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Endspurt

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Auch wenn die Reisezeit etwas begrenzter ist als ursprünglich geplant, schwebe ich auf Wolke sieben. Ich bin voller Erwartungen und Vorfreude. Was werden wir alles erleben? Geht alles gut? Werden Mensch und Maschine alles überstehen?

Sobald meine Gedanken um die Andenländer kreisen, lösen sie in mir ein bis dahin noch nicht gekanntes Gefühl aus. Ich werde es während der Vorbereitung und auf der Reise noch oft zu spüren bekommen.

Nun geht alles holterdiepolter. Am 29. September soll es losgehen! In den verbleibenden sechs Wochen bis zur Abreise steht noch viel auf dem Programm: Spanisch lernen, Impfungen, zum Tropeninstitut, Flüge buchen, Versicherungen, Motorradkiste bauen, Motorradverschiffung organisieren und so weiter. Der Defender war in meinen Gedanken schon ausgebaut gewesen, aber das Motorrad, das an seine Stelle getreten ist, ist noch so gut wie nackt. Auf nur einem Bike bekomme ich nur ein Bruchteil von dem mit, was ich alles gern dabeihätte. Die Gepäckfrage muss komplett neu überdacht werden. Wie auf Knopfdruck brodelt es in meinem Gehirn und in meinem Geiste fange ich an, das Motorrad zu beladen. Die schweren Sachen nach unten, die leichten sowie die, die man oft braucht, nach oben. Wo lasse ich das Werkzeug, den Kocher, die Töpfe, Teller und Tassen, Campingtisch, Campinghocker, Wechselwäsche, Freizeitschuhe, Badelatschen? Die Schlafsäcke, das Zelt und die Luftmatratze müssen auf alle Fälle mit. Ersatzbenzin, Trinkwasser, Reiseapotheke, Verbandskasten sind ebenfalls ein Muss.

Das bekommen wir nie alles mit, denke ich. Bei dem Berg an Gepäck erscheint es mir vernünftiger, die Reise mit einem LKW anzutreten. Erst recht, als mir später noch mehr einfällt, alles, was ich alles auf die Schnelle vergessen hatte: Fotoausrüstung, Telefon, Ladegeräte, Taschenlampen, es fehlen noch etliche Dinge … Aber wir müssen uns auf das Notwendigste beschränken. Um ein Probepacken kommen wir nicht herum. Es muss zusätzlicher Stauraum geschaffen und jede Möglichkeit genutzt werden, wo man noch was Anbammeln könnte. Unter den Seitenkoffern wäre Platz, die Bodenfreiheit würde dadurch jedoch leiden.

Ich bin hin- und hergerissen, die Zeit drängt, eine Entscheidung muss her. Erst als ich mich zwinge, bei meinen Überlegungen ein wenig Tempo rauszunehmen, kommen auf einmal die Ideen, wo man was verstauen kann. Ein Hunderter-Abflussrohr befestige ich auf der linken Seite zwischen dem Heckträger und der Box. An den Stirnseiten der Aluboxen montiere ich spezielle Halter. Unter dem Gepäckträger, am Rahmen, an den Sturzbügeln, am Lenker überall kann man etwas festtüddeln. Ich weiß zwar noch nicht genau, was, habe aber mittlerweile gewisse Vorstellungen.

Bianka verlässt sich bei der Planung voll und ganz auf mich und gibt mir Handlungsspielraum. Eine grobe Reiseroute ergibt sich durch die Highlights, die ich sehen will. Ich studiere die Landkarten und Google Maps und ziehe auch verschiedene Verschiffungsvarianten und Flughäfen in Betracht. Das neue Gefühl ist wieder da, mein Kopf kribbelt, und bei einigen Orten, die ich mir auf der Karte ansehe, kribbelt mein ganzer Körper.

Die Tour wird etwa 10.000 Kilometer lang werden. Ich möchte von Chile über Peru und Bolivien nach Argentinien. Das Motorrad wird von Hamburg nach Südamerika verschifft, zurück soll es mit uns per Flugzeug ab Buenos Aires transportiert werden. Das ist so weit der Plan.

Am 19. August soll das Motorrad zur Verschiffung abgeholt werden und bis dahin muss die Transportkiste fertig sein. Bianka ist mental immer noch nicht bereit. Ihr geht alles zu schnell. Bei der Vorbereitung klinkt sie sich, so gut sie kann, aus. Ich kümmere mich um das Holz und die Kleinteile der Motorradkiste, die auch noch gebaut werden muss. Die Termine für Impfungen beim Tropeninstitut und beim Hausarzt muss ebenfalls ich vereinbaren. Den internationalen Führerschein habe ich beantragt. Das alles ist nicht einfach und natürlich muss ich auch noch arbeiten. Ich krieche sozusagen auf dem Zahnfleisch.

Die letzten Wochen überrennen uns. Sogar unser geliebter Sport bleibt auf der Strecke. Bianka beteiligt sich nun auch mit den Vorbereitungen, meint aber: „Wenn ich überhaupt mitkomme, muss eine Spezialpolsterung für die Sitzbank her.“ Die bekommt sie natürlich. Ein paar Recherchen im Netz und die Bestellung ist abgeschickt.

