Читать книгу Aqualove - Nola Nesbit - Страница 7

Оглавление

Auftrag

„Ja, ich kümmere mich drum.“ Klar, dass ich wieder den Kleinkram für Keeler erledigen musste. Ich setzte mich im Bett auf und dachte noch einmal darüber nach, ob heute Dienstag oder Mittwoch war. Keeler schwadronierte weiter ohne Punkt und Komma. Normalerweise sah ich ihn nur zwei- oder dreimal im Monat, wenn ich meine Artikel ablieferte. Mehr wurde das fürs Chicago IN & OUT nie. Ich schrieb gern über Theater, Film und Kunst. Zur Not machte ich auch mal eine Restaurantkritik, aber spezialisiert war ich auf Interviews mit Stars und Sternchen. Die verkaufte ich dann an alle interessierten Online-Redaktionen.

„Mensch, Keeler! Warum schickt ihr keinen Boten? Ich sag es ungern. Aber um nur ein paar Antworten abzuholen, bin ich definitiv überqualifiziert.“

„Danke für den Hinweis, Nia. Ich werde es bei deiner Honorarabrechnung wohlwollend berücksichtigen“, bemerkte Keeler sarkastisch. „Der Typ wohnt schließlich in Sandy Hills.

Wir brauchen die Antworten dringend für die neue Ausgabe am Freitag. Du wohnst in der Nähe und musst ohnehin mal wieder für die Redaktionssitzung morgen reinkommen.“ Pause. „Bist du noch dran?“

„Ja klar. Ich warte auf den eigentlichen Grund.“

Ich konnte mir vorstellen, wie er sich im Sessel zurücklehnte, das gestreifte Hemd über dem eindrucksvollen Bauch spannend, und mit der Hand durch die wenigen Haare fuhr, die ihm noch geblieben waren. Ich hörte ihn kellertief seufzen. „Wenn alle meine Freien mich so viel Zeit kosten würden wie du, könnten wir nur zweimal im Jahr erscheinen. Also: Hast du schon mal von Ethan Waterman gehört?“

Vielleicht war ich durch den Weckruf noch verlangsamt, aber tatsächlich kannte ich niemanden in der westlichen Welt, der noch nichts von Ethan Waterman gehört hätte. Die Frage allein war schon eine Beleidigung. Ich schwieg und wartete Keelers Fortsetzung ab. „Okay“, fuhr Keeler fort. „Seitdem der Typ auf der industriellen Landkarte aufgetaucht ist, hat er noch nie ein persönliches Interview gegeben. Nachdem er vergangene Woche dreihunderttausend Dollar für den neuen Anbau des Kunstmuseums hier in Chicago gespendet hat, haben wir eine Liste mit Interviewfragen an seine Firma rausgeschickt.

Eigentlich war es pro forma. Keiner hat damit gerechnet, dass das Schreiben überhaupt über deren Papierkorb hinauskommen würde. DNAssociated hat sich heute Morgen gemeldet. Waterman hat die Fragen tatsächlich beantwortet. Vielleicht betreibt er Imagepflege beim einfachen Volk, aber auf jeden Fall werde ich am Freitag seine Antworten bringen. Und ich wäre meinen Job als Ressortleiter binnen Sekunden los, wenn wir es nicht auf der Titelseite erwähnen würden.“

„Chef, du glaubst doch nicht wirklich, dass der Typ auch nur eine Frage persönlich beantwortet hat. Wahrscheinlich wurde damit die Cousine der Tochter der Vorzimmerdame seiner Vorzimmerdame betraut.“

„Mir egal, solange er das Ding autorisiert. Und das hat er heute Morgen getan.“

„Echt?“

„So echt wie meine neue Goldkrone hinten links. Ich will, dass du zu ihm rüberfährst und schaust, was du kriegen kannst. Vielleicht siehst du ihn sogar persönlich über den Flur gehen oder kannst bei seinem Personal noch ein aktuelles Foto rausschlagen. Ich kann da keinen Boten hinschicken. Also?“

„Nach der üblichen sorgfältigen Körperpflege mache ich mich sofort auf den Weg. Wenn ich es schaffe, bringe ich dir alles heute Abend noch rein. Aber mach dir nicht zu große Hoffnungen. Marc Zuckerberg steckt auch nicht jeder dahergelaufenen Freien ein hübsches Foto aus dem letzten Urlaub zu.“

