Читать книгу Der dritte Versuch Elfen und Menschen - Norbert Wibben - Страница 13

Die alte Königsstadt

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Finn zweifelt, ob sein Freund wieder vollkommen hergestellt ist. Er befürchtet einen möglichen Rückschlag, eine erneut auftretende Vergesslichkeit. Soll er also besser bei Ryan bleiben? Andererseits sorgt er sich um die ihm anvertrauten Männer der Eliteeinheit. Nach längerer Diskussion wechselt er doch allein zu seinen Kämpfern, nimmt dem Freund aber das Versprechen ab, sich bei dem kleinsten Zeichen von Gedächtnisschwäche mit ihm in Verbindung zu setzen.

In der alten Königsstadt laufen die Vorbereitungen zur Abwehr des bevorstehenden Angriffs der Dubharan auf Hochtouren. Harald, der Kommandeur der Stadtsoldaten, ist froh, dass Ryan ihn unterstützt. Sie decken Schäden in den Verteidigungsanlagen auf und beheben sie. Der Elf erreicht mit Zauberkraft mehr, als die vorhandenen, unzureichenden Hilfsmittel leisten können. Die Stadtmauer umschließt die Stadt nicht mehr an allen Stellen. Die Lücken werden innerhalb weniger Tage geschlossen, was ohne den Elfen Wochen gedauert hätte.

Die Bewaffnung der Soldaten ist in gutem Zustand. Da aber Freiwillige in großer Zahl die Kämpfer unterstützen wollen, benötigen sie zusätzliche Waffen. Mit »Renovo« richtet Ryan ausgemusterte, schartig oder stumpf gewordene Exemplare. Trotzdem arbeiten die Schmiede mit Eifer an der Herstellung von neuen Schwertern und Speeren. Auch die Bogenmacher und Pfeilhersteller sind rund um die Uhr beschäftigt. Der Vorrat an Geschossen kann nicht groß genug sein, um das riesige Heer abzuwehren, ist der Elf überzeugt. Deshalb bringt er mittels magischem Sprung immer wieder Nachschub an geeigneten Zweigen aus den Wäldern der weiteren Umgebung der Stadt. Hilfe bekommt er dabei von vielen jungen Männern. Die Befiederung der Schäfte erfolgt mit Federn von Gänsen und Krähen, die in Unmengen benötigt und von Kindern gesammelt werden.

Die mit dem Kriegshandwerk nicht vertrauten Stadtbewohner üben sich im Umgang mit den ungewohnten Waffen. Außerhalb der Stadtmauern trainieren die wenigen, die über ein Pferd verfügen. Sie handhaben Lanzen oder Pfeil und Bogen, um Angriffe auf andere Berittene, aber besonders auf Kämpfer zu Fuß, zu üben, da das Heer der Dubharan vornehmlich aus Fußsoldaten besteht. Harald beobachtet diese Männer mit Kopfschütteln. Die verbleibende Zeit bis zum erwarteten Angriff ist nicht ausreichend. Bis auf einzelne Ausnahmen befinden sich unter den ungeübten Städtern keine Männer, die für den Kampf außerhalb der Mauern geeignet sind. Der Kommandant entscheidet deshalb, dass sie sich nur im Umgang mit Pfeil und Bogen üben sollen. Sie werden von der Stadtmauer herab und im Schutz der Wehrgänge stehend, in die Reihen der Angreifer schießen. Selbst wenn nicht jeder Schuss tödlich sein wird, kann allein die Vielzahl der Bogenschützen für Verwirrung unter den Gegnern sorgen. Der Nahkampf soll den Stadtsoldaten und den hoffentlich bald eintreffenden Unterstützern der Mittel- und Nordelfen, aber auch den Menschen aus dem Norden, vorbehalten sein. Es nützt nichts, wenn die Stadtbevölkerung voller Mut und Verzweiflung gegen den Feind anrennen, um von diesem mit Leichtigkeit getötet zu werden.

Einige wenige Frauen gehören zu den neuen Bogenschützen, doch die meisten sind damit beschäftigt, Vorräte zu backen, Stoffbahnen zu bald benötigtem Verbandsmaterial zu zerschneiden und Salben und Kräuter bereitzulegen. Außerdem füllen sie jedes dafür geeignete Gefäß mit Wasser, die schon bald überall zu sehen sind. Sie werden dringend benötigt, um mögliche Feuer der Dächer und in den Häusern schnell zu löschen. Brandpfeile und Feuerbälle sind eine ernstzunehmende Gefahr. Sorgen bereiten Ryan und dem Kommandanten besonders die dunklen Magier, die sich bei dem Heer befinden. Ryan und Finn wissen nicht sicher, wie viele dieser Zauberer ihnen gegenüberstehen werden, das konnten sie nicht feststellen, als sie diese belauschten. Normale Waffen nutzen nichts gegen magische Flüche, nur eigene Zauberer können helfen, sie abzuwehren. Leider gibt es in der Stadt derzeit nur einen Elfen mit ausreichenden Fähigkeiten, und einen zweiten, der seine Elitetruppe herbeiführt. Ob das reichen wird? Ryan denkt kurzzeitig an das Drachenwesen, dem vor Jahren nicht nur der Onkel Finns zum Opfer gefallen war. Sollte dieses Untier hier auftauchen, werden sie den Ansturm der Dubharan kaum erfolgreich zurückweisen können.

