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Eine „richtige“ Bande. Herr Trauer

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Manchmal bekomme ich Besuch.

Diesmal ist es Herr Trauer. Er steht vor der Tür, weil er gerade in letzter Zeit in meinem Umfeld reichlich zu tun hatte.

Das hab ich kommen sehen, ich nicke verständig und lasse ihn ein.

Herr Trauer überträgt seinen Zustand automatisch auf mich. Das ist eine seiner leichtesten Küren, er vereinnahmt gern, spielt nicht nur den Seriösen in seinem Schwarz, sondern hat auch immer ein Taschentuch parat. Er geht auf mich ein.

Das lasse ich mir gefallen.

In all der langen Zeit habe ich ihn noch nie lachen sehen, vermutlich kann er das gar nicht und jetzt, da er mir so nahe ist, stelle ich fest, dass seine dunkle Kleidung keinerlei Farbtöne mehr hat. Im Gegenteil, vernachlässigt, verwaschen und schluderig kommt er mir vor. Aber für Herrn Trauer sind weder das Äußere noch die Ernährung wichtig, er hängt als hagerer Trauerkloß umher, genau wie seine Haare, die schon lange keine Schere mehr gesehen haben.

Das erlaubt auch mir, mich hängen zu lassen.

Herr Trauer hat immer Geschenke mit. Er trägt sie gebündelt als psychosomatische Symptome im Gepäck. Die er großzügig zu verteilen gedenkt.

Je stärker der Verlust, den man erlitten, desto spendabler tritt Herr Trauer auf. Über ein gewisses Grundsortiment verfügt er ständig, so hält er Nervosität, Depressionen, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen stets parat.

Ich habe festgestellt, bei den Besuchen von Herrn Trauer durchläuft man mehrere Phasen.

 Die erste Begegnung ist meist ein Schock. Ein Nicht-wahrhaben-Wollen.

 Anschließend braucht man die unbedingte Kontrolle über sich selbst und gerät in die Überaktivität.

 Bis man in die Regression, in das Sich-gehen-Lassen hineinfällt.

Herr Trauer dringt tief in die Seele ein. Es vollzieht sich ein innerpsychologischer Vorgang, währenddessen man sich nur allmählich von dem Verlust lösen kann, es vollzieht sich Trauerarbeit.

Jedes Mal, wenn Herr Trauer bei uns vor der Tür stand, ging es um die Trauer eines von uns geliebten, gezeugten Erdenbürgers, der allerdings noch gar nicht vorhanden war – einerseits. Andererseits war gleichzeitig damit eine weitere schwierige Sache verbunden: das Abschied nehmen.

Abschied vom eigenen Wunschkind, von Plänen des erwarteten Familienglücks.

Der Wunsch bleibt. Doch dann ... Die Geschichte eines Paares

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