Читать книгу Schlampe, Opfer, Schwein. - Norma Rank - Страница 7
MESSE
ОглавлениеWährend in Paris und New York halb verhungerte Models über den Laufsteg staksten, stand bei uns die „in fashion munich“ auf der Praterinsel vor der Tür – eine europäische Modemesse und Höhepunkt des Jahres für alle Modeinteressierten.
„K-Messe“ betreute dort nicht nur diverse Kunden, sondern war über eine gewonnene Ausschreibung auch bei der Vorbereitung am Gesamtkonzept intensiv beteiligt. Extravagante Labels und Designer aus den Bereichen Casual, Street Fashion und Dressed up beabsichtigten, dem Fachpublikum ihre neuesten Kollektionen zu präsentieren. Zu diesem Schauspiel gehörten natürlich ein in Szene gesetzter Catwalk und ein aufwändiges Drumherum.
Die Praterinsel, eine Insel in der Isar, wurde schon seit Langem den schönsten Veranstaltungsorten Münchens zugeordnet und gliederte sich zwischen dem Deutschen Museum und dem Maximilianeum ein. Das stilvolle Ambiente einer niveauvoll restaurierten alten Fabrikhalle mit einem prächtigen Innenhof und die zentrale Lage hatten bereits in der Vergangenheit die Lifestyle-Orientierten von nah und fern herbeigelockt.
Das prophezeite nicht nur, dass viel Arbeit auf Erledigung wartete – wir hatten Hochsaison von jetzt auf gleich. Nach meiner Einarbeitung und der bestandenen Probezeit wurde ich jetzt erstmalig richtig gefordert und ins kalte Wasser geworfen. Doch bei einem Großprojekt wie diesem mit dabei zu sein, war einfach gigantisch und machte wirklich Spaß. So brauchte es beispielsweise für den Accessoire-Bereich einige Stände, die ich eigenhändig mit entwarf. Und dass man mir als Frischling eine solche Chance bot, war keine Selbstverständlichkeit. Emsig machte ich mich ans Werk, und die Entwürfe bestachen bereits am Monitor in der zweidimensionalen Darstellung. Wie würden sie erst aussehen, wenn sie fertig gebaut waren?
Aber bis dahin war noch furchtbar viel zu tun. So galt es unter anderem dafür zu sorgen, dass sich eine Firma wie „Light & Sound“ an die Vorgaben hielt und einen guten Job ablieferte, denn die Ausleuchtung des ganzen Spektakels musste perfekt funktionieren. Für die Zeit vor und nach den Shows hatten wir eine Sängerin engagiert, die einen eigenen Raum für ihre Garderobe forderte, aber auch hier war eigentlich der Ton das A und O. Dann musste ich Lieferanten für die verschiedensten Materialien auftreiben, die für die Extras an den Ständen vorgesehen waren, und diese kurzfristig bestellen. Und, und, und.
Ein Rädchen griff ins andere, und alles passierte irgendwie gleichzeitig. Mir schwirrte der Kopf, während ich stundenlang mit einer Werbeagentur stritt, die es einfach nicht schaffte, den richtigen Farbton für die Plakatwände zu finden, oder mich mit den Sponsoren herumkabbelte, die trotz unterschriebener Verträge nach wie vor um jeden Cent feilschten.
Es gab also allerlei Nebenkriegsschauplätze, die dafür sorgten, dass es spannend blieb. Zwar wurden Überstunden geschoben und auch am Wochenende geschuftet, weswegen ich meine sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzierte, aber die Vorfreude auf die bevorstehende Eröffnung tröstete mich schnell darüber hinweg.
Wie ich hörte, lief Helga für MARIMEKKO und seine finnischen Designer, die aufgrund ihrer Farbenpracht und ihrer stofflichen Vielfalt bereits im ganzen Land bekannt waren. Sie sollte dem Publikum die neueste Kollektion vorstellen und die Einzelanfertigungen progressiv-avantgardistischer Strömungen ankurbeln.
Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass mir das nichts ausmachte. Es machte mir nämlich etwas aus! Da nützte auch das Insiderwissen darüber nichts, dass ihr diese Ehre nur deshalb zuteilwurde, weil das vorgesehene Mannequin mit einem Magengeschwür in der Klinik lag und ihr Agent zu den Finnen einen guten Draht hatte. Natürlich wollte ich mir ihren Lauf nicht entgehen lassen, aber da war noch etwas anderes: Auch Mark würde da sein, sie sehen und ihre Schönheit kaum leugnen können.