Heute, wir schreiben bereits Mitte August, wollen wir unsere erste Probefahrt samt Gepäck machen. Die BMW steht auf unserem Garagenplatz und ist kaum zu sehen. Sie hat sich hinter einem Berg versteckt, einem Haufen Gelumpe, den wir mitnehmen wollen.

Logisch, es sind noch weitere Sachen hinzugekommen, Bianka braucht unbedingt ihre Wanderschuhe und natürlich Pumps. Ich versuche, ihr noch einmal klar zu machen, dass es sich hier um einen Motorradurlaub handelt. Immerhin die Pumps kann ich ihr ohne weiteren Widerstand ausreden.

Als ich anfange, zu packen, sehe ich seltsame Dinge, die nicht von mir stammen: Tütensuppen, Fertiggerichte, Spagetti, eine große Packung Trockenmilch, Kaffee, Pumpernickel und mehrere Konserven. Meine Frau steht neben mir und zeigt auf die Lebensmittel, während mein Gehör die Worte „das muss mit“ vernimmt. Da kommt mir wieder der LKW in den Sinn. Mein Blick springt zwischen meiner Frau und dem Sachen-Berg hin und her. Wenn man aber ein wenig kreativ ist und herumexperimentiert, findet man immer noch Stellen, an denen man was verstecken und befestigen kann. Auf den Seitenkoffern befinden sich zwei große Gummirollen. Die Gummitasche von meinem Fahrradanhänger habe ich zweckentfremdet. Nachdem sie vollgedonnert ist und zu platzen droht, hieve ich sie auf den Gepäckträger. Da ich für den Schweizer Wassersack keinen passenden Platz finde, kommt die Gummitasche wieder runter, Wassersack rauf, Gummitasche darüber. Unter dem Träger befestige ich mit Kabelbinder ein zehn Meter langes 230-Volt-Verlängerungskabel. Den krönenden Abschluss am Heck bildet der Campingtisch. Meine Hochstapelei katapultiert den Schwerpunkt der BMW weit nach hinten. Ich kann mir schon gut vorstellen, was passiert, wenn ich nachher den Gashahn aufdrehe.

Wir brauchen mehr Druck auf dem Vorderrad, aber die schweren Sachen sind schon befestigt. Krampfhaft überlegen Bianka und ich. Alles, was irgendwie Gewicht auf die Waage bringt, muss nach vorne. Hammer, Werkzeuge, Batterien und Akkus, Taschenlampen, Luftpumpe, Fertiggerichte kommen in die Seitentaschen, die sich an den Sturzbügeln befinden. Die Campinghocker haben ihren Platz am Rahmen gefunden. Geht nicht, gibt's nicht, sage ich mir, für jedes Equipment findest du die richtige Stelle. Nach vier Stunden und mehreren Beladeversuchen ist unser Moped zwar genauso wenig zu sehen wie vorher, aber die gute Nachricht ist: Der Garagenplatz ist leer. Alles Gelumpe, das vorhin noch auf dem Boden lag, ist irgendwie am Bike verrödelt, irgendwo reingestopft oder wieder im Haus verschwunden.

Wir trinken erst noch einen Kaffee, ziehen uns die Schutzbekleidung an und als wir um die Ecke zur Garage gehen, fängt es kräftig an zu regnen. Ich sehe das völlig überladene Ding und denke mir: Mit so einem Eisenschwein willst du durch die trockenste Wüste der Welt fahren? Ich kann froh sein, wenn wir uns nicht gleich in der ersten Kurve auf die Fresse packen.

Entschlossen bocke ich sie ab und sie geht in die Knie. Ich muss zugeben, dass ich mit so einem schweren Motorrad noch nie zu tun hatte. Selbst die 1800 Goldwing, die ich mir einmal für einen Wochenendtrip geliehen hatte, kommt mir nun leicht vor im Vergleich zu dem hier.

Wir satteln auf, und ich probiere ein kurzes Anfahren, Bremsen, Gas geben, Hochschalten und einen leichten Slalom. Unglaublich … es kann doch nicht sein, dass sich das voll beladene Ding so gut händeln lässt? Nach einer kleinen Runde durch die Harburger Berge auf nasser Straße und auf nicht eingefahrenen Reifen kommen wir wieder staunend zu Hause an. Ihr neuer Name „dicke Berta“ passt optimal.

Die Berta wird nun wieder schlank gemacht und kommt in die bereits gebaute Transportkiste. Bevor ich den Deckel verschraube, muss ich das Bike und andere Reiseutensilien gut verspannen. Nun steht alles abholbereit in der Garage.

Ein Spediteur bringt die BMW in den Hamburger Hafen und drei Tage später ist sie per Schiff auf dem Weg nach Valparaiso. In der Hafenstadt am Pazifik zirka 130 Kilometer von Santiago de Chile entfernt, soll unser Abenteuer starten.


Zwei Fischköppe in den Anden

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