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El viaje con moto

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Der September ist Geschichte, heute wird der erste Oktober geschrieben. Wir verabschieden uns von der Vermieterin. Ich sage auch „Adiós“ zum Ziegenkäse.

Ich bestehe aus einem Überschuss an Glücksgefühlen und unendlich vielen Endorphinen. Mein Gefühl ist nicht zu beschreiben, und um sicherzugehen, dass ich nicht träume, lasse ich mich von Bianka zwicken. Willkommen in der Realität! Dieses Kribbeln durchfährt wieder meinen Körper. Das Abenteuer „Südamerika mit Motorrad“ kann beginnen.

Von Valparaiso über den Urlaubsort Vina del Mar beginnt unsere Reise auf der Panamericana gen Norden. Die Temperaturen lassen zu wünschen übrig. Wir rollen durch dicke Nebelschwaden, mal direkt neben und mal weiter weg am Pazifik entlang.

Nach 374 gefahrenen Kilometern führt uns das Navi in Ovalle zum Plaza. Das Hotel hat die besten Zeiten bereits hinter sich. Die abgewohnten Doppelzimmer, einfacher Standard, kosten inklusive Frühstück 90 US-Dollar. Über eine Garage verfügt das Hotel nicht und das Motorrad bleibt über Nacht auf einem öffentlichen Parkplatz, der zwar durch ein großes Tor verschlossen wird, doch ich habe so meine Bedenken, ob am nächsten Tag noch alles vorhanden wäre. Die kreuz und quer fahrenden hupenden Autos sind für uns ungewohnt. Abgesehen davon bin ich am ersten Fahrtag gut zurechtgekommen und will mehr.

Auf unser nächstes Ziel hat mich ein Reiseführer gebracht, den ich zu Hause gelesen hatte. Es ist ein typisches chilenisches Dorf und liegt im Elqui-Tal.Pisco Elqui ist etwa 100 Kilometer von der viertgrößten Stadt, La Sarena, entfernt. Hier werden verschiedenste Touren in das gesamte Tal von den zahlreichen Tourismusagenturen angeboten. Durch die fast ganzjährige Sonnengarantie sind im Umkreis die größten Observatorien der Welt zu finden. Für den, der eine Besichtigung plant, ist eine Anmeldung ratsam. Wir beziehen im Ort einen Bungalow und sehen uns noch etwas um. Da noch Vorsaison ist, sind keine Touristen unterwegs. Auf dem Platz befindet sich eine schöne Kirche. Wir schlendern über einen bunten Markt. Bianka sieht sich Schmuck an, ich kaufe mir meine erste Tüte Coca-Blätter und bin sehr gespannt auf die berauschende Wirkung. Die trockenen Blätter stopft man sich in den Mund, kaut sie zu einer matschigen Kugel und schiebt sie in eine Wangentasche, wo sie dann mehrere Stunden verbleibt. Oder man kocht sich einfach einen Tee.

Wir sind gerade erst seit fünf Tagen auf dem Bike und ich bin voll in meinem Element. Der Spaßfaktor beim Fahren und meine Vorstellungen, wie es so sein könnte, werden bei weitem übertroffen. Überall gibt es etwas Neues zu entdecken. In der Region „de Atacama“ blüht durch das Klimaphänomen El Niño sogar die Wüste. Dort, wo es sonst staubt, sehen wir einen mehrere Quadratkilometer großen Blumenteppich an uns vorbeiziehen. Was für ein Bild: die trockenste Wüste der Welt in einem fantastischen Violett. Niederschlag gibt es hier nur selten, auf östlicher Seite regnen sich die Wolken vor den Anden ab und im Westen verhindert der kalte Humboldtstrom die Bildung von Regenwolken.

Große Städte, kleine bunte Orte, es ist für mich jedes Mal spannend, wo wir wohl die Nacht verbringen werden. Bianka kann sich nicht so sehr begeistern. Die vielen neuen Eindrücke prallen hart auf sie ein, dazu das lange Motorradfahren, von morgens bis zum späten Nachmittag. Ich muss etwas Tempo rausnehmen oder irgendwie Biankas Neugier wecken. Sie ist völlig erschöpft. Spannungen bleiben zwischen uns durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen nicht aus. Die Stimmung ist ein wenig gedrückt, wir pieken uns bei der kleinsten Gelegenheit.

