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KAPITEL FÜNF

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Zum dritten Mal hintereinander kommt Gacalo abends später nach Hause als sonst. Sie sagt, sie sei erschöpft. Sie habe nach der Arbeit die Witwe und ihre Kinder besucht, um ihnen bei ihrem Neustart zu helfen. Es passt nicht zu ihr, so oft von Zuhause weg zu sein und ihren Ehemann allein zu lassen. Aber sie hält es für gerechtfertigt, den drei Neuankömmlingen mit ihren jeweils eigenen Ansprüchen und Interessen so viel Zeit zu widmen. Mugdi hat eigentlich damit gerechnet, dass sie ihm von ihren Gesprächen mit ihnen berichten würde, aber das tut sie nicht. Sie sagt nur, es habe Probleme gegeben.

Mugdi ist oben im Bad und putzt sich bei offener Tür die Zähne. Das Licht hat er ausgeschaltet, die Helligkeit aus dem Schlafzimmer reicht ihm. Er geht gerne in kaum beleuchteten Räumen umher. Wenn unten das Licht an ist, dann lässt er es oben oft aus. Er sagt, er fühle sich dann ausgeruhter und sehe auch besser. Timiro frotzelt, er komme ihr vor wie eine verstohlen durchs Haus schleichende Katze. Bevor man sich versehe, sagt sie, habe er einen schon am Wickel.

In letzter Zeit schweigen sich Gacalo und Mugdi fast nur noch an. Sie sind mit Gedanken beschäftigt, die keiner von beiden in Worte fassen möchte. Gestern Abend warf Gacalo ihrem Mann vor, er beneide Waliya und die Kinder um die Fürsorge, die sie ihnen zukommen lasse, er sei so verbittert, dass er die Witwe nicht mal beim Namen nenne. Sie wünsche sich, dass er zu seiner alten Gutmütigkeit zurückfinden möge.

Sie treffen sich oben im Flur, als Mugdi gerade ins Schlafzimmer geht und Gacalo die Treppe hinaufkommt. Gacalo lässt ihn vorbei und folgt ihm ins Schlafzimmer.

Er wartet schweigend, bis sie sich ausgezogen und ihren Pyjama angezogen, die Zähne geputzt und das Gesicht gewaschen hat und dann unter die Decke auf der linken Seite des Bettes geschlüpft ist.

»Und, wie war dein Tag?«, fragt sie.

»Timiro macht gerade eine schwere Zeit durch.«

Im Halbdunkel runzelt Gacalo die Stirn und wickelt sich in die Bettdecke. Timiro und Xirsi sind seit fünf Jahren verheiratet, und sie ist ihm immer noch treu, obwohl Xirsi sie regelmäßig belügt und manchmal monatelang fremdgeht. Mugdi und Gacalo konnten den Kerl nie ausstehen, und selbst Kaluun, der sie miteinander bekannt gemacht hat und Xirsis Charme mag, räumt ein, dass er ein Problem mit dessen Glaubwürdigkeit hat. Kaluun besteht allerdings darauf, dass Timiro gewusst habe, auf wen sie sich da einlässt, sich davon aber nicht habe beirren lassen. »Man kann jeden Weiberheld von seinem Laster heilen«, pflegte sie zu sagen.

Gacalo denkt, dass es ihre Ehe belastet hat, dass Dhaqaneh gestorben ist, bevor er ihnen einen Enkel hat schenken können. »Was für ein großes Glück, dass wir bald Timiros Baby in unserem Leben begrüßen dürfen«, sagt sie jetzt zu Mugdi. »Ein Enkelkind, das wir auf unsere alten Tage lieben und verhätscheln dürfen. Ich kann es gar nicht erwarten.«

Mugdi unterdrückt ein Gähnen. »Ich freue mich genauso auf das Baby. Es wird uns ein Segen und eine Freude sein.«

Dann dreht sich Gacalo auf die Seite, rutscht etwas von ihm weg und stopft sich das Kissen unter den Kopf. »Nacht, mein Schatz.« Aber sie ist nicht sicher, ob er sie gehört hat.

Als Mugdi schließlich einschläft, träumt er von Kaluun und Eugenia, dass er sie in London besucht und im Abney Park Cemetery spazieren geht. Er besucht die Gräber von mehreren Männern und Frauen, die gegen die Sklaverei gekämpft haben. Irgendwann fängt es fürchterlich an zu regnen, und er sucht Unterschlupf in einer Höhle, die so groß und dunkel ist wie eine Kellerwohnung.

