisch, ohne den Blick von der gegenüberliegenden Betonwand abzuwenden.

– Keine Ahnung, wollte mir nichts verraten. Könnte irgendein Werbefuzzi sein, sieht so geschniegelt aus, fügte er kurz angebunden hinzu. – Ich schick ihn dann raus, ich habe anderes zu tun, als mich um deine freakigen Verehrer zu kümmern.

Der letzte Satz sollte wohl als Mischung aus einem verqueren Kompliment und einem Witz verstanden werden. Er hatte diese schwierige Gewohnheit, Menschen Nettigkeiten in Form von genervten Beschwerden mitzuteilen. Wenn er sich vom Spiel eines Kollegen beeindrucken ließ, beklagte er sich anschließend bei dem Schauspieler mit etwas Derartigem wie: »Musst du mich denn so aufregen? Meinst du, ich selbst habe nicht Drama genug?« Oder wenn er sich von jemandes Komik mitreißen ließ, sagte er übertrieben leidvoll: »Na toll, jetzt habe ich wegen dir Muskelkater.«

Er schlug die Tür mit lautem Knall hinter sich zu. Sie versuchte, wieder die gewohnte Stille heraufzubeschwören, kniff die Augen zusammen und streckte ihre Nasenspitze in den nachlassenden Regen.

Seit sie denken konnte, war sie dem Instinkt gefolgt, sich in andere Köpfe, Körper und Leben hineinzufantasieren, und war früh zu dem Entschluss gelangt, die Schauspielerei zu ihrem Leben zu machen. Sie hatte sich die Möglichkeit erarbeitet, eine Ausbildung zu machen, die sie das Handwerk lehren würde. Mit jedem Regisseur, dem sie seither über den Weg gelaufen war, der mit ihr arbeiten wollte, ergab sich über kurz oder lang eine Konfliktsituation. Manche glaubten, ihr stehe ein falscher Stolz im Weg, der in der Schauspielerei nichts zu suchen hätte, andere wiederum warfen ihr vor, sie bilde sich ein, klüger zu sein als die anderen, oder hielten sie einfach nur für exzentrisch. Das Problem war nicht, dass sie sich für etwas zu schade war, noch viel weniger lag es daran, dass sie die jeweils eigene Interpretation ihrer Rolle für besser hielt als die des Regisseurs oder der Regisseurin – es lag vielmehr an ihrem eigenen, krankhaft übertriebenen Anspruch, den sie an sich und die Welt stellte. Sie wollte sich häuten und über sich selbst hinauswachsen, und sie zeigte sich unversöhnlich angesichts jeder Mittelmäßigkeit, mit der man sich nur allzu häufig zufriedenzugeben schien. Nein, sie wollte sich alles abverlangen, über jede Grenze hinwegschreiten. Sie wollte in dieser staubigen, schwarzen, fensterlosen Galaxie jeden Abgrund erkunden und erforschen und wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen und leer sein, vollkommen leer.

Seit dem Ende ihrer Kindheit, seit dem Verlassen des Landes ihres ersten Lebens, seit dem Abschied vom Hof in der Silberstraße sah sie sich damit konfrontiert, sich in Anpassung zu üben, und doch konnte sie sich an diesem Punkt nicht weniger abverlangen, sich nicht verraten. Sie klammerte sich an die wenigen Begegnungen mit Gleichgesinnten und Seelenverwandten. Immer wieder gelang es ihr für flüchtige Momente, einzelne Menschen zu streifen, die unbeugsam durch die Welt liefen, unbelehrbar waren, unrettbar verstrickt in ihren Sehnsüchten und Utopien. Und dann, in solchen selbstvergessenen Augenblicken in mit schwarzem Molton abgehängten Probenräumen oder verrauchten Eckkneipen, gelang ihr etwas, das sich wie Glück anfühlte.

Der Gedanke an ihn war stechend scharf, als hätte sie sich an einer Rasierklinge geschnitten. Sie sah ihn vor sich, ihn, der es geschafft hatte, sie an ihre Grenzen zu führen, der ihr zum ersten Mal das Gefühl gegeben hatte, sie würde nicht genügen, an seine Vorstellungen nicht heranreichen, da sie nicht weit genug ging. Der Mensch, der sie bis dahin vielleicht am meisten verblüfft hatte. Der Mann mit den besessenen Augen, dem weißen Hemd und dem schwarzen Anzug, der mit seiner Haut verwachsen zu sein schien, der Mann, der anstelle von Wörtern Noten benutzte.