„Danke. Die genaue Adresse findest du in deinen Mails. Sehe dich dann heute oder morgen früh. Ruf auf jeden Fall an, wie es gelaufen ist.“

„Tschüss, Keeler. ... Und danke fürs Wecken.“

Dienstag, 18. April 2034. Das absurd Schöne am Aufwachen in einer Kleinstadt war, dass es genau wie das Aufwachen in einer Großstadt war. Schon ab sechs Uhr morgens bebte Sandy Hills mit unterdrückten Aktivitäten. Viele Arbeiter pendelten nach Detroit oder Chicago. Das war dank der neuen Schnellzüge ein Kinderspiel. Wenn die Müllabfuhr nicht gerade lautstark Mülltonnen über die Straßen schleifte, hörte man Kinder auf dem Weg zur Schule, die sich miteinander unterhielten, Autotüren schlugen, Zeitungen flogen ab und an mit einem satten Klatschen gegen hölzerne Haustüren. In Sandy Hills gab es außer dem gepflegten Einzelhandel und den zwei touristischen Attraktionen am Mirror Lake weder Industrie noch sonstiges geschäftliches oder gesellschaftliches Leben. Der See war größer als die Stadt, und das war wahrscheinlich auch gut so. Der schöne, verseuchte See.

Als ich vor drei Monaten hergezogen war, hatte ich einige Zugeständnisse machen müssen. Ich hasste Städte, in denen sich die Häuser wie wackelige Zähne an der Hauptstraße entlangreihten. Kein gewachsenes oder gar historisches Zentrum. Am Ende der Stadt das übliche Einkaufszentrum – genau das war Sandy Hills. Der Name klang damals so pittoresk. Die Realität war ernüchternd.

Was den Unterschied machte, waren Pearl und Cola. Wir hatten uns an der Uni kennengelernt und kapiert, dass freundschaftliche Nähe wichtiger war als städtisches Ambiente. Eigentlich hatte Pearl uns Sandy Hills eingebrockt. Nachdem sie den schrecklichen Herb geheiratet hatte – nicht ohne vorher die Beziehung durch eine Schwangerschaft zementiert zu haben –, war ein Umzug nach Sandy Hills unvermeidlich geworden. Die gesamte buckelige Verwandtschaft von Herbert Kurz lebte dort.

Mein Freund Cola verdankte seinen Spitznamen dem unmäßigen Konsum desselben Getränks. Im echten Leben hieß er Paul Nowak. So nannten wir ihn nur, wenn wir ihn richtig ärgern wollten. Ihm war es egal, wo er wohnte. Als Vertriebsleiter für Filtersysteme war er ohnehin immer unterwegs. Bis heute konnte oder wollte er Pearl und mir nicht erklären, warum er für diesen Job hatte studieren müssen. Allerdings war er generell kein Freund von vielen Worten.

Als freie Journalistin war Sandy Hills für mich eine annehmbar gute Station zwischen all den größeren Städten in der Region, an deren Online-Magazine ich meine gelegentlichen Artikel und Interviews verkaufte. Außerdem bot es großen Abstand zu meiner Familie. Mom und Dad wohnten immer noch am Stadtrand von Las Vegas. Wir telefonierten meistens sonntags und beschränkten uns auf ein bis zwei Besuche pro Jahr. Meinen Bruder Neal hatte ich seit Jahren nicht gesehen. Bis dato sah ich keinen Grund, das zu ändern.

Während ich Hose und Shirt auszog und unter den tröpfelnden Strahl der Filterdusche stieg, stellte ich fest, dass meine Vorstellung von Ethan Waterman wenig schmeichelhaft war. Auf den zwei Bildern, an die ich mich unscharf erinnerte, sah er ernst aus. Zu chic, zu jung, zu reich, zu schlau. Aber was wusste ich schon über ihn? Ich stieg wieder aus der Dusche heraus, verzichtete auf die Schnelltrocknung, um mein Mob anzumachen, und hinterließ kleine Wasserlachen auf dem Parkett. Gedankenverloren schleifte ich mit den Zehen meine Schlafanzughose über den Boden, um halbherzig die Pfützen aufzuwischen.

