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Kapitel 6

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26 Minuten später klingelt mein Handy. Die angezeigte Handynummer kenne ich nicht und sie ist auch nicht eingespeichert, trotzdem macht mein Herz einen Satz hoch in meinen Hals und mir das Atmen plötzlich schwer.

»Hallo?« Jetzt halte ich ganz die Luft an. Wie viele Fahrer beschäftigt Tonis Trattoria wohl?

»Hi.« Seine angenehm dunkle Stimme vibriert in meinem Ohr. Mein Herz rutscht zurück an seinen Platz und hämmert in wildem Stakkato in meiner Brust weiter. »Du hast Pizza bestellt?«

Oh Gott. Wie kann eine so simple Frage so verflucht zweideutig klingen?

»Ähm, ja.«

»Super. Lässt du mich rein?«

»Ja. Sekunde.«

»Keine Eile.«

Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um aufzulegen. Von meinem Schreibtisch im ersten Stock sind es keine zwei Minuten nach unten zur Eingangstür. Trotzdem halte ich mir das Handy weiterhin ans Ohr, während ich den Co-Working-Space durchquere. Nebenbei überzeuge ich mich davon, dass ich inzwischen wirklich allein bin.

Auch er legt nicht auf. Im Hintergrund höre ich ein Auto vorbeifahren.

»Fährst du jede Nacht Pizzen aus?«, frage ich, bevor das Schweigen zu seltsam wird.

Es gibt keine Garantie. Ich habe nicht automatisch in Sex eingewilligt, nur weil ich noch mal bei Tonis Trattoria bestellt habe. Außerdem ist es früher am Abend als letztes Mal. Wahrscheinlich bin ich heute nicht seine letzte Pizza.

»Nicht jede. Du hast Glück.« Sein Grinsen ist deutlich durch das Handy zu hören und beschert mir ein wohliges Kribbeln.

»Hab ich?«

»Jepp. Siggi, der andere Fahrer, nutzt jede Ausfahrt für ein ausgiebiges Zigarettenpäuschen. Bei ihm würde der Karton entweder krass nach Rauch stinken oder die Pizza wäre nur noch lauwarm – würde aber natürlich genauso gut schmecken.«

»Und bei dir ist die Pizza... heiß?«

Ich habe wirklich keine Ahnung, wo das hergekommen ist, aber sein leises Lachen macht mir Mut.

Oh Mann. Vielleicht habe ich doch nicht nur Pizza bestellt.

»Im besten Fall, ja.«

Ich erreiche das Erdgeschoss und kann ihn bereits durch die große Glasfront an der Eingangstür lehnen sehen. Das Licht neben der Tür ist durch den Bewegungsmelder angesprungen und wirft einen warmen Schimmer auf seine athletische Gestalt in der braunen Jacke. Ein paar Schritte von ihm entfernt steht ein Roller mit Warmhaltebox auf dem Bürgersteig. Dunkle Augen blitzen mir entgegen und meine Beine werden mit jedem Schritt wackeliger, während mein Schwanz heftig pocht.

Hierbei ging es nie um Pizza.

Heilige...!

Erst an der Eingangstür nehme ich das Handy runter, beende den Anruf und schiebe das Smartphone in meine Hosentasche. Er tut es mir gleich, dann ziehe ich die Tür auf.

»Hi«, sagt er noch mal. Sein Lächeln ist umwerfend, auch wenn er leicht irritiert den Kopf schief legt. »Wieder eine Nachtschicht?«

»Sieht so aus.«

»Hm.« Er reicht mir den Pizzakarton, den er in der Hand hält. »Deine Pizza. Bezahlt ist schon.«

»Ich weiß. Oh, Mist.« Hitze schießt mir in die Wangen. »Ich habe dein Trinkgeld oben liegen lassen.«

Er winkt ab. »Nicht schlimm. Die Fahrt hat sich trotzdem gelohnt.«

Und jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, sich von ihm zu verabschieden, die Pizza mit nach oben zu nehmen und sie an meinem Schreibtisch zu essen.

Im Dunkeln. Allein.