Ihr letztes Ausbildungsjahr verbrachte sie in Wien. Sie hatte gelernt, sich besser zu verkaufen, ihre Nöte und Ansprüche besser zu kaschieren. Sie war gut darin, Fügsamkeit vorzutäuschen, und so blieb sie dort. Es war leichter so. Sie hatte ein schönes Zimmer in der Josefstadt und ein Stipendium ergattert, das ihr ein einigermaßen sorgenfreies Jahr ermöglichte, und sich mit der Bequemlichkeit angefreundet, mit ihr einen Pakt geschlossen.

Vor ihrem Diplom hatte sich ein Zeitfenster ergeben, und sie hatte eine Statistenrolle bei einer skandalumwitterten Produktion an der Wiener Oper angenommen. Sie zahlten gut, Oper interessierte sie zwar nicht sonderlich, aber es fiel ihr dort leichter als im Theater, den Mund zu halten. Es war eine moderne Oper, ein Auftragswerk eines Wiener Komponisten, von dem sie nie etwas gehört hatte und den alle nur R. nannten, als berge der Buchstabe eine ganze Biografie.

Sie besorgte sich ein paar Platten von ihm, befand die Musik für schräg und beschloss, keinerlei Ehrfurcht vor ihm an den Tag zu legen, schon allein, weil es der Rest der Produktion tat.

Als er dann auf einer Probe auftauchte, fand sie ihn arrogant und selbstverliebt und wollte unfreundlich zu ihm sein, falls es dazu kommen sollte, dass dem großen Maestro ihre Existenz überhaupt auffiel. Es kam dazu.

Die Premiere spaltete das Publikum in Hasser und glühende Anhänger, doch auf der Premierenfeier berauschte sich jeder aus Erleichterung an sich selbst und am Alkohol. Man tanzte und sang, der Maestro aber saß die meiste Zeit neben dem Regisseur in der Ecke, hatte seinen Arm um ihn gelegt, dem armen Mann somit jede Fluchtmöglichkeit genommen, und redete wie in Rage auf ihn ein. Immer wieder wanderte ihr Blick zu den beiden Männern in der Ecke, und die anfängliche Gereiztheit und das Mitleid mit dem Regisseur wichen einer gewissen Bewunderung für die Besessenheit des Komponisten. Die offensichtliche Kompromisslosigkeit und Unnachgiebigkeit, mit der er sprach, hatten etwas Faszinierendes.

Auch fand sie es bemerkenswert, keinen einzigen Menschen zu treffen, der etwas Neutrales über ihn sagte. Entweder war er ein »widerliches Schwein« oder ein »epochaler Musiker«, aber nichts dazwischen.

Später ging sie vor die Tür, zündete sich eine Zigarette an und bemerkte ihn mit einem Rotweinglas neben sich stehen.

– Du warst im Chor, oder?, fragte er, und sie war mehr als erstaunt, dass sie ihm überhaupt aufgefallen war.

– Ja. Das war ich.

Er sah sie kurz an, seinem Gesicht konnte sie nichts entnehmen, konnte ihn nicht deuten. Die dunklen Augen, der dunkle Bart mit wenigen grauen Haaren darin, die hohe Stirn, all das schien eine Tarnung zu sein, eine Tarnung für irgendwas, das im Verborgenen bleiben sollte. Es war schwer, sein Alter zu schätzen, er hätte zwei, zehn oder auch zwanzig Jahre älter sein können als sie.

– Du warst sehr präsent, fügte er hinzu, als hätte er ihre Gedanken erraten. Sie fragte sich, ob er sich über sie lustig machte, aber er wirkte nicht wie jemand, der sonderlich humorvoll war.

Sie kamen ins Gespräch. Zuerst tauschte man Belanglosigkeiten aus. Dann wollte er ihre Eindrücke von der Produktion erfahren, als Außenstehende hätte sie einen unvoreingenommenen Blick für diesen ganzen »Wahnsinn«. Sie schilderte ihre Eindrücke, sie mussten lachen.