Wieder auf der Panamericana bin ich von den vielen Schwertransporten beeindruckt.Alle Fahrzeuge müssen jedes Mal rechts ranfahren, wenn die LKWs mit Überbreite entgegenkommen. Ihre Ladung steht an beiden Seiten bis zu zwei Meter über. Wenn man bedenkt, dass ein Auflieger je nach Bauweise zirka zweieinhalb Meter breit ist, weiß man, was uns für Kolosse ausbremsen. Sie haben riesige Mulden, Chassis, Kettenfahrwerke und Auslegeranschlusstücke geladen. Diese Teile der fabrikneuen Giganten werden im Bergbau eingesetzt. Sie beißen sich durchs Gestein und setzen ganze Landstriche um.Die Straße bebt noch hinter uns, als wir rechts in den Nationalpark Nevado de Tres Cruces, auf Deutsch Verschneiter Park der drei Kreuze, abbiegen. Ich möchte meine erste Lagune und Flamingos sehen.

Heute, nach sechseinhalb Monaten, wir haben Mitte April, sitze ich wieder zu Hause und während ich diese Zeilen schreibe, mache auch ich drei Kreuze. Meine rechten Rippen sind wieder verheilt, nur das rechte Fußgelenk bereitet mir noch leichte Schmerzen. Der Park hatte es wirklich in sich. Bianka blieb auch nicht verschont.

Der Nationalpark liegt an der argentinischen Grenze und der höchste Berg ist 5422 Meter hoch. Über Schotter würde uns die Ruta 33 nach zwei Tagen in das Herz der Atacamawüste zum Ziel bringen. Ihre Nord-Südausdehnung beträgt 1200 Kilometer.

Auf der Route ist es ziemlich einsam, nur selten kommen uns Fahrzeuge entgegen. Sie schlängelt sich langsam durch Kurven und Spitzkehren auf 3200 Meter über den Meeresspiegel. Der Weitblick über die kahlen Berge ist grandios. Wir bekommen zum ersten Mal den südamerikanischen Wind zu spüren und sehen Alpakas. Oft halten wir an, machen Fotos von der für uns neu entdeckten Welt, wobei wir die Zeit vergessen. Die Schatten werden länger, es ist mittlerweile später Nachmittag und wir wissen noch nicht, wo wir schlafen werden. Weit und breit sind keine Häuser in Sicht, ein geeigneter Stellplatz für unser Zelt ist auch nicht zu finden. Neben der Piste liegt vom Planieren loses Geröll über einen Meter hoch. Eine Überquerung mit unserem Dickschiff ist unmöglich, außerdem ist der Untergrund neben der Strecke steinig und felsig. Folglich fahren wir weiter, der Dämmerung entgegen. Die Temperaturen sinken unter zehn Grad und der Wind nimmt weiterhin zu. Wie gerufen sehen wir kurz vor Sonnenuntergang hinter einer Kurve ein größeres Holzhaus mit Nebengebäuden. Ich fahre aufs Grundstück und halte in einem entsprechenden Abstand vor dem Haus. Wir wollen die Bewohner fragen, ob es möglich ist, im Windschatten eines Gebäudes unser Zelt aufzubauen.Bianka steigt ab und geht auf das Haus zu. In diesem Moment kommt aus einer Seitentür eine junge Frau, sie geht zügig zum hinteren Ende des Grundstückes und verschwindet in einem kleinen Nebengebäude. Wir sehen uns fragend an. Dann öffnet sich die Eingangstür des Haupthauses und eine freundlich lächelnde, kräftige Frau, zirka vierzig Jahre alt, kommt auf uns zu. Sie gibt uns die Hand, stellt sich mit Rosie vor und bittet uns in das Haus. Wir gehen schüchtern hinterher. Drinnen sitzt eine weitere kräftige Frau, sie ist um die Sechzig, mit einem jungen dünnen Mann um die Zwanzig, auf einer selbst gebauten Holzbank. Auf dem großen Sprelacart- Tisch, ebenfalls Marke Eigenbau, steht eine Schüssel mit Reis, auf einem Teller dampft Hähnchenfleisch. In der Mitte des Raumes spielt ein kleiner Junge auf dem Boden. Wir stellen uns vor und begrüßen die Bewohner. Uns wird ein Platz angeboten, zwei Teller mit Essen und zwei Tassen mit heißem Tee werden zu uns rübergeschoben. Wir wurden schon erwartet, sagt die vierzigjährige Frau.