Und nun war ich diejenige, die mit dem lähmenden Gefühl grenzenloser Eifersucht zu kämpfen hatte. Ein Gefühl, das unpassender nicht hätte sein können! Aber so sehr ich auch versuchte, dagegen anzukämpfen, es gelang mir nicht, meine Besorgnis unter den Teppich zu kehren. Doch Besorgnis weshalb? Weil ich neben Helga sichtbar schlechter abschnitt? Weil ich nicht halb so sexy war wie sie? Weil ich die Tricks nicht kannte, mit denen man die Leute verzauberte? Ganz genau – genau aus all diesen Gründen!
Die Tage vor Beginn der Messe arbeitete unsere Abteilung mit den Monteuren aus dem Rückgebäude vor Ort Hand in Hand auf Hochtouren, um die Umsetzung der Entwürfe in Echtgröße zu betreuen und da zu helfen, wo Not am Mann war. Das bedeutete: viel kalter Kaffee aus Pappbechern und haufenweise labbrige Wurst- oder Käsesemmeln. Selbst mein nicht besonders verwöhnter Magen, der sich hauptsächlich mit Fast Food auseinanderzusetzen pflegte, wehrte sich nach der dritten Semmel gegen diese Art von Nahrung.
Ansonsten gab es Arbeit, Arbeit, Arbeit, wir nahmen Maß, klebten Folien und kletterten auf Leitern herum. Obwohl man von uns erwartete, rund um die Uhr zu ackern, muss ich sagen, dass wir durchaus unseren Spaß hatten. Die Atmosphäre war weit gelassener als in den Büroräumen, und die Abwechslung tat uns allen gut – wenngleich ich Christoph nach wie vor aus dem Weg ging.
Die verschiedenen Aufgabengebiete und die große Fläche des Events veranlassten uns dazu, mehrere Teams zu bilden. Mark hingegen, der die „Oberaufsicht“ hatte, teilte sich auf und unterstützte in jedem Bereich. Lächerlicherweise vermisste ich ihn, sobald er aus meinem Sichtfeld verschwand. Deshalb freute es mich umso mehr, dass er regelmäßig vorbeischaute. Bevor er wieder abzog, tippte Mark sich mit einem vielsagenden Blick unauffällig an die Brusttasche, die eine Schachtel Zigaretten nur mühsam verbarg, um mir zu signalisieren, dass es Zeit für eine Zigarettenpause war.
Wenn wir dann so paffend beieinander standen, machte er Bemerkungen wie: „Blöd, dass ich nicht in deinem Team bin!“ Oder: „Jetzt haben wir uns schon eine halbe Stunde nicht gesehen!“ Das zeigte mir, dass er meine Nähe nicht zufällig suchte, was mich natürlich freute. Zwar war es mittlerweile keine große Überraschung mehr, dass Mark sich aus irgendeinem Grund zu mir hingezogen fühlte, aber die Selbstverständlichkeit, mit der er damit umging, gefiel mir trotzdem.
Es war großartig, dabei zu sein und zu erleben, wie aus den Miniaturmodellen reale Bauten wurden, deren Optik und Anmutung sich von allem unterschied, was ich je gesehen hatte.
Außerdem lernte ich Marion etwas besser kennen, einen weiteren Charakter in diesem Buch, den ich gerne näher beschreiben möchte, da sie auf ihre ganz eigene Art Teil meiner Geschichte wurde. Marion war eine Kollegin, die (nach ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau plus einem Jahr Weltreise) überlegte umzuschulen, und darum bei „K-Messe“ ein achtmonatiges Praktikum absolvierte.
Bisher hatten wir nicht viel miteinander zu tun gehabt. Sie war um die 20 und verhielt sich meist sehr still, sodass man ihre Anwesenheit kaum bemerkte. Kam sie einem entgegen, machten ihre Schritte kaum ein Geräusch. Sie schwebte durchs Leben, war extrem schlank und lehnte kosmetische Hilfsmittel gänzlich ab. Ihre natürliche Ausstrahlung umhüllte sie, und ihre Wirkung auf Männer schien ihr völlig gleichgültig zu sein. Ein Kurzhaarschnitt umrandete ihr Gesicht, das eher kantig, aber dennoch sehr ausdrucksstark war. Sie gehörte zu den Menschen, die einem nicht schon in der ersten Minute ihr ganzes Leben aufs Auge drücken – im Gegenteil: Man konnte von Erfolg sprechen, wenn man überhaupt eine Antwort bekam.
Mit Marion ein Schwätzchen zu halten, war demnach anspruchsvoll, aber nicht unmöglich. Und nach ein paar Anlaufschwierigkeiten taute sie auf. Vorsichtig versuchte ich, sie aus der Reserve zu locken, und wurde bald mit zusammenhängenden Sätzen belohnt. Nach einiger Zeit schon unterhielten wir uns angetan, was von der teilweise körperlich schweren Arbeit ablenkte. Wir verstanden uns binnen kurzer Zeit sogar so gut, dass wir uns vornahmen, uns bald mal privat zu treffen.