Während des geschäftigen Treibens in der Königsstadt, führt Finn seine Kämpfer nordwärts. Er erfährt von Aelfric nichts Neues über den seltsamen Beobachter. Die Reiter bilden mit etwas Abstand zueinander Viererreihen. Sie sind unruhig, weil ihnen der zweimal bemerkte, feindliche Magier immer noch folgen könnte. Doch in der letzten Nacht ist er wohl nicht in ihrer Nähe gewesen, sie entdeckten am Morgen jedenfalls keine fremden Spuren. Finn nutzt heute sogar die Fähigkeit, sich in einen Kolkraben zu verwandeln. Er umkreist seine Einheit hoch in der Luft und zieht den Radius immer größer, ohne dass ihm ein Reiter auffällt. Sollte der Fremde sein Vorhaben aufgegeben haben? Trotzdem bleiben die Elfen vorsichtig, was sich als sehr berechtigt herausstellt.

Der nächste Tag beginnt als nebliger Morgen. In der Luft erklingt hin und wieder das Krächzen einer Krähe. Wie Moorgeister wirken die vor und neben ihnen auftauchenden Wacholderbüsche, während sich die Elfen mit ihren Reittieren vorsichtig im Schritt vorwärtsbewegen. Bei der eingeschränkten Sicht wollen sie vermeiden, dass sich die Pferde die Beine brechen, wenn sie über ein unerwartetes Hindernis stürzen. Außerdem könnten sie unerwartet auf feindliche Krieger stoßen, auch wenn das dritte Heer noch nicht hier sein kann.

Allen Reitern stellen sich die feinen Härchen im Nacken auf. Hier stimmt doch etwas nicht! Sollten Zauberer in der Nähe sein, die sich durch die kleinen Wassertröpfchen in der Luft gegen zufällige Beobachtung schützen wollen? Jetzt hebt Finn seine rechte Hand und fordert die Krieger auf, anzuhalten. Er hält einen Finger vor den Mund. Das Zeichen wird an alle weitergegeben. Nach einem bestätigenden Nicken ihres Führers wissen sie, er hat ein verdächtiges Geräusch gehört. Einige Pferde schnauben. Sofort halten alle Reiter ihnen kurz die Hand auf die Nüstern. Die Tiere verhalten sich jetzt völlig still, so sind sie trainiert worden. Ihre Ohren spielen scheinbar, drehen sich hierhin und dann dorthin. Sollten sie auch etwas hören? Jetzt lauschen nicht nur Finn und Aelfric. Kurz darauf vernehmen alle das Geräusch, das zuerst nur ihrem Führer aufgefallen war. Es ist das leise Klirren von Metall und könnte von Waffen stammen, so wie es entsteht, wenn sie zufällig gegeneinanderschlagen. Finn rätselt. Sollte das Heer der Dubharan dafür verantwortlich sein? Könnte es sich denn schon soweit im Norden befinden? Er hat mindestens einen Tag mit der Suche nach Ryan verloren, andererseits hat Aelfric in der Zeit nicht getrödelt. Er führte die Eliteeinheit weiter in Richtung der Königsstadt. Da sie außerdem reiten, müssten sie schneller als die Krieger der Dubharan sein, die zu Fuß herannahen. Pferde sind ihm bei der Beobachtung keine aufgefallen, aber das muss für Zauberer ja nichts heißen!

Was verursacht also das Klirren? Die Nebelschwaden sind dermaßen dicht, dass er kaum freie Sicht hat. Geräusche können in diesem Dunst zwar auch etwas verfälscht, dafür aber sehr weit getragen werden. Er muss deren Ursprung ermitteln, um seine Männer zu schützen. Finn verwandelt sich erneut in einen Kolkraben und steigt hoch in die Luft. Sobald er die Nebelschicht durchstößt, erblickt er einen Krähenschwarm, der sich seitwärts von ihrer eingehaltenen Richtung befindet. Schnell fliegt er auf sie zu. Vermutlich kann er dort entdecken, was sie aufgescheucht und die Geräusche verursacht hat. Sobald ihn die anderen schwarzen Vögel erblicken, bilden sie eine Angriffsformation. Sie betrachten ihn offenbar als Eindringling und wollen ihr Gebiet verteidigen. Es sind zwar nur fünf Gegner, die als Saatkrähen noch dazu kleiner als ein Kolkrabe sind, doch sie können ihm ernstlichen Schaden zufügen! Es ist gut, dass er Magie beherrscht. Finn warnt die Vögel, doch als sie ihn nur krächzend auslachen, schickt er einen heftigen Windstoß auf sie. Sie werden wie Federbälle durcheinandergewirbelt und bekommen danach sofort den Vergessenszauber »Anghofio« verpasst. Völlig verwirrt wenden sie einander stumm ihre Köpfe zu. Als Finn sie jetzt mit lauter Stimme knarzend auffordert, zu verschwinden, klappern sie mit den Augendeckeln und machen sich davon. Der Elf ist erleichtert, ihnen keinen Feuerball oder einen ähnlich gefährlichen Spruch verpasst zu haben.

