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Entscheidungspunkte: Sprechen oder zuhören?
ОглавлениеBewusst zu entscheiden, wann wir sprechen und wann wir zuhören, ist wesentlich für ein sinnvolles Gespräch. In mancherlei Hinsicht ist das die grundlegendste Kommunikationsfertigkeit. Wie oft haben Sie schon etwas gesagt und sich dann, nur wenige Augenblicke nachdem die Worte Ihrem Mund verlassen hatten, gewünscht, sie zurücknehmen zu können? Oder in einer E-Mail auf »Senden« gedrückt, obwohl es besser gewesen wäre, die Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen? Und ebenso wichtig ist es, Mut zu fassen und zu sagen, was wir zu sagen haben. Wenn das unterbleibt, kann es sich so anfühlen, als hätten wir uns selbst oder die Menschen, die wir lieben, im Stich gelassen.
Ein Gespräch ist ein dynamisches Zusammenspiel zwischen der Entscheidung zu sprechen und der Entscheidung zuzuhören. Werden diese Entscheidungen bewusst und respektvoll getroffen, ist das Gespräch meistens produktiver und angenehmer. Fallen sie unbewusst oder impulsiv, ist das Gespräch weniger produktiv und stressiger.
Ich nenne diese Weggabelung den »Entscheidungspunkt«. Wenn wir präsent sind, gibt es in jedem Moment eine Entscheidungsmöglichkeit. Einer meiner Kollegen, der ebenfalls Gewaltfreie Kommunikation lehrt, verwendet das Akronym WAIT, um sich daran zu erinnern: »Warum spreche ich?« (»Why am I talking?«) – eine Frage, die darauf verweist, wie schnell und unüberlegt wir oft zu sprechen beginnen. Und mit der Frage »Was denke ich?« können wir uns den mentalen Prozess bewusst machen, der unsere Worte hervorbringt.
Ein Entscheidungspunkt ist ein Moment des Gewahrseins, in dem wir uns entscheiden, ob wir sprechen oder zuhören wollen.
Die Fähigkeit, an dem Entscheidungspunkt präsent zu sein, erfordert Übung. Manchmal fliegt er an uns vorbei wie ein Straßenschild, während wir mit Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn fahren. Der Impuls, uns mitzuteilen, kann so stark sein, dass er uns dazu treibt, etwas auszusprechen, bloß um inneren Druck abzulassen. Wenn wir hingegen eher zu den stilleren Gemütern gehören, mag es uns so vorkommen, als ob diese Gelegenheiten vorübergezogen sind, bevor wir unsere Stimme erheben konnten.
An dieser Stelle kommt Achtsamkeit ins Spiel. In der Meditation lernen wir, unangenehme Empfindungen zu beobachten (Knieschmerzen, Verspannungen im Rücken), ohne direkt darauf zu reagieren. Wir entwickeln die Fähigkeit, uns eines Impulses bewusst zu sein, ohne auf ihn zu reagieren.
Die Angst, die wir in Gesprächen empfinden, wurzelt meist in tieferliegenden Bedürfnissen, wie etwa gesehen oder gehört zu werden, Bedürfnissen nach Sicherheit, Akzeptanz, Zugehörigkeit und Ähnlichem mehr. Je weniger zuversichtlich wir sind, dass diese Bedürfnisse erfüllt werden, desto mehr Druck verspüren wir, etwas zu sagen beziehungsweise lieber weiter zu schweigen. Wenn wir nicht jetzt sofort etwas zur Sprache bringen, so fürchten wir vielleicht, werden wir nie mehr die Gelegenheit dazu haben. Oder aber: Wenn wir etwas sagen, wird darauf sicherlich eine Katastrophe oder eine Trennung folgen.
Je mehr Möglichkeiten wir finden, diese Bedürfnisse zu erfüllen (und gut mit ihnen umzugehen, wenn sie nicht erfüllt sind), desto weniger Druck verspüren wir, zu sprechen oder weiter zu schweigen; wir können uns in den Fluss einer Unterhaltung hinein entspannen. Es ist nicht gefährlich, wenn wir unsere Meinung sagen, und es gibt keine Eile, alles auf einmal mitteilen zu müssen. Wenn es wichtig ist, werden wir den richtigen Zeitpunkt und die richtige Art und Weise finden.
Diese Fähigkeit entwickelt sich langsam. Indem wir üben, unsere Bedürfnisse zu achten, lernen wir, uns selbst zu vertrauen. Wenn wir jedem noch so kleinen Erfolg Beachtung schenken, hilft das unserem Nervensystem, zur Ruhe zu kommen und sich neu auszurichten. Weil es sich an ein grundsätzliches Wohlbefinden gewöhnt, muss es nicht immerzu falschen Alarm schlagen, der uns dazu antreibt oder davon abhält zu sprechen, und wir können immer öfter eine bewusste Wahl treffen. Dann können wir entscheiden, was am hilfreichsten für den Fortgang des Gesprächs ist und wie die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt werden können.