Am Samstag – einen Tag vor Beginn der Modemesse – hatten wir die Standabnahmen bereits hinter uns, und sowohl die Kunden als auch die Veranstalter waren voll des Lobes. So rechnete keiner mehr mit Änderungen oder einem Wochenendeinsatz.
Ich saß mit einer zu vernachlässigenden Bettgeschichte übermüdet in einem Frühstückscafé. Frank Sinatras „My Way“ hallte etwas zu laut aus den Lautsprechern, während ich unbefriedigt an meinem heißen Kakao schlürfte und darüber nachdachte, was Mark wohl in diesem Moment machte. Claudius – ein Esoteriker vor dem Herrn – vermochte zwar mit Hilfe des Tarots bahnbrechende Zukunftsprognosen abzugeben, aber einer Frau Genuss zu verschaffen gehörte definitiv nicht zu seinen Fähigkeiten. Glücklicherweise bemerkte er nicht, wie abwesend ich war.
„Zu essen?“ erkundigte sich eine dralle Blondine in reiferen Jahren, die mit Sicherheit auch schon mal bessere Zeiten erlebt hatte. Den ranzigen Geruch von abgestandenem Fett in der Nase, orderte ich unentschlossen ein Müsli mit frischen Früchten, während ich überlegte, was ich hier eigentlich wollte.
„Sonst nichts, Chérie?“ fragte Claudius nonchalant. Scheinbar erinnerten ihn die quietschenden Holzstühle an das gute alte Frankreich, das er gar nicht kannte. Mit fahlem Geschmack im Mund (ich sehnte mich nach meiner Zahnbürste, die leider unberührt in meinem Appartement lag) schüttelte ich nur unwirsch den Kopf. Er bestellte sich zwei Eier im Glas – ein durchaus witziger Aspekt – und Toast. Schweigend sah ich mich um. Die wenigen Gäste waren ausnahmslos Paare, turtelten miteinander und hielten Händchen. Als mein Blick auf Claudius fiel, konnte ich außer seinen Falten im Gesicht, die bestätigten, dass er viel zu alt für mich war, nichts erkennen. Oder doch: Seine tiefblauen Augen, die stets funkelten und mich in sein Bett gelockt hatten.
Um nur irgendetwas von mir zu geben, teilte ich ihm mit, was mir gerade durch den Kopf ging: „Dann habe ich wohl heute frei!“
Lüstern lächelte er mir zu. Die Worte standen noch im Raum, als mein Handy zu läuten begann. Um meinem Gegenüber (aus dessen Bett ich gerade kam) nicht unhöflich zu begegnen, versuchte ich, mir meine Freude darüber nicht anmerken zu lassen, dass Mark an der Leitung war.
Er hatte tatsächlich angerufen! Natürlich gab es einen jobbedingten Hintergrund, aber er hatte nicht die Nummer eines Kollegen gewählt, sondern meine! Dass auf der Praterinsel am Laufsteg noch ein Logo fehlte, war nebensächlich. Er brauchte meine Hilfe, und ich nahm das als Kompliment. Selbst der Umstand, dass man mich an meinem freien Tag zum Dienst beorderte, schmälerte meine Begeisterung nicht, und wir verabredeten uns in einer Stunde im Büro (Zahnbürste hin, Zahnbürste her).
Claudius sah mich fragend an, hatte er doch das breite Grinsen in meinem Gesicht sofort erkannt und richtig gedeutet, auch ohne seine Karten zu Rate zu ziehen. So suchte ich gar nicht weiter nach Erklärungen, sondern dankte ihm für die wunderbare Nacht, gab ihm widerwillig einen Kuss und stürmte, ohne etwas gegessen zu haben, aus dem Café.
Der Tag war warm und sonnig, ganz meiner Stimmung entsprechend, und die Reifen von meinem kleinen Fiat quietschten, so rasant fuhr ich durch die Stadt. Ich parkte nur wenige Meter vor der Firma, stieg beschwingt aus dem Auto und sperrte die Tür auf (in diesen Tagen hatte jeder der Mitarbeiter einen Schlüssel).
Da ich vor Mark ankam, war ich bereits dabei, die Pläne und Farbfächer einzusammeln, als er hereinkam. Auch ihm schien es nichts auszumachen, seinen freien Tag mit mir zu verbringen. Die Atmosphäre war allerdings wider Erwarten eine andere als gewöhnlich. Lag das daran, dass wir erstmalig ganz alleine waren, oder merkte man mir etwa an, wie ich die Nacht verbracht hatte?
