Читать книгу Enophasia - Olaf Sandkämper - Страница 9
Rabak vom Schwarzen Schloss
ОглавлениеIm Westen des Landes lag das Graue Gebirge, deren Ausläufer bis an die Wälder Enophasias heranreichten. Auf einem dieser gezackten Bergkämme thronte düster und unheilvoll das Schwarze Schloss. Uneinnehmbar war es aus dem ersten hohen Berg heraus gemeißelt worden und es schien so, als blicke es bedrohlich auf das Land herab. Es lag so dicht an den Wäldern, dass man vom Waldrand aus sogar die Zinnen erkennen konnte.
Obwohl es draußen noch heller Tag war, brauchte es hier im Inneren Fackeln, damit man wenigstens etwas sehen konnte. Ihr Flackern erzeugte ein gespenstisches Licht, das durch die Kahlheit der Räume noch verstärkt wurde. Kein Teppich oder Vorhang, keine Sessel oder Holzmöbel zierten das Innere. Hier gab es nur schwarzen Stein.
Dies war ein düsterer Ort. Und der Mann, der alleine in einem riesigen Raum mit gewölbten Decken auf seinem Thron saß, war es ebenso. Sein kahler Kopf und sein kurzer schwarzer Vollbart verstärkten diesen Eindruck noch. Seine schmale und gebogene Nase und die stechenden Augen erinnerten an einen Raubvogel. Als Kleidung diente ihm die weite, schwarz glänzende, aber schlichte Robe eines Magiers der dunklen Künste. Er starrte gebannt in das Kaminfeuer, das auf der anderen Seite in diesem hohen und weitläufigen Thronsaal brannte, aber kaum Wärme spendete. Das Flackern der Lichter gab ihm ein wahrhaft dämonisches Aussehen.
Kalt war es hier, doch das spürte er kaum. Zu seiner Rechten stand ein Dreibein, in dem oben statt einer Schale eine Kugel eingelassen war, die ein schwaches, gelb pulsierendes Licht verströmte.
Ungeduldig wartend stand er immer wieder auf und ging hinaus auf den großen Balkon zu seiner Linken.
Immer wieder suchten seine Augen den Himmel ab. Für den großartigen Ausblick auf das Bergpanorama hatte er keinen Blick übrig.
Nachdem er so etliche Male zwischen Thron und Balkon ruhelos hin und her gewandert war, hörte er endlich das ersehnte Geräusch.
Zunächst war es nur ein leises Rauschen, das aber schnell lauter wurde und schließlich in ein lautes Brausen überging, als etwas direkt über das Schloss hinweg flog. Dann wurde das Geräusch zunächst etwas leiser und nahm dann wieder an Lautstärke zu. Dieses Etwas schien eine weite Schleife zu fliegen und landete schließlich mit lautem Flügelschlag draußen auf dem nackten Fels etwas oberhalb des Balkons, auf den nun kleine Felsbrocken und Steine kullerten.
Der Mann hatte wieder seinen Platz auf dem Thron eingenommen und schaute nicht einmal hinüber.
„Hast du, was ich begehre?“, fragte er heiser.
„Nein Meister, ich habe sie verloren!“
Es war eine brummende, unnatürlich tiefe Stimme, die diese Worte sprach.
„Gibt es Neuigkeiten vom Nest?“, fragte der Magier weiter.
„Nein nichts“, war die Antwort.
„Und was gedenkst du nun zu tun?“, fragte der Mann mit unverhohlenem Ärger in der Stimme.
„Was immer der Meister sagt, wird ausgeführt“, war die nervöse Antwort.
Der „Meister“ war zornig. Trotzdem grinste er. Dieses Wesen dort draußen war riesig, stark und voller Macht. Trotzdem hatte es Angst - Angst vor ihm. Das gefiel ihm und so sagte er gefährlich ruhig: „Fliege direkt in das Herz von Enophasia! Dort wirst du finden, was ich suche!“
Einen Augenblick war es still, so als hätte es der Kreatur dort draußen die Sprache verschlagen. Dann sagte sie zögerlich: „Dorthin kann ich nicht fliegen. Die Elfen werden mich entdecken und mich mit ihren Sprüchen vernichten!“
„Um die Elfen brauchst du dir keine Sorge mehr zu machen. Diese Problem habe ich für dich gelöst“, grinste der Mann und tätschelte vielsagend die leuchtende Kugel.
„Wenn du so mächtig bist, warum gehst du dann nicht selbst?“, fragte das Wesen fast trotzig.
