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Ferne und Sehnsucht
ОглавлениеVor ungefähr zwei Jahren, in einer warmen Sommernacht, saßen wir auf unserer Terrasse und kamen ins Philosophieren … wie es wohl wäre, wenn man mal eine lange Reise macht. Ob wir uns trauen würden, einfach loszufahren und alles für eine bestimmte Zeit mal hinter uns zu lassen. Wo es hingehen würde, welches Reisefahrzeug das Richtige wäre. Wir wogen die Vor- und Nachteile von Auto und Motorrad ab. Da wir beide Motorradfahrer sind, sah ich uns auf Zweirädern. Ich favorisierte für Bianka eine BMW F 650 GS und für mich eine BMW R 1200 GS Adventure. Wir fantasierten, wie es wäre, für ein ganzes Jahr von Alaska über die Panamericana nach Feuerland zu fahren. Es würde durch 17 Länder, vom ewigen Eis über das Hochland der Anden an aktiven Vulkanen vorbei bis an das Ende der Welt gehen. Die längste Straße der Welt übte auf mich schon seit etlichen Jahren eine magische Wirkung aus und nicht nur auf mich - sie zieht Abenteuersuchende vom gesamten Globus an. Aber warum? Ist die Route so faszinierend, so anders? Macht das Reisen südlich hinter Panama wirklich so viel Spaß und sind die Leute in Lateinamerika so nett, wie es ihnen nachgesagt wird? All das fragten wir uns beide, dann schwiegen wir uns minutenlang an. Ich verspürte ein Kribbeln in den Fingern. Auf der Terrasse roch es plötzlich nach Ferne und Sehnsucht. In meiner Vorstellung fühlte es sich toll an: etliche tausend Kilometer, fremde Welten, Zeit ohne Ende. Mir schoss auf der Stelle das Reisefieber ins Blut.
Bianka durchbrach die Stille, stand auf, legte ein Holzscheit in unserem Lagerfeuer nach, welches schon ziemlich runtergebrannt war. Es loderte sofort wieder auf, die Flammen tanzten vor Freude und warfen Funken in die Luft.
In den nächsten Wochen schaukelten wir uns gegenseitig hoch und sprachen bald täglich darüber. Ich hatte nur noch Nord- und Südamerika im Kopf. Die Frage war: Fahren wir schon demnächst oder brechen wir lieber erst als Rentner auf?
Mein Bruder und meine Schwägerin hatten ebenfalls große Pläne gehabt. Sie hatten mit ihrem Motorboot kurz nach dem Erreichen der Rente um die Welt schippern wollen. „Mehr als zehn Jahre Vorbereitung sollten reichen“, hatten sie gesagt. Es war schön, den beiden zuzuhören und ihre Vorfreude zu sehen. Doch leider hat das Schicksal nicht mitgemacht. Meine Schwägerin ist völlig unerwartet, über Nacht, verstorben. Alle Träume im Handumdrehen zerplatzt. Das hatte ich immer im Hinterkopf. Ich wollte meinen Traum leben, solange es möglich ist.
Nach einigen Wochen beschlossen wir, Bianka und ich, dass in etwa zwei Jahren für ein Jahr frei gemacht wird und die längste Straße der Welt bereist werden soll.
Aufgrund der Strecke von zirka 30.000 Kilometer und der Dauer kam dann für Bianka nur ein Auto in Frage. Ein Jahr mit den Motorrädern bei Wind und Wetter, Nord- und Südamerika, da zeigte mir meine Frau einen Vogel. Nachdem diese Entscheidung gefallen war, präzisierten wir die Anforderungen, die ein Auto erfüllen sollte. Es musste wendig, geländetauglich, robust und klein sein, aber trotzdem groß genug, um darin schlafen zu können. Die Wahl fiel auf einen Land Rover Defender. Aus unserer anfänglichen Fantasie wurde Ernst.
Bianka arbeitete als Bilanzbuchhalterin in einer alteingesessenen, international agierenden Hamburger Firma. Sie kannte die Zahlen und vermutete daher, dass die Firma in spätestens zwei Jahren Mitarbeiter, unter anderem Bianka selbst, kündigen müsste. Wir nahmen es als gegeben und planten, ab dann für ein Jahr unterwegs zu sein. Losgehen sollte es im September in Alaska und bis der Winter einbricht, wollten wir in Äquatornähe gelangen. Auf der Südhalbkugel wäre dann Frühling. So wollten wir dem Winter für ein Jahr entfliehen.
