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Herzschuss
ОглавлениеWas wird aus meinem Leben? Kriminalkommissar Fett stellte sich diese Frage gegen 5.30 Uhr an diesem Montagmorgen. Wie sieht meine Bilanz aus? Soll und Haben? Mörder gefasst, Sicherheit geleistet, Dienst an der Gesellschaft. Er blinzelte durch die Jalousien in Richtung Osten. Alles dunkel. Aachen schlief noch. Er sprang aus dem Bett. Ab in die Dusche. Weg mit den ewigen Fragen. Eine neue Woche. Noch 15 Tage bis Heiligabend. Zeit, um die Akten zu sortieren. So kurz vor Weihnachten passierten rein statistisch kaum noch Kapitalverbrechen. Eher an Weihnachten und kurz danach, wenn sich die Familien zu nahekommen. Es sollte anders kommen. Doch noch ahnte Kommissar Michael Fett nichts davon.
Draußen nieselte der Regen auf die Gebäude der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen gegenüber seiner Wohnung am Templergraben in Aachen. Ein grauer Dezembermorgen. Um 6 Uhr telefonierte er mit Iska Sonntag. Seine entfernte Freundin, Leiterin eines SEK-Teams, war nach Auflösung der Einheit in Bonn mit ihren Männern nach Köln versetzt worden. Drei Spezialeinsatzkommandos und zwei Mobile Einsatzkommandos waren in Köln konzentriert. Sie mussten sowohl nach Bonn als auch nach Aachen zu besonderen Einsätzen. Schießtraining stand heute auf ihrem Programm. Sie würde mit ihrem Team zunächst im Kino und danach auf dem Stand trainieren. Heute keine Clans, keine Aktivisten in Hambach, keine Reichsbürger mit Waffensammlung, schwerbewaffnete Rockerbanden oder messerstechende Folterknechte. Einfach nur Schießtraining.
»Müsste auch mal wieder«, sagte Michael Fett.
»Komm rüber. Ich zeig dir, wie du triffst. Mit der Waffe.«
»Herzschuss. Hast du ja erreicht bei mir. Zum Glück hab’ ich überlebt. Ganz neu in der Polizeigeschichte.«
»Die müssen gepflegt werden, die Herzschüsse.«
»I know.«
»Deine Mörder haben Vorrang.«
»Ich bin nun mal der weiße Ritter von Aachen.«
»Gab es den? Oder spielst du Karl den Großen?«
»An den kommt keiner ran. Fünf Frauen und 20 Gespielinnen, genannt Friedelfrauen.«
»Na bitte. Männer denken zuerst an die Erfolgsgeschichte beim schönen Geschlecht.«
»So war das nicht gemeint.«
»Komm, komm. Ihr seid in dem Oche alle neidisch auf Karl. Friedelfrauen. Woher hast du den Begriff?«
»Erwähnte der Historiker Professor Kerner in einem Vortrag über Karl. Das waren Geliebte, aber mit mehr Rechten als eine Küchenmagd, die sich der Karl am Grill geschnappt hat.«
»Scheint dich ja mächtig zu interessieren.«
»Der Karl. Ja klar. Ich schau aus der Küche auf die Spitze des Rathauses, dahinter der Dom. In Bonn kannst du ja über die Loreley nachdenken. Wo du auftauchst, entstehen Auffahrunfälle.«
»Na, na, Kommissar Fett. Kommt jetzt der Themenwechsel von MeToo-Karl zum Werbeblock?«
»Ist eben so. Bei jedem Treffen mit SEK-Kollegen schwärmen sie von der Kölner Amazone, und manche kennen dich aus Bonner Zeiten. Den Rest verrate ich nicht, sonst steigt es dir zu Kopf.«
»Mehr davon, mein Lieber. Das sind die reinsten Herztreffer.«
»Deine Klugheit und deinen Witz loben sie. Du seist jedoch eine harte Nummer.«
»Bin halt keine Friedelfrau oder Kebse.«
»Kebse, du kennst dich aus. – Mein Kaffee wird kalt.«
»Lenk nicht ab. Sag mir was Schönes für den Tag.«
»Du bist ein Augenstern. Ein Geschenk der germanischen Götter an den Vater Rhein. Der Schatz der Nibelungen.«
»You make my day, Monsieur Fett. Auf zum Kaffee, sonst hast du schlechte Laune. Und lass uns bald mal das Weihnachtsprogramm besprechen.«
»Du kennst mich, immer auf den letzten Moment. Ciao, Bella. Wir telefonieren.« Fett legte auf und dachte an Theresa Rosenthal, Mordkommission Köln, mit der er einen Fall gemeinsam gelöst hatte, an das gemeinsame Lachen. Er atmete tief ein, schaute in den Spiegel, prüfte die Rasur, die grauen Haarsträhnen und verdrängte die Grübeleien. In der Küche füllte er frisches Wasser in die Kaffeemaschine. Marmelade, Vollkornbrot, Mineralwasser. Die Kaffeemaschine mahlte drauf los. Heute kein Befehl zum Entkalken, Reinigen, Schale Leeren. Er hasste die Befehle der Kaffeemaschine und sehnte sich nach der alten Filterkaffeemaschine zurück. Fluch der Technik.