»Wenn...« Ich räuspere mich und muss noch mal ansetzen. »Wenn du kurz Zeit hast, könntest du mit hochkommen. Dann gebe ich dir das Trinkgeld da.«

Ein Grinsen umspielt seine Mundwinkel. »Oh, ich hab die ganze Nacht Zeit. Du bist meine letzte Pizza für heute.«

»Sch...schon wieder?«

Er zuckt die Schultern. »Hab mich mit Siggi arrangiert, weil ich auf alles vorbereitet sein wollte.«

»Oh. Okay. Gut. Aber das dauert höchstens fünf Minuten. Das Trinkgeld zu holen, meine ich.«

Er runzelt die Stirn. »Jetzt bin ich verwirrt. Reden wir hier wirklich übers Trinkgeld?«

Hilflos klammere ich mich an den Pizzakarton und atme tief durch. So viele Zufälle spielen mir in die Hände, er hat mir deutlich sein Interesse gezeigt und trotzdem stehe ich immer noch hier und zögere?

»Ich... denke nicht.«

»Du denkst?«

»Manchmal zu viel, ja.«

Er lacht, aber es klingt nicht böse oder abfällig. Es ist sogar ziemlich ansteckend und ich merke, wie ein Teil der Anspannung von mir abfällt.

»Merkt man gar nicht. Also – soll ich reinkommen oder wieder fahren? Oder gehen wir woanders hin?«

Ich weiß sofort, dass ich einen Rückzieher machen werde, wenn wir erst noch durch halb München gondeln, und schüttle den Kopf. »Nein. Komm rein.«

Ich mache einen Schritt zur Seite und lasse ihn eintreten, bevor ich die Eingangstür zuziehe und sichergehe, dass sie verschlossen ist. Um diese Uhrzeit kann man sie nur noch von innen öffnen oder mit der elektronischen Schlüsselkarte, die allen Langzeit-Co-Workern ausgehändigt wird.

Als ich mich wieder dem Pizzaboten zuwende, lehnt er sich vor und streift mit seinen Lippen meine. Die Berührung ist zaghaft, beinahe fragend, doch meine Haut beginnt zu kribbeln, als wäre es ein leidenschaftlicher Zungenkuss. Dabei fasst er mich nirgendwo sonst an und steht noch einen guten halben Meter von mir entfernt.

»Hätte nicht gedacht, dass du mich noch reinbittest«, sagt er leise, während er den Reißverschluss seiner Jacke öffnet.

»Tja.« Was Besseres fällt mir nicht ein. In meinem Kopf existieren keine sinnvollen Gedanken mehr, nur noch das Echo meines hämmernden Herzschlags.

»Wohin?«

»Nach oben?« Es hört sich wie eine Frage an, obwohl zweifellos ich derjenige bin, der sich hier besser auskennt – allerdings nicht, wenn es um den besten Platz für Quickies geht.

Ein halbes Achselzucken, das wohl Zustimmung bedeutet. »Klingt gut. Bist du wieder allein?« Als ich nicke, greift er nach einer meiner Hände am Pizzakarton und umschließt sie mit seiner. »Dann ist doch alles super. Kein Grund, so nervös zu sein.«

Er hat gut reden. Auch wenn er das hier laut eigener Aussage normalerweise nicht macht, hat er garantiert regelmäßiger Sex als ich. Wer so selbstsicher und charmant auftritt und noch dazu so attraktiv ist, bekommt bestimmt am laufenden Band Bestätigung.

Ich lasse mich von ihm die Treppe in den ersten Stock führen, auch wenn sich das wie verkehrte Welt anfühlt. Das hier ist mein Arbeitsplatz. Müsste ich da nicht das Kommando übernehmen?

Andererseits fühlt es sich himmlisch an, dass er es macht. Nicht nachdenken. Einfach folgen.

Bis wir den Loungebereich in der Mitte des Co-Working-Space erreichen und er sich zu mir umdreht, um mir den Pizzakarton aus der Hand zu nehmen und auf den Tisch zu stellen.

»Die gibt's später.« Grinsend legt er eine Hand an meine Hüfte und zieht mich an sich. In derselben Bewegung kommt er mir entgegen und schon liegt sein Mund auf meinem – fester, fordernder, erregender als unten am Eingang.

Blut rauscht durch meinen Körper und sammelt sich so schnell in meinem Schritt, dass ich nach Luft schnappe. Da wir dicht voreinander stehen, merkt er es auch. Er stöhnt leise in den Kuss und legt die zweite Hand in meinen Nacken, um mich festzuhalten, während er seine Zunge um meine tanzen lässt.

Oh Mann...

