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Erste Eindrücke Santiago und Valparaiso

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Am Anfang stand die Idee und nun geht‘s nach Südamerika.

… das Abenteuer beginnt! Wir sitzen im Flugzeug – beide. Obwohl selbst einen Tag vorher nicht hundertprozentig feststand, ob Bianka mitkommen würde. Sie hatte die Hosen gestrichen voll, ihre Nerven lagen blank. Ich wollte die Reise natürlich nicht allein machen und hatte dafür in den letzten Wochen einiges ausgehalten. Am Abend vor dem Abflug hatte ich noch ein paar beruhigende und motivierende Worte eingelegt, bevor ich wie ein Stein in der Matratze versunken war und den Schlaf der Gerechten geschlafen hatte. Dank unserer Freunde und Verwandten haben wir bis zur Abreise alles geschafft und nun wird zum dritten Mal innerhalb von 24 Stunden der Sinkflug eingeleitet. Das Flugzeug setzt weich zur Landung auf. Das Umsteigen zuvor in London und Madrid hat einige Zeit gekostet, doch als Gegenzug die Reisekasse geschont.

Das Auschecken und die Einreise gehen zügig. Chile begrüßt uns mit Sonnenschein bei frühlingshaften Temperaturen. Der erste Eindruck, den mir Santiago schenkt, übertrifft meine Erwartungen bei weitem, ohne dass ich genau wüsste, welche das wären. Ein Taxi bringt uns in das moderne Bankenviertel von Santiago. Wir marschieren mit unseren drei großen Koffern in ein Hochhaus. Dort ist der Kooperationspartner der Hamburger Firma, die für uns den Motorradtransport übernommen hat, ansässig. Hier sollen die Begleitpapiere für den Zoll bereitliegen. Der Fahrstuhl ist mit uns und unseren Gepäckstücken drin brechend voll. Oben in den Büroräumen herrscht buntes Treiben. Die Räume sind hier viel kleiner als in deutschen Bürogebäuden und es wimmelt nur so von Angestellten. Bürotür an Bürotür, sie gehen ständig auf und zu, Leute rein, Leute raus. Der Vorraum ist voll, egal, wo wir und die Koffer stehen - auf jeden Fall sind wir immer im Weg. Mal schlägt eine Tür gegen uns oder gegen unser Gepäck, dann geht eine andere wieder nicht zu, da sich gerade ein Koffer in ihrem Drehradius befindet. Kurzerhand verschwindet Bianka in einem Büro und kümmert sich um die Papiere. Mich lässt sie allein. Jetzt bin ich kräftig am Räumen und Schieben, das schwere Gepäck soll ja niemanden stören. An der gegenüberliegenden Wand neben dem Fenster sehe ich in der Ecke etwas Platz und denke mir: Norbert da musst du hin. Also pirsche ich mich in gebückter Haltung mit dem Gelumpe an den Leuten vorbei zur anderen Seite. Als die Koffer in der Ecke übereinander gestapelt sind, drängelt sich ein Lieferant mit einer beladenen Sackkarre durch. Er ist sehr freundlich zu mir, als er erklärt, die Ladung sei ein Kühlschrank und müsse hierhin. Bianka betritt wieder den Vorraum und fängt an zu lachen, als sie mich mit den drei Koffern in Aktion sieht. Nach zwei Stunden geht die Fahrt wieder mit einem Taxi und den benötigten Papieren in der Tasche zum nächsten Hochhaus, einem Apartmenthaus. Es soll unsere erste Unterkunft sein, die wir noch von zu Hause aus gebucht haben.

An der Rezeption stehen drei Männer, ein Langer, ein Dicker und ein Kleiner. Sie können, so lange sie auch suchen, unsere Buchung nicht finden. Na toll, da stehen wir nun, total übermüdet, und haben kein Bett. Der lange Mann greift zum Telefon, der Dicke zeigt uns einen Platz, wo wir uns hinsetzen können und brabbelt „un momento“. Bianka schläft im selben Augenblick ein. Mir gehen die Worte unserer peruanischen Spanischlehrerin durch den Kopf. Sie sagte vor unserer Abreise in Hamburg: „Südamerika ist saugefährlich, ihr nehmt besser eine Pistole mit“. Mein erstes Empfinden ist zwar ein ganz anderes, ich halte aber Augen und Ohren offen. Wer will schon am ersten Tag auf einen fremden Kontinent bestohlen werden?