Als ihnen der Wein ausging, fragte er, ob sie von hier verschwinden wollten.

– Man wird einen Suchtrupp nach dir schicken, du bist schließlich der Ehrengast schlechthin!, erwiderte sie.

– Umso besser. Das Versteckspiel war schon als Kind mein liebstes Spiel. Überhaupt spiele ich gerne.

– Aha. Was denn so?

– Alles Mögliche. Spielst du mit?

– Kommt drauf an, was.

Sie fragte sich, ob sie ihn anziehend oder abstoßend fand, und konnte sich nicht entscheiden.

– Du versteckst dich. Ich finde dich.

– Wie das?

– Du gehst irgendwohin, wo du denkst, dass ich dich nicht aufspüren werde.

– Und was soll das für ein Ort sein?

– Keine Ahnung. Die Stadt ist groß genug und bietet genug Verstecke.

Sie musste laut auflachen.

– Ich meine es ernst. Du gibst mir drei Hinweise. Genau drei, nicht mehr, nicht weniger.

– Ich soll mich also irgendwo verstecken. Irgendwo in der Stadt?

– Ja, in einer Wohnung, einem öffentlichen Gebäude, einem Lokal, ganz egal. Nur die drei Hinweise brauche ich.

– Und dann?

– Dann finde ich dich.

– Und solltest du es nicht tun?

– Dann war es den Versuch wert.

– Und solltest du mich finden?

– Dann vögeln wir bis zum Morgengrauen.

Sie hörte jemanden die Klinke herunterdrücken, wobei mehr als zwei Versuche nötig waren, da die Tür sich als schwerer als erwartet erwies, und dann vorsichtige, zaghafte Schritte, wie die eines Fremden, der unbekanntes Terrain betritt und dem Boden unter seinen Füßen nicht traut.

– Hier sind Sie also. Darf ich?

Ein hochgewachsener Mann, ziemlich schlaksig, mit dem Gesichtsausdruck eines äußerst reizbaren Menschen, trat aus der Tür und kam direkt auf sie zu. Er trug ein gut sitzendes Sakko und eine dunkelblaue Jeans. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Gesichter vergaß sie nie, eigentlich vergaß sie auch keine Namen, es war vielmehr so, dass manche Namen auf gar keinen Fall zu bestimmten Menschen zu gehören schienen, und so erfand sie welche für sie, die ihr viel passender zu ihren Körpern und Geschichten vorkamen. Vor allem, wenn Menschen eine auffallende Ähnlichkeit mit Tieren hatten, dann gab sie ihnen Tiernamen. Auch ihr eigener Name war irgendwann verblasst wie eine alte Fotografie im Wandschrank und fand einzig bei offiziellen Anlässen Erwähnung. Ihr wirklicher Name bot ihr keinen Schutz, aber der Name, auf den sie hörte, der ihr gehörte, ihr allein und Millionen anderer dieser geheimnisvollen Tiergattung, war stets eine Höhle, eine warme Decke, ein Rückzugsraum und gleichzeitig eine Erinnerung, eine Erinnerung, dass sie einmal überlebt hatte und es nun auch weiterhin tun würde.

Diesen Mann musste sie sofort Vogel nennen. Er war groß, dünn, ungelenkig und hatte die runden, dunklen Augen eines Storchs.

– Bitte, sagte sie, bemüht, einen freundlichen Ton anzuschlagen, der ihre Enttäuschung überdecken würde, gestört worden zu sein.

– Mein Kompliment. Große Schauspielkunst, kann man nicht anders sagen. Sie haben Ihre Schwester eindeutig in den Schatten gestellt.

Sie hasste solche Floskeln. Nie konnte man wissen, ob der Mensch es ernst meinte. Hinter diesen »Fabelhaft«, »Bezaubernd«, »Entzückend«, »Intensiv« verbargen sich Abgründe von Möglichkeiten, die man erst entschlüsseln konnte, wenn man dem Menschen selbst nahekam. Aber jetzt verspürte sie keinerlei Lust nachzufragen, was den Vogelmann dazu bewogen hatte, sich an sie zu wenden.

