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Wasser

Mein neugieriger Blick wanderte durch die Windschutzscheibe auf eine große grüne Ebene. Ich hatte nicht den Eindruck, dass diese weite Fläche jemals enden könnte. Kein Tier, kein Baum störte die künstliche Perfektion des grünen Rasens. Eine Scheiß-Fata-Morgana, dachte ich. Ich träumte. So viel Kunstrasen, das war unmöglich. Nach einigen Minuten konnte ich ein flaches Gebäude ausmachen, das sich weiß gegen die Landschaft und den Himmel abhob. Je näher wir kamen, desto breiter wirkte der flache Bau. Der Weg führte direkt und schnörkellos zu einem großen Portal. Das Gebäude war der größte Bungalow, den ich jemals gesehen hatte. Nach beiden Seiten erstreckten sich die weißen Mauern eingeschossig, deren Ebenmäßigkeit nur von schmalen Fensterschächten unterbrochen wurde. Ohne ein störendes Dach war die schlichte kubische Schönheit perfekt.

Venus brachte das Auto seitlich vor der Tür zum Stehen. Sie machte die Musik leiser und wandte sich uns zu: „Ich fahre den Wagen weg und komme gleich nach.“

Die Formulierung klang wie eine Drohung. Wir öffneten unsere Türen und stiegen aus. Durch die Sohlen meiner Schuhe hindurch fühlten meine Füße die feinen, kleinen Steinchen, bevor ich das Geräusch knirschender Kiesel von den Schritten der anderen vernahm. Ich umrundete das Heck des Wagens in reinweißem Kies und schloss mich den Männern an. Ich konnte es mir nicht verkneifen, mit den Fingerspitzen über die Grashalme zu streichen – sie waren tatsächlich echt.

So viel echtes Grün kannte ich nur aus meiner Kindheit, aus Büchern und von alten Fotos. Heute waren die Felder braun, die Wiesen auch. Kakteen und widerstandsfähiges Kraut wucherten noch hier und da. An öffentlichen Plätzen gab es Kunstrasen wie eine Erinnerung an fruchtbarere Zeiten. Wie schützte Waterman seinen grünen Grund vor dem PET-Regen? War sein Gras gedopt?

Die Tür öffnete sich geräuschlos wie von Geisterhand. Cool. Wo war der greise Butler im schwarzen Frack? Ohne Worte betraten wir die Halle hinter der Eingangstür. Weißer Steinboden, wohin ich nur sah. Der Raum musste mindestens hundert Quadratmeter groß sein. Am Ende gegenüber der Eingangstür öffneten sich Fenster über die komplette Front, die das gesamte Zimmer mit Licht versorgten. Trotz der enormen Größe war es angenehm warm: ein Hoch auf das Zeitalter der Fußbodenheizung.

Ethan Waterman, der vorausging, meinte mit einem Blick über die Schulter nachlässig: „Willkommen!“

„Danke“, antwortete ich gedankenverloren. Meine Aufmerksamkeit galt ausschließlich den großformatigen Bildern an den Wänden. Es handelte sich um asiatische Kunst, ob chinesisch, japanisch oder koreanisch, konnte mein beschränkter Kunstverstand nicht ausmachen, mindestens vier mal fünf Meter groß, darunter sowohl abstrakte als auch gegenständliche. Vor jedem Bild hätte ich eine Ewigkeit verbringen können. Farben, Formen, Struktur – Mr.

Waterman hatte Geschmack. Und Geld. Offensichtlich spendete er nicht nur großzügige Summen, sondern legte auch selbst am Kunstmarkt an. Ein Besuch hier war so gut wie ein Museumsbesuch in Chicago. Während wir um die verschiedenen Sitzgelegenheiten, Sofas und Sessel, Diwane und Skulpturen herummanövrierten, öffnete Waterman eine der enormen Schiebetüren an der Fensterfront, die wir nach einem ausdauernden Marsch durch die aktuelle Kunstszene Asiens endlich erreicht hatten.

Mir entfleuchte unwillkürlich ein „Wow“, als ich auf die Terrasse hinaustrat. Was vor dem Haus das satte Grün gewesen war, eine nicht enden wollende Welt aus Rasen, Gras und Halmen, das war hier das blaueste Blau.

