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Zur Burg der Fairwings

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Das Frühstück besteht aus trockenem Brot und Käse, zu dem Cloe für alle einen Becher Tee herbeizaubert. Anschließend satteln sie die Pferde, kontrollieren ihre Waffen und führen die Tiere am Zügel durch den Durchgang. Hier halten sie und beobachten die gegenüberliegende Seite. Die Zugbrücke ragt wie ein mahnender Finger in die Höhe, soll sie das an die notwendige Vorsicht erinnern?

»Und wo hast du in der Nacht die Augen eines Wolfs gesehen?« Arawn blickt Cloe fragend an. Die Elfe deutet auf einen besonders hohen Felsbrocken.

»Schau nur, sind dort nicht die Spitzen zweier Ohren zu sehen. Und jetzt hat er einen schnellen Blick riskiert, sich aber sofort wieder geduckt.« Nicht alle haben diese kurze Bewegung bemerkt, doch der Führer der Fairwings bestätigt ihre Beobachtung.

»Das ist wirklich seltsam. So verhalten sich Wölfe normalerweise nicht!«

»Dahinter stecken bestimmt Dubharan. In meiner Heimat nutzen sie die Raubtiere oft, manchmal verwandeln sie diese auch in gefürchtete Kämpfer. – Kannst du nicht feststellen, ob sie von einem fremden Geist gelenkt werden?«

»Die Frage ist berechtigt. Als Spurenleser, der magische Fährten verfolgen kann, besitze ich die Fähigkeit, in die Gedanken anderer einzutauchen. Es ist ähnlich dem Vorgang, wie Zauberer untereinander den geistigen Kontakt herstellen.«

»Oder in die Träume anderer eingreifen.«

Der Fairwing blickt sie um Verzeihung bittend an. »Das geschah nur, weil ich auf der geistigen Suche nach möglichen Gefahren war. Dabei bemerkte ich einen Wolf, der sich aber als Traumgebilde herausstellte. Ich habe keinem deiner Gedanken nachgespürt, wirklich nicht.« Cloe glaubt ihm und bestätigt das sofort. Er freut sich darüber, obwohl sein Gesichtsausdruck bei den nächsten Sätzen eher verdrießlich wirkt.

»Wir werden weiter hier ausharren müssen, denn die grauen Räuber lassen unser Entkommen auf dem normalen Weg nicht zu. Ich kann zwar den magischen Sprung nutzen, doch das ist eine nur wenig ausgeprägte Fähigkeit. Ich könnte damit nicht uns alle retten. Außerdem soll die Fluchtburg auch später nutzbar sein. Deshalb muss die Zugbrücke herabgelassen werden, was sofort einen Angriff der Wölfe provozieren würde.«

»Das ist kein Problem«, beruhigt Cloe sofort. »Ich beherrsche den magischen Sprung gut und werde euch und die Pferde nacheinander ein Stück weit von hier fortbringen. Danach kehre ich zurück, lasse die Zugbrücke hinab und begleite euch dann zu Cian. Ich muss aber den Ort sehen können, zu dem ich euch bringen soll, da ich mich auf eurer Insel der Elfen nicht auskenne.« Zusammen mit Arawn umrundet sie die Fluchtburg, wobei sie nach einer geeigneten Stelle Ausschau halten. Da unzählige Steine und Felsbrocken rundherum verteilt liegen, finden sie keine passende.

»Ich bringe uns dorthin, wo ich euch bei der Verfolgung der zwei Wölfe getroffen habe«, schlägt Cloe vor.

»Die Idee ist gut«, bestätigt der Fairwing, »dort sind wir näher an unserer Heimat, als wenn du uns hier in der Nähe absetzt.« Beide kehren zu den anderen zurück und Cloe beginnt sofort, die Reiter mit ihren Pferden mittels Magie zu dem Gebüsch zu bringen. Als sie mit Arawn allein ist, lassen sie die Zugbrücke herunter.

