Читать книгу Herr über Leben und Tod bist du - Olaf Müller - Страница 15
Schmelzer wird überwacht
ОглавлениеSie waren spät dran. Keine warmen Speisen mehr am Buffet. Drei einsame Schüsselchen mit Vanillepudding und Himbeersirup. Fett zahlte für die drei, nahm zwei kalte Frikadellen und suchte mit Schmelzer einen Tisch mit Aussicht. Nur einige Kollegen von der Bereitschaft saßen in der Kantine.
»Brauchen wir eine besondere Aufbauorganisation?« Schmelzer vertilgte Pudding Nummer eins. Die Frikadelle erledigte er mit zwei Bissen. Er hatte Fleischeslust. Wie immer.
»Dafür fehlt das Personal. Da müssen wir beide ran und wieder in die Vergangenheit schauen.«
Pudding zwei war an der Reihe, und Schmelzer blickte so intensiv auf die Verlaufsformen des Himbeersaftes, dass er den Mord vergaß. »In meiner Kindheit gab es oft Pudding mit Himbeersaft.«
»Ja und Schokopudding mit selbstgemachter Sahne am Sonntag.« Fett hatte keine Lust auf diese Nahrungserinnerungsgespräche.
»Ich mochte mehr Vanillepudding.« Schmelzer biss sich fest. Sein Lieblingsthema.
»Was macht die vegetarische Küche von Anne?« Fett wusste, dass Schmelzer seit Freitag nur Gemüse, Tofu, salzlose Kost bekommen hatte.
»Wird immer ideologischer. Wenn nur die Belehrungen nicht wären. Alles weiß sie besser. Alles. Aus dem Essen wird eine Wissenschaft. Die freudlose Küche. Justus und ich fahren heimlich zu Metzgereien. Sie macht sogar Kontrollanrufe. Ob ich Kunde bei Lemmen oder Brach sei. Fleischkonsumüberwachung.«
»Nehmen Sie meine Frikadelle. Ich hab Bockwürstchen im Kühlschrank.«
Schmelzers Laune besserte sich für wenige Minuten. Fett ging auf die Probleme nicht weiter ein. Er hatte genug für den Tag. Sie verabschiedeten sich freudlos.
Fett verließ das Polizeipräsidium und stieg auf sein Klapprad. Trierer Straße und Adalbertsteinweg waren um die Uhrzeit dicht. Er zog die Gelbweste an, steckte Vorder- und Rücklicht an den Rahmen und legte das schwere Kettenschloss ins Körbchen. Seit dem Sommer fuhr er Rad. Den Alfa hatte er verkauft wegen Altersschwäche. Ein neuer Wagen war nicht in Sicht. Sein Vater hatte immer gesagt: »Auto fängt mit AU an und hört mit O auf.« Über VW-Käfer und einen Golf Diesel war Fetts Vater nie hinausgekommen. Reichte ihm für seine Fahrten zur Wache nach Düren und zur Bereitschaftspolizeiabteilung IV nach Linnich. Der Wind war frisch, kein Schnee, nasses Laub, spiegelnde Pfützen. Fett fuhr an der Lützow-Kaserne vorbei in Richtung Aachen-Arkaden. Ein Denkmal vergangener Konsumlust. Er passierte die Josefskirche und steuerte auf den Kaiserplatz zu, wo seit Jahren mit Drogen gehandelt wurde. Nichts hatte sich verbessert. Wahrscheinlich wurde in der Tiefgarage vom Aquis Plaza Einkaufszentrum gedealt. Über den Willy-Brandt-Platz, wo bei der Einweihung Willy mit zwei »i« falsch geschrieben worden war, radelte er, nach links abbiegend, am Parkhaus vorbei auf die Peterstraße zu. Hubert Moonen, Herren-Oberbekleidung, seit Jahren schon geschlossen. Er schob über die Fußgängerampel in Richtung Parkhaus Büchel. Der Weihnachtsmarkt. Er hatte den Weihnachtsmarkt vergessen. »Stille Nacht, heilige Nacht.« Die Musik umfing ihn bereits. Um die Uhrzeit könnte er sich noch mit dem Fahrrad durch die Besucher schlängeln. Reibekuchen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Montagabend mit Reibekuchen. Der Kantinenpudding als Mittagessen reichte nicht. Sie waren spät aus Bergstein zurückgekehrt. Am Nachmittag die Besprechungen und Spurensuche. Eine große Mordkommission lehnte sein Chef Kosslowski ab. Er habe zu wenig Personal wegen Urlaub, Krankheit und den Einsätzen in Hambach. Fett war nicht unzufrieden mit der Entscheidung des Chefs. Das Gewimmel, die Unruhe, die Rennerei im Lagezentrum einer Besonderen Aufbauorganisation waren nichts für ihn. Klar, wenn das Kapitalverbrechen es erforderte, machte er mit. Ansonsten: allein zu zweit. Sein alter Spruch.