Um Unsicherheiten zu überspielen, flachste ich albern herum, obwohl ich dabei peinlich genau darauf achtete, nicht zu überschwänglich zu wirken. Ich kam mir vor wie ein Teenager, bei dem es zum ersten Mal ans „Eingemachte“ ging.
Eine eigenartige Spannung lag in der Luft, die mich zwar nervös machte, aber nicht unangenehm war. Ein aufregendes und fremdes Gefühl beschlich mich, das durch seine Art, wie er mich anschaute, noch verstärkt wurde. Er sah in mir definitiv kein Neutrum mehr, sondern eine weibliche Person, die ihm gefiel. Durch ihn wurde ich zu etwas Besonderem, und das war ein einzigartiges Erlebnis! (Zu blöd, dass wir Frauen dazu einen Mann brauchen! Ich sollte dringend einen Therapeuten aufsuchen!)
Aber zurück zum Thema: Wir hatten alle nötigen Unterlagen zusammen, und Mark stand bereits im Hausgang. Er dachte einen Moment lang nach. Dann schien er sich einen Ruck zu geben und fragte: „Hast du auch wirklich Lust, mich auf die Insel zu begleiten?“
„Warum?“ Wieder einmal überrumpelt, wünschte ich das Gesagte zurücknehmen zu können. (Klar, hurra, lass uns fahren, wollte ich schreien!)
„Nun ja, ich könnte deine Hilfe wirklich gut brauchen!“ Seiner Stimme nach hatte ich ihn verunsichert – ich Schaf.
Derweil schaltete sich auch meine vordere rechte Hirnhälfte wieder ein, die ad hoc eine kleine Pause eingelegt hatte. Ich zeigte mich spontan, aber nicht überschwänglich, schien abzuwägen, wirkte besonnen. Dass Mark auch ohne mich ein Logo anbringen konnte, war uns beiden klar, also musste er auf meine Gesellschaft Wert legen.
„Natürlich bin ich dabei – ist doch Ehrensache!“ antwortete ich zwar schneller als geplant, aber nicht ohne Bedacht. Das Zusammensein mit Mark würde die vergangene Nacht ganz klar um Längen übertreffen – Tarot hin oder her, dennoch hatte ich Bedenken.
Wir liefen nebeneinander die Straße entlang, als ich es nicht mehr aushielt: „Meinst du, es ist für deine Frau in Ordnung, wenn ich in eurem Wagen mitfahre?“ Da wir rein beruflich etwas zu erledigen hatten keine besonders logische Frage.
Mark erwiderte nur schulterzuckend, dass dieses Auto seines sei und sie ihr eigenes habe. Also gingen wir zu dem schwarzen Buick und fuhren los. Was für ein Schlitten! Es beängstigte mich, ihm räumlich so nahe zu sein, dennoch konnte ich nicht sagen, was ich mehr genoss: seine Gegenwart oder die Anzahl der PS unter meinem Sitz.
Gesprächsthemen zu finden, erwies sich als relativ schwierig, da wir beide nicht genau wussten, warum ich jetzt eigentlich hier war. Und selbst Mark wirkte ausnahmsweise ein wenig verklemmt.
„Schön, dass ich nicht alleine fahren muss“, startete Mark den Versuch, eine Unterhaltung zu beginnen.
„Ja, finde ich auch.“
„Das Wetter ist echt super heute!“
„Ja, finde ich auch.“
„Weit ist es ja nicht!“
„Ja, das stimmt.“ Scheiße, den Rhetorik-Kurs hatte ich wohl in dieser Woche verpasst. Man kann sich aber auch dumm anstellen. Jedes Muli wäre gewitzter gewesen!
Gottlob war die Strecke nicht besonders lang, und eine Viertelstunde später stiegen wir bereits wieder aus dem Wagen.
Auf dem Gelände der „in fashion munich“ angekommen, kam uns bald die stets hektische Gerlinde entgegen. Offenbar schlitterte sie nur knapp an einem Nervenzusammenbruch vorbei. An ein „Hallo“ oder „Schön, dass ihr da seid“ kann ich mich nicht erinnern, wohl aber an den Satz, der irgendwann zwischen einem beeindruckenden Redeschwall unverhofft daherkam: „Na, das war ja klar, dass der werte Herr Engel nicht alleine erscheint, sondern sein kleines Hündchen mit dabei hat!“ Patsch – aber so war sie, die Gute. Sie warf einem eine beiläufige Bemerkung, einen Nebensatz hin, der nachhaltig dafür sorgte, dass die Stimmung den Bach runterging und man sich ebenso beleidigt wie schuldig fühlte.
