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Vielen afroamerikanischen Jazzern, speziell aus der Bebop-Szene, gilt er jedoch als zu angepasst.

Ich stelle mir eine Begegnung mit Louis Armstrong in der Künstlergarderobe des Jazzkellers vor. Im Gang zur Garderobe hängen Fenster in die Vergangenheit. Miles Davis und John Coltrane schauen unverwandt zur Seite. Miles Davis sagt:

„Man kann nichts auf der modernen Trompete spielen, das nicht von Louis Armstrong kommt. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der er schlecht auf der Trompete klang. Ich liebte es,wie er spielte und sang.“

John Coltrane sieht ernst drein und schweigt. Gerne würde ich Davis fragen, was der moderne Jazzer am Traditionalisten Armstrong bewundert. Aber ein Kellergang mit zwei Bildern ist nicht der richtige Ort, um eine Diskussion zu beginnen.

Armstrong wartet in der Künstlergarderobe. Er ist in einen eleganten Smoking gekleidet und hat sich ein paar Delikatessen kommen lassen. Weiß er, dass er eine Person der Weltgeschichte ist? „Ich bin aus dem Jahr 2013“, beginne ich mein Gespräch und schmunzle. Es scheint ihn nicht zu überraschen. „Herr Armstrong, ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Sie immer noch ein großes Vorbild für viele Jazzer sind, auch für junge.“ Armstrong lacht – mit mississippi-breitem Zähneblecken – und mir fällt ein Stein vom Herzen. „Der Bebop mag für Sie erstmal ein Schock gewesen sein...“, fahre ich fort. Da redet er schon drauf los:

„Die wollen sich nur aufspielen. Sie spielen diese merkwürdigen Akkorde, keine richtigen Melodien und keinen tanzbaren Beat. Sie sind arm und kriegen keine Jobs. Das haben Sie von diesem modernen Mist.“

– „Einige Hörer sehen darin eine Entwicklung von der populären Tanzmusik zur Kunstmusik.“

– „Wenn es die Hörer mitreißt, ist es Unterhaltung, wenn nicht, ist es Kunst.“

Ich könnte ihm sagen, dass viele Modern-Jazz-Musiker ihr Bild von ihm in Zukunft noch revidieren werden, dass sie seine bleibende Leistung anerkennen werden. Ich könnte auf Miles Davis verweisen, der 1945 Mitglied in Charlie Parkers Quartett war. Aber ich bezweifle, dass Armstrong die Zukunftsgeschichte glauben würde. Er singt: „The fundamental things apply as time goes by.“ „Ein schöner Song“, denke ich. „Was halten Sie davon, wenn wir Ihre Musik als Volksmusik bezeichnen?“

– „Jede Musik ist Volksmusik. Ich kenne keine andere. Oder hat schon jemand ein Pferd gesehen, das Musik gemacht hätte?... Als wir in Mailand spielten...nachdem mein Konzert vorbei war, musste ich schnell rüber zur Scala und bei diesen berühmten Typen – wie Verdi und Wagner – dabei sein... und Fotos machen, weil die Leute sagen, unsere Musik ist die gleiche: Wir spielen sie beide aus dem Herzen.“

– Singen Sie auch gerne romantische Lieder?

– „Die Erinnerung an das, was war, ist wichtig für einen Jazz-Musiker. So etwas wie Menschen, die in einer heißen Nacht im Mondlicht singen oder Dinge, die vor langer Zeit gesagt wurden... Wenn ich spiele, denke ich einfach an all meine glücklichen Tage, und dann kommen die Noten von ganz allein.“

Die Erinnerungen durchmischen sich in Armstrongs Biographie mit Legenden. Eine oft erzählte Anekdote geht so: 1925 soll ihm während einer Aufnahme in einem Tonstudio der Songtext vom Notenständer gefallen sein. Der Produzent machte nervöse Handbewegungen, die „Weiter, weiter“ bedeuteten. Denn die Studiozeit war teuer, und die Walzen konnten nur einmal bespielt werden. Also sang Armstrong weiter und als ihm nichts mehr einfiel, fing er an zu scatten. Die Aufnahme wurde berühmt.

Ich höre, wie Armstrong singt, die Vokale strömen breit dahin, mit rauchiger Kehle verprasst er die Luft, die Stimme ist sein Instrument. Gerne würde ich jetzt einsteigen, so wie er singen, erzählen, scatten, spielen, alles auf einmal, aber ich bringe keinen Ton heraus, nicke mit dem Kopf zur Musik und sage wie zu mir selbst „Ja“. Mein Nicken im Rhythmus wird zum zwanghaften Kopfwackeln.

Ja, die Seele des Jazz verdichtet sich in Momentaufnahmen wie diesen. Die Musik ist aus sozialen Techniken, die der Bewältigung einer konkreten Situation dienen, entstanden. Jazz ist noch dazu die einzige Improvisationsmusik, die eine Tradition entwickelt hat. Es ist alles schon im frühen Jazz angelegt. Ohne ihn kein moderner Jazz, ohne ihn kein „Jazz Keller Bamberg“. Danke, Louis Armstrong!

Ich zucke zusammen, als mich mein Gesprächspartner des Jazzclubs unvermittelt antippt. „Es hat ein bisschen länger gedauert an der Theke“, entschuldigt er sich. „Da bist du ja, endlich“, sage ich. „Mein Hals ist schon ganz trocken.“

Anmerkung des Autors: Die kursiv gesetzten Zitate stammen von den jeweiligen Personen (Miles Davis bzw. Louis Armstrong) oder werden diesen zugeschrieben.

Jazz Keller Bamberg

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