Das laute Kreischen der Mechanik lockt die Wölfe sofort herbei. Sie werfen lauernde Blicke aus den Verstecken zwischen den Felsen zur anderen Seite hinüber. Zwei der Menschen führen ihre Pferde zum Abgrund und sitzen auf. Werden sie gleich über den Steg auf sie zukommen? Die Reiter halten ihre gefährlichen Bogen nicht auf sie gerichtet. Die Raubtiere sind gespannt. Sollen sie nicht warten, sondern über den Steg nach vorne stürmen? Im nächsten Augenblick wundern sich die Tiere, weil nach einem Glitzern die beiden Reiter verschwunden sind. Vorsichtig schleicht sich das erste Tier geduckt zur Zugbrücke und überquert sie dann schnell. Die anderen Wölfe folgen mit einigem Abstand. Sie schwärmen aus und durchstöbern das gesamte Areal, doch ohne Erfolg. Verständnislos schauen sie sich an, heben die Köpfe und jaulen ihre Enttäuschung laut heraus.

Währenddessen setzt sich Arawn neben die Spur, die die Wölfe in der Nähe des Gebüsches hinterlassen haben. Er schließt die Augen und konzentriert sich. Schließlich öffnet er sie wieder und bestätigt Cloes Verdacht.

»Du hast recht, die Tiere wurden von einem Magier hypnotisiert und über eine geistige Verbindung gesteuert. Diesen Zauberer kenne ich nicht. Ich könnte seiner Spur rückwärts folgen, um zu sehen, woher er gekommen ist. Soll ich?« Er schaut fragend zur Elfe, die sofort den Kopf schüttelt.

»Nein. Ich will zuerst zu Cian. Er muss dringend magische Hilfe bekommen, seine Verwirrtheit bereitet mir Sorgen. Danach können wir immer noch überlegen, diesem Magier zu folgen, oder verblasst die Spur zwischenzeitlich?«

»Natürlich lässt auch eine magische Spur nach, doch wesentlich langsamer als die Abdrücke deiner Füße im Sand. Keine Angst, die Spur können wir noch nach einigen Tagen verfolgen.« Jetzt sitzen alle Reiter im Sattel und treiben die Pferde mit einem Schnalzen an. Sie befinden sich auf dem Weg zur Burg der Fairwings, wo Cloe endlich Cian treffen wird.

Die Elfe reitet zuerst schweigend neben Arawn und lässt ihren Blick über die Landschaft schweifen. Es sieht hier kaum anders als zu Hause aus. Lediglich die Begrenzung von Weiden oder Grundstücken sind nicht zu sehen. Es gibt hier keine erkennbaren Grenzen, die mit Buschwerk, wie beispielsweise Weißdorn, oder durch Mauern aus aufgeschichtetem Bruchstein, abgesteckt sind. Das liegt daran, dass das Gebiet der Fairwings nicht besonders stark besiedelt ist. Es gibt zwar vereinzelte Bauernhöfe, doch die liegen viele Kilometer weit voneinander entfernt. Schafe und Kühe sind nirgends zu sehen, stellt sie überrascht fest. Die werden vermutlich näher an den Höfen und auf eingezäunten Wiesen gehalten, sonst wären sie leichte Beute für umherziehende Raubtiere.

Cloe unterbricht die Stille und fragt Arawn:

»Du hast vorhin gesagt, dass die Wölfe fremdgesteuert wurden. Kannst du mir erklären, wie diese Art Spurenlesen funktioniert?«

»Ich werde es versuchen, obwohl es nicht einfach ist.« Der Fairwing räuspert sich und blickt die junge Elfe an. »Du kennst den magischen Sprung und du beherrscht Hellsehen«, fasst er zusammen, was er bisher von ihr erfahren hat. »Du weißt sicher auch, dass Zauberer untereinander einen geistigen Kontakt herstellen können, was ihnen ermöglicht, sich auch über weite Entfernungen hinweg zu verständigen.« Er registriert ihr Nicken. »Nur wenige Zauberer beherrschen dagegen gezieltes Hellsehen, ich schon. Dabei werden Sequenzen aufgerufen, um herauszufinden, wo sich eine bestimmte Person befindet, oder was in dem Moment an einem bekannten Ort geschieht oder auch geschehen ist. Manchmal kann ich sogar etwas in die Zukunft sehen. Letzteres aber immer ungewollt, damit will ich sagen, dass ich das nicht steuern kann.«

»Heute Nacht bist du doch in meinem Traum gewesen, dabei hast du sozusagen meine Gedanken gelesen. Ist das nicht auch eine Art des geistigen Kontaktes, nur dass ich daran nicht bewusst teilgenommen habe?«

