Читать книгу Anna Q und das Erbe der Elfe - Norbert Wibben - Страница 12

Eine Erklärung

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»Du sagtest, du willst dich melden!« Die krächzende Stimme ist zwar leise, aber Anna schreckt beim ersten Ton hoch. Nach der Unterhaltung mit Iain Raven und Morwenna Mulham war es spät geworden, trotzdem hatte sie sofort nach ihrer Rückkehr versucht, Kontakt zu ihrer Freundin aufzunehmen. Bereits im Aufrichten antwortet sie auf den leisen Vorwurf.

»Ainoa. Bitte glaube mir, ich habe das mehrfach probiert!« Im Zimmer ist es bis auf das geringe Mondlicht, das bleich durchs Fenster hereinscheint, dunkel. »Solus! Solus! SOLUS!«, versucht das Mädchen, eine Lichtkugel aufzurufen. Es möchte die Freundin besser erkennen, die als dunkler Schemen zu sehen ist, der auf der Rückenlehne des Schreibtischstuhls hockt. Annas dritter Ausspruch ist lauter als geplant.

»Mach nicht so einen Lärm!«, fordert die Elfe, die Freundin imitierend. »Denk an deine Zimmernachbarn. Du weckst sie sonst noch. Solus!« Dieses Mal erscheint ein Licht, das als Kugel zu Zimmerdecke schwebt.

»Hat mein Spruch jetzt eine verzögerte Wirkung?«

»Davon habe ich nie gehört. Nein, das Licht habe ich aufgerufen!« Ainoa plustert das Gefieder und klappert mit den Augendeckeln. »Bist du krank oder warum scheinen deine magischen Fähigkeiten plötzlich so schwach zu sein?«

»Wäre das eine mögliche Erklärung?« Anna schaut skeptisch zu dem schwarzen Vogel. »Ich fühle mich aber kein bisschen krank. Ich bin nicht fiebrig und habe keine Kopfschmerzen. – Halt. Aber etwas finde ich komisch. Noch im Sommer habe ich mehrfach Migräneattacken gehabt, seitdem jedoch nicht mehr. Sind meine magischen Kräfte dafür die Ursache? Dann muss ich damit rechnen, schon bald wieder unter diesen fürchterlichen Kopfschmerzen leiden zu müssen.« Der Kolkrabe legt den Kopf schräg.

»Ich kenne einen Grund, warum du keine weiteren Migräneanfälle hattest. Du hast sie erst seit wenigen Jahren gehabt, richtig? Also erst, seit du zehn bist? Das ist gut, dann wird meine Vermutung passen.«

»Jetzt spann mich nicht auf die Folter! Wie lautet deine Erklärung?«

»Du erinnerst dich doch bestimmt an das erste Mal, als ich dich mit in die Anderswelt genommen habe.«

»Natürlich. Das war das Aufregendste, das ich bis dahin erlebt hatte. Das vergesse ich sicher nie. – Aber ich dachte, die Besuche in eurer Welt seien die Ursache für meine wachsenden Zauberfähigkeiten.«

»Das meinte ich damit nicht. – Wie ging es dir nach dem ersten Wechsel dorthin?«

»Sau schlecht. Ich war sehr benommen und konnte mich nicht vom Lager aufrichten, zuerst nicht einmal sprechen oder die Augen öffnen. Du hast mir schließlich geholfen.«

»Genau. Und jetzt kommen wir zur Erklärung. Ich habe dir mit »Beatha« etwas von meiner Lebensenergie übertragen …«

»Du meinst?«

»Nein, oder, vielleicht doch, aber eher nur minimal.«

»Kannst du dich weniger verworren ausdrücken?«

»Hey, ich versuche das doch. Die übertragene Lebensenergie kann dir möglicherweise auch etwas geholfen haben, aber ich vermute eher, dass eigentlich »Renovo« dafür verantwortlich ist, der Erneuerungszauber. Den hatte ich abwechselnd mit der Übertragung von Lebensenergie über dich gesprochen.«

»Davon habe ich damals nichts mitbekommen. Ich erinnere mich aber, dass du diesen Spruch nutztest, nachdem du mich aus dem Stamm der Weide befreit hast, du weißt schon, im Tal des eiligen Wassers.«

»Daran erinnere ich mich. Aber worauf ich hinauswill, der »Renovo«-Zauber hat die Migräne vertrieben, soweit ich das beurteilen kann, für immer!«

»Hey, das ist dann ja ein Spruch, der in vielen Situationen von Vorteil ist.«

»Richtig. Er hilft, wenn ein erster magischer Sprung daneben gegangen ist, setzt Gegenstände und Lebewesen in einen vorherigen, unbeschädigten Zustand zurück …«