Wasserverschwendung – als hätte ich ein paar Dollar einfach weggewischt.

Mob – die Mobile Operationsbasis. Mich erinnerte der Name dieser Ansammlung von Chips und Dioden immer noch an ein militärisches Geheimunternehmen aus den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Tatsächlich war das Mob der Stein der Weisen, das universelle technische Gerät. Das Mob konnte alles. Ich war Neuheiten gegenüber immer skeptisch eingestellt, aber ohne Mob ging gar nichts mehr. Ich telefonierte, las, schrieb, hörte und dachte mit dem Mob. Ich war das Mob, denn es enthielt meinen Bankzugang und meinen digitalen Personalausweis. Es hatte gerade die Größe einer Zigarettenschachtel und brachte mich direkt ins Netz.

Ethan Waterman hatte immerhin vierzehn Millionen fünfhundertdreiundvierzigtausend Einträge bei Google. Er hatte sein Geld mit Soft- und Hardware gemacht, die er an Stadtverwaltungen, Krankenhäuser in den USA und international verkaufte, um deren DNA-Datenbanken zu aktualisieren und leistungsfähiger zu machen.

Es gab tatsächlich nur diese zwei Bilder von ihm. Ich stellte fest, dass nicht nur meine Erinnerung, sondern auch die Aufnahmen unscharf waren. Was hatte der Typ nur für eine PR-Abteilung?! Auf beiden Fotos lächelte er nicht. Das blonde Haar war modisch geschnitten, dunkler Anzug, keine Krawatte – immerhin. Die Gesichtszüge: unscharf. Auf der Forbes-Liste der reichsten Männer stand er auf Platz 12. Womit konnte man mit knapp dreißig schon so viel Geld verdient haben? Mit DNA – das war heutzutage der Stoff, aus dem die Träume gemacht wurden. Der Mann hatte Zugang zu den vertraulichsten menschlichen Daten überall auf der Welt gehabt und damit jede Menge Geld verdient. Garantiert ein Arschloch. Ich musste mich locker machen. Warum war ich neidisch, missgünstig? Was auch immer ich heute aus Ethan Watermans Haus mitnahm, ein vernünftiges Bild musste auch in seinem Interesse sein.

Ich druckte mir Watermans Privatadresse aus, die wahrscheinlich schon allein ein paar Hunderter bei den entsprechenden Stellen wert war, und griff mir den übersichtlichen Stadtplan von Sandy Hills. Mittlerweile fror ich an Händen und Füßen, schnappte mir meine alte Jeans, frische Unterwäsche aus der Kommode und ein eisblaues Shirt aus dem Schrank. Die blöde Tür klemmte immer noch. Ich war bekennender Verächter schwedischer Möbelhäuser. Wie bei so manchem Prinzipienbruch zuvor hatte mich auch diese Überzeugung nicht davon abhalten können, meine kleine Wohnung mit deren wunderbarem Möbel-Fast-Food einzurichten. Es war so einfach: Man verbrachte einen Tag in einem schlecht klimatisierten Möbelhangar. Mit etwas Glück konnte man schon am nächsten Tag eine komplett weiße Einrichtung bewohnen. Das war praktisch. Man war nervlich am Ende und musste garantiert mehrere Monate lang beim Anblick von Schraubenschlüsseln weinen oder schreien. Aber es war schnell und für ein paar Jahre gut. Ich drückte mich schon seit Wochen darum, der klemmenden Tür mit einem Werkzeug zu Leibe zu rücken. Lieber regte ich mich bei jeder Benutzung über das Manko auf.

Mist. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es schon Viertel vor zehn war. Mit noch nassen Haaren schlüpfte ich in meine Sneakers, schnappte mir meine blaue Lederjacke und lief zur Tür. Tasche, mein Mob, Geldbeutel, Stift und Block lagen auf dem Stuhl. Der Schlüssel steckte. Ich rannte die Treppe hinunter und bemerkte schmerzlich, dass ich noch nichts gegessen hatte. Manche Menschen konnten morgens nichts essen. Andere mussten. Ich gehörte zum letzteren Typ. Nichts zu essen machte mich unleidlich, schlecht gelaunt, aggressiv. Sicherlich keine guten Voraussetzungen, um bei der örtlichen Industriellenprominenz Punkte zu sammeln.

Aqualove

Подняться наверх