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Ein Schuss und sieben Stiche

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Kurz vor 10 Uhr trafen Fett und Schmelzer an der Kirche in Bergstein ein. Sie fuhren zum Parkplatz, von dem man auf den Stausee von Obermaubach schaute. Der dunkelrote VW-Bully der Kriminaltechnik parkte kurz hinter der Schranke am Aufgang zum Burgberg. Ein Streifenwagen stand am Seitenrand. Fett zog die schwarze Dockermütze über die Ohren, Schmelzer war eingemummelt in seine Funktionsjacke.

»Was wissen wir, Schmelzer?«

Schmelzer schaute auf sein Handy und las die Nachricht der KTU: »Alter Mann auf der obersten Plattform des Krawutschketurms. Kopfschuss und Messerstiche. Eugen Kaltenbach, 75, alleinstehend, aus Bergstein. Besaß einen Bauernhof. Hatte alles verpachtet. Frau vor zehn Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Vermutlich in der Früh umgebracht worden. Keine Kinder. Gefunden von einem Rentner aus Bergstein, der morgens hier seine Runde drehte.«

»Senile Bettflucht. Die können morgens nicht bis 8 Uhr abwarten.«

»Der Rentner hat einen Hund. Da muss man morgens raus. Der Hund hat den Toten gefunden.«

»Ja, oder vor der Alten flüchten.«

»Kommt drauf an.«

»Worauf?«

»Auf die Alte und den Hund. Übrigens hat er eine Fahne.«

»Wer, der Hund? Trinken die jetzt auch?«

»Nicht der Hund, der Hundebesitzer, dieser, na, dieser Norbert Jörres.«

»Frühtrinker. Hatte bestimmt Stress mit seiner Frau. Oder Witwer?«

»Nein, kein Witwer. Nur kalt.«

»Kalter Witwer?«

»Er hat wegen der Kälte getrunken, Chef.«

»Stimmt. Ich auch. Allerdings Kaffee.«

»Wo müssen wir lang, Herr Fett?«

»Hier, den kurzen und steilen Weg. Kenne ich.«

»Woher?«

»Damals. Segelflug in Bergstein. Manchmal sind wir hier gewesen. Wenn das Wetter nicht passte oder um die Aussicht zu genießen oder nahe am Himmel zu sein.«

Sie stapften den mittleren Weg hinauf, der steil in Richtung Krawutschketurm führte. Das gefallene Laub roch vermodert. Überall Einbuchtungen im Boden, abgebrochene Äste. Sie passierten das Kreuz für einen gefallenen US-Soldaten. Aus den Augenwinkeln sah Fett, dass eine Kerze brannte. Schmelzer rutschte auf seinen Sommerschuhen ständig aus. »Anne hat mir die falschen Schuhe rausgestellt. Irgendwelche handgenähten Ökoschuhe aus Afrika. So ein Käse.«

»Bestimmt sie auch Ihre Schuhe? Ich dachte, nur das Essen«, grinste Fett.

»Das auch. Wahrscheinlich muss ich bald barfuß latschen, zur Abhärtung oder weil irgendein Jogi das so macht.« Schmelzer keuchte. Leberkäs- und Streuselbrötchen machten sich konditionell bemerkbar. Endlich erreichten sie die Höhe und begrüßten die Kollegen aus Kreuzau.

»Kennen wir uns nicht von dem Fall in Obermaubach?«, fragte Fett.

Holz antwortete kurz und bündig: »Moin, ne, das waren andere Kollegen. Mein Name ist Holz, und drüben steht Kollegin Dillinger bei Herrn Jörres. Der hat die Leiche gefunden. Das heißt, sein Hund Rocky, der Dobermann. Außerdem hat der ordentlich geschluckt am frühen Morgen.«

»Der Hund?«

»Das fehlte noch, nein, der Jörres. Glaube nicht, dass er der Täter war.«

»Fürs Glauben ist der liebe Gott zuständig. Vielleicht weiß der Hund mehr. Fett und Schmelzer aus Aachen«, sagte Fett mit Blick auf den Kollegen aus Kreuzau.

»Sie, mit dem Drops auf dem Kopf, sind Kommissar Fett?«

»Drops auf dem Kopf? Das ist eine Dockermütze von New Yorker Hafenarbeitern.«

»Passt zum Rursee. Ahoi, die Herren. Wir stehen hier, um die Massen fernzuhalten, die gleich den Krawutschketurm stürmen werden.«

Hatte Rocky auf das Stichwort gewartet? Er bellte los, als ob 1000 Hasen über den Burgberg flitzen würden.

»Aus, Rocky! Aus!«

Jörres verschaffte den Ermittlern eine kurze Rocky-Pause. Fett schaute hoch zum Turm. Er erspähte die in weiße Overalls gekleideten Kollegen von der Kriminaltechnik.

»Schmelzer, versuchen Sie es mit dem betrunkenen Dobermannbesitzer. Ich klettere auf den Turm. Es wird eng da oben. Sie können nach mir hoch. Oder auch nicht.«

Fett passierte die Markierung der Blutlache am Fuß der Treppe und stieg die Metallstufen empor. Weitere Fahnen kennzeichneten vereinzelte Tropfen. Er blieb auf der letzten Stufe stehen und schaute auf den Toten.