– Danke, murmelte sie halbherzig und warf ihm ein leicht erzwungenes Lächeln zu. Er starrte sie an, als könnte er sich von ihrem Lächeln nicht lösen, und so war sie gezwungen, seinem Blick länger als beabsichtigt standzuhalten, mit geringfügig nach oben gebogenen Mundwinkeln harrte sie aus, bis er seinen durchdringenden Blick von ihr abwendete. Er kniff die Augen fest zusammen, für einen Augenblick drang ihr sein fremder Geruch in die Nase. Eine Mischung aus herbem Rasierwasser und etwas Dinglichem, als wäre er ein Gegenstand und kein Mensch.

– Oh, entschuldigen Sie bitte. Ich habe mich gar nicht vorgestellt und überfalle Sie stattdessen mit meinen Meinungen. Ich will Sie nicht weiter stören, es handelt sich um eine sehr dringende Angelegenheit, die sich hoffentlich in wenigen Augenblicken lösen lässt.

Jetzt lächelte er zurück und entblößte zwei unnatürlich perfekte Zahnreihen.

– Schapiro, Anatoli Schapiro, aber meine Eltern hätten sich wohl in meinem Fall den Vornamen sparen können, alle reden mich bloß mit meinem Nachnamen an, das ist seit meiner Kindheit unverändert. Da kann ich machen, was ich will.

– Klingt wie ein Spitzname, und ich mag Spitznamen.

– So habe ich das bisher noch nicht betrachtet, richtig.

Sein Deutsch hatte einen kaum merklichen Akzent, aber sie konnte ihn nicht zuordnen, mochte ihn aber, es war das Einzige bisher, was ihr an diesem Vogelmann einladend erschien.

– Sie sollten mehr spielen, sagte er auf einmal, als folge er einer nur ihm erkennbaren Logik. Der Satz ließ sie aufhorchen. Er bedeutete, dass dieser Mensch über sie informiert war, also keineswegs ein bloßer Zuschauer, und sie mochte es nicht, wenn man sie überrumpelte.

– Sie scheinen ja auf dem Laufenden zu sein …, ihr Ton wurde etwas bissiger.

– Nun ja, ich mache meine Arbeit stets gründlich.

Der Vogelmann wirkte plötzlich gar nicht mehr so harmlos, so wie er den Satz sagte, in seinem heimatlosen Akzent, als wäre er nie in einer Sprache zu Hause gewesen.

– Mein Vorgesetzter duldet keine Fehler, fügte er konspirativ hinzu. Diese Wendung der Unterhaltung gefiel ihr gar nicht.

– Und worum geht’s denn eigentlich?, fiel sie ihm hart ins Wort. – Werbung mache ich keine, damit Sie das gleich wissen, fügte sie noch etwas milder hinzu. – Das werden Sie aber schon herausgefunden haben, wenn Sie Ihre Arbeit gründlich machen.

– Aber nicht doch, lachte er auf, ein etwas unnatürliches, übertriebenes Lachen. – Natürlich nicht. So etwas Profanes würde ich einer guten Schauspielerin wie Ihnen niemals anbieten, und glauben Sie mir, mein Vorgesetzter, ich versuche, das Wort Chef zu vermeiden, das hört er nämlich nicht gern, verurteilt jede Form der Anbiederung zutiefst.

– Eine Rolle dann also?

– Nun ja. So kann man das auch formulieren, wobei … Das ist schwer in knappen Sätzen zusammenzufassen, dabei hatte ich mich auf das Gespräch vorbereitet, aber nach der Vorstellung bin ich ein wenig, nun ja, aufgewühlt, was in erster Linie Ihrer großartigen Schauspielkunst zu verdanken ist. Es geht um einen etwas eigenwilligen Auftrag, den er Ihnen äußerst gern erteilen würde und der sicherlich Ihre finanziellen Erwartungen übertreffen wird.

– Oh Gott, ich hätte gleich darauf kommen sollen, dabei sehen Sie nicht unbedingt wie einer aus der Erotikbranche aus, sagte sie und trat die Zigarette mit der Spitze des Turnschuhs aus.

– Wie bitte? Oh nein, nein, bitte, solch etwas Abwegiges dürfen Sie nicht annehmen! Verzeihen Sie, wenn ich so ein Missverständnis habe aufkommen lassen.