Mark grinste nur amüsiert und zwinkerte mir belustigt zu. Ich nahm das nicht ganz so gelassen auf, denn damit stand für mich eindeutig fest: Gerlinde vermutete, dass irgendetwas zwischen uns lief, und das war nun tatsächlich das Letzte, was ich brauchte – von der Unverschämtheit ihrer Formulierung mal abgesehen. Sie brachte mich damit nicht nur in Verlegenheit, sondern gab mir gleichzeitig das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun und mich erklären zu müssen, obwohl dazu keinerlei Anlass bestand und es sie obendrein einen feuchten Kehricht anging. Aber sie vom Gegenteil zu überzeugen war der Mühe nicht wert, denn hatte sie ein Urteil gefällt, gab es daran nichts mehr zu rütteln.
Ich stand somit einfach nur da und suchte nach dem nächsten Mauseloch. Jetzt kapierte ich auch, warum meine Abteilung sich jüngst so komisch benahm und die Stimmung so leicht kippte. Die seltsamen Ansätze von Unzufriedenheit, die ich mir nicht hatte erklären können, kamen nicht von ungefähr. Der unterschwellige Neid war mir zwar aufgefallen, aber ich hatte nicht verstanden, woher das kam. Nun wusste ich es!
Das Engagement, mit dem wir uns auf der Insel geschlossen in die Arbeit gestürzt hatten, war ursprünglich, beinahe „therapeutisch wertvoll“ für das Team gewesen, doch ganz offensichtlich waren die Pausen mit Mark und unsere Bemühungen, dem Anderen ständig über den Weg zu laufen, nicht ganz unbemerkt geblieben. Abgesehen davon hatte ich natürlich wenig Einfluss auf Gerlindes böse Zunge, die mit ihren Unterstellungen selten hinterm Berg hielt. Fuck!
Wir brachten das verdammte Logo an, dann fuhr Mark mich zurück zu meinem Wagen. Der Tag hatte schön begonnen, jetzt aber kämpfte ich mit den Tränen und kaute noch immer an Gerlindes Worten. Wieder daheim strengte ich meine Gehirnzellen an und wog ab, was das alles konkret zu bedeuten hatte. Wenn die Kollegen neidisch auf mich reagierten, dann vielleicht deshalb, weil ich wirklich etwas tat, was nicht in Ordnung war?
Was sollte das alles? Wie weit wollte ich eigentlich gehen? Und warum nahm Mark mich gedanklich so in Beschlag? Wieso freute es mich, wenn ich merkte, dass auch er sich mehr und mehr für mich erwärmte? Und das, obwohl das Ganze mit uns vollkommen sinnlos und ohne Zukunft war? Wäre ich im Stande, eine Ehe zu gefährden? Würde ich das Risiko eingehen, dass mehr zwischen uns lief?
Erschrocken stellte ich fest, dass ich mich von den Schlampen, wie ich Frauen heimlich nannte, die sich auch bei verheirateten Männern nicht zurückhielten, kaum noch unterschied. Klar, es spielte sich vieles in meiner Fantasie ab, aber war das besser? War ich vielleicht doch so etwas wie eine Schlampe?
Als am Sonntag dann endlich die Messe für Besucher geöffnet wurde, war ich natürlich da – mit Marion zusammen – und schaute mir Helgas Lauf an. Voyeuristisch und leidensfähig. Schlampe hin, Schlampe her!
Das schoss mich ja so was von ins Aus! Ich kam mir beinahe schäbig vor, sah ich doch eine Frau, mit perfektem Make-up und keinem Gramm zu viel auf den Hüften, in Klamotten, die ich mir in diesem Leben mit Sicherheit nie würde leisten können, über den Catwalk laufen. Und genau diese Person teilte mit Mark das Bett! Ihre Internetseite hatte also nicht gelogen. Kein Grafiker hatte sich an ihren Fotos verkünstelt, sie war echt! Und wunderschön!
Mir reichte es, noch bevor ich Mark in den Menschenmassen ausfindig machte. Denn auf das Bild, wie er mit der Tochter an der Hand der Mama applaudierte, konnte ich gut und gerne verzichten. Schon alleine bei dem Gedanken wurde mir speiübel. Und wer weiß, am Ende würde er uns noch miteinander bekanntmachen und mir nichtsahnend den Todesstoß verpassen! Bloß weg hier!
Also log ich Marion vor, dass ich meine Tage inklusive Bauchkrämpfen hätte und sich gleichzeitig ein Migräneanfall ankündigte. Es tat mir leid, ihr gegenüber nicht ehrlich sein zu können. Aber was sollte ich sagen? Dass es mir das Herz brach, Helga und Mark auf einem Fleck zu sehen? Nö! Ausgeschlossen!