Wir hatten, wie ich nun verstand, auf der Fahrt hierher die Stadt verlassen und dann einen Bogen geschlagen. Wir standen auf der Rückseite des Hauses am Ufer des Mirror Lake. Was für eine fantastische Lage! Die Grundstückspreise mussten jeden Käufer zum Weinen bringen. Die hölzerne Terrasse ging nahtlos in einen gewaltigen Pool über, dessen Maße ich auf fünfzig mal fünfundzwanzig Meter schätzte. Jede Kleinstadt hätte Waterman um dieses Schwimmbad beneidet. Es war dekadent, der schiere Luxus. Ich hatte etwas Ähnliches in Klein schon einmal in einer Architekturzeitschrift gesehen. Das Wasser des Pools stürzte plötzlich über eine Kante hinab, sodass man nicht mehr sagen konnte, wo das Schwimmbad aufhörte und der See anfing. Das blaue Wasser des Sees erstreckte sich kilometerweit. Es war atemberaubend. Der Gang durch die private Galerie hatte nur den Ausblick auf das Naturelement Wasser vorbereitet.

„Gefällt es Ihnen?“ Waterman schaute mich an. Zum ersten Mal war ich mir nicht sicher, ob ihn meine Antwort wirklich interessierte oder ob es sich nur um die übliche Selbstgefälligkeit eines Großgrundbesitzers handelte.

„Es ist der Knaller – wenn man Wasser mag. Ich gehöre nicht dazu.“

Er stutzte. „Sie mögen kein Wasser? So wie in: Duschen und Mineralwasser?“

„Ich mag kein Wasser wie in: Schwimmbäder, Seen, Meer, Gewässer und so ziemlich jeder anderen Beziehung.“

Waterman lachte lauthals, als sei das der beste Witz, den er seit Langem gehört hatte. Ich mochte sein Lachen – auch wenn er über mich lachte. Als auch Felix in das Gelächter mit einstimmte, schlenderte ich betont langsam zu einem der Stühle, die an einer langen Tafel aus Treibholz standen. Was war so lustig?

Ich setzte mich und beobachtete gelassen den Heiterkeitsausbruch der beiden. Als das Gelächter abebbte, erklärte ich mich ungefragt weiter: „Es gibt kein natürlich sauberes Wasser mehr. Der See ist schön, aber krank. Nur auf festem Boden fühle ich mich wohl. Ich kann schwimmen, weil mein Vater mich dazu gezwungen hat. Aber jede bleierne Ente schwimmt besser. Ich besitze noch nicht mal einen Badeanzug und schon gar keinen Bikini. Auf Schiffen muss ich mich unweigerlich übergeben. Selbst kleine Tretboote machen mich seekrank. In Schwimmbädern ist das Wasser totgechlort. Schon das Umziehen und Reinquetschen in Latexfetzen ist in den winzigen Umkleidekabinen ein Fall für Amnesty International. Außerdem bin ich bekennende Nur-jeden-zweiten-Tag-Duscherin, weil alles andere den pH-Wert der Haut versaut. Ich misstraue sogar den Filtern. Wer weiß schon, was beim Baden aus der Leitung rauskommt, während ich nichts ahnend im zu warmen Wasser gare. Und wenn ich es mir aussuchen kann, trinke ich lieber Gin Tonic als ein Glas Wasser.

Ich kann wirklich guten Gewissens sagen, dass ich Wasser nicht ausstehen kann.“

Die beiden hatten meinem Monolog schweigend und mit offenen Mündern gelauscht. „Wow“, sagte Waterman nach einer halben Ewigkeit. „Jetzt halte ich Sie nicht nur für verrückt, sondern auch für geschwätzig. Ich liebe Wasser. Aber bitte. Bitte duzen wir uns: Ich bin Ethan.“

„Nia“, antwortete ich lächelnd. „Aber das wissen wir beide schon.“

„Ich bin dann mal in der Küche“, bemerkte Felix. „Bis hoffentlich bald wieder“, rief er mir zu und wandte sich kopfschüttelnd ab.

Ja, du mich auch, dachte ich, ein Grinsen unterdrückend. „Sind das die Unterlagen?“, wandte ich mich an Waterman – Ethan. Auf dem Tisch lag ein großformatiger, brauner Umschlag.

Jemand hatte sich gut auf meinen Besuch vorbereitet.