Sie amüsierte sich über seine Ausdrucksweise und ließ ihn noch eine Weile mit den Worten ringen.

– Es geht um eine kurze Aufzeichnung. Ein Video, maximal zehn Minuten. Sie müssen ein paar Informationen übermitteln. Wir können alles vertraglich festhalten, das versteht sich von selbst.

– Ich verstehe nicht ganz … Was für ein Video soll es denn sein?

– Mein Vorgesetzter hat ein Plakat Ihres aktuellen Stücks gesehen, er hat einen erschreckend wachen Blick, wissen Sie. Sogar wenn er hinter den verdunkelten Fenstern seines Wagens sitzt, entgeht ihm nichts von dem, was draußen vor sich geht. Nun, er sah dieses Plakat, auf dem zum Glück nicht nur die Hauptdarstellerin abgebildet ist, und ließ den Wagen anhalten. Sie weisen eine einmalige Ähnlichkeit mit einem Menschen auf, der in seinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt hat. Leider lebt dieser Mensch nicht mehr. Und mit dem Video möchte er eine kleine Wiedergutmachung leisten, das kann er Ihnen persönlich aber viel besser erklären.

Er wollte fortfahren, doch sie unterbrach ihn mit einer schroffen Handbewegung, bemühte sich aber um einen möglichst höflichen Ton:

– Ich will Ihre Zeit nicht weiter beanspruchen, außerdem ist es nicht besonders gemütlich hier, und daher lehne ich das Angebot gleich dankend ab. Das klingt nach einer ziemlich verrückten und für meinen Geschmack zu persönlichen Geschichte, und ich bin zwar eine Schauspielerin, deren Job es ist, fremde Geschichten so zu erzählen, als wären sie meine, aber diese Geschichten kann ich nur erzählen, wenn ich eine Rolle habe. Die zufällige Ähnlichkeit mit einer Verstorbenen, so leid es mir auch tut, bietet mir diese Möglichkeit nicht.

– Ich verstehe durchaus Ihre ablehnende und skeptische Haltung meinem Angebot gegenüber, aber ich kann leider nicht nach Hause fahren, ehe ich Sie nicht überzeugt habe. Mein Vorgesetzter duldet kein Nein.

– Dann tut es mir leid, aber Ihr Vorgesetzter klingt nicht sonderlich sympathisch nach all dem, was Sie über ihn berichten. Lassen Sie uns reingehen, mir wird langsam kalt …

– Sehr gerne. Erlauben Sie mir, Sie zu einem Restaurant Ihrer Wahl mitzunehmen und Ihnen weitere Details zu berichten, die Ihnen dabei behilflich sein werden, Ihre Meinung zu ändern. Zum Beispiel haben wir ja über das Finanzielle, das mein Vorgesetzter … Vorgesetzter klingt sicherlich etwas unschön, sehr unpersönlich, Pardon, er hat natürlich einen Namen: Alexander Orlow. Vielleicht haben Sie den Namen bereits gehört.

– Sollte ich?

– Nein, nicht zwingend.

– Also, vielen Dank für das Angebot, aber …

Sie machte einen Schritt in Richtung der schweren Tür.

– Lassen Sie Sie mich wenigstens nach Hause fahren, wenigstens die fünfundvierzig Minuten Fahrtzeit können Sie mir opfern, oder?

Fünfundvierzig Minuten? Das wurde ihr langsam unheimlich. Woher konnte er wissen, wo sie wohnte und wie lange sie von hier bis zu ihrer Wohnung brauchte? War er ihr gefolgt? Hatte er Leute über sie ausgefragt?

– Da, wo ich herkomme, lernen die Enkelinnen früh von ihren Großmüttern, niemals zu einem Fremden in den Wagen zu steigen. Und meiner Großmutter habe ich schon immer geglaubt, sagte sie lachend und riss die Tür mit voller Wucht auf. Er grinste spöttisch, als glaube er ihr kein Wort, und folgte ihr wortlos ins Gebäude.