Der Wagen und ein passendes Dachzelt waren schnell gekauft. Damit reisten wir in die Provence, um abzuchecken, ob uns der Komfort genügte. Das Fahren mit diesem Auto ist einzigartig.
Wie es dann im Leben so ist, kommt alles anders. Bereits kurz nach unserem Provence-Urlaub verlor Bianka ihren Job, also ein Jahr früher als geplant. Ihre vorzeitige Entlassung haute sie um. Zukunfts- und Verlustängste machten sich in ihr breit. Ich schlug vor, dass wir die Reise früher machen. Nun da sie ohne Job war, war der Zeitpunkt doch ganz gut. Davon wollte meine Frau nichts mehr wissen. Sie studierte stattdessen Stellenanzeigen. „Ich bewerbe mich lieber, ich brauche Sicherheit und ich möchte nicht wegen eines verrückten Abenteuers alles verlieren“, sagte sie. Unsere Vorbereitungen fand sie unzureichend, wies mich darauf hin, dass wir noch kein Spanisch konnten, und nicht genug Geld für eine einjährige Auszeit vorhanden wäre. Die laufenden Kosten zu Hause sowie die Reisekosten selbst mussten natürlich irgendwie bezahlt werden. „Wir werden, während wir unterwegs sind, kein Geld verdienen. Der Defender ist auch noch nicht wüstentauglich, hast du letzte Woche zu mir gesagt. Außerdem müssen noch etliche Sachen gekauft und erledigt werden, bevor es losgehen kann“, meinte Bianka.
Ich dachte: Sie hat einfach nur Schiss und will kneifen.
Meiner Meinung nach kann man nach einer Auszeit mit einem klaren Kopf neue Gedanken fassen. „Ob es nun vernünftig ist oder nicht, weiß man sowieso erst hinterher!“, erwiderte ich.
Auch ich machte mir Sorgen um meinen Job. Aber die Reise und das Abenteuer rückten in den Vordergrund. Ich redete mir und Bianka die Sache gut: „Für mich, als Sachverständigen und Kranmonteur, der die letzten Jahre die Auftragsbücher voll hatte, wird im Anschluss schon irgendwie was gehen.“ Ich wollte einfach nur los. Ein wenig Mut und man entflieht dem immer schneller werdenden Hamsterrad, in dem wir uns ja alle befinden. In diesem Moment fiel mir ein Zitat ein, es hängt über Biankas Kalender im Büro und lautet: „Am Ende gilt doch nur, was wir getan und gelebt haben – und nicht, was wir ersehnt haben.“ Auch diese Worte fanden bei Bianka kein Gehör mehr, ich konnte sie nicht umstimmen. Wir stritten uns heftig. Ich wollte verreisen, sie nicht.
Es gab viele Gespräche, harte Diskussionen. Zwischen uns brodelte es in den folgenden Tagen und Wochen, das Fass unserer Ehe drohte manchmal zu explodieren.
„Wenn nicht jetzt, wann dann?“, setzte ich Bianka ein wenig unter Druck. Nach einigen Wochen einigten wir uns: Die Reise würde in drei Monaten losgehen - falls sich Biankas Zweifel nicht ausräumen lassen, bleibt sie zu Hause oder sie fliegt nach kurzer Zeit wieder zurück und ich darf ihr nicht böse sein. Sie hielt sich diese Hintertür offen.
Um unser Konto zu schonen, planten wir nicht mehr ein ganzes Jahr zu reisen, sondern die Reisezeit stark zu verkürzen. Auch den Defender zu verschiffen, wäre nicht günstig, daher sprachen wir wieder über das richtige Reisefahrzeug. Meine Favoriten, die Motorräder, kamen erneut ins Spiel.
Nun peilte ich Südamerika hauptsächlich wegen der hohen Andenpässe und der Schotterpisten in der Atacamawüste an. Er ist für mich der absolute Kontinent der Superlative. Bianka war sich nicht sicher, ob sie sich das mit ihrem Motorrad zutraut - falls sie überhaupt mitkäme. Demokratisch beschlossen wir, dass wir mit nur einem Motorrad für dreieinhalb Monate in Südamerika unterwegs sein würden.
Mein Traum „Südamerika mit Motorrad“ sollte wahr werden. Das war der Wahnsinn, ich konnte mein Glück kaum fassen.