Lust schießt mir in den Unterleib. Sekundenlang vergesse ich alles um mich herum. Das hier fühlt sich gerade so unglaublich gut an, dass ich nicht den geringsten Schimmer habe, warum mein letzter Sex so verdammt lang her ist.

Als meine Beine gegen eins der Sofas stoßen, reiße ich die Augen auf, die ich zwischendurch geschlossen haben muss. Im Augenwinkel erkenne ich den dunklen Co-Working-Space. Mannshohe Regale stehen wie einsame Wächter im Raum und Topfpflanzen säumen verlassene Schreibtische, an denen sich in ein paar Stunden wieder kreative Arbeitswütige einfinden werden.

Und wir haben mittendrin Sex.

»Warte.« Als ich das Wort herausbringe, merke ich erst, wie atemlos ich bereits bin.

»Hm?« Er zieht sich ein Stück zurück, um mich anzusehen. »Alles okay? Hab ich was falsch gemacht?«

»Nein. Es ist nur...« Nervös fahre ich mir durch die Haare und versuche es mit einem Lächeln, das jedoch auf halber Strecke verloren geht. »Irgendwie stehen wir hier wie auf dem Präsentierteller.«

Stirnrunzelnd sieht er sich um. »Hast du nicht gesagt, dass wir allein sind?«

»Ähm, ja, schon, aber...« Oh Gott, ich bin so bescheuert. Ich weiß nicht mal, wie ich es begründen soll. Mein Kopf hat gerade angefangen abzuschalten, aber jetzt ist es irgendwie unmöglich weiterzumachen.

»Weißt du was? Kein Problem.«

So wie er das sagt, glaube ich ihm fast. Unkompliziert greift er wieder nach meiner Hand und zieht mich durch den großen Raum. Die Pizza lassen wir zurück. Als mir jedoch bewusst wird, dass er zur einzigen Lichtquelle – meinem Schreibtisch – unterwegs ist, kehrt die Anspannung zurück.

Verdammt. Zuvor habe ich mich gefragt, wie ich je wieder am Loungebereich vorbeigehen soll, ohne rot zu werden. Jetzt muss ich mich fragen, ob ich je wieder an diesem Schreibtisch arbeiten kann, ohne an ein süßes Lächeln und dunkle Espressoaugen zu denken.

Er muss mein Zögern bemerkt haben, denn er sieht mich über die Schulter an. »Auch nicht gut?«

Wenn das so weitergeht, hat er gleich die Nase voll und verschwindet.

»Ähm, nee, toll.«

Dann sitze ich ab morgen eben an einem anderen Schreibtisch. In einer anderen Ecke. In einem anderen Co-Working-Space.

»Ich dachte nur, dass das Sofa vielleicht bequemer ist. Bist du eigentlich aktiv oder passiv?«

Mein Herzschlag gerät kurz aus dem Takt. Nicht nur, weil er die Frage so beiläufig stellt, als ginge es um Kaffee oder Tee, sondern auch, weil ich darüber bei ihm noch gar nicht nachgedacht habe.

Offenbar schweige ich zu lange, denn kurz vor meinem Schreibtisch fügt er hinzu: »Im Prinzip ist es egal. Ich wollt's nur wissen. Wir können auch was anderes als anal machen.«

Ich schließe kurz die Augen, als eine heiße Stichflamme meinen Unterleib durchzuckt. Die Bilder, die seine dunkle Stimme in meinen Kopf zaubert, sind sehr eindeutig.

»Ich, äh... kann beides.«

Unvermittelt wirbelt er mich herum und schiebt mich mit seinem Körper rücklings gegen meinen Schreibtisch. Verlangen züngelt durch meine Adern, als er sich gegen mich lehnt, mich seinen warmen, festen Körper spüren lässt. Seine Zunge leckt über meine Unterlippe, ehe er sie für einen kurzen, intensiven Kuss in meinen Mund eintauchen lässt.

»Und was möchtest du jetzt sein?« Seine Lippen berühren beim Sprechen meine.

Ich erschauere. »Passiv.«

Mehr gestöhnt, als geantwortet, was mir erneut Hitze in die Wangen treibt. Mir bleibt jedoch keine Zeit, peinlich berührt zu sein, denn da küsst er mich erneut. Gleichzeitig reibt er sich an mir, sodass ich zwischen dem Schreibtisch in meinem Rücken und seiner deutlich spürbaren Erektion gefangen bin.

