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Neues aus der Parallelgesellschaft – Der Jazz trifft in Bamberg ein

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Der Jazz trifft in Bamberg ein

Der Keller ist ein verschwiegener Ort. Nur zur späten Stunde beginnen die Erdkräfte zu rumoren. Zur Eingangstür an der Straße dringt Gemurmel. Die Tür fliegt auf, Musik rauscht vorbei, zerrissene Melodien zwischen einem plötzlichen Redeschwall, der von der Treppe her kommt. Klangfragmente in irrwitzigem Tempo. Der Keller ist mal wieder rappelvoll und die Band bringt den Raum zum Swingen.

Während in den USA und in vielen Großstädten Europas in den 1950er Jahren der Bebop tobte, eine neue, revolutionär anmutende Variante des Jazz, bei der schwarze Musiker wie Charlie Parker, Dizzie Gillespie und Thelonious Monk selbst ausgelassene Swing-Formationen gnadenlos an die Wand spielten, war im gutbürgerlichen Bamberg im Grunde alles ganz normal. Man ging wieder einmal nicht in den Keller, sondern auf den Keller, hinauf zu einem der sieben heiligen Hügel, auf denen das Bier fließt. Dort, unter den Bierpilgergärten, befinden sich, wie jedes Kind in Bamberg weiß, die Keller, die einst, einem begehbaren Kühlschrank gleich, vor allem dazu gedient haben, den Bamberger Urstoff frisch zu halten.

So ein Keller ist eine nützliche Erfindung. Im Krieg war er der nützlichste Raum überhaupt. Eine Lebensmöglichkeit, oft sogar die einzige und letzte Rettung. Um dem Wahnsinn und der Zerstörung zu entkommen, gingen die Menschen nicht hinaus ins Freie, sondern in die entgegengesetzte Richtung. In den privaten Kellern und in den Stollenanlagen am Stephansberg waren sie geschützt vor der größten Sinnlosigkeit. Andernorts boten gut ausgestattete Luftschutzkeller sogar Radioempfang und Musik. Davon konnten die meisten Zeitgenossen, denen unter der Erde nicht viel mehr geblieben war als ihre Existenz, jedoch nur träumen.

Dass ein Keller neben seiner Funktion als Schutz- und Lagerraum ein ausgesprochen nützlicher Ort ist, um laute Musik zu hören, kann man sich mit etwas Phantasie leicht vorstellen. Praktisch hatte es keinerlei Bedeutung. Bis zu dem Moment, als die Gotterdämmerungsmusik des Großdeutschen Rundfunks zu Ende war und die ersten befreienden Takte des Jazz erklungen. In der amerikanischen Besatzungszone lief der Sender AFN (American Forces Network) und in Frankfurt öffnete schon 1952 der erste deutsche Jazzkeller die Tür. So ein bisschen wie in Paris, in den „Existenzialistenkellern“ sei da die Atmosphäre gewesen, erinnert sich ein Jazz-Fan, die ehemalige Sekretärin der Deutschen Jazz-Förderation Marianne Glier[1]. Immer gerammelt voll sei es da gewesen. Natürlich hätten alle Rothhändle und Gauloises geraucht, nur schwarze Zigaretten, das hätte dazugehört. Die Musiker spielten in den Anfangsjahren ohne Gage, für ein Bier oder einen Whiskey. Ein fast schon privates Refugium entstand so, Treffpunkt für Musiker aus Übersee, GIs aus den Kasernen sowie Lokalmatadoren.

Auf das frankophile „Domicile du Jazz“ in Frankfurt folgten das „Cave 54“ in Heidelberg – die „Höhle“ – und das Nürnberger „Jazz Studio“ am Paniersplatz, das eines der ältesten kontinuierlich fortbestehenden Jazzlokale der Welt werden sollte. Auch hier hätten die Musiker nicht von einer Gage gesprochen, weiß der Gründer und langjährige Mastermind des Nürnberger Clubs Walter Schätzlein[2] zu berichten. Die Mietkosten seien so gering gewesen, dass sie von den Mitgliedsbeiträgen und dem Verkauf der Getränke bezahlt werden konnten. Und die Klaviere seien einem damals für 50 bis 100 Mark nachgeworfen worden. Nachdem die Musiker so lange drauf gespielt hatten, bis die Instrumente nicht mehr taugten, habe man sie ein bisschen außerhalb in ein Gartengrundstück geschafft und wieder ein neues genommen. „So einfach war das“, so Schätzlein[3]. Und irgendwann, wenn genügend Klaviere zusammen waren, hätten die Mitglieder ein Happening gemacht, diese angezündet und mit riesigen Hämmern zerschlagen. Eine richtige Orgie sei das gewesen, da schwärmten die Leute im Nachhinein noch davon.

Jazz Keller Bamberg

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