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Erinnerungen
ОглавлениеTief in unseren Herzen ruht ein einzigartiger Schatz. Es ist die schöne Erinnerung an unseren lieben Kater Jerry, ein kleines, wertvolles Wesen voller Lebensfreude, dem es beschieden war, eine viel zu kurze Zeit mit uns durchs Leben zu gehen.
Im Nachhinein, also, wenn wir an längst vergangene Zeiten zurückdenken, erscheinen uns manche Zusammenhänge viel klarer, und wir fragen uns, warum uns das alles nicht schon damals deutlich geworden ist. Rechtzeitig hätte man hier und da mit etwas Weitblick anders entscheiden können. Heute wissen wir, dass Einsicht und Verständnis manchmal sehr viel Zeit brauchen, und man versteht oftmals leider erst, wenn die Ereignisse längst unwiederbringlich vergangen sind.
Im wahren Leben, im Alltag der Gegenwart, waren wir damals überzeugt, nach bestem Wissen zu handeln. Es reichte uns, wenn wir Probleme irgendwie lösen oder zumindest verschieben konnten. Je nachdem, welche Mittel zur Verfügung standen, wählten wir eine einigermaßen professionelle Lösung oder eine antiquierte Methode, mit der wir kostengünstig funktionsfähige Provisorien schaffen konnten, die ewig zu halten schienen.
Als Eigentümer eines kleinen Anwesens, das in einem Biosphärenreservat lag und das aus einem Bungalow und einem Nebengebäude bestand, waren wir immer darauf bedacht, behutsam zu wirtschaften, wenn es um dessen Erhalt ging.
Das Nebengebäude, in dem die Garage, die Waschküche und die Sauna untergebracht waren, stand etwa anderthalb Meter von einem zwei Meter tiefen Wassergraben entfernt. Der schmale Steinplattenweg, der zwischen dem Gebäude und dem Wassergraben entlangführte, war zum Graben hin schon teilweise beängstigend weit abgesackt. Die Grabenböschung war destabilisiert. Sie sah beinahe aus wie ein Sieb. Ein Loch reihte sich an das andere. Es müsse sofort etwas geschehen, dachte ich.
Auf dem Lande sei das nun mal so, und in einem Biosphärenreservat ganz besonders, dass Mäuse, Maulwürfe, Füchse und anderes Getier unsere Welt der Flurkarten und Grundstücksgrenzen nicht respektieren würden, meinte Anneliese lächelnd, die vieles entspannter sah als ich.
„Ja, das ist wahr“, sagte ich. „Es könnte aber einen Verbündeten geben, den die ungebetenen Baumeister mit Sicherheit respektieren und der ihnen am Tag und in der Nacht ihre Grenzen unmissverständlich klar macht.“
Anneliese musste lachen.
„Gut, in diesem Punkt sind wir uns einig“, sagte sie. „Ich wollte schon immer ein Kätzchen haben“, wobei sie natürlich an eine Schmusekatze dachte, was mir erst später klar werden sollte.
In unserem kleinen Dorf war schnell bekannt, dass wir in Erwägung gezogen hatten, ein Kätzchen bei uns aufzunehmen.
Eines Tages erschien die Tochter eines Nachbarn mit einem kleinen Korb, in dem sich drei Kätzchen tummelten, die nicht älter als zwölf Wochen waren. Anneliese durfte sich eines davon aussuchen. Ein besonders lebhafter, kleiner Kater mit einer charakteristischen schwarzen Schwanzspitze blinzelte sie neugierig an und reckte sich ihr entgegen – schon hatte sie ihr Herz verloren, und die Entscheidung war getroffen. Er hatte sich sozusagen selbst seine neue Gefährtin gewählt.
Nun blieb nur noch, dem neuen Familienmitglied einen passenden Namen zu geben. Unsere Nachbarin hatte ihm den ein wenig hochtrabenden Namen „Shaitan“ gegeben, aber ein Teufel war er nun wirklich nicht. Mir fiel eine alte Fernsehserie ein, „Jeremiah, der auszog, ein Mann der Berge zu werden“, und in Anlehnung daran meinte ich, dass wir hier „Jeremiah“, einen Kater, vor uns hätten, der ebenfalls frei entscheiden sollte, ob er mehr in der Wildnis, direkt hinter dem Haus, wo ihm Fuchs und Igel begegnen können, zu Hause sein möchte oder bei uns auf der Couch.
Anneliese war der Name „Jeremiah“ allerdings viel zu lang und zu umständlich. So machte sie dann schnell „Jerry“ daraus, und in zärtlichen Momenten nannte sie unseren Kater in Anlehnung an „Tom und Jerry“ auch schon mal „Jerry-Maus“.