»Okay. Willst du irgendwas in Sicherheit bringen?«

»Was?«

Er lacht leise und fährt mit einer Hand unter meinen Pullover, um meinen nackten Bauch zu streicheln. Scharf ziehe ich Luft und automatisch auch den Bauch ein.

»Willst du irgendwas von deinem Zeug in Sicherheit bringen? Auf deinem Schreibtisch? Beim letzten Mal sollte ich nicht mal die Pizza drauf abstellen.«

Das ist ihm aufgefallen? Wie unangenehm.

»Ähm...«

Ich sehe über die Schulter auf den Schreibtisch, auf dem tatsächlich noch mein aufgeklappter Mac neben meinen Notizen und dem Handy steht. Wow. Meine ganze Arbeit. In den letzten zehn Minuten völlig in Vergessenheit geraten.

»Du hast recht. Sekunde.«

Ich schlängle mich an ihm vorbei, umrunde den Schreibtisch und klappe, nachdem ich mich noch mal davon überzeugt habe, dass alles gespeichert ist, als Erstes den Mac zu. Dann staple ich meine Notizen, lege das Handy darauf und alles zusammen ins Regal hinter meinem Schreibtisch. Jetzt steht nur noch der Monitor mit dazugehöriger Tastatur sowie das Telefon da, die allesamt dem Co-Working-Space gehören. Ach ja. Und der neongelbe Pizzaflyer strahlt mir entgegen.

Ich sehe auf. »Okay.«

Der Pizzabote beobachtet mich grinsend, aber auch diesmal wirkt es nicht abwertend. »Dann können wir loslegen?« Langsam kommt er um den Tisch herum. Noch bevor er mich an den Hüften packt und wieder an sich heranzieht, kribbelt mein ganzer Körper wie unter elektrischer Ladung. »Oder fehlt noch was?«

Was hat er nur an sich, dass sich mein Gehirn ständig aufzuhängen scheint und in den Leerlauf schaltet?

»Nein? – Oh. Doch.« Ich räuspere mich, als er eine Augenbraue hochzieht. »Kondome?«

Er greift in seine Hosentasche und zieht allen Ernstes ein Kondom heraus. Ich schlucke, während sich Erregung in Wellen über meinen ganzen Körper ausbreitet. Entweder ist er wirklich sehr gut vorbereitet zu dieser Auslieferung gefahren – oder er hat gelogen und macht so was hier doch öfter.

Letzteres sollte ernüchternd wirken, aber dass auch die Möglichkeit auf Option A besteht, lässt meine Lust heiß aufglühen. Er will wirklich mit mir schlafen.

Mein Puls rast. »Und... Gleitgel? Ich, hm... es ist schon länger her und ich bin... etwas aus der Übung.«

Es zuckt um seine Mundwinkel. »Merkt man fast gar nicht.« Er streicht mit einem Finger an meinem Kiefer entlang. »Auch wenn ich das bei so einem hübschen Mann nicht nachvollziehen kann.«

Ich lache überfordert und reibe mir den Nacken. »Tja. Na ja.«

Er küsst den nervösen Laut sanft von meinen Lippen. »Aber ja, Gleitgel hab ich auch dabei.« Mit der anderen Hand zieht er ein weiteres kleines Päckchen aus seiner Hosentasche.

»Oh. Wow. Du hast wirklich an alles gedacht.«

»Ich weiß, was ich will.«

Er wirft Kondom und Gleitgel auf den Schreibtisch und greift wieder nach mir, um sich der Länge nach an mich zu pressen. Meine Erektion, die inzwischen etwas nachgelassen hat, ist schlagartig zurück. Seine auch – sofern sie sich überhaupt je gelegt hat.

»Noch was?«

Mit trockenem Mund schüttle ich den Kopf. Ist das jetzt der Startschuss?

»Gut.« Er dreht uns herum und schiebt mich wieder gegen den Schreibtisch. »Ich weiß nämlich nicht, ob ich mich noch mal bremsen kann.«

Er lehnt sich vor und erobert meinen Mund mit einem Kuss, der einen Kurzschluss in meinem Gehirn verursacht. Der einzige Gedanke, der es aus der Dunkelheit herausschafft: Ich will eigentlich gar nicht, dass er sich noch mal bremst.

Herz gegen Vernunft

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