Hä, wie meinen die das? Schon erwartet?

Kurzzeitig öffnet sich die Seitentür, der kalte Wind, der durchs Haus fegt, bringt die junge Frau wieder rein. Sie wird uns als Mutter des kleinen Kindes und als Tochter der Hausherren vorgestellt. Nach dem Essen fragt Bianka, ob wir unser Zelt aufbauen können. Da steht Rosie auf und zeigt uns ein Schlafzimmer. Im fensterlosen Raum stehen drei selbst gebaute Doppelstockbetten sowie ein einzelnes in der linken Ecke. Auf letzteres zeigt Rosie und meint: „Ihr habt auch Privatsphäre“, und zieht einen Vorhang vors Bett.

Ich werde nachdenklich, meine Gehirnleistung hat aufgrund der Höhenmeter stark abgenommen. Die Schaltvorgänge in meinem Kopf arbeiten langsam, fast statisch. Man möchte nicht unhöflich sein, sich aber ein kleines Zimmer mit fünf fremden Personen zu teilen, entspricht nicht unbedingt unseren Vorstellungen. Wir lehnen das Angebot mit unseren spärlichen Spanischkenntnissen freundlich ab und machen den Vorschlag, in der Mitte des Wohn- und Essraumes unsere Luftmatratze aufzupusten.

Die drei Frauen schütteln den Kopf, sie zeigen auf das Schlafzimmer und sagen: „Nachts wird es in dem großen Raum auf dem Boden sehr kalt.“

Nun schütteln Bianka und ich auch den Kopf und zeigen auf den Boden, wo wir die Matratze aufpusten möchten. Der junge Mann sitzt immer noch auf der Bank und hält sich aus allem raus. Die Dame des Hauses geht in das Schlafzimmer, holt die Matratze vom Einzelbett und legt sie auf den Boden. Dort sollen wir unsere Luftmatratze drauflegen.

Im großen Raum ist es gemütlich warm, denn Rosie und die ältere Frau, die übrigens auch Rosie heißt, backen für den morgigen Tag Kuchen. Ihr eiserner Backofen ist Herd und Heizung zugleich, er wird mit knorrigen Ästen gefüttert.

Während ich nach draußen gehe und die Sachen für die Nacht reinhole, unterhält sich Bianka mit Händen und Füßen. Die Frauen kommen gut zurecht, sie quatschen, fuchteln mit den Fingern und lachen zwischendurch köstlich. Im Gespräch stellt sich heraus, dass die ältere Rosie die Uroma ist und die jüngere Rosie, die das Sagen hat, ihre Tochter. Die Tochter von der jüngeren Rosie wiederum ist die Frau des jungen Mannes. Der kleine Junge ist natürlich das Kind des Paares. Vier Generationen unter einem Dach und nachts in einem kleinen fensterlosen Raum … Respekt.

Ich bin angetan von dieser Gastfreundlichkeit, die wir gerade erleben. Uns wird noch einmal Tee angeboten, ein Chachacoma-Tee. Er soll gut gegen Höhenkrankheit sein und seine Wirkung ist noch stärker als die des Coca-Tees. Die Familie erzählt uns, dass ihre Vorfahren Mapuche waren und sie zur indigenen Bevölkerung gehören.

Wir sind Gäste in einem fremden Land, bei fremden Leuten. Uns wird Essen und Trinken angeboten, obwohl die Familie aus unserer Sicht selbst arm ist. Von Ausländerfeindlichkeit keine Spur, das sollten sich mal die rechten Spacken aus Deutschland und Europa auf ihre Fahnen schreiben.

Die Frauen haben liebe Augen, es ist super gemütlich, ich lasse mich fallen und lausche der Unterhaltung.Da ich noch weniger als Bianka verstehe, muss sie zwischendurch immer wieder übersetzen. Die Gespräche werden vom Knarren der Hauswände und vom Klappern des Daches übertönt. Die Neonlampen schaukeln an den Dachbindern, darüber sehe ich das Wellblech flattern. Draußen tobt es wie Teufel, die Windkräfte, die auf das Haus wirken, lassen es schwanken. Die Seitenwände sind aus OSB-Platten, in den Ecken und an den Stößen werden sie durch kleine Holzpfosten der Größe acht mal acht Zentimeter stabilisiert. Unsere Motorradkiste bestand aus demselben Material. In Chile werden damit ganze Häuser gebaut. Dieser Sachverhalt lässt mich nachdenklich werden. Uns wird erzählt, dass Rosie Junior das Haus und die anderen Gebäude selbst gebaut hat.