Jetzt befindet sich Finn etwa dort, wo die Krähen soeben waren und setzt zum Sinkflug an. Sofort ist seine Sicht stark eingeschränkt. Der Nebel scheint hier sogar noch dichter zu sein. Vorhin war der Elf durch die anderen Vögel abgelenkt, aber jetzt ist der metallene Klang viel deutlicher zu hören. Ja, das wird eindeutig von einem Schwert, besser gesagt von mehreren verursacht. Finn flattert aufgeregt mit den Flügeln und bremst das Sinken ab. Obwohl er in seiner augenblicklichen Gestalt kaum für einen Gegner gehalten werden wird, möchte er nicht über denen erscheinen, die für das Geräusch verantwortlich sind. Sollten dort unten Magier der Dubharan reiten, denn er hört deutlich das Stapfen von Pferdehufen, könnten sie ihm aus reinem Übermut einen Fluch auf den Pelz schicken.

»Das ist natürlich nicht wörtlich gemeint, denn ich habe jetzt ein schönes Federkleid, aber ich schraube mich wohl besser in einer Spirale abwärts.« Finn krächzt kollernd, er klingt, wie ein typischer Rabe. Vorsichtshalber ruft er seinen magischen Schutz mit »Protego« und »Sgiath« auf. Der geflogene Durchmesser ist nicht besonders groß, aber er reicht aus, um den gewünschten Erfolg zu erzielen. Der schwarze Vogel landet auf einem großen Wacholderbusch und täuscht vor, dessen Früchte naschen zu wollen. Dabei sind seine Augen auf die fünf Reiter gerichtet, die soeben aus dem Dunst auftauchen. Sie halten gespannte Bogen in Händen und tragen schwarze Umhänge, unter denen lange Schwerter hervorlugen. Diese Waffen schlagen immer wieder gegen Schilde, deren Randverstärkung aus Metall ist. Sie verursachen das Geräusch, das Finns Aufmerksamkeit erregt hatte. »Was sind das denn für dumme Krieger? Wenn sie heimlich unterwegs sind, sollten sie besser für Ruhe sorgen. Oder fühlen sie sich so sicher?«, grübelt er, als sich seine Augen weit öffnen. Hinter ihnen ist jetzt ein Mann zu erkennen, den er zusammen mit Ryan in der längst vergangenen Nacht belauscht hatte. Es ist der Anführer des dritten Heeres der Dubharan! In seiner Begleitung befinden sich zwei der dunklen Zauberer, die wie er keine Schwerter tragen. Er erkennt sie an den Mondsymbolen auf ihren Umhängen. Den Magiern folgen wiederum fünf Reiter, die wie die vorderen bewaffnet sind. Jetzt sind zusätzlich sechs Wölfe zu sehen, die ihren Abschluss bilden. Finn ist sich sicher, das ist die Vorhut des großen Heeres. Vorneweg laufen vermutlich weitere Wölfe, vielleicht sogar auch an den Seiten der kleinen Truppe. Als der Nebel alle wie einen heimlichen Spuk wieder verschlungen hat, verliert er keine Zeit. Er muss zu seinen Kämpfern und sie weiter entfernt zu diesem Verband zur Stadt führen. Gegen drei Magier der Dubharan anzutreten, traut er sich nicht zu, da ist es besser, einen kleinen Umweg zu reiten. Bevor er den magischen Sprung zu seiner Truppe nutzt, nimmt er eine Gedankenverbindung zu Ryan auf, die sofort zustande kommt.

»Was ist los?« Sein Freund rechnet offenbar mit schlechten Nachrichten, da er längere Floskeln weglässt.

»Eine Vorhut der Dubharan reitet zur Stadt. Drei Magier, zehn Schwertkämpfer und mehrere Wölfe.«

»Die machen mir keine Angst.«

»Die nicht, aber die anderen werden sicher bald folgen. Also nehmt euch in Acht!«

»Du auch. Wir können uns hinter dicken Mauern verschanzen, aber ihr habt nur eure Schnelligkeit und eure Schilde.«

Im nächsten Moment trennen sie die Verbindung. Finn befindet sich jetzt bei seinen Elfen, wandelt sich zurück und kleidet sich an. Dann berichtet er, was er gesehen hat.

Der dritte Versuch Elfen und Menschen

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