Ich hatte genug von allem, was mit Mode zusammenhing, ich wollte nur noch weg. Dafür also hatte ich die letzten Wochen geackert, dass ich das Spektakel bereits nach fünfundzwanzig Minuten wieder fluchtartig verließ!
Wachgerüttelt durch Gerlindes spontane Aussage, sperrte ich von nun an in der Firma Augen und Ohren auf. Und siehe da, man zog sich mir gegenüber tatsächlich merklich zurück. Das war hart. Über Marion, die mich informierte, sobald sie etwas Neues hörte, erfuhr ich, dass meine Kollegen sich über mich mokierten und in mir nur noch Marks „Günstling“ sahen. Nicht dass sie mich darauf angesprochen hätten, nein, denn was man in dieser Firma erfuhr, enthielt meist den Nebensatz „Sag's aber bitte nicht weiter!“ und kam nie von der Person, die die Aussage getroffen hatte.
Mein Gewissen plagte mich, da Marion mir zu vertrauen schien und sich sehr loyal verhielt, während ich umgekehrt nicht preisgeben konnte, was Mark mir bedeutete. Arglos hielt sie das Gerede der Kollegen für völlig absurd und stellte sich auf meine Seite. Gerne hätte ich sie eingeweiht und mit ihr über meine Gefühle Mark gegenüber gesprochen, aber das war nun wirklich ausgeschlossen. Leider.
Es wurde demnach immer komplizierter, und Mark musste bezüglich der Anfeindungen meines Teams ganze Arbeit leisten, mich immer wieder zu besänftigen.
„Ist doch alles ganz normal!“ Sein Versuch, mich zu beruhigen, lief ins Leere. Durch mein mürrisches „Hm“ angestachelt, redete er mir munter weiter gut zu.
„Sei doch nicht so empfindlich, du kleine Krampfhenne, das braucht dich doch gar nicht weiter zu kümmern.“ Geht’s noch? Aber klar, ihm zollte die Bagage ja weiterhin den Respekt, den er verdiente.
„Sieh mal, wahrscheinlich wärst du auch neidisch, wenn ich einen der anderen am Samstag mitgenommen hätte.“ Jetzt reichte es! Mich so zu durchschauen, war wirklich nicht fair! Wie peinlich! Ich schnappte mit hochrotem Kopf nach Luft, doch Mark winkte lächelnd ab.
„Das legt sich schon wieder, keine Panik!“ Meine Reaktion hatte seinem Ego geschmeichelt, und damit war das Thema für ihn vom Tisch. Zwar verstand er mein Dilemma, stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass es hier rein um den Job gehe und nicht um Sympathien. Sicherlich war das von der Aussage her absolut richtig, die Haltung der anderen verletzte mich aber dennoch.
Auf diesem Weg lernte ich, dass es im Berufsleben einfach anders zuging als im privaten Umfeld, und Lernen tut meistens ein klein wenig weh. Ich musste mich von der Vorstellung, dass wir alle zusammengehörten, und von der „Einer-für-alle-alle-für-einen-Illusion“ verabschieden. Damit fühlte ich mich bei „K-Messe“ plötzlich sehr einsam. Enttäuscht von meiner Abteilung und misstrauisch gegenüber Frau Sackser, verließ ich mich noch mehr auf Mark. Er war der Einzige (neben Marion), der mir ehrlich erschien.
Wir gingen jetzt des Öfteren mittags zum Essen, einfach nur, um allein und ungestört zu sein. Gerne saßen wir auch bei schönem Wetter nebeneinander auf einer Bank an der Isar. Das hatte schon fast etwas Romantisches. Er war mir nicht mehr fremd! Es gab viel zu lachen, aber auch tiefe Momente, die Gegenstand unserer Unterredungen wurden.
Einer seiner Lieblingssätze lautete: „Manchmal frage ich mich, warum wir leben und was das alles für einen Sinn macht.“ Darauf gab es zwei Antworten – beide richtig. Mit der einen trat ich weise und welterfahren auf: „Wir sind da, um zu lernen, um Anderen zu helfen und an schlimmen Erlebnissen zu wachsen.“ Was zwar meiner tiefsten Überzeugung entsprach, sich aber doch päpstlicher anhörte als der Papst.
