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Der Kämpfer und das Opfer

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Gerne inszenierte sich Baldur von Schirach auch in der Rolle des verfolgten Nationalsozialisten. So nützte er seine Verhaftung bei einer Auseinandersetzung nach einer Anti-Versailles-Kundgebung an der Universität Köln, um sich als Opfer der Weimarer Republik zu stilisieren. Er sei nur deshalb verurteilt worden, weil er gegen Frankreich (d. h. gegen den Friedensvertrag von Versailles, Anm. d. Verf.) gekämpft hätte. Geschickt nützte er den Auftritt vor Gericht – der Staatsanwalt hatte vier Monate Gefängnis gefordert – zu einer Anklage gegen die Republik: »Es steht in ihrer Macht, mich vier Monate festzuhalten und einzusperren, das wird aber an meinem Kampf, der gleichzeitig der Kampf des jungen Deutschlands ist, nichts ändern können. Nach Ablauf dieser vier Monate werde ich von Neuem den Kampf gegen Versailles auf die Fahnen der deutschen Hochschulbewegung schreiben, und Nichts wird mich daran hindern können.«152 Nach acht Tagen in Einzelhaft erhielt Schirach eine dreimonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung. Auch ein Jahr später, am 13. April 1932, berichtete noch das Tagblatt in Linz von diesem Prozess im Juli 1931, um zu zeigen, wie die SA Richter unter Druck setzen konnten. 1931 waren nach einer Enthüllung der Rheinischen Zeitung in Köln per Standartenbefehl sämtliche verfügbaren SA-Männer in Zivil zum Gericht als Zuhörer und zur Demonstration von Macht bestellt worden.

Hier zeigte Schirach – wie viele andere junge Männer seiner Generation, die nicht im Ersten Weltkrieg gedient, aber die Propaganda darüber bereits wahrgenommen hatten – ein typisches Verhaltensmuster: Sie suchten ständig den Kampf – hier konkret den »Kampf gegen Frankreich«. Dies ging bei Baldur von Schirach so weit, dass er selbst gegenüber dem Hamburger Gauleiter und ehemaligen Frontsoldaten Albert Krebs, als ihm dieser einen Fehler in der Kriegsdarstellung aus dem Ersten Weltkrieg nachwies, auf die Schulter klopfte und selbstbewusst meinte: »Glauben Sie mir nur, lieber Doktor Krebs! Das ist doch so gewesen, wie ich es sagte!«153 Krebs nannte Schirach 1959 in seinem Buch über die Frühzeit der NSDAP einen zu jungen »überzüchteten Intellektuellen und Ästheten«154, der sich damals innerhalb der NSDAP noch nicht wirklich ideologisch festgelegt hatte.

Sinnbildlich für die permanente Sehnsucht, den Ersten Weltkrieg zu wiederholen und selbst erleben zu wollen, waren die in dieser Zeit entstandenen Gedichte Schirachs, die eine metaphysische Verbindung zwischen der Nachkriegsgeneration und den Gefallenen des Ersten Weltkrieges herstellen sollten:

Als wir noch Kinder, dröhnten die Kanonen,

und manches Kinderlachen brach entzwei,

kam eine Meldung von den Todeszonen:

»Dein Vater starb, damit die Jugend frei!«


Aus der Umgebung Hitlers war Schirach bald nicht mehr wegzudenken: Begeisterte Begrüßung durch NS-Anhänger bei einem Auftritt 1930.


Urlaub vom »Führer«: Henriette und Baldur von Schirach bei einem Spaziergang in den Tiroler Bergen.

Wehe dem Sohn, der das je kann verwinden

Und nach so großem Preis vom Kampfe schwieg!

Wir wollen unsres Daseins Sinn verkünden:

Uns hat der Krieg behütet für den Krieg! 155

Baldur von Schirach ging aus den vorhin skizzierten Konflikten gestärkt hervor, hatte er doch Hitlers eindeutige und in dieser Form ungewöhnlich starke Unterstützung erhalten. Meist ließ Hitler gerne seine Funktionäre in Konkurrenz gegeneinander um die Gunst des »Führers« wetteifern und traf häufig erst spät Personalentscheidungen.

Entscheidend für Hitlers Hilfe war sicherlich auch der Umstand, dass sich Schirach im Umfeld der Salonnière Elsa Bruckmann bewegte, die zur Irritation von Joseph Goebbels starken Einfluss auf den Parteivorsitzenden ausübte.156


Vorbildlich mit Scheitel und Braunhemd: Reichsjugendführer Baldur von Schirach. Kohlezeichnung von Karl J. Böhringer, Bayerische Staatsbibliothek.

Schirach

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