Der oberste Fairwing staunt. »Das ist richtig. Ich kann an einem Ort, an dem jemand gewesen ist, dessen Gedanken nachträglich aufspüren. Wenn ich dann durch gezieltes Hellsehen in seinen Geist eindringe, kann ich sogar Erinnerungen aufrufen und sozusagen lesen. Daher weiß ich, dass die Wölfe durch einen Magier hypnotisiert wurden. Dessen Gedankenspur könnte ich aufnehmen und ihm folgen. Sobald ich mich im Geist eines anderen Zauberers befinde, bekomme ich sogar mit, wohin er mittels magischen Sprung wechselt. Ich sehe dann diesen Ort mit seinen Augen. Dadurch ist es mir möglich, jedem Magier zu folgen, auch wenn er meint, sich durch Anwendung des Sprungs vor mir retten zu können.«

»Wow!« Cloe schweigt und muss das Gehörte erst einmal verdauen. »Und du sagst dazu lediglich, du vermagst Spuren zu lesen. Das ist eine völlige Untertreibung.«

»Du hast recht, es ist alles andere als einfach. Erstens muss die Fähigkeit dazu angeboren sein und zweitens musste ich viel üben, um diese Eigenschaft gezielt nutzen zu können. Besonders schwierig ist es, die Vielzahl an Eindrücken, die dabei auf mich einstürmen, auseinanderzuhalten, um nicht verwirrt zu werden.«

»Kann das jeder Zauberer erlernen?«

»Nur, wenn er die Eigenschaft dazu mit in die Wiege gelegt bekommen hat. Möchtest du probieren, ob du es vielleicht kannst?«

»Nein, lieber nicht. Das »normale Hellsehen« ist schon verwirrend genug. Obschon ich mir vorstellen kann, dass es hilfreich ist, wenn man einen gegnerischen Magier auch auf magischen Wegen verfolgen kann.« Cloe fällt in Schweigen. Sie grübelt darüber nach, dass sie Cian dadurch wesentlich einfacher und schneller hätte finden können.

Als sie nach der Mittagsrast wieder im Sattel sitzen, wendet sie sich erneut an Arawn.

»Du erwähntest, dass du ein Gestaltwandler bist. Wenn es dir nicht lästig ist, erklärst du mir, was das bedeutet?« Der Fairwing kraust kurz die Stirn, dann glättet ein feines Lächeln sie.

»Da ich dir auch verraten habe, wie das Spurenlesen funktioniert, warum nicht? Zauberer oder Magier können, je nach Größe ihrer Fähigkeiten unterschiedliche Dinge bewirken, sowohl gute, als auch böse. Sie vermögen mit Hilfe von Zaubersprüchen andere zu heilen oder sie krank zu machen, bis hin zum Töten. Sie können sich untereinander über große Entfernungen hinweg mittels Gedanken verständigen und ihren Aufenthaltsort wechseln, wenn ihnen der Zielort bekannt ist. Wenn ich erst einmal an einem Ort bin, wo sich derjenige aufgehalten hat, dem ich folgen will, fällt mir das als Spurenleser leicht.«

»Aber das«, unterbricht Cloe ihn, »hast du mir doch soeben schon erklärt. Was kann nun ein Gestaltwandler? Änderst du dein Äußeres?« Dieser Vorschlag der Elfe zaubert ein Grinsen auf das Gesicht des Mannes.

»Du bist offenbar etwas ungeduldig. Ein Gestaltwandler ändert sein Aussehen nicht! Er besitzt einige oder alle der genannten magischen Fähigkeiten in unterschiedlicher Stärke. Er vermag aber zusätzlich aus jeder Materie Gestalten heraufzubeschwören. Dazu mag ein Nebel genutzt werden, den er vorher sogar selbst erzeugt haben kann. Dieses Wesen, möglicherweise ein Löwe, ist jedoch kein harmloses Nebelgebilde oder Trugbild, sondern zum Zeitpunkt seines Erscheinens ein echtes, gefährliches Raubtier!«

»Das bedeutet also«, Cloe blickt ihn mit großen Augen an, »du könntest einen echten Drachen herbeirufen, der seinen Feueratem auf einen Gegner spuckt?« Die Elfe schaut ihn ungläubig an.