Mit solch einem Satz lockte man keinen Hund hinter dem Ofen hervor, man trieb ihn stattdessen erst dahinter – und das auf direktem Wege, ohne vorher über Los zu gehen! Daher schüttelte ich schnell die zweite Antwort aus dem Ärmel: „Na gut, wir leben nur, um viel zu arbeiten und unseren Vorgesetzten den Hintern sauber zu halten!“
Ich fragte mich oft, was passieren würde, wenn Mark ein wenig ernsthafter darüber nachdenken würde, wie nahe das mittlerweile der Wahrheit kam. Ich polierte ihm zwar nicht das Sitzfleisch, aber viel fehlte dazu nicht. Denn ich tat fast alles, um es ihm irgendwie recht zu machen, und wahrscheinlich hätte ich dazu auch mit Vergnügen seinen Popo blank geleckt, wenn man mich darum gebeten hätte. Aber mit genügend Selbstironie kann man von sich geben, was man will, ohne dass der Andere einem auf die Schliche kommt. Ein deprimierender Aspekt, diese Narrenfreiheit.
Wir redeten über Gott und die Welt, erzählten Anekdoten aus unserem Leben und sprachen auch ab und an über Helga – allerdings nur sehr selten. Nie beschwerte er sich oder drückte in irgendeiner Weise Unmut über seine Situation aus, es klang alles recht normal und stressfrei.
Dennoch hatte es den Anschein, als könnte Mark einfach nicht glücklich sein. Sicher, wer war das schon ständig und ohne die Hilfe von stimmungsaufhellenden Drogen, aber bei ihm schien die Kluft zwischen Freude und Leid beizeiten extrem tief.
Schwarz oder weiß, gut oder schlecht waren seine Stimmungen, dazwischen gab es nichts. Der einsame schwarze Ritter am Rande des Abgrunds, ein Künstler-Klischee, das offenbar auch auf Architekten zutraf. Oder war die Mitleidstour nur eine Masche, um meine soziale Ader zu bedienen? Egal – ich wollte ihn am liebsten in die Arme schließen, um ihn zu trösten! Und: Ich nahm es als Kompliment, dass er mir erlaubte, auch diese Seite an ihm kennen zu lernen.
Im Zustand der Schwermütigkeit plagten ihn meistens heftige Schmerzen in der linken Schulter. Diese traten aber nur dann auf, wenn er versuchte, gut gelaunt zu erscheinen, es aber in Wirklichkeit gar nicht war, oder wenn ihn etwas ernsthaft bedrückte. Natürlich bot ich ihm keine Massage an, wenngleich ich das gerne getan hätte, aber das führte dann doch zu weit.
Ich dachte eigentlich, einen Menschen vor mir zu haben, der alles besaß, was man sich nur wünschen konnte: Erfolg im Beruf, Geld, eine Familie und Gesundheit. Was war das Problem? Reichte das denn nicht? Was wollte er denn noch? Abenteuer? Dann sollte er sich vielleicht mal im „Dschungel-Camp“ bewerben und ein paar Maden fressen!
Manchmal machte mich das regelrecht wütend! Ich wollte ihn ja gerne verstehen, ohne ungerecht zu werden, ihn wachrütteln und ihm die Augen für all das Schöne öffnen, aber es gelang mir nicht. Sah er denn nicht, wie gut es ihm eigentlich ging? Warum konnte er sein Glück nicht schätzen? Hatte er es verlernt, die Dinge zu genießen? Oder trog der Schein doch? War sein Leben vielleicht gar nicht so perfekt, wie es nach außen wirkte? Fragen über Fragen, die in meinem Schädel Karussell fuhren.
Wenn wir uns unterhielten, kam es vor, dass sich sein Blick in der Ferne verlor und er minutenlang einfach nur vor sich hinstarrte. Wenn er so dasaß, in seine eigene Welt versunken, in die niemand sonst Zugang hatte, kam in mir ein Gefühl mütterlicher Fürsorge auf. Es tat mir leid, ihn so hilflos und traurig zu sehen.
Wenn ich nach seinen Gedanken fragte, winkte er resigniert ab und meinte, das könnte ich nicht verstehen, dann wurde das Thema gewechselt. Doch ich spürte, wie einsam und vom Leben überfordert er sich manchmal fühlte. Wenn ich nur irgendetwas für ihn hätte tun können! Es gab Momente, da musste ich mich regelrecht zusammenreißen, um nicht loszuheulen, wollte ich doch nur noch eines: ihm dabei helfen, glücklich zu werden. Wahrscheinlich hatte ich in diesem Stadium bereits buchstäblich den Verstand verloren!
Es mochte sich anmaßend, wenn nicht gar größenwahnsinnig anhören, zumal ich kein Psychologe war, doch er sollte wissen, dass ich ihm beistand, dass es jemandem gab, dem er etwas bedeutete – ja, dass es mich gab.
