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8.1 Selbsterfüllende Prophezeiung

Wie wir unsere Erwartungen und Befürchtungen selbst bewahrheiten

„Auch die Bretter, die mancher vor dem Kopf trägt, können die Welt bedeuten.“

(Werner Finck)

Wie gesagt: Deine Gedanken verlaufen gerne in den gleichen Bahnen und Mustern. Sie geben dir eine Art Schablone vor und du versuchst ständig, dein Leben an diese Schablone anzupassen beziehungsweise in der Außenwelt die passenden Klötzchen zu finden. Das passiert, weil unsere Gehirne harmoniesüchtig sind. Unser Denken und Handeln beziehungsweise unsere Erwartungen und die Welt sollen immer möglichst gut miteinander übereinstimmen (vgl. Ideal vs. Realität). Dann haben wir es vermeintlich bequem, sicher und glauben, alles zu verstehen. Ein Beispiel: Einer deiner ständigen Gedankenströme handelt davon, dass du nicht gut genug für etwas oder jemanden bist. Du gehst durch die Welt und siehst diesen Gedanken überall bestätigt, weil immer nur andere Ferrari fahren oder den perfekten Partner oder Job zu haben scheinen. In der Folge sinkt dein Selbstwert noch weiter. Aber keine Sorge. Wir werden noch herausfinden, wie du den Spieß umdrehen und diesen Effekt sogar für dich nutzen kannst. Auf jeden Fall ist dieses Bestreben, die Welt mit unseren Idealen in Einklang zu bringen, der Motor, der uns festhalten lässt und damit die Ursache für all unser Leid, Unglück und unsere Unzufriedenheit. Falls du es immer noch nicht glauben kannst oder willst, schau dir mal das hier an: Diese revolutionäre Erkenntnis ist nicht neu. Schon vor Tausenden von Jahren war sie in allen großen Kulturen und Religionen bekannt. Im Buddhismus heißt es:

„Der Ursprung all unserer Probleme ist unser Unvermögen [Erwartungen], loslassen zu können.“

(Aus dem Buddhismus)

In ähnlicher Form aus Indien:

„Der Ursprung allen menschlichen Leidens ist der qualvolle Unterschied zwischen der Welt, wie sie ist und der Welt, wie sie sein sollte.“

(Aus den Upanishaden – indische Weisheitslehre)

Im Christentum geht es ebenfalls darum, sich selbst beziehungsweise die eigenen Erwartungen loszulassen, um Raum für das zu schaffen, was wirklich ist (in dem Fall Gott):

„Ich muss abnehmen, er muss wachsen.“

(Johannes der Täufer)

In der abendländischen Philosophie hat es zum Beispiel der griechische Philosoph Epiktet so formuliert:

„Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen von den Dingen beunruhigen die Menschen.“

(Epiktet)

In der modernen Psychologie hat man dem Phänomen sogar einen Namen gegeben und spricht vom „Konstruktivismus“:

„Der Mensch findet zuletzt in den Dingen nichts wieder, als was er selbst in sie hineingesteckt hat.“

(Friedrich Nietzsche)

Das Problem war und ist schon immer, dass die Welt einfach niemals perfekt in unsere Schablone und damit zu unseren Idealen passt. Und wenn sie schon nicht zu unseren Erwartungen passt, dann wollen wir wenigstens damit recht behalten, dass sie nicht passt. Damit nähren wir natürlich unsere negativen Erwartungen …

Der Weg des Wassers – warum wir sogar negative Erwartungen selbst bewahrheiten wollen

Zurück zum Bach: Im vorherigen Kapitel haben wir gesehen, wie unsere Ideale und Erwartungen entstehen und sich festigen. Zuerst als kleines Rinnsal, das den einfachsten Weg sucht und dann mit der Zeit zu einem gewaltigen Strom anwächst. Das Schlimme ist, dass du diesen alt eingefahrenen Mustern bedingungslos vertraust und alles glaubst und hinnimmst, was sie aussagen. Über die Jahre hatten sie so oft recht. Diese Glaubenssätze sind zu großen wallenden Strömen angewachsen und reißen jeden Zweifel einfach hinfort. Deshalb hinterfragen wir sie kaum noch, sondern sehen sie als selbstverständlich an. Mehr noch: Weil du ihrem Lauf vertraust und schon so viel „Wasser“ diesen Weg entlang geschickt hast, sind diese Ströme das Maß deiner Dinge. Und weil du ein ungebrochenes Bedürfnis danach hast, deine Erwartungen und deine Welt in Einklang zu bringen, sorgst du bewusst und unbewusst dafür, dass dein Leben und deine Welt genau so aussehen, wie deine Gedankenströme es dir vorgeben.