Da war es um die Beherrschung des Mannes auf dem Thron geschehen. „Wenn ich selber gehen soll, wozu brauche ich dich dann noch?“ schrie er das Wesen an. „Es hat mich kaum Mühe gekostet dich zu erschaffen. Dich zu vernichten, ist noch viel einfacher für mich!“
Wenn er selbst dort hinginge, würden ihn die Einhörner bemerken, noch bevor er auch nur eines von ihnen zu Gesicht bekäme. Gegen ihre Magie war er machtlos, aber das musste er diesem Geschöpf dort draußen ja nicht auf die Nase binden.
Er wechselte daher abrupt das Thema und fragte: „Was ist mit den großen Katzen?“
„Die Einhörner haben sie alle vernichtet“, antwortete die tiefe Stimme, unsicher, wie der Magier diese weitere, schlechte Nachricht aufnehmen würde.
Der Mann auf dem Thron zog einen Beutel aus seiner Robe und sagte nur: „Das macht nichts. Du bekommst neue. Denke aber daran, dass den beiden Fohlen kein Haar gekrümmt werden darf, Drakon!“
Die Katzen hatten einen eigenen Willen und waren bislang bei jedem Angriff darauf aus gewesen, die Einhörner zu töten. Aber das behielt Drakon lieber für sich. Er zweifelte daran, dass die neuen Katzen ihre Aufgabe besser erledigten und fragte: „Meister, warum müssen es von allen Einhörnern ausgerechnet diese beiden sein?“
„Weil sie in der Lage sind, den Pegasus zu rufen!“, war die Antwort. „Und wenn sie das tun, ist es aus mit uns!“
„Dann müssen die beiden so schnell wie möglich vernichtet werden!“, brummte die Stimme.
„Nein!“, antwortete der Zauberer entschieden. „Noch wissen die beiden nicht, dass sie dazu in der Lage sind. Wenn ich die Fohlen in meine Gewalt bekomme, werden sie den Pegasus rufen, wenn ich es will. Und dann werde ich ihn auslöschen und auf ewig die Macht in Enophasia besitzen!“
Bei diesen letzten Worten war er erregt aufgesprungen und schrie fast dabei. Dann besann er sich, sah auf den Beutel in seiner Hand und sagte tonlos: „Hier, nimm. Und versage nicht wieder.“ Mit diesen Worten warf er den Beutel über die Brüstung des Balkons.
Es gab ein hässliches, schabendes Geräusch, als kratzten mächtige Klauen über den Fels und ein riesiger, schwarzer Schatten stürzte am Balkonfenster vorbei in die Tiefe. Für einen Augenblick sah man einen großen Kopf mich langen Zähnen und bösen, gelben Augen. Mächtige, lederartige Schwingen verdunkelten für einen Moment den Raum und noch mehr Steine fielen auf den Balkon und kullerten in den Raum.
Ärgerlich ließ sich der Magier wieder auf seinen Thron fallen. Zu seiner Rechten öffnete sich eine Tür und eine kleine, stämmige Gestalt betrat den düsteren Saal. Es war ein Berggnom. Mit seinem zotteligen Fell, den krummen Beinen und langen Armen erinnerte er stark an einen Affen.
„Rabak, ich dir bringen Tier“, krächzte er.
Der Magier verdrehte die Augen im Kopf. „Krummbein, wie oft soll ich es dir noch sagen: Du hast mich „Meister“ zu nennen!“, herrschte er seinen Diener an.
„Ja, Meister Rabak - Meister“, war die Antwort.
Der Zauberer seufzte. Dann erhob er sich und befahl: „Gib mir die Maus!“
Etwas linkisch übergab der Gnom dem Magier einen kleinen Holzkäfig, in dem eine kleine Haselmaus saß. Krummbein war nur so groß, dass er dem Zauberer gerade bis zu Brust reichte, aber mit seinen langen Armen hätte er den kleinen Käfig auch spielend auf Rabaks Kopf absetzen können.
Dieser hielt den Käfig ganz dicht vor sein Gesicht und sagte beinahe zärtlich: „Hallo, mein Mäuschen, wie geht es dir?“
Wäre sein Gesichtsausdruck ein anderer gewesen, hätte man meinen können, er sorge sich tatsächlich um den kleinen Nager. Aber er starrte das Tier an wie eine Schlange das Kaninchen.