Eine Stunde später steht eine junge Frau vor uns. Sie ist die Vermieterin. Sie hat unsere Onlinebuchung nicht erhalten, aber glücklicherweise noch zwei weitere Apartments im Haus und eines wäre frei. Sie ist Bolivianerin, stellt sich im Gespräch heraus. Als sie erfährt, dass auch wir nach Bolivien wollen, macht sie uns einen guten Preis: 89 US-Dollar die Nacht, selbstverständlich ohne Quittung, bezahlen müssen wir für drei Nächte im Voraus.

Für die nächsten Tage steht die Hauptstadt von Chile auf der Agenda. Santiago gefällt uns auf Anhieb. Egal, wo man hinschaut, alles neue positive Eindrücke. Uns fallen viele freundliche Menschen auf und das in einer Sechs-Millionen-Metropole. Wir sehen etliche freilaufende, herrenlose, große Hunde, die meisten wirken gesund und zufrieden. Leinenzwang ist hier ein Fremdwort. Die Hunde beobachten an den Ampeln die Menschen und wenn es grün wird, überqueren sie gemeinsam mit ihnen die Straße.

Santiago ist relativ sauber, gepflegt und super modern. Die Häuser sind riesig. Im Talkessel der Anden steht Hochhaus an Hochhaus.

Dahinter ragen gewaltige, schneebedeckte Berge empor. Das Panorama sieht fantastisch aus und bei Sonnenuntergang unterstreicht die Weltstadt ihre Schönheit.


Was uns früher in manch anderen fremden Ländern passierte, sollte auch hier geschehen. Wer kennt es nicht, an den ersten Tagen im Urlaub abgezogen zu werden? Wir holten von der chilenischen Staatsbank Geld. Mit dem Umrechnungskurs kommen wir noch nicht klar, rechnen mit den Zehn- und Hunderttausendern hin und her. Da läuft uns Alfredo Schmidt über den Weg. Er spricht gut Deutsch, auf seinem Cappy steht „Hamburg“. Seine Eltern kämen aus Deutschland und er nennt sich „ein Touristenführer“. Er zählt uns alle möglichen Sehenswürdigkeiten auf und was wir sonst noch unbedingt sehen müssten. Wir bekommen von Alfredo einen abgegriffenen Stadtplan in die Hand gedrückt, dann will er von uns eine Spende für Waisenkinder. Höflich, wie ich bin, ziehe ich ein paar Scheine aus der Tasche, habe aber keine Ahnung, wie viel Geld es umgerechnet ist. Da kommen mir Alfredos Finger zur Hilfe und ziehen ganz vorsichtig einen 20.000-Peso-Schein aus meiner Hand. Ich noch am Rechnen und etwas verwirrt, wie viel Geld mir gerade abgenommen wurde, gucke fragend zu Bianka herüber. Schon bekomme ich weitere Unterstützung und werde auf dieselbe Art und Weise einen weiteren 20.000-er los. Alfredo verabschiedet und bedankt sich mit Handschlag recht herzlich.

An der nächsten Bank sehe ich mir noch einmal die Wechselkurse an und stelle fest, dass unsere Reisekasse um zirka 60 Euronen geschröpft wurde. Als Gegenleistung haben wir immerhin einen Stadtplan bekommen sowie eine Spende getätigt. Selbst ernannte Touristenführer müssen sehen, wie sie über die Runden kommen, und wollen auch mal ein Stück Fleisch zum Abendbrot essen. Wir sind der Sache nicht einmal böse, ganz im Gegenteil, es ist sogar lustig, mit wie viel Fingerspitzengefühl Alfredo arbeitet und wie leichtgläubig wir waren. Dass wir noch leichtgläubiger waren als vermutet, stellt sich am Abend im Apartment heraus. Um zu sehen, wo sich weitere Sehenswürdigkeiten befinden, holen wir den Stadtplan heraus. Auf dem Deckblatt prangt ein großer Schriftzug: „Free Map“. Alfredo hat es drauf. Wir lachen, und beschließen, wachsamer sein, um uns nicht noch einmal abzocken zu lassen.

Diese ersten Tage in Südamerika werden wir dennoch in schöner Erinnerung behalten.