Der zweite Tee macht sich bemerkbar und ich frage Rosie, wo das Baño (Bad) ist. Sie steht auf und gießt aus einem großen blauen Plastikkanister Wasser in einem Eimer, gibt mir diesen in die Hand, öffnet die Seitentür und zeigt zum Nebengebäude am Ende des Grundstückes. Dort angekommen öffne ich eine kleine weiße Holztür und erblicke an der gegenüberliegenden Wand ein WC aus Porzellan. Links neben dem Eingang sind ein Waschbecken und darüber an der Spanplattenwand ein kleiner blinder Spiegel zu sehen. Nachdem die Dinge verrichtet sind, benutzt man den Inhalt des Eimers als Spülung. Auf dem Rückweg werde ich wieder durchgepustet und übergebe Bianka den Eimer. Kurze Zeit später steht die Familie auf, erzählt irgendetwas und geht los. Sie nehmen die herumstehenden Kanister mit zu ihrem Auto und fahren davon. Bianka und ich sahen uns wieder fragend an, hatten nichts verstanden und keine Ahnung, wo sie hinwollten, was sie vorhatten und wann sie wiederkommen. Dann putzen wir uns draußen vor dem Haus die Zähne und gehen einfach ins Bett.

Es ist schon ein seltsames Gefühl, allein in einem fremden Haus. Auf dem Tisch liegen einige ihrer persönlichen Sachen: Handtaschen, Handys und ein Fotoapparat. Zu Hause wäre diese Situation nicht vorstellbar - du lässt unbekannte Leute in dein Haus, beköstigst sie, dann fährst du weg und lässt alles liegen.

Die Windgeräusche und das monotone Rattern des Notstromaggregates lassen unsere Augen kleiner werden.

Nach einer guten Stunde sind die Bewohner wieder da, sie stellen die vollen Kanister neben die Seitentür, winken uns zu und gehen in den Schlafraum. Das Aggregat verstummt, das Licht geht aus. Wer glaubt, dass wir jetzt weiterschlafen können, hat die Rechnung nicht mit Rosie Senior gemacht. Sie sagt laute Ferse auf, mit deutlicher Betonung. Die Sprache, die sie spricht ist Quechua, die alte Sprache der Inkas. Es hört sich für mich an, als wolle sie Götter beschwören. Nach einer Weile wird es zum monotonen Sprechgesang und ich schlafe ein.

Morgens ist es kalt im Raum. Die Damen heizen wieder den Ofen an. Draußen macht Rosie Senior in einer umfunktionierten Blechtonne Feuer, die als Backofen für Brötchen genutzt wird. Mit einfachsten Mitteln zaubert die Familie ein Frühstück. Was es zu trinken gibt, ist klar: Chachacoma-Tee.

Anschließend zeigt Rosie uns das Grundstück und erklärt, dass das eine Holzhaus ein Hotel werden soll. Wir packen die Sachen, bedanken und verabschieden uns von der netten Familie und bekommen sogar noch Reiseproviant mit. Geld will Rosie von mir nicht annehmen, ich muss darauf bestehen, bevor sie es nimmt. Als wir aufbrechen zum Park der drei Kreuze, fühlen wir uns frei und glücklich. Ob dieses schöne Gefühl, das mit uns fährt, an der netten Begegnung oder an der berauschenden Wirkung des Tees liegt, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich an beidem.