„Sieh mal“, säuselte er weiter, „wenn du mir bei dieser kleinen Sache hilfst, helfe ich dir. Du weißt, was ich meine? Du musst nicht auf ewig eine Maus bleiben. Es ist ganz einfach.“
Die kleine Maus zeigte sich ziemlich unbeeindruckt und fing an sich zu putzen. Etwas ungehaltener fuhr der Zauberer fort: „Ich weiß genau, dass du jedes Wort von mir verstehst. Hilf mir, das Buch zu lesen und ich mache dich wieder zu dem, was du vorher warst!“
Krummbein stand daneben und sein Gesichtsausdruck zeigte, dass er glaubte, sein Meister habe den Verstand verloren.
„Das Maus!“ schnatterte er. „Nix lesen, nix verstehen. Aber schmecken gut. Bloß wenig dran.“ Dabei grinste er und bleckte seine gelben Zähne.
„Halt den Mund!“ herrschte Rabak den Berggnom an. „Mach dich lieber nützlich und räum die Felsbrocken vom Balkon!“ Krummbein duckte sich und machte sich sogleich an die Arbeit.
Rabak wandte sich wieder der Maus zu, die ihm nun den Rücken zudrehte und sich in aller Gemütsruhe den buschigen Schwanz putzte. Nachdenklich schaute er das kleine Tier an. Er war sich nicht wirklich sicher, ob die Maus ihn verstand. Schließlich war dies sein erster Verwandlungszauber gewesen und vielleicht war etwas schief gegangen. Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Den Käfig vor sich her tragend ging er hinaus auf den Balkon. Draußen hatte die Dämmerung bereits eingesetzt. Der Berggnom bemühte sich, die schweren Felsbrocken über die Brüstung in die Tiefe zu befördern. Dabei fluchte er leise vor sich hin: „Blöder Drakon - Drache, blöder“.
Rabak beachtete ihn nicht weiter, sondern hielt den kleinen Käfig mit weit ausgestrecktem Arm über das Balkongeländer.
„Sie nur Kleines, wie tief die Steine hinunterfallen“, sprach er sanft. „Du möchtest doch nicht, dass dir dasselbe passiert, oder?“
Der kleine Nager turnte in seinem Käfig herum und sah interessiert in den Abgrund. Angst schien er nicht zu haben.
Da riss Rabak endgültig der Geduldsfaden. „Hilf mir jetzt endlich!“, schrie er die kleine Maus unbeherrscht an. „Hilf mir, das Buch der Elfen zu lesen oder ich werfe dich hinunter!“
Krummbein hielt mit seiner Arbeit einen Moment inne und sah den beiden interessiert zu. Rabak bemerkt dies und herrschte seinen Diener an: „Was ist? Bist du schon fertig?“
Hastig bückte sich der Gnom nach einem Felsbrocken, um ihn über das Geländer zu werfen. In diesem Moment drückte sich die kleine Maus ganz dicht an die Gitterstäbe ihres Käfigs und pinkelte dem Zauberer auf die Hand.
Dieser zuckte unwillkürlich zurück und hätte dabei fast wirklich den Käfig fallen lassen. Dabei stieß er gegen Krummbein, der gerade dabei war, einen Stein hochzuwuchten. Durch den Stoß ließ der den Stein wieder fallen und zwar genau auf Rabaks Fuß.
„Auuu!“, jaulte der Zauberer und hüpfte auf einem Bein umher, was bei Krummbein für Heiterkeit sorgte.
„Pass doch auf, du nichtsnutziger Berggnom, dämlicher!“
„Ich keine Schuld!“, verteidigte sich dieser, immer noch mit einem Grinsen im Gesicht. „Du mich stoßen!“
„Auch noch frech werden!“, brüllte der Magier und stellte den Käfig auf dem breiten Balkongeländer ab. „Na warte!“
Mit schmerzendem Fuß humpelte er hinter Krummbein her, der schon längst in den Thronsaal geflüchtet war. Noch bevor Rabak etwas unternehmen konnte hatte der Gnom bereits eine der verborgenen Türen geöffnet und war über eine enge Treppe entkommen.
Nachdem der Zauberer dem Flüchtenden eine ganze Tirade von Flüchen und Verwünschungen hinterher gebrüllt hatte, hinkte er zum Balkon zurück.
Aber noch bevor er ihn erreicht hatte, sah er den Schatten eines großen Nachtvogels, der lautlos am Balkongeländer entlang strich. Mit sicherem Griff packte der große Uhu den Käfig und riss ihn mit sich fort.
„Nein!“, schrie Rabak und stürzte auf den Balkon hinaus. Seinen schmerzenden Fuß hatte er völlig vergessen. Aber als er sich über das Geländer lehnte, war der Dieb mitsamt seiner Beute schon längst in der Dämmerung verschwunden.