Natürlich wusste ich, dass mich Marks Befindlichkeiten überhaupt nichts angingen. So versuchte ich, mich davon zu lösen, indem ich mir sagte: „Vielleicht braucht er einfach Urlaub, Zeit mit Frau und Kind.“ Aber diese Idee befriedigte mich nicht wirklich, denn der Familienurlaub stand bereits an.
Meine Begeisterung diesbezüglich stieg ins Unermessliche (ein Witz!). Ich konnte mir schon gar nicht mehr vorstellen, ihn zwei Wochen nicht zu sehen. Allein der Gedanke daran ängstigte mich, zumal er die zwei Wochen mit einer anderen Frau verbrachte.
In den schillerndsten Farben malte ich mir aus, wie glücklich die Familie miteinander die Ferien verbringen würde. „Noch ein Brötchen, Schatz?“
„Ach, nein danke, Liebling, sonst werde ich noch zu dick.“
„Aber Prinzessin, du bist doch gertenschlank, sieh dir nur mal deine tollen Beine an!“ Helga würde beschämt zu Boden blicken und Ramonas Kopf tätscheln, die zu ihren Füßen mit ihrem neuen Game Boy spielte.
„Na gut, dann gib mir noch einen von den leckeren Schoko-Donuts!“ Genussvoll biss sie daraufhin hinein, leckte sich die perfekt geschminkten Lippen und zeigte dabei ihre strahlend weißen Zähne. (Die nächsten hundert Jahre könnte ich mein Gebiss in Perlweiß baden ohne den gewünschten Erfolg.) Dabei blätterte sie in der „Gala“, um zu lesen, wie hervorragend ihr Auftritt auf der FASHION WEEK MÜNCHEN SUMMER beim Publikum angekommen ist.
„Warte, bleib so, Schätzchen, ich werde ein Foto von dir machen, du bist einfach umwerfend!“ Und so weiter und so fort, mein Magen rebellierte bereits, und meine Augen füllten sich, wie bei jedem Kitschfilm, zuverlässig mit Tränen.
Je näher seine Reise – Ziel war Dubai – rückte, desto öfter redete Mark davon. Zu meiner Überraschung gefiel ihm der Gedanke gar nicht, denn Helga hatte für sich dort ein Fotoshooting organisiert, ohne ihren Mann vorher zu informieren.
„Ist doch perfekt, damit haben wir fast die ganzen Kosten des Urlaubs bezahlt!“, so ihre Begründung für den Alleingang.
Für ihren Mann bedeutete das konkret, den Babysitter für die Siebenjährige zu spielen, sich im Hintergrund zu halten und dabei zuzusehen, wie Fotografen und andere wichtige Leute um die Gunst seiner Gattin buhlten, was ihn wenig erheiterte. Er wusste genau, wie das lief: „Noch ein Drink, Sweetheart?“ Oder besser noch: „Hier Honey, du musst diesen Cocktail probieren!“ Allein daran zu denken machte ihn sauer.
Aber es gab noch einen Nebenkriegsschauplatz, weshalb sich seine Begeisterung so in Grenzen hielt, denn nachdem Mark seine erste Schüchternheit überwunden hatte, sprach er das Unsagbare aus: „Ich werde dich bestimmt vermissen!“ Und ich glaubte, mein Schwein pfeift! Menschenskind!
Ich überlegte lange und gründlich, bevor ich eine Antwort gab, doch es half alles nichts. Ihm konnte ich nichts vormachen. Mit einem Nicken signalisierte ich Verstehen, während meine Worte offenlegten, dass es mir genauso ging. Es stand mir sowieso ins Gesicht geschrieben, warum also noch lügen?
Es war die Wahrheit. Am meisten fürchtete ich mich davor, dass Mark mich vergessen könnte und sich bei seiner Rückkehr alles verändert hatte. Für mich stand nämlich fest: Er würde eine schöne Zeit mit Helga haben, Fotoshooting hin oder her, und damit würde es keinen Platz mehr für mich geben. Ein Urlaub bot ausreichend Gelegenheit, sich mit dem Partner auseinanderzusetzen, sich gegebenenfalls wieder anzunähern, Liegengebliebenes aufzuarbeiten, Beziehungsgespräche zu führen und viel Sex zu haben.
Von Tag zu Tag wurde mir klarer, und ich fragte mich ernsthaft, warum ich Schlaumeier das bisher so außer Acht lassen konnte, dass die zwei niemals eine Reise geplant hätten, wenn die Ehe vor dem Aus stünde. Mark war verheiratet, war es die ganze Zeit gewesen – und das seit vielen Jahren! Um genau zu sein, seit über einem Jahrzehnt! Wieso investierte ich emotional so viel in ihn? Was sollte das bringen? Weil ich ihn als Mensch mochte? Weil er so ein lieber Kerl war? Ach was!