„Nia, willst du die fertigen Antworten, oder willst du ein persönliches Interview?“

„Geben Sie ... ähm ... gibst du mir denn eins?“

„Ich habe Zeit.“

„Warum mir?“

„Warum nicht dir?“

Ich seufzte hörbar. „Ich bin keine Spezialistin. Ich komme aus der Kulturredaktion. Ich bin nicht für fünf Cent vorbereitet, und ich werde mir nicht mit halb garen Praktikantenfragen den Ruf versauen.“

„Du könntest behaupten, ich hätte deine Fragen mit Zeichensprache beantwortet, und die Leute würden dir das Interview trotzdem aus den Händen reißen. Weil alles, was ich von mir gebe, eine Meldung ist.“

„Du leidest jedenfalls nicht unter einem angekratzten Selbstbewusstsein.“

„Das wird bedauerlicherweise häufig von mir behauptet“, konterte er.

Ich saß vor dieser atemberaubenden Kulisse und hatte einen Top-Interviewpartner vor der Nase. Er war willig und gut aufgelegt, und ich hatte gerade abgelehnt. Oh, Mann! Wie er da stand, wirkte er gar nicht mehr klein. Der Vergleich zu seinen beiden Begleitern verfälschte den Eindruck. Worum ging es hier überhaupt? Ich war nicht so leicht zu beeindrucken, dass ich nicht merkte, wie er mich zu ködern versuchte. Aber warum? Was wollte er von mir? Wie war ich überhaupt in seinen Dunstkreis geraten? Ich fand ihn hübsch, attraktiv, unwiderstehlich und unberechenbar. Was war mit mir los? Ich wurde unprofessionell – schließlich waren nicht seine Qualitäten als Mann, sondern seine Antworten Grund meines Besuchs.

Wenn ich ihn jetzt befragte, würde dabei nichts Vernünftiges rauskommen. Ich hatte keine Strategie, keine Informationen. Wenn ich das Interview jedoch liegen ließ, würde Keeler mich umbringen. Zu Recht. Was sollte ich tun? Ich zermarterte mir noch das Hirn, als Watermans Mob piepte. Überraschend, dass es sich nicht schon eine Million Mal gemeldet hatte, seitdem wir unterwegs waren. Der Mann musste doch unheimlich gefragt sein.

Ethan zog das Mob aus seiner Jackentasche. „Waterman.“ Er lauschte der Stimme am anderen Ende. „Hier?“ Er schien für einen Moment fassungslos, aber sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Seine vorher so gelassene Grundhaltung wich einer fast grimmigen Entschlossenheit. „Ich komme. Wartet dort.“ Er verharrte, kurz überlegend, den Kopf gebeugt.

„Es tut mir leid, ich muss jetzt gehen“, erklärte er tonlos. Er schaute mir in die Augen wie jemand, der etwas sehr Unangenehmes zu erledigen hat. „Felix wird dich nach Hause bringen.“

„Ich kann mir ein Taxi nehmen“, bemerkte ich lahm. Unbeholfen erhob ich mich von meinem Stuhl.

„Felix!“, rief er, meinen Einwand nicht beachtend.

Am einen Ende des Gebäudes öffnete sich eine Tür, aus der Felix alarmiert heraustrat. Mit langen Schritten überquerte er die Entfernung zwischen ihm und uns mit fragendem Gesichtsausdruck.

„Fahr sie nach Hause. Ich nehme Venus mit.“ Und zu mir gewandt: „Nia, es war mir ein Vergnügen“, womit er mir seine schmale Hand zum zweiten Mal an diesem Tag entgegenstreckte. Ich ergriff sie und meinte, ein feines Zittern an unseren Fingerspitzen wahrzunehmen.

„Mir auch“, entgegnete ich, meinen Blick fest auf seine hellblauen Augen gerichtet. Ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Als er meine Hand losließ, war es, als hätte er den Superbowl in den spielentscheidenden Minuten mit Werbung unterbrochen. Er drehte sich um und ging.

„Ethan !“, rief ich ihm mit dem braunen Umschlag wedelnd nach. Er drehte sich fragend um.

„Danke! Aber ich will noch ein Foto.“

„Vielleicht beim nächsten Mal“, entgegnete er zögernd.

„Es gibt ein nächstes Mal?“

„O ja, Nia.“

„Ich, ich rufe dich dann an.“ Hilfloses Gestotter.

„Das hoffe ich. Meine Nummer findest du in deinem Posteingang“, womit er sich umdrehte. „Ich finde dich echt unheimlich.“ Hatte er das noch gehört?

„Ich dich auch“, vernahm ich als leise letzte Wortfetzen, die der leichte Wind zu uns herübertrieb.

Ich beobachtete seine schmale Silhouette, bis er am Ende des Hauses um die Ecke verschwunden war.

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