»… und richtet zerzauste oder verbrannte Federn …«

»…, wenn mir ein Feuerdrache zu nahe gekommen ist. Stimmt!« Die Freundinnen lachen leise, dann sendet Ainoa eine Korrektur. »Das könnte aber auch »Salvus« bewirkt haben, der Heilungszauber. Den hatte ich im Tal der Weiden zusätzlich auf dich angewandt. Wenn du nach deinem ersten Besuch in meiner Welt noch einen Migräneanfall hattest, dann habe ich dich unbewusst erst später geheilt.«

»Ich bin mir nicht sicher – aber das ist letztlich egal. Wichtiger scheint mir, herauszufinden, warum unsere Verbindung so schwierig zustande kommt. Liegt es an den schwindenden Zauberkräften auf meiner Seite? Denk nur an den misslungenen Versuch, eine Lichtkugel aufzurufen!« Die Freundinnen schweigen, grübeln über dieses Problem, kommen aber auf keine Lösung.

»Du wolltest, dass ich zusammen mit dir nach der Ursache für die Ausbreitung des Eises im Norden forsche«, beginnt Anna nach geraumer Zeit. »Warum sollen wir das machen? Es ist nicht so, dass ich Angst hätte, dich zu begleiten, aber ich habe keine Ferien und kann dem Unterricht nicht einfach fernbleiben. Einen Tag oder zwei könnte ich zwar ermöglichen, aber dann muss ich wieder teilnehmen, um die Jahresabschlussprüfungen bestehen zu können.«

»Hey. Das verstehe ich, obwohl das keine Schwierigkeit ist.«

»Wie, kein Problem? Wenn ich bei den Lehrveranstaltungen fehle, bekomme ich den Lehrstoff nicht mit. Ich könnte zwar versuchen, das aus den Büchern nachzuholen, aber das ist nicht das Gleiche, weil die Erläuterungen durch den jeweiligen Lehrer fehlen.«

»Das ist kein Hinderungsgrund. Trotz unserer Suche in der Anderswelt ist deine Teilnahme am Unterricht normal möglich.«

»Ich kann … Nein, wie soll das gehen? Gleichzeitig an zwei Orten zu sein ist physikalisch unmöglich!«

»Nun, nicht direkt zeitgleich, oder möglicherweise doch? Ich kann es dir nicht genau erklären, aber mir scheint das mit den zwei Orten doch nicht zu abwegig zu sein.«

»Was? Wenn ich Dad das zu erklären versuche …«

»Der ist Wissenschaftler, wie ich wohl weiß. Trotzdem würde er mir zustimmen, dass das mit den zwei Orten nicht völlig unmöglich ist. Warte. Ich erkläre es dir. Erinnerst du dich, dass ich Einfluss darauf habe, zu welchem Zeitpunkt ich dich nach einer Reise in unsere Welt zurück nach hierher bringe? Aha, du beginnst zu begreifen, worauf ich hinaus will.«

»Du nimmst mich mit und bringst mich nach unserer Forschung im Norden zur gleichen Zeit ins Internat zurück, zu der wir starteten.«

»Genau, ab dem Punkt der Rückkehr befindest du dich trotz der physikalischen Unmöglichkeit, an zwei Orten gleichzeitig, zumindest so lange, wie du in der Anderswelt weilen wirst. Dieses Paradoxon wird real, weil es in zwei Welten geschieht, wodurch kein Widerspruch an sich entsteht.«

»Dass das grundsätzlich möglich ist, habe ich bereits erlebt. Hm. Was ist aber, wenn mir in deiner Welt ein Unglück widerfährt?«

»Falls es ein tödliches Ereignis ist, wobei ich hoffe, dass es nie dazu kommt, würdest du von mir oder einer anderen Elfe zurückgebracht werden. In allen weiteren Fällen könntest du zurückkehren, nachdem wir dich gesund gepflegt hätten, so dass niemand davon erfahren wird. Es sei denn, du würdest darüber berichten.«

»Soweit verstehe ich das, obwohl mein Vater im ersten Fall besonders vom Schulleiter eine Erklärung fordern würde. – Was passiert eigentlich, wenn ich in einer Zeitschleife stecke? Wenn ich beispielsweise im Nebelwald nicht den Weg hinausfinden könnte. Verändert sich die diesseitige Welt dann nicht mehr, bleibt quasi eingefroren, wo sie bei meinem Wechsel in die Anderswelt steht? Das wäre sozusagen erforderlich, damit ich irgendwann mittels Zeitsprung genau zu diesem Zeitpunkt zurückkehren könnte. – Ich glaube, darüber sollte ich bei nächster Gelegenheit mit Dad diskutieren. Vielleicht findet er eine Erklärung. Hm. Vorher müsste ich ihm allerdings von deiner Welt und unseren Abenteuern berichten. Das möchte ich eigentlich nicht, um ihm keine unnötigen Sorgen zu bereiten.«