Schon bald gesellt sich eine Gruppe Männer, Frauen und Kinder dazu. Alle sind weiß gekleidet, die Männer tragen dichte Bärte und Scheitelkappen, die Frauen sind verschleiert und barfuß, die Kinder tragen Bücher mit heiligen Texten unter dem Arm. Nachdem es aufgehört hat zu regnen, verlässt Mugdi die Höhle und geht zur Wohnung von Kaluun und Eugenia zurück.

Am nächsten Morgen stehen Mugdi und Gacalo früh auf. In der Küche gesellt sich Timiro zu ihnen. »Wann kann ich Waliya und die Kinder besuchen? Wie ist sie? Glaubt ihr, sie kommt hier zurecht und kann sich einleben?«

»Ich glaube, das wird ziemlich lange dauern, bis sie sich eingewöhnt hat«, sagt Gacalo. »Nicht viele ungebildete Frauen schaffen das in ihrem Alter, wenn sie selbst nicht daran glauben, dass sie es schaffen können. Und Waliya scheint mir jemand zu sein, die das für sich schon entschieden hat.«

»Wie alt ist sie?«

»Neunundzwanzig, dreißig, würde ich sagen.«

»Nach allem, was sie durchgemacht hat, hätte ich sie älter eingeschätzt. Wo ist sie aufgewachsen?«

»Laut ihrem gefälschten tansanischen Pass ist sie in Mogadischu geboren«, sagt Gacalo. »Aber auf die Angaben in einem gefälschten Pass kann man sich ja wohl kaum verlassen.«

»Was ist mit den Kindern, Saafi und Naciim? Wie sind die?«

»Der Junge ist ein ganz Spezieller«, sagt Mugdi.

»Wenn der sich hier in seiner neuen Umgebung zurechtfinden will, dann muss er noch viel lernen«, sagt Gacalo. »Aber mindestens genauso viel muss er sich auch abgewöhnen. Saafi ist friedlich und sanftmütig, etwas zu schüchtern vielleicht, zierlich und hübsch.«

»Streiten die beiden viel, so wie Dhaqaneh und ich früher?«, fragt Timiro. »Immer drauf, ohne Rücksicht auf Verluste?«

»Wenn Dhaqaneh auf Unsicherheiten bei dir gelauert hat, wie damals, als du zum ersten Mal deine Periode bekommen hast, dann hast du gekämpft wie eine Wildkatze, die ihr Territorium markiert«, sagt Gacalo.

»Papa hat mich immer beschützt«, sagt Timiro. »Auch wenn ich Schuld hatte. Ich musste nur sagen, ›Papa, Dhaqaneh ist gemein zu mir.‹ Ich konnte sicher sein, dass Papa ihn dann bestraft.«

»Du wusstest es nicht besser«, sagt Mugdi.

»Aber du warst auch eine leichte Beute«, sagt Gacalo.

Mugdi wirft Gacalo einen strengen Blick zu und geht dann ohne ein weiteres Wort nach oben in sein Arbeitszimmer.

Er und Gacalo gerieten oft aneinander, wenn es darum ging, das Rätsel Dhaqaneh zu entschlüsseln. Seit seinem Tod weist jeder dem anderen einen Teil der Schuld zu. Aber keiner will, dass darunter ihre Verbundenheit irreparablen Schaden nimmt. Und doch schikaniert Gacalo ihn mit dem Vorwurf, er habe Timiro bevorzugt und mehr geliebt. Bei einem besonders hitzigen Streit hat er einmal zu seiner Verteidigung gesagt: »Machen wir uns doch nichts vor. Sie war einfach ein angenehmerer Mensch.«

»Wie kannst du so was sagen?«, erwiderte sie.

Und bevor er sich zurückhalten konnte, schoss er zurück: »Und, wo ist er denn jetzt, und wo ist Timiro? Die eine ist hier und lebt, und der andere ist tot, nachdem er so viel Tod über andere gebracht hat.«

Mugdis Offenheit machte Gacalo wütend, aber eine passende Erwiderung fiel ihr nicht ein. Sie wandte den Blick ab und starrte ins Leere. Sie war wie betäubt von Mugdis Worten.

Im Norden der Dämmerung

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