Bei blauem Himmel geht es zügig voran und die Höhenmeter klettern schneller, als mir lieb ist, auf 4200 Meter. In mir macht sich Unbehagen breit. Wenn wir uns nicht gesundheitlichen Risiken aussetzen wollen, wären maximal 500 Meter Höhenzuwachs pro Tag vertretbar. Letzte Nacht bei den Rosies war es schon viel zu hoch. Ich hoffe, wir packen das. Die Berge, die wir überqueren, sehen utopisch aus. Sie sind zum Teil durch Eisenoxyde rötlich, vom Kupfer grün, von irgendetwas gelb und ihre schneebedeckten Gipfel weiß. Kurz vor dem Park sehen wir eine runtergelassene Schranke und daneben ein paar zusammengestellte Container. Ich halte 50 Meter vorher an und wir gehen langsam zum Schlagbaum rüber. Dabei spüren wir die sauerstoffarme Luft, die kleinste Bewegung macht uns zu schaffen. Wir befinden uns fälschlicherweise nicht am Eingang zum Park, sondern an der Einfahrt zu einer Mine. Im Container werden wir von drei Männern gefragt, ob wir durch den Nationalpark fahren möchten und welche Strecke wir nehmen wollen, oder nur um die Lagune fahren und wieder zurückkommen würden. Sie stellen weitere Fragen - wie viel Essen und Trinken wir haben und ob noch Benzin benötigt wird. Ein Mann notiert sich unsere Personalien und meine Telefonnummer. Der Grund dafür erschließt sich uns erst einmal nicht. Ein anderer stellt uns ein großes Wasser hin, Geld will er nicht haben. Der dritte ordert über Funk einen Jeep an. Nach diesen Erledigungen werden wir mit Begleitschutz zum anderen Ende der Mine gebracht. Das ist spannend. Ein großer Pickup mit Rundumleuchte und einem beweglichen großen Wimpel, ähnlich wie an einem Kinderfahrrad, blinkt uns den Weg auf dem Minengelände frei und ich steuere auf der BMW hinterher. Schließlich sind dort riesige Kipper unterwegs. Am Ausgang befindet sich ein großes Holztor, dieses wird für uns geöffnet, sich verabschiedet und hinter uns wieder verschlossen.

Jetzt sehen wir zum ersten Mal die Weite der Wüste und verstehen, wieso unsere Personalien samt Telefonnummer registriert wurden. Das Dickschiff schwimmt mit uns obendrauf in den Park der drei Kreuze. Im losen Sand, schlängeln wir auf Fahrspuren Richtung schwarze Lagune. Das zulässige Gesamtgewicht des Motorrads beträgt 475 Kilogramm. Es ist eindeutig überschritten, wir liegen weit über Fünfhundert. Die ersten Kilometer geht es noch im zweiten Gang, dann versperren uns einzelne Verwehungen den Weg, wenn wir nicht gerade im losen Sand driften. Bianka will absteigen und zu Fuß weitergehen. Sie hat Angst. Doch nach einigen Minuten zu Fuß pumpt sie wie ein Maikäfer. Auch ich bin ziemlich platt, mein Puls klettert gefühlt auf fast zweihundert. Wir legen immer wieder Trinkpausen ein und kämpfen uns weiter voran.

In der Ferne tauche zwischen den Bergen die Lagune auf. Nach weiteren Kilometern halten wir an, um Fotos zu machen. Die Bergspitzen um uns herum sind weiß und vor uns liegt die schwarze Lagune.

Es kommt, wie es kommen musste … mein erster Sturz. Glücklicherweise sitze ich gerade allein auf dem Bike. Ein harmloser Sturz. Doch nur mit allergrößten Anstrengungen schaffen wir es, die Berta wiederaufzurichten. Beim zweiten Sturz, sieht es schon anders aus. Bianka sitzt auch mit drauf. Ich will gerade in den zweiten Gang schalten, im selben Moment bleibt das Vorderrad stecken und schon liegen wir im Sand - ich mit dem rechten Fuß unter dem Bike. Er schmerzt höllisch. Irgendwie bekomme ich den Fuß mit Biankas Hilfe raus und stehe auf, kann ihn aber nicht belasten und ich habe das Gefühl, mein Sprunggelenk wurde kurz und klein gehauen. Es sieht wirklich nicht gut aus dort in der Einsamkeit. Das Gelenk wird dicker und der Stiefel immer enger, dann kommen auch noch Schmerzen in den rechten Rippen hinzu. Je mehr diese wehtun, nimmt der Schmerz im Fußgelenk, aus mir unbegreiflichen Gründen, wieder ab.

Nachdem das Moto wieder aufrechtsteht, sind Bianka und ich kurz vorm Umkippen. Die dünne Luft macht uns echt zu schaffen und lässt die Herzfrequenz emporschießen. Wir atmen tief und kräftig wie nach einem Tempolauf.