Sie sah Sesilias Gesicht vor sich, ihre schönen, mit Altersflecken überzogenen Hände, ihre krumme Armhaltung, ihren schiefen Körper, den zu bezwingen sie täglich so viel Mühe kostete. Etwas zog sich in ihr zusammen. Ja, sie sollte noch einmal mit ihrer Agentin reden, sie musste irgendwas tun, irgendwas ändern. Sie musste ihre Ansprüche herunterschrauben, musste sie bitten, ihr neue Aufträge zu verschaffen, musste sich lieb und pflegeleicht geben. Sie sollte ihre Familie besser unterstützen, ihrer Großmutter helfen, wieder auf die Beine zu kommen, und die Sache mit Natalia wieder ins Lot bringen. Ihrer Mutter unter die Arme greifen, damit sie anfangen konnte, den Schuldenberg abzuzahlen. Sie sollte sich überlegen, was sie in drei Monaten machen, wohin sie gehen würde, welche Kompromisslosigkeit sie sich noch leisten könnte, wenn sie kein Dach mehr über dem Kopf hätte. Sie sollte die Trennung nicht mehr in kleinen Häppchen runterschlucken, sie sollte sie erbrechen oder sich nötigen, alles auf einmal hinunterzuwürgen.

Sie sollte, sollte, sollte … vielleicht doch zum Casting dieser internationalen Produktion gehen, von der Vera so geschwärmt hatte. In höchsten Tönen hatte sie von dieser neuen Serie gesprochen, kommerziell und doch anspruchsvoll, für ein Publikum, das »mitdenken« wolle, mit einigen europäischen Stars besetzt. Aus irgendeinem Grund hatte ihre Agentin tagelang auf sie eingeredet, das, was sie suchen würden, komme ihrem Typ ziemlich nahe, sie solle unbedingt zum Casting fahren. Eine tolle Rolle einer ziemlich kaputten Ermittlerin mit Alkoholproblem in einem europaweiten Kampf gegen ein Drogennetzwerk. Der Regisseur sei ein aufsteigender Stern am Arthouse-Himmel. Sie hatte sie abgewimmelt, hatte gesagt, sie wisse doch, wie die meisten Castings bisher ausgegangen seien …

Aber vielleicht war es noch nicht zu spät. Vielleicht musste sie Vera doch anrufen und sich zum Vorsprechen anmelden.

– Ich verstehe Ihre Skepsis vollkommen. Ihre Haltung zeugt von gesundem Menschenverstand und von Ihrer Seriosität, mit der Sie an Ihren Beruf herangehen. Das ist lobenswert, aber leider erlaubt es mir mein Auftrag nicht, Ihre Antwort zu akzeptieren. Ich sehe aber ein, dass ich unser Angebot bis zu unserer nächsten Begegnung persönlicher und vor allem für Sie ansprechender werde gestalten müssen.

Diesen Satz warf er ihr hinterher fast wie eine Münze, die jemandem zufällig aus der Tasche fällt und die einem mit einem leisen Klingeln vor die Füße rollt, genau so rollte dieser Satz auf sie zu. Bei den Garderoben angekommen, wähnte sie sich sicher, wollte gleich Anton rufen, um mit ihm in die Stadt zurückzufahren, sie glaubte sich schon als Siegerin in diesem albernen Duell, als ihr mit einer entsetzlichen Klarheit bewusst wurde, dass dieses Gefühl, das sie seit einigen Minuten fest umschlossen hielt, dieses Unbehagen, vollkommen real war, denn die Frage, die der Mann ihr gestellt hatte, das vermeintliche Angebot, das er ihr gemacht hatte, waren bloßes Geplänkel, denn jemand hatte ihr bereits in einem äußerst makabren Schauspiel eine Rolle zugewiesen, und ihre Weigerung, diese Rolle anzunehmen, hatte keinerlei Bedeutung mehr.

Nachts fand sie keine Ruhe, sie gab den Namen Alexander Orlow in die Suchmaschine ein. Vielleicht existierte dieser Kerl gar nicht, und es war einfach ein dummer Streich, den man ihr spielte? Aber nein, er existierte und stand auf irgendeiner absurden Liste der reichsten Russen weltweit. Mit Immobilienhandel zu Geld gekommen, mittlerweile in Berlin lebend. Und anscheinend hütete er sein Leben und Treiben wie seinen Augapfel, denn für einen Mann mit solch einem beeindruckenden Geldbeutel gab es über ihn im Netz erstaunlich wenige Informationen.

Die Katze und der General

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