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Revierkämpfe

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Um es vorweg zu nehmen, eine richtige Schmusekatze war unser Kater Jerry nie gewesen. Es war eher so, dass er täglich gelassenen Schrittes und erhobenen Hauptes in sein Revier auszog, um sozusagen mit den Tugenden eines edlen Ritters gewappnet, besitzergreifende, unflätige Gegner in die Schranken zu weisen. Tapfer verteidigte er sich, wenn ein Sieg gegen einen mächtigen Konkurrenten möglich erschien, oder wenn er eine Pattsituation erzwingen konnte. Sobald es aber feststand, dass ein Gefecht für ihn nicht gut ausgehen würde, weil der Angreifer übermächtig schien oder weil der ihm zahlenmäßig überlegen war, zeigte er seine ganze Cleverness, indem er sich mehr oder weniger gelassen zurückzog.

Wenn er am Abend müde vom Kampf zurückgekehrt war, suchte er Muße bei uns, also bei Gleichgesinnten, die nach dem langen Arbeitstag ebenfalls Entspannung zu finden hofften.

Die lang ausgestreckten Beine auf einem gepolsterten Hocker liegend, so saßen wir oftmals in unseren Sesseln vor dem Fernseher und schalteten die Programme durch, bis wir meistens bei einem Reisebericht oder einer Tierdokumentation landeten, oder bis Jerry auf Annelieses Beine sprang und gestreichelt werden wollte. Irgendwann fing er an, leise zu Schnurren, und etwas später machten sich ihre Beine bemerkbar, die mal wieder bewegt werden wollten, denn außer der wohligen Wärme, die unser Kater ausstrahlte, schien er auch immer schwerer zu werden.

Von Zeit zu Zeit hatte ich damals nach den alten und teilweise morschen Weiden geschaut, die in hohem Dickicht in gefährlicher Nähe zu unserem Haus wuchsen. Unverhofft sah ich dabei irgendwann Jerry gegen einen mächtigen Kater kämpfen, der viel größer und schwerer war als er. Sich umklammernd, kratzend und beißend wälzten sich die Kontrahenten im hohen Gras, und ich sah zu meinem Entsetzen, wie sie versuchten, mit den Krallen ihrer Hinterpfoten des Gegners Bauch zu ritzen.

Als sie mich endlich bemerkt hatten, hielten sie kurz inne, wobei der Angreifer mit durchdringendem Blick zu mir herübersah. Ich blieb regungslos stehen, und so setzten sie ihren brutalen Kampf fort, als ginge es ums Dasein.

Jerry, in dessen Blick Verzweiflung zu erkennen war, kämpfte jedoch entschlossener als zuvor. Er fand wohl Zuversicht, als er mich sah, weil er wusste, dass der Stärkere nicht immer siegt, wenn der Schwächere nicht alleine ist.

Zwei, drei Schritte ging ich drohend auf die beiden Kater zu, die wie die Berserker kämpften, die ihre Schmerzen nicht mehr zu spüren schienen, während sie versuchten, sich gegenseitig mit allen unheilbringenden Waffen eine Katze ins Elend zu stürzen.

In ihrer Rage nahmen sie mich gar nicht wahr. Zu tiefst erschrocken blickte mich der Angreifer an, als er das Krachen eines Astes hörte, der unter meinen Füßen zerbrochen war, während ich eilends dem Kampfplatz entgegen hastete.

Jetzt erst, da er mich glücklicherweise als bedrohlich eingestuft hatte, glaubte er wohl, der Übermacht nicht gewachsen zu sein, und ließ von Jerry ab, der zunächst irgendwie ratlos schien, sich seines Vorteils aber schnell bewusst geworden war und sich anschickte, die Verfolgung des Flüchtenden aufzunehmen.

Er sollte das nicht tun, er sollte bleiben. Ich rief ihn laut an. Jerry hielt inne. Er schaute kurz zu mir herüber, wirkte unschlüssig, nachdenklich. Konnte er den Eindringling ungestraft abziehen lassen, oder sollte er diesem Ignoranten eine ordentlich Tracht Prügel zum Abschied verpassen, die der Schurke nie mehr vergessen würde.

„Jerry!“, rief ich ihn ein zweites Mal laut an. Aufgeschreckt blickte er zu mir herüber.

„Nun komm schon!“, sagte ich ruhig.

Er sah noch einmal dem abziehenden Feind nach und beruhigte sich, kam langsam auf mich zu, stellte sich an meine Seite und schaute stolz zu mir hoch. Unbesiegbar waren wir, niemand konnte uns etwas anhaben, wenn wir uns gegenseitig beistehen würden.

Ich streichelte ihn, und er glaubte wohl, ich dachte ebenso. Behutsam legte er seinen Kopf in meine Hand, als hätte er damit unseren freundschaftlichen Bund besiegelt.

Ich beugte mich zu ihm hinunter, suchte sein Fell ab und fand glücklicherweise keine ernsthaften Verletzungen.

Anneliese wollte genau erfahren, was da vorgefallen war, als sie ihren Jerry etwas gründlicher untersuchte. Ich wollte es ihr nicht erzählen. Sie musste ja nicht wissen, wie schockierend brutal die beiden aufeinander losgegangen waren.

„Sie haben sich ganz schön gefetzt“, sagte ich.

„Der arme Kerl!“, meinte sie und deutete auf sein eingerissenes, rechtes Ohr.

„Das ist doch schon älter“, sagte ich.

„Das sehe ich auch!“, sagte sie. „Aber selbst wenn es ganz verheilt ist, wird wohl eine Kerbe bleiben. Dass muss da immer fürchterlich brutal zur Sache gehen, glaube ich.“

Unser Kater Jerry

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