»Was du nur immer mit einem Drachen hast! Aber wenn ich das wollte, wäre es möglich.« Arawn nickt bestätigend. »Gestaltwandler sind unter Zauberern, auch bei denen der Elfen, sehr, sehr selten. Aus Aufzeichnungen in meiner Bibliothek weiß ich, dass es sie ursprünglich nur unter den Elfen des Westens und ihren Nachkommen gab. Das Oberhaupt dieser Elfen war gleichzeitig immer auch Gestaltwandler. Der Obere konnte als einziger einen Feuervogel hervorrufen.«

»Einen Feuervogel gibt es doch nur in Märchen«, beginnt Cloe und hält dann erschrocken inne. »Entschuldigung. Ich sollte wohl eher sagen, den gibt es bei UNS nur in Geschichten und Erzählungen!«

»Richtig, so wie es bei uns keine Drachen gibt!« Arawn ist keineswegs beleidigt. Er grinst und fährt mit seinen Erläuterungen fort.

»Dieser Feuervogel vermag jedes andere magische Wesen eines Gestaltwandlers zu vernichten. Er ist der Mächtigste unter ihnen. Seine scharfen Krallen oder sein gebogener Schnabel können aber auch jedem Zauberer gefährlich werden. Mit Magie ist er fast nicht zu bekämpfen, er ist nur kurzzeitig aufzuhalten, aber nicht zu vernichten.«

»Dieses magische Wesen ähnelt fast meinem Greif«, entfährt es Cloe. Sofort dreht sich Arawn zu ihr um.

»Was meinst du damit?« Die Elfe bereut ihre Gedankenlosigkeit. Warum hat sie nicht darauf geachtet, was sie sagt? Die vier Reiter hinter ihnen haben jedoch nichts von der Unterhaltung mitbekommen, da sie ebenfalls miteinander reden. Die Elfe überlegt, soll sie diesem sympathischen Herrscher ihr Geheimnis anvertrauen? Sie zögert nur kurz. Er ist bereitwillig auf ihre Wünsche eingegangen, da wäre es nicht nur unhöflich, sondern ein Zeichen von Misstrauen, wenn sie es ihm nicht gleichtäte.

»Ich vermag ein magisches Wesen, einen Greif, herbeizuzaubern.« Im nächsten Moment murmelt sie den Zauberspruch und schon schwebt die Gestalt aus blauem Licht über ihrer ausgestreckten Hand. Sie achtet darauf, dass nur der Fairwing neben ihr den Greif sehen kann, den anderen ist die Sicht versperrt.

»Wow. Also bist du auch ein Gestaltwandler? Du sagtest doch, deine Mutter war eine Südelfe und dein Vater einer des Ostens. Gibt es unter deinen Vorfahren welche aus dem Westen?« Die Elfe lässt vor ihrer Antwort das Wesen wieder verschwinden.

»Nein. Dies Geheimnis habe ich von meiner Mutter, die mit diesen Lichtwesen experimentierte.« Den letzten Teil flüstert sie fast, wobei sie den Tränen nahe ist. Als der Fairwing das bemerkt, schaut er sie nur fragend an, um dann seinen Blick nach vorne zu richten. Cloe ist ihm für das Taktgefühl dankbar. Erst nach längerer Pause stellt Arawn eine nächste Frage.

»Es gibt verschiedene Lichtwesen, die du hervorrufen kannst? Sind sie nur zum Anschauen oder möglicherweise auch gefährlich? Du sagtest, der Feuervogel sei wie dein Greif, also sind dessen Schnabel und Krallen scharf?«

»Danke, dass du mir Zeit gegeben hast. – Ja, ich kann verschiedene Wesen herbeirufen, auch einen Drachen. Und ja, obwohl die Größe ihrer Gestalt nicht dafürspricht, sind sie sogar sehr gefährlich! Ihre Abmessung kann zwar verändert werden, beeinflusst aber nicht deren Gefährlichkeit.« Nach mehrmaligem Schlucken fährt sie fort. »Meine Mom versuchte, einen Drachen zu kontrollieren, wobei dieses Wesen sie tötete.« Sie kann die Tränen nur mit Mühe zurückhalten, während sie erklärt, was passiert ist. Arawn nickt mehrfach. Er versteht nicht nur ihre Trauer, sondern auch, weshalb sie derart fixiert auf Drachen ist.

Der dritte Versuch Elfen und Menschen

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