»Du hast ihm bisher nichts von uns erzählt?« Ainoas Erstaunen ist groß. »Warum nicht? Habt ihr euch seit deinem ersten Abenteuer in der Anderswelt nicht gesprochen? Du sagtest doch, du hättest mit ihm telefoniert.«

»Nicht nur das, er war zum Jahreswechsel sogar hier. Ich wollte aber nicht riskieren, dass er mir weitere Reisen zu euch verbietet. Deshalb sagte ich lieber nichts.« Der schwarze Vogel klappert mit den Augendeckeln. Er setzt mehrfach an, etwas zu sagen, schluckt es dann aber wieder hinunter. Schließlich fragt Anna erstaunt: »Was ist? Welchen Rat willst du mir geben?«

»Woher weißt du?«

»Weil du dir unsicher bist, wie ich darauf reagiere, was dir sozusagen auf der Zunge liegt. Darum zögerst du. Und deshalb glaube ich, es könnte ein Rat sein.«

»Du vermutest richtig. Nun denn, ich will es wagen. Du verhältst dich wie ein kleines Kind. Halt. Bitte warte, bis ich fertig bin. Wenn du ihm nicht erzählst, was du machst, kann er es nicht verbieten. Warum meinst du, würde er das wollen? Könnte er es nicht genauso gut erlauben oder zumindest deine Absicht dabei verstehen?«

»Er würde es nicht erlauben, weil es gefährlich ist und er sich um mich sorgt.«

»Es ist sogar hochgefährlich! Aber du nimmst ihm die Möglichkeit, dir seine Gedanken dazu mitzuteilen. Warum glaubst du zu wissen, dass er mit Verboten reagiert?«

»Weil ich das vermutlich so machen würde! Der Schutz eines lieben Menschen scheint mir wesentlich wichtiger, als ihm den Willen zu lassen.«

»Merkst du nicht, dass du ihm damit seinen eigenen Willen nimmst? Jetzt schau nicht so verwirrt. Du verhinderst, dass er sich dazu äußern kann, weil du etwas fürchtest, was so nicht einmal eintreten muss.«

»Ich weiß aber, wie ich reagieren würde, deshalb gehe ich davon aus, dass …«

»Du gehst davon aus. Richtig. Aber du weißt es nicht! Ist dein Vater sonst so herrschsüchtig, verbietet er dir etwas, ohne darüber eine Diskussion zuzulassen? Nein? Dann ist das, wie du dich verhältst, lediglich ein Beweis dafür, dass du noch ein Kind bist.«

»Das bin ich nicht! Ich bin inzwischen zwölf Jahre alt, weshalb Dad mich hier besucht hat.«

»Jetzt schau nicht so böse. Ich möchte dir nur sagen, dass du mit diesem Verhalten ausdrückst, wie wenig du deinem Vater vertraust. Erzähle ihm alles, was du erlebst. Teile ihm die Gründe für dein Handeln mit und was du dabei fühlst. Selbst wenn er so reagiert, wie du vermutest, bin ich überzeugt, er wird es wichtig finden, dir deine eigenen Entscheidungen zu überlassen. Das bedeutet aber auch, du musst ihm die Möglichkeit geben, seine Meinung zu äußern und sie möglicherweise zu ändern.«

»Ich habe unbegrenztes Vertrauen in ihn. Er hat mich großgezogen, zusammen mit Großmutter. Ich erzählte ihm früher alles, was ich erlebt habe. Das hier ist aber etwas anderes.«

»NEIN! Das ist es nicht! Versprich mir, ihm von deinen Abenteuern bei uns zu berichten. Das machst du am besten gleich, nachdem ich dich von unserer Reise in den Norden zurückbringe.«

Annas Stirn ist gekraust. Sie denkt darüber nach, was Ainoa ihr soeben sagte. Ob sie es will oder nicht, sie kommt zum gleichen Ergebnis wie die Elfe.

»Einverstanden. – Wann soll es losgehen? Am besten jetzt. Da es Nacht ist, fällt mein Fortgehen nicht auf.« Sie springt aus dem Bett und kleidet sich an. Im ersten Moment denkt sie an den Elfenwald und den beständigen Frühling dort, dann erinnert sie sich daran, was die Elfe ihr berichtet hat. Dort liegt inzwischen Schnee! Deshalb zieht sie schnell ihre dicke Daunenjacke an und streckt einen Arm aus. Ainoa flattert darauf und blickt die Freundin mit schräg gelegtem Kopf an.

»Wollen wir? Also los. Portaro!« Es flirrt bläulich, dann ist das Zimmer verlassen.

Anna Q und das Erbe der Elfe

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