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Der „richtige“ Ausdruck

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Als ich wiederholt der Presse entnommen hatte, wie sehr der Staat nach Kindern schreit, konnte ich nicht mehr an mich halten, wollte Klartext reden und schrieb einen Leserbrief an unsere Lokalzeitung. Mit dem Ergebnis, dass dieser zwar nicht veröffentlicht wurde, man stattdessen aber bei mir anfragte, ob ich bereit wäre, mich für einen umfangreicheren Artikel gesondert interviewen zu lassen. Unter der Bedingung, anonym zu bleiben, willigte ich ein. Die Redakteurin kam mich zu Hause besuchen, nahm sich viel Zeit und wir hatten ein angenehmes Gespräch.

Die Zeitung „Neue Westfälische“ schrieb am 11.03.2005:

Wenn Petra Emm (Name von der Redaktion geändert) in der Zeitung von den Klagen der Politiker liest, dass die Deutschen zu wenig Kinder bekommen, möchte sie am liebsten den Artikel zerreißen. „Wer denkt eigentlich an die, die ungewollt kinderlos sind?“, fragt sie.

Die 38-jährige Bielefelderin und ihr Mann wünschen sich ein Kind. „Die Jugend hat meinem Mann einen Streich gespielt“, erzählt sie. Aufgrund einer Hodenentzündung in jungen Jahren reicht seine Samenqualität nicht dafür aus, dass Petra Emm auf natürlichem Wege schwanger wird. Daher hat sich das Paar zu einer ICSI – einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion – entschlossen. Dabei wird das Spermium im Labor direkt in die Eizelle injiziert. Nach einer Hormonbehandlung werden der Frau mehrere Eizellen entnommen, zwei oder drei davon nach der künstlichen Befruchtung wieder eingepflanzt.

In diesem Monat will Petra Emm diese Strapaze zum ersten Mal auf sich nehmen. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft liegt bei 27 Prozent.

„Die Nerven, Tränen und Traurigkeit kann wohl niemand ermessen“, sagt sie. Ganz zu schweigen von den Kosten: Die Krankenkasse übernimmt knapp Hälfte der Behandlung. „Das sind 2.500 bis 3.000 Euro von einer Gesamtsumme von etwa 6.800 Euro bei maximal drei Versuchen“, so Petra Emm. Hinzu kommen etwa 400 Euro für das Einfrieren der Samen und weitere 400 Euro für die mögliche Aufbewahrung von bereits befruchteten Eizellen. Alles eine große finanzielle Belastung. „Wir werden in diesem Jahr nicht in Urlaub fahren“, sagt die 38-Jährige. Bis zum 1. Januar 2004 hatten die Krankenkassen noch vier Versuche von Reagenzglas-Befruchtungen komplett übernommen.

Seit Einführung der Gesundheitsreform müssen Paare die Hälfte der Kosten selbst tragen. Wie das Apothekenmagazin „Baby und die ersten Lebensjahre“ berichtet, hat es seitdem einen dramatischen Rückgang künstlicher Befruchtungen gegeben. Laut Michael Thaele, Vorsitzender des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren, hat sich die Zahl auf 15.000 halbiert. 270.000 Paare sind in Deutschland in Behandlung. Für dieses Jahr rechnet Thaele mit einem Rückgang der Geburten um etwa 10.000. „Bundesweit sind etwa 270.000 Paare wegen Kinderlosigkeit in Behandlung“, sagt Pfarrer Klaus Lange. Er leitet an der Bielefelder Klinik Rosenhöhe die Selbsthilfegruppe „Ungewollt kinderlos“. Derzeit hat die Gruppe fünf Mitglieder, die sich ein Mal im Monat treffen. „Die Zahl der betroffenen Paare, die ungewollt kinderlos sind, steigt“, so Lange. Das Dramatische sei, dass es für die Paare nur noch dieses eine Ziel gebe. Lange weiß, wovon er spricht. Er und seine Frau versuchten ebenfalls lange vergeblich, schwanger zu werden. In der Gruppe wird beispielsweise auch über die Möglichkeit einer Adoption oder über die Annahme eines Pflegekindes gesprochen. So manches Paar spielt laut Lange nach der Gesundheitsreform mit dem Gedanken, eine künstliche Befruchtung im Ausland vornehmen zu lassen – dort ist es günstiger.“

Gegen Ende desselben Jahres las ich, dass diese Journalistin Mutter eines gesunden Jungen geworden war. Und wieder hat eine Frau ein Kind bekommen können, wie sie und ihr Partner es geplant hatten, ging mir automatisch durch den Kopf. Man kann sein Denken nicht ausschalten. Viele gemischte Gefühle kamen plötzlich in mir auf. Aber natürlich habe ich mich auch für sie gefreut.

Wo aber standen wir?

Wo wir schon einige medizinische Behandlungen durchlaufen hatten, womit immer große Freuden und Aufregungen verbunden waren.

Es war noch vor 2012. Seitdem muss in der BRD jedes Paar ein Viertel der Behandlungskosten selbst tragen.

Der Wunsch bleibt. Doch dann ... Die Geschichte eines Paares

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