» Du passt dein Leben an deine Gedanken, deine Realität an deine Erwartungen an. Sogar dann, wenn diese Erwartungen negativ sind!

Dazu gibt es eine interessante Studie.[Fußnote 8] Forscher gaben den Testpersonen eine einfache Aufgabe: Sie wurden vor einen Computerbildschirm gesetzt und sahen einen blauen Punkt und verschiedene Variationen davon, die in Richtung violett gingen, auf dem Monitor. Die Probanden sollten nun jedes Mal einen Knopf mit der Aufschrift „blau“ betätigen, wenn der Punkt blau war und einen mit der Aufschrift „nicht blau“, wenn der Punkt nicht blau war. Die Forscher machten nun folgende Entdeckung: Immer wenn der Punkt zu Beginn des Versuchs oft blau war, drückten die Teilnehmer auch im späteren Verlauf oft den Knopf mit der Aufschrift „blau“, obwohl der Punkt nicht blau war. Die Probanden haben durch ihre Erfahrungen zu Beginn des Versuchs eine Erwartungshaltung geschaffen, die sie später blaue Punkte sehen ließ, wo gar keine waren. Wenn das Verhältnis zwischen blauen und violetten Punkten stetig gleich blieb, blieb auch die Trefferquote der Teilnehmer stabil. Die Forscher schlossen daraus, dass wir relativ schnell Erwartungshaltungen bilden, die unsere Wahrnehmung verzerren. Und das gilt nicht nur für blaue Punkte. Die Wissenschaftler weiteten den Versuch aus und ließen die Probanden beispielsweise zwischen Bildern von Gesichtern mit bedrohlichem und freundlichem Ausdruck unterscheiden. Dabei zeigte sich das gleiche Muster: Wenn die Häufigkeit der bedrohlichen Gesichter im Verlauf des Versuchs reduziert wurde, begannen die Teilnehmer damit, immer mehr freundliche Gesichter als bedrohlich zu empfinden. Was sagt uns dieser Versuch? Wenn wir beginnen anzunehmen, dass etwas negativ ist, erwarten wir mehr Negatives. Selbst, wenn die Umstände sich eigentlich zum Positiven wenden, halten wir im Kopf an der negativen Erwartung fest und machen uns das Leben selbst schwer. Schauen wir uns an, wie das im wahren Leben vonstattengeht …

Beispiele – wie du dein Leben an deine Erwartungen anpasst

a) aktive Anpassung

Manchmal tust du es aktiv, indem du durch dein Mindset Ereignisse in deinem Leben hervorrufst oder auslöst, die genau das eintreten lassen, was zu deinem Weltbild passt. Das ist die selbsterfüllende Prophezeiung.

Beispiel 1: Stress im Alltag

Wenn du dich selbst nur für wertvoll und gut erachtest, wenn du perfekte Leistungen im Beruf und privat erbringst, werden das deine Kollegen und deine Familienmitglieder merken und dich auch dementsprechend behandeln. Weil sie es gut mit dir meinen, werden sie dich loben, wenn du dich anstrengst, und du wirst dich geschmeichelt fühlen und willst diese Anerkennung nicht wieder verlieren. Also tust du aktiv mehr, um diesem Bild zu entsprechen. Du generierst selbst die Anforderungen, die zu deinem Stress und deiner Unausgeglichenheit führen.

Beispiel 2: Ängste und Selbstzweifel

Wenn du selbst nur dann mit dir zufrieden bist, wenn du eine Top-Performance abgeliefert hast, werden es auch deine Mitmenschen nur dann sein. Das sorgt für noch mehr Erwartungsdruck, den du nicht unerfüllt lassen willst. Du erzeugst die Umstände, die deine Ängste und Sorgen verstärken.

Beispiel 3: Liebeskummer

Wenn du dir selbst dein Glück nicht gönnen kannst, wenn du alleine bist, werden das auch die anderen und vor allem potenzielle Partner merken. Und wer will schon einen Trauerkloß? Du trägst also selbst aktiv dazu bei, dass du alleine bleibst und noch mehr trauern kannst.

b) passive Anpassung

Aber auch passiv passt du deine Welt an deine Erwartungen an, indem du einfach nur in deinem Leben etwas aufnimmst, was dein Ideal wieder bestätigt und den reißenden Strom nährt.