»Moin, Herr Fett. Schöne Aussicht hier oben. Nur nicht für den da. Kopfschuss von vorne in die Stirn über der Nasenwurzel. Hinten ausgetreten. War sofort tot. Die sieben Messerstiche in die Brust brauchte es nicht mehr.« Kollegin Elke Unsleber leitete an diesem Tag die Kriminaltechnik. Ihre Aussagen waren belastbar. Ihr trockener Humor ansteckend. Sie engagierte sich im Umweltschutz, kam mit dem Rad zum Polizeipräsidium. Ohne Akku natürlich. Kurze braune Haare, trainierter Körper, grüne Augen, fester Gang, selbstbewusst. Fett musste sich konzentrieren.

»Todeszeitpunkt?«

»In der Früh. Heute Morgen.«

»Hell oder dunkel?«

»Der Schuss? Ich vermute vor Sonnenaufgang.«

»Nähe?«

»Nicht aufgesetzt. Keine Schmauchspuren und keine Kampfspuren. Nichts. Der muss von unten erwischt worden sein.«

»Tödlicher Schuss aus der Umgebung. Danach steigt der Täter, wenn es nur einer war, auf den Turm und versetzt ihm etliche Stiche?«

»Ja. Zuerst der Schuss, im Anschluss die Stiche. Sonst hätten wir nicht die Blutspritzer auf dem Geländer. Schuss, Täter klettert hoch, sieben Stiche, dreht ihn um, so sehen wir die Stiche nicht sofort. Und er ist nicht durch das Blut gelatscht wie der Frühtrinker da unten, denn der hat Blut an den Schuhen. Den können Sie vergessen. Der hat bestimmt 1,5 Promille.«

»Diese Early Bird Säufer sind mir die liebsten«, schwärmte Fett. »Sie reden so poetisch. Kann ich mir den Toten ansehen?«

»Noch eine Minute. Letzte Aufnahmen.«

Kommissarin Unsleber zeigte auf verschiedene Punkte, und eine Kollegin fotografierte. Kollege Sonanini sammelte das Besteck seines Tatortkoffers ein und nahm an Fett vorbei den Weg nach unten.

»Haben Sie seine Papiere gefunden?«, fragte Fett.

»Ja. Fast vergessen. Hatte der 75-Jährige dankenswerterweise dabei. Eugen Kaltenbach aus Bergstein. Geboren 1944.«

Unsleber reichte Fett den Personalausweis in einer Plastiktüte.

Fett betrachtete den Toten, das Einschussloch über der Nasenwurzel, die sieben Stiche durch den Mantel in die Brust. Eugen Kaltenbach starb mit 75 Jahren auf dem Krawutschketurm. Was soll das alles, dachte Fett.

»Können Sie grob sagen, aus welcher Richtung der Schuss gekommen ist?«

»Wir werden es am Computer simulieren«, versprach Unsleber. »Augenscheinlich stand Kaltenbach hier, neben der Infotafel in Richtung Vossenack, mit Blick über Bergstein in Richtung Westen. Die Blutspritzer auf dem Geländer und der Aufschlagpunkt auf der Plattform deuten darauf hin. Der Schuss muss von schräg unten gekommen sein. Quasi voll auf die Zwölf, klingt makaber, ist aber so. Wir untersuchen den Bereich dort unten gleich genauer.« Sie zeigte auf einen Graben, der sich in westlicher Richtung von Bunkerresten nach Norden zog.

»In der Dunkelheit eine Meisterleistung, den Alten zu erwischen.«

»Guter Schütze oder Schützin. Wir sehen uns das gleich unten an. Vielleicht finden wir eine Patronenhülse. Dafür brauchen wir den Metalldetektor. Übrigens kein großes Kaliber, Jagdwaffe oder so. Die Kugel ist allerdings hinten raus. Die werden wir kaum hier oben finden. Die Kölner Rechtsmediziner sollen den Schusskanal untersuchen. Jedenfalls sind Fund- und Sterbeort identisch.«

Eugen Kaltenbach. Kein typischer Name für die Region, befand Fett. Unten am Turm waren die ständigen Begleiter der Mordkommission eingetroffen, die dunklen Sargträger des lokalen Beerdigungsinstituts Himmelsleiter. Sie würden den Toten in die Rechtsmedizin der Uni Köln schaffen. Aachen besaß keine Rechtsmedizin mehr.

Fett stieg nachdenklich die Stufen hinunter zu Schmelzer, Kaltenbach und Rocky. Auf den Hund hatte er keine Lust. Seit er vor über 40 Jahren von einem Rottweiler angefallen worden war, hielt er sie auf Distanz. Die Hunde merkten, dass Fett sie scheute, rochen seine Angst. Da konnte Herrchen noch so oft rufen »Der will nur spielen!«. Bei Fett endete das Spiel, und die Aggressivität der Kampfhunde brach durch.

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