Die Tatsache, dass die Wüstenpiste für weitere 70 Kilometer durch den Park gehen soll und wir ziemlich kaputt sind, nehmen wir zum Anlass, wieder zurück zur Mine zu fahren. Flamingos haben wir leider nicht gesehen.

Dort angekommen geht das Holztor auf und wir werden hereingelassen. Bianka rutscht von der Sitzbank, taumelt zu einem Stein und setzt sich. Ein Mann fragt sie, ob sie einen Médico braucht. Er sieht ihr an, dass sie fix und fertig ist. Dann wird sie von zwei anderen Männern eingesackt und zum Arzt gebracht.

Ich stelle die BMW ab und gehe langsam auf die Containerburg zu, in der sich eine Krankenstation befindet. Als ich reinkomme, liegt Bianka schon auf einer Liege und hat eine Sauerstoffmaske auf. Es ist zwar nicht lustig, trotzdem muss ich mir das Lachen verkneifen. Sie sieht aus wie ein Schnüffler, der tiefe erholsame Züge nimmt. Der Médico fragt mich, ob bei mir alles in Ordnung ist. Ich sage ja und setze mich neben ihn auf eine beige Ledercouch, um mein Fuß zu entlasten. Zwischen der Couch und dem Schreibtisch des Arztes steht ein Wasserspender. Der Arzt bietet mir Trinken an und in der nächsten halben Stunde durchlaufen eineinhalb Liter Wasser meine Kehle.

Gemächlich kehrt wieder Farbe in Biankas Gesicht zurück, sie darf aufstehen, doch bezahlen dürfen wir, mal wieder, nicht. Ganz im Gegenteil - der Arzt bringt uns in eine große Kantine. Auf einem riesigen Büfett stehen etliche Gerichte, Salate, Nachspeisen und Getränke. Mit vollen Tellern nehmen wir neben den Minenarbeitern Platz. Unsere Entscheidung ist auf Kartoffeln mit brauner Soße, Gemüse und Rindfleisch gefallen. Es ist richtig lecker. Ich hole mir einen Nachschlag und zwei Becher Kaffee, bevor das Dessert an der Reihe ist. Der Koch bringt uns einen großen Teller mit Waffeln und Keksen.

„Falls ihr noch einmal in den Park wollt, könnt ihr noch mehr davon bekommen“, sagt er. Daraufhin lacht die halbe Kantine und die Arbeiter schauen zu uns rüber.

Eine zierliche Frau am Nachbartisch hält eine Tüte mit einer Gebäckmischung hoch, worauf noch lauter gelacht wird. Diese Situation ist so eine, in der ich auf keinen Fall sein wollte. Doch ich stehe auf, gehe zu der Frau, nehme die Kekstüte in Empfang, halte sie ebenfalls hoch und sage: „Muchas gracias Señora!“

Nun grölt der gesamte Speiseraum. Auf dem Rückweg zu unserem Tisch möchte ich im Boden versinken. Es ist typisch, dass europäische Touristen, die Höhe der Anden unterschätzen, oder besser gesagt, dass ich das unterschätzt habe. Mit der Meinung, unsere Kondition würde irgendwie reichen, lag ich falsch. Ich habe einige Triathlon-Wettkämpfe absolviert und bin seit drei Jahren ein Ironman, aber das ist hier eine andere Nummer. Es nützt einem nichts. Im Blut sind viel zu wenig rote Blutkörperchen vorhanden.

Die Verabschiedungen in der Kantine und beim Médico sind super nett. Wie selbstverständlich uns geholfen wurde, ohne Rücksicht auf die eigene Kasse - das ist mehr als Gastfreundschaft.

Mit vollem Bauch und gestilltem Durst steige ich stöhnend wieder auf das Motorrad. Die Schmerzen im Brustkorb sind mir durch einen früheren Unfall bekannt. Es waren damals zwei Rippen gebrochen. Der Begleitschutz bringt uns zum Eingang der Mine.

Es geht wieder Richtung Pazifik. Im Dunkeln erreichen wir in der Nähe der Panamericana, in Tierra Amarilla, ein schönes Hostel namens Atacamahospedaje.


Zwei Fischköppe in den Anden

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