Beispiel 1: Stress im Alltag

„Siehst du, dein Chef hat dich heute nicht gegrüßt, weil du gestern nicht gut genug warst!“ Vielleicht hast du Gedanken wie diesen. In der Folge dieser Feststellung versuchst du, deinem Chef möglichst alles recht zu machen, damit er dich wieder beachtet und du verlierst womöglich dein eigentliches Ziel bei der Arbeit völlig aus den Augen.

Beispiel 2: Ängste und Selbstzweifel

„Alle haben gemerkt, dass ich bei der dritten Folie im Vortrag die Ziffern der Seitenzahl bei der Quellenangabe vertauscht habe und mögen mich jetzt nicht mehr!“ Merkst du das während des Vortrages, bist du natürlich total abgelenkt, verlierst den Faden und versemmelst das Ding noch mehr.

Beispiel 3: Liebeskummer

„Dieser gutaussehende Typ hat mich nicht einmal von Weitem angeguckt … ich hab’s einfach nicht verdient!“ Solche Gedanken lassen dein Selbstbewusstsein in den Keller sinken und du strahlst noch weniger Anziehung auf gutaussehende Kerle aus.

Das „alte Leid“

Erkennst du, was hier passiert? Genau, Leid und Probleme entstehen durch das Festhalten an Erwartungen.

» Du sorgst bewusst und unbewusst selbst dafür, dass du noch mehr leidest!

Es ist wie mit der Annahme, dass die Welt flach sei: Solange du diese Annahme glaubst, kannst du dich nicht vom Gegenteil überzeugen, weil du Angst hast, vom Rand der Welt zu stürzen. Die Prophezeiung bewahrheitet sich selbst. Henry Ford hat das einmal ganz trefflich in einem Satz zusammengefasst:

„Ob du denkst, du kannst es, oder du kannst es nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.“

(Henry Ford)

Aber es geht noch weiter mit unserem eigenen Zutun zu unserem Leid! Nicht nur, dass wir in unserem Kopf und mit unseren unmittelbaren Reaktionen unsere Erwartungen bestätigen, wir verschlimmern unsere Probleme meist sogar selbst.

Wie wir unsere Probleme selbst verschlimmern

Wir verschlimmern unsere Probleme, indem wir versuchen, sie mit dem gleichen Mindset zu lösen, mit dem wir sie geschaffen haben.

» Das, worin du deine Energie investierst, das wächst. Auch, wenn es Probleme sind.

Wie genau wir das anstellen und unsere Probleme durch unsere Lösungsversuche selbst wachsen lassen, schauen wir uns im nächsten Kapitel an.

Merke

» Solange du dein Mindset nicht änderst, bewirkst du deine Probleme selbst.

 Unsere Gehirne sind harmoniesüchtig und stets bestrebt, Welt und Erwartung in Einklang zu bringen.

 Da unsere Erwartungen mit der Zeit selbstverständlich für uns werden und unabänderbar erscheinen, scheint der einfachere Weg für uns immer der zu sein, unsere Erwartungen zu bestätigen.

 Das tun wir sogar bei negativen Erwartungen.

a) Wir tun es aktiv, indem wir Handlungen ausführen, die unsere Erwartungen bestätigen und sie oft sogar noch weiter anwachsen lassen.

b) Oder passiv, indem wir Ereignisse und Tatsachen aufgreifen und unterstreichen, die unsere Erwartung bestätigen.

 Am Ende sorgen wir selbst meist dafür, dass wir noch mehr leiden als vorher. Unsere Erwartungen werden zu selbsterfüllenden Prophezeiungen.

 Deshalb können wir auch keine Lösung herbeiführen, wenn wir mit der gleichen Erwartungshaltung an ein Problem herantreten, mit der wir es verursacht haben. Wir verschlimmern es sogar noch …

Übertrage

Wie hat sich die Erwartung hinter deinem aktuellen Problem zuletzt bestätigt? Wie hast du reagiert und zu dieser Bestätigung vielleicht sogar selbst aktiv oder passiv beigetragen und deine Erwartung genährt?

Der Weg des Wassers: Warum dir alles zufließt, wenn du endlich loslässt

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