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Die wilde Jagd
ОглавлениеSchmelzer saß im Wagen. Er hatte etliche Telefonate geführt. »Damit Sie nicht denken, ich beiße mich an der Wolfslegende fest. Habe bereits Aufträge erteilt.«
»Wolf oder Hund?«
»Wolfshund, Chef.«
»Zum Glück wurde Kaltenbach nicht nach dem 26. Dezember ermordet, sonst würden Sie über die Wilde Jagd spekulieren.«
»Wer oder was, um Himmels willen, ist die Wilde Jagd?«
»Ein wenig Kenntnis über deutsche Mythen kann nicht schaden, Herr Kollege. Schlag nach bei den Brüdern Grimm. Von Weihnachten bis zum Dreikönigstag treibt Die wilde Jagd ihr Unwesen. Mit Wolfsgeheul und Hundegebell. Diese Gestalten schießen durch den Nachthimmel hinunter in die Wälder, erschrecken Wanderer, Jäger, Förster, Waldarbeiter. Wer nicht spurt, kommt mit. Auf ewig Wilde Jagd. Vielleicht haben die sich im Kalender vertan, und Eugen Kaltenbach musste sterben.«
»Schöne Bescherung. Wilde Jagd und Sürches Mossel. Zwei grausige Legenden.«
»Genug mit den Legenden und Mythen. Wer war Eugen Kaltenbach?«
Schmelzer öffnete die Datei auf seinem Handy: »Jahrgang 1944, einziges Kind von Wilhelm Kaltenbach, der vor 1933 von Schlesien in die Eifel auswanderte, einen Hof kaufte und ziemlich schnell in der kargen Eifel mit Erfolg wirtschaftete. Vater Wilhelm trat früh der NSDAP bei, quasi alter Kämpfer, und war prompt 1933 die Nummer eins. Ortsvorsteher, Goldfasan, also mit Uniform der SA in Braun und goldenen Streifen. Freigestellt vom Krieg, zuständig für die Landwirtschaft in einem Teil der Nordeifel. Er wurde entnazifiziert. Moment, da gab es einen Prozess, der im Sande verlaufen ist. Wilhelm Kaltenbach soll den deutschen Verteidigern des Burgbergs Stellungen der Amerikaner verraten haben. Darunter auch ein Haus mit verletzten US-Soldaten. Das Haus wurde unter Artilleriebeschuss genommen, alle Soldaten starben. Ein Nachbar habe den alten Kaltenbach bei den Amerikanern denunziert. Angeblich aus Rache am Goldfasan, der seine Macht missbraucht habe, um sich Felder, Wälder und Wiesen unter den Nagel zu reißen. Trotzdem muss der alte Kaltenbach glimpflich davongekommen sein mit Entnazifizierungsverfahren und so weiter. Das Verhältnis zum Dorf und den Nachbarn blieb zerrüttet. Die Mutter des Toten stammte auch aus Schlesien, starb Ende der 50er-Jahre.«
Fett schaute ihn fragend an: »Motiv Rache? 2019 und 1944. 75 Jahre später kommt jemand und übt Rache an Eugen Kaltenbach, dem Sohn, und das auf diese spektakuläre Art?«, sinnierte Fett. »Warum nicht in Ruhe bei ihm in der Wohnung? Weil es der Burgberg ist? Weil es um den Burgberg ging vor 75 Jahren? Sieben Stiche, Schuss auf die Zwölf. 7. Dezember 1944, Angriff auf den Burgberg, Verrat von Kaltenbach, er besiegelt das Schicksal vieler Amerikaner und wird mit einem Karabiner der US-Army erschossen. Fall gelöst. Bravo, Schmelzer. Jetzt müssen wir die Nachfahren der US-Soldaten checken, schauen, wer vor Kurzem von den USA nach Europa gekommen ist. Vielleicht lebt jemand sogar in Deutschland oder Europa. Klasse. Kann Monate dauern. Sehr gut.« Fett machte eine Pause. »Holen Sie bei Unsleber den Wohnungsschlüssel von Kaltenbach. Wir schauen uns sein Haus an, und dann geht es zur Kantine.«