Mit etwa 120 Kilometer pro Stunde rollt der moderne Doppelstockbus mit uns über die Autobahn 68 in Richtung Valparaiso und wir genießen den Fensterplatz. Kurz hinter der Hauptstadt befinden sich links und rechts neben der Strecke zwölf Fußballplätze. Das rote Kästchen am Kalender steht heute auf Sonntag. Auf allen Plätzen wird gespielt und die Spieler werden von den Zuschauern kräftig angefeuert. Die Begeisterung für Fußball wird in Südamerika bekanntlicherweise großgeschrieben.

Auch etliche Rennradfahrer kommen auf ihre Kosten, sie geben auf dem ebenen Belag der 68 eine hohe Trittfrequenz vor. Die Temperaturen sind angenehm und lassen mich etwas neidisch den Rennradsportlern hinterhergucken. Meine Leidenschaft galt in den letzten Jahren dem Rad- und Triathlon-Sport. Die meisten Kilometer habe ich auf Rädern, schwimmend oder zu Fuß ohne Motorkraft zurückgelegt. Doch hier, auf solchen Straßen, bei wenig Verkehr, wird mir das Motorradfahren wieder Spaß machen.

Ich bin aufgeregt wie ein kleiner Junge, der es kaum erwarten kann, sein erstes ferngesteuertes Auto auszupacken. Auf dem Grünstreifen und beidseitig neben der Fahrbahn blüht es in den verschiedensten Farben. Losgeflogen sind wir im Herbst und rollen jetzt dem Pazifik und dem Frühling entgegen.

Eineinhalb Stunden später kommen wir an. Der Mann, den ich nach einem Taxi frage, schnappt sich wortlos Biankas Koffer. Mit dem Ding auf der Schulter geht der kräftige Mann quer über den Busbahnhof und wir trappeln hinterher. Er legt ihn in den Kofferraum des ersten Taxis und sagt: „Adiós.“

Unglaublich, so schnell, wie er für uns da war, ist er auch wieder weg.

Das Hostel für die nächsten drei Tage, das wir bereits per Internet gebucht haben, liegt im oberen Bereich der Stadt. Der Ausblick von der Terrasse über Valparaiso und den Pazifik ist einzigartig. Über eine kleine Bucht sieht man den nächsten Ort Vina del Mar.

Die Hafenstadt selbst ist flippig, die Häuser sind quietschebunt. Überall, wo man hinschaut, sind Graffiti zu sehen. Künstler haben Valparaiso seinen Charme verliehen, die Stadt wurde von UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und wird als kulturelle Hauptstadt von Chile gehandelt.

Unser Hostel ist zwar klein, dafür umso familiärer. Wir lernen ein nettes Paar in unserem Alter aus Bochum kennen. Abends quatschen wir gemeinsam im Aufenthaltsraum und genießen den schönen Blick über die Bucht. Sie verbringen hier ihren Jahresurlaub. Jedes Jahr bereisen sie mit einem Leihwagen ein Land ihrer Wahl. In Chile gefällt es ihnen wegen der abwechslungsreichen Landschaft und den vielen Nationalparks besonders. Die beiden sind angetan von unserem Vorhaben und wollen uns auf der Reise im Blog begleiten.

Am nächsten Morgen begehe ich einen Fehler, der zwei weitere Male nachschmecken soll. Zum Frühstück gibt es Kaffee, Brötchen, Marmelade, Butter und queso de cabra (Ziegenkäse). Die Hausherrin fragt, ob alles in Ordnung sei und wie der Käse schmecke. Bianka schüttelt den Kopf, ich aber würge ihn mit viel Marmelade runter. Gut erzogen, wie ich bin, sage ich lächelnd: „Er schmeckt lecker.“ Die Frühstücksfee stimmt mir lächelnd zu und hebt ihren rechten Daumen.

In der zweiten Nacht bin ich ein wenig unruhig und aufgeregt, denn heute holen wir das Motorrad ab. Wir machen uns fertig und gehen zum Frühstück. Überraschung, dort steht auf meinem Platz ein großer Teller mit einer doppelten Portion Ziegenkäse. Na super! Charmant wie ich bin, kriege ich diesen auch irgendwie runter und wenn es mit Biankas Marmelade ist. Ich freue mich schon auf morgen.

Die Zimmertür fällt ins Schloss und wir gehen mit Helmen, Motorradjacken und Tankrucksack los. Eine abschüssige, schmale Straße aus Kopfsteinpflaster führt uns zum Zoll am Hafen. Neben den schmalen Gehwegen sind einfache und schäbige Häuser zu sehen. Sie sind aus Brettern und Holzplatten zusammengenagelt und bunt bemalt.

Im Zollgebäude angekommen, legt Bianka das Begleitpapier aus Santiago hin und bekommt nach einigen Formalitäten das Zollpapier fürs „Motocicleta“, welches für uns heilig ist. Ohne dieses Papier ist die Einführung der BMW in ganz Südamerika unmöglich. Mit diesem Dokument fahren wir in einem klapprigen Linienbus zum anderen Ende der Stadt und geben es vor einer großen Lagerhalle dem Zollbeamten. Es wird mit dem Fahrzeugschein sowie meinem Pass verglichen und anschließend abgestempelt. Wir bekommen Bauhelme und Warnwesten und gehen zur Lagerhalle rüber. Dort sehe ich auf den ersten Blick in der Mitte der Halle die heißersehnte Motorradkiste stehen. Ich zupfe ganz aufgeregt an Biankas Ärmel.

Sie geht und regelt den Papierkram. Die Zollgebühren sollen vor Ort in bar bezahlt werden und etwa um die 300 US-Dollar betragen. Sicherheitshalber überprüfe ich, ob sich das Geld noch im Tankrucksack befindet. Die Annahme, 100 Dollar Puffer müssten reichen, stellt sich allerdings als Irrtum heraus.

Zehn Minuten später kommt ein Gabelstapler aus der Halle und stellt die Kiste an der Stirnseite ab. Dort zieht es zwar wie Hechtsuppe, ich bin aber froh, dass sie unbeschädigt ist. Ich schraube gleich die Kiste auseinander, öffne die Spanngurte vom Zubehör und danach die vom Bike. Des Weiteren müssen das Windschild, der Lenker, die Spiegel und die Seitenkoffer montiert werden. Während ich das tue, kommen zwei Beamte vom Zoll, sie vergleichen Fahrgestellnummer und KFZ-Kennzeichen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat alles gut geklappt.

Doch auf der Rechnung, die Bianka nun in den Händen hält, stehen 550 US-Dollar. Woher bekommen wir auf die Schnelle Bares? Ohne diesen Betrag dürfen wir den Zoll mit unserem Motorrad nicht verlassen.

Im Internet liest man ja die tollsten Geschichten über Schmiergeld, das man bezahlen muss, aber 150 Dollar? Ich jogge zur Ruta 68 und sehe direkt gegenüber mehrere Banken. Ein Zaun versperrt mir zwar nicht die Sicht, ein Überqueren der Ruta ist an dieser Stelle aber unmöglich. An einer Bushaltestelle gibt es eine Brücke, die mich auf die andere Seite bringt. Nach weiteren zweieinhalb Kilometern erreiche ich die erste Bank, die natürlich verschlossen ist. Genau wie die anderen Geldinstitute. Klasse. Nach zehn Kilometern joggen stehe ich wieder an der Halle vor dem Motorrad, ohne Geld in der Tasche. Von Bianka weit und breit keine Spur.

Na super, geht es mir durch den Kopf: Ein fremdes Land, keine Frau, kein Geld und kein Motorrad.

In diesem Moment kommt sie strahlend und mit einem Papier wedelnd um die Ecke. Der Rechnungsbetrag auf der neuen Rechnung ist auf 330 Dollar geschrumpft. Meine Frau hat die energische Bilanzbuchhalterin raushängen lassen, halb auf Englisch und halb auf Spanisch, hat sie denen gesagt, dass sie telefoniert hätte und es würde nur 300 Dollar Zollgebühren kosten. Aufgrund dieser Aussage hat der Chef die Rechnung zerrissen, ihr einen guten Preis gemacht und eine neue ausgestellt.

… Aber Sport tut ja immer gut.

Wir schnappen unsere Sachen, fahren zur gegenüberliegenden Tankstelle und lassen das Moto und die beiden Reservekanister befüllen. Für uns gibt es einen Kaffee.

Stolz wie Bolle fahre ich mit Bianka zu unserem Ziegenkäse-Hostel zurück. Hinter einem großen Blechtor, direkt unter der Terrasse, befindet sich eine Garage, welche über eine kleine Holztreppe zu erreichen ist. Bis zum Abend sind alle Sachen am und im Bike verstaut. Der fahrbare Untersatz ist vollgedonnert und abfahrbereit. Unsere Reisekoffer schenken wir der Frühstücksfee